Atypische Beschäftigung und Sozialversicherungsrecht – dargestellt am Beispiel des Sports1
Atypische Beschäftigung und Sozialversicherungsrecht – dargestellt am Beispiel des Sports1
Im Beitrag geht es um die sozialversicherungsrechtliche Behandlung „atypischer“ Beschäftigungsverhältnisse, also solcher von sehr kurzer Dauer oder unregelmäßiger bzw wechselnder Intensität, dargestellt anhand zweier Leitentscheidungen des VwGH zu schwer verunfallten Sportlern (Skispringer, Motocrossfahrer). Primär stellt sich die Frage, ob derartige Beschäftigungen die Zugehörigkeit zum pflichtversicherten Personenkreis nach sich ziehen.
Einleitung
Relevante Konstellationen atypischer Beschäftigung in der SV
Rechtsfragen bei atypischer Beschäftigung
Die aufsehenerregenden Entscheidungen des VwGH
Die Skispringer-Entscheidung
Sachverhalt
Verfahrensablauf
Rechtliche Beurteilung des VwGH (Kernpunkte der Subsumtionen)
Die Motocrossfahrer-Entscheidung
Sachverhalt
Verfahrensablauf
Rechtliche Beurteilung des VwGH (Kernpunkte der Subsumtionen)
Zwischenbilanz
Zum Fall des Skispringers
Zum Fall des Motocrossfahrers
Würdigung und Thesen
Allgemeines zur Beurteilungsstrategie
Zur Interpretation des § 4 Abs 1 Z 1 iVm Abs 2 ASVG
Zur „persönlichen Abhängigkeit“
Zur „wirtschaftlichen Abhängigkeit“
Zum Passus „gegen Entgelt“
Zur Interpretation des § 4 Abs 1 Z 14 iVm Abs 4 ASVG
Zu „im Rahmen seines Geschäftsbetriebs“ etc
Zu „keine wesentlichen eigenen Betriebsmittel“
Resümee – Weitere sportbezogene Wegmarken zu einer gefestigten Rechtsprechung
Einleitend ist zu fragen, was unter „atypischer Beschäftigung“ in der SV verstanden werden kann (dazu 1.1.) und welche spezifischen Rechtsfragen die ermittelten Konstellationen aufwerfen (siehe 1.2.).
Zur Umschreibung der im Folgenden zu beleuchtenden „atypischen Beschäftigung“ können Orientierungsmarken verwendet werden, angesichts der im Hintergrund stehenden grundsätzlichen Fragen insb zum pflichtversicherten Personenkreis wird sich schließlich eine offene, problemorientierte Eingrenzung des Themas als sinnvoll erweisen.
Anhaltspunkte zeigen sich einige: Es gibt ein traditionelles Rechtsinstitut im Sozialversicherungsrecht, das in die fragliche Richtung weist, nämlich jenes der „fallweisen Beschäftigung“ nach § 33 Abs 3 ASVG.1 Bei „Personen, die in unregelmäßiger Folge tageweise beim selben DG beschäftigt werden und deren Beschäftigung kürzer als eine Woche vereinbart ist“, kann es melderechtliche Erleichterungen geben. Vor allem aus arbeitsrechtlicher 368 Sicht wird zuweilen von „Gelegenheitsarbeitsverhältnissen“ gesprochen.2 Schiechtl3 und Kovács4 ordnen hier vor allem einerseits sehr kurz befristete (tageweise oder nur wenige Tage dauernde) Arbeitsverhältnisse und andererseits längerfristige Beschäftigungsformen, die durch Unregelmäßigkeit oder sogar Unsicherheit des faktischen Arbeitsausmaßes gekennzeichnet sind, ein.
Betrachtet man die gleich darzustellenden aufsehenerregenden Fälle mit Sportbezug (vgl insb 2.1. und 2.2.), so zeigt sich, dass die letzteren, aus dem Arbeitsrecht kommenden Kategorisierungen recht gut für die Beschreibung der hier interessierenden Grenzfälle passen: Schwierigkeiten machen kann einerseits die besondere Kurzfristigkeit und andererseits die unregelmäßige oder wechselnde Intensität einer Inanspruchnahme von Arbeit iwS.5 Das Rechtsinstitut der „fallweisen Beschäftigung“ hingegen betrifft nur eine abwicklungstechnische Sondersituation und ist im gegebenen Zusammenhang letztlich nicht aufschlussreich.
In derartigen Konstellationen zeigen sich grundlegende Rechtsprobleme vor allem zu Fragen des pflichtversicherten Personenkreises. Daneben sind vereinzelt auch Aspekte des Beitragsrechts – diese nicht zuletzt wegen des Sportbezugs (vgl § 49 Abs 3 Z 28 iVm Abs 7 ASVG) – und des Leistungsrechts zu sehen, welche im Folgenden nur schlaglichtartig angesprochen werden sollen (siehe zB 2.3.1., 2.3.2., 3.2.3.).
Es geht hier um zwei Fälle, in denen die sportausübenden Personen massive Verletzungen mit Dauerfolgen erlitten haben:6 Die erste E betrifft einen Skispringer, der als Vorspringer bei der Skiflug-Weltmeisterschaft fungierte und bei einem Sprung stürzte (dazu 2.1.), die andere E einen Motocrossfahrer, der von einem Motorradhersteller gesponsert wurde und bei einer Exhibition dieses Herstellers verunfallte (siehe 2.2.). Beide Sportler verletzten sich schwer im Bereich der Wirbelsäule, was jeweils zu Querschnittlähmungen führte.
In beiden Fällen geht es um die Frage der Zugehörigkeit zum pflichtversicherten Personenkreis, einmal mit dem Schwerpunkt auf § 4 Abs 2 ASVG, das andere Mal vorrangig zu § 4 Abs 4 ASVG.
Lukas Müller (L M), damals 23 Jahre alt, seinerzeit Junioren-Weltmeister, schied wegen Verletzungsproblemen und Formschwankungen aus dem (Leistungs-)Kader des Österreichischen Skiverbandes (ÖSV; Verein iSd VerG) aus, hatte aber die Berechtigung, als Angehöriger des sogenannten Stützpunktkaders am Olympiastützpunkt Salzburg-Rif mitzutrainieren. L M wird auf seine Bewerbung hin als Vorspringer bei der im Februar 2016 stattfindenden Skiflug-WM auf der Kulmschanze in Bad Mitterndorf nominiert. Organisatorin dieses Events ist die Austria Ski WM und Großveranstaltungs GmbH, deren Geschäftsanteile zu 100 % dem ÖSV zuzuordnen sind. Seine Sprungausrüstung nahm L M selbstständig mit, vom ÖSV erhielt er Anorak und sonstige Oberbekleidung im Design und mit Werbestickern des Nationalteams.
Für das Vorspringen bekam L M von der A GmbH das im FIS-Reglement vorgesehene Taschengeld in Höhe von € 100,– täglich, sohin in den sechs Tagen der WM € 600,–. Diesbezüglich war ein vorgefertigtes Formular zur selbstständigen Abführung von Abgaben zu unterschreiben, die A GmbH sah bei sich ua keine Zuständigkeit zur Anmeldung bei der SV. Weiters wurden Unterkunft, Verpflegung, ein Shuttle-Dienst sowie ein Reisekostenersatz zur Verfügung gestellt.
Die Tätigkeit der Vorspringer ist in der angewendeten Wettkampfordnung des Internationalen Skiverbandes (FIS) genau vorgegeben und wurde entsprechend durchgeführt:9
Der veranstaltende nationale Verband und weitere sportlich starke Verbände müssen ein gutes Dutzend Vorspringer stellen.
Die Vorspringer haben sich zu fixen Zeitpunkten zum „Einfliegen“ der Schanze einzufinden, geleitet werden die Prozeduren insb von einem fachlich versierten Funktionär, dem „Vorspringerchef“.
Es müssen in verschiedenen Phasen Sprünge durch die Vorspringer durchgeführt werden, auch nach zB wetterbedingten Unterbrechungen, sodass ein gewisser Teil der Vorspringer während des gesamten Wettkampfes in der Nähe des Schanzeneinstiegs „sprungbereit“ sein muss.
Zweck der Vorspringertätigkeit ist es, die Anlaufspur „einzufahren“ und Informationen 369 über die Beschaffenheit der Schanze bzw des Aufsprungs sowie über die Wettkampfbedingungen zu gewinnen.
Es war L M – wie jedem Vorspringer – möglich, einen Sprung jederzeit, auch unmittelbar vor Durchführung, sanktionslos abzulehnen.
Bei einem Sprung als Vorspringer verunfallte L M und ist seitdem querschnittgelähmt.
L M, von der A GmbH nicht bei der SV angemeldet, stellte einen Antrag bei der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt auf Leistungen aus der UV. Die im Weiteren befasste Kärntner Gebietskrankenkasse (GKK) qualifizierte L M als vom ASVG erfassten DN.
Der von der A GmbH gegen deren Bescheid erhobenen Beschwerde an das BVwG wurde von diesem stattgegeben.10
Die äußerst umfangreiche Begründung dieses Gerichts enthält auf den Punkt gebracht folgende zentralen Argumente:
L M sei nicht persönlich arbeitspflichtig, weil er sogar noch am Schanzeneinstieg den Sprung hätte ablehnen können
L M sei nicht wirtschaftlich abhängig, weil er die Sprungausrüstung selbst mitgebracht habe.
L M erhob Revision an den VwGH, welcher die DN-Eigenschaft iSd § 4 Abs 1 Z 1 iVm Abs 2 Satz 1 ASVG bejahte.
Die zentralen Argumentationen des VwGH lassen sich wie folgt zusammenfassen:11
Die A GmbH hat zur Durchführung der Skiflug-WM „eine aus Infrastruktur (die einsatzbereite Flugschanze mit allen Zusatzeinrichtungen) und den beteiligten Personen gebildete betriebliche Organisation geschaffen“.12
Von dieser betrieblichen Organisation geht insb in Anbetracht der
„einzuhaltenden Wettkampfregeln“ und
„Anweisungen“ des Vorspringerchefs
„extremer personenbezogener Anpassungsdruck“ in Bezug auf die Erreichung des Arbeitszieles aus.
Die Möglichkeit, einen konkreten Sprung abzulehnen, ist kein generelles, sanktionsloses, die persönliche Arbeitspflicht ausschließendes Ablehnungsrecht (dazu auch 3.2.1.).
Am Vorliegen der persönlichen Abhängigkeit können daher die Nebenaspekte, insb der Umstand eines „punktuellen, einmaligen Arbeitseinsatzes in einer spezifischen Situation“, „nichts ändern“.
Angesichts des unterschriebenen Formulars zur Abführung von Abgaben handelt es sich beim Taschengeld nicht etwa um eine pauschale Reiseaufwandsentschädigung iSd § 49 Abs 3 Z 28, sondern um Entgelt iSd § 49 Abs 1 ASVG (zu diesem Punkt auch 3.2.3.).
Im Folgenden wird die erste E des VwGH13 zu diesem Fall analysiert, die Zurückweisung der ao Revision gegen die E des BVwG14 im zweiten Rechtsgang15 ist demgegenüber von geringerem Interesse.
Zwischen Johannes (Hannes) Kinigadner (H K), damals 19 Jahre alt, und der KTM AG wurde ein „Sponsorvertrag“ abgeschlossen. In diesem Vertrag wurde insb vereinbart, dass H K verpflichtet ist, an 14 ausgewählten Motocrossrennen in der Saison 2003 (zB Staatsmeisterschaft) teilzunehmen sowie ein Rennen bei einer Benefizveranstaltung zu absolvieren.
H K wurden verschiedene Motorräder zur Verfügung gestellt, eines davon sowie der Großteil der Schutzkleidung dauerhaft, während die anderen Motorräder „im Eigentum der K AG verblieben“. Serviceleistungen an den Motorrädern nahm H K selbst, sein Vater oder Freunde von ihm vor, lediglich am Tag der Benefizveranstaltung bekam er dafür ein Team der K AG zur Verfügung gestellt.
Als Entgelt erhielt H K ca € 500,– pro Rennen,17 weiters wurde ihm zuweilen das Startgeld ersetzt. Soweit das Startgeld und die für das Rennen erforderliche Bekleidung nicht von der K AG zur Verfügung gestellt wurden, trug diese Aufwendungen die Kinigadner GmbH, an welcher H K als Gesellschafter beteiligt war, seine Mutter war Alleingeschäftsführerin dieser Gesellschaft. Die K GmbH übernahm auch zunächst die im Zuge der Rennen auflaufenden Kosten von K AG für die An- und Abreise, die Verpflegung und Übernachtung, wobei diese Aufwendungen in der Folge von der K AG ersetzt wurden.
H K konnte Ort und Zeit seiner Trainings selbst bestimmen – abgesehen von einem Trainingslager in den USA mit einem von der K AG gestellten Trainer – und es war ihm überlassen, noch an weiteren Rennen als den vereinbarten teilzunehmen. Es war ihm allerdings nicht gestattet, Motorräder von anderen Herstellern als der K AG zu verwenden oder mit anderen Herstellern weitere Sponsoringverträge abzuschließen. Zudem war er an einen Verhaltenskodex gebunden – zB mit Präsentationspflichten als Werbeträger der Marke, Alkoholverbot an Rennwochenenden –, seine sportlichen Erfolge und insb die darauf bezogenen Berichterstattungen wurden von der K AG laufend beobachtet. Als 370 Sanktionen bei Verstoß gegen den Verhaltenskodex waren ua die Vertragsauflösung oder die teilweise Nichtauszahlung des Entgelts vorgesehen. H K hat zudem – und das durfte er auch – gegen Entgelt als Werbeträger für andere, „branchenfremde“ Unternehmen, zB für die Red Bull GmbH, fungiert.
Beim genannten, von der K AG veranstalteten Benefizrennen am 26.7.2003 verunfallte H K und ist seitdem querschnittgelähmt.
Aufgrund eines anhängigen Verfahrens in Leistungssachen stellte die Tiroler GKK mit Bescheid vom 26.6.2014 fest, dass H K am 26.7.2003 weder gem § 4 Abs 2 noch nach § 4 Abs 4 ASVG der Pflichtversicherung unterlegen sei.
Der gegen diesen Bescheid von H K erhobenen Beschwerde gab das BVwG18 Folge und ging von einem DN iSd ASVG aus. Stark gekürzt enthält die Begründung des Gerichts ua folgende Kernpunkte:
Das Entgelt in Form des Fixums von € 500,– pro Rennen zeige eine Beschäftigung (nur) an diesen Tagen.
Am Unfalltag habe es eine starke Einbindung gegeben. Insb wegen der Kontrollbefugnis via Ergebnislisten und dem Fehlen einer eigenen Betriebsstätte bzw eigener Betriebsmittel sei H K DN.
Die ao Revision der Tiroler GKK (Österreichische Gesundheitskasse) ist laut VwGH zulässig und berechtigt. Es liege weder ein DN iSd § 4 Abs 1 Z 1 iVm Abs 2 noch ein freier Dienstvertrag iSd § 4 Abs 1 Z 14 iVm Abs 4 ASVG vor.
Wiederum seien folgende für die Falllösung wesentliche Aussagen19 hervorgehoben:20
Dass H K in eine betriebliche Organisation eingebunden gewesen ist, ergibt sich auch „an den Tagen der vom BVwG angenommenen Beschäftigung, so insb am 26.7.2003“ nicht.
Auch der „Verhaltenskodex“ (usw) ändert nichts am Gesamtbild des Fehlens einer persönlichen Abhängigkeit.
ISd § 4 Abs 6 ASVG ist im Weiteren § 4 Abs 4 ASVG zu prüfen.
Der freie Dienstvertrag nach § 4 Abs 4 ASVG unterscheidet sich vom Beschäftigungsverhältnis iSd § 4 Abs 2 ASVG im Wesentlichen durch das Fehlen einer persönlichen Abhängigkeit des DN.
§ 4 Abs 4 ASVG verlangt Dienstleistungen „für einen DG im Rahmen seines Geschäftsbetriebes“ usw und dass „aus dieser Tätigkeit ein Entgelt“ bezogen wird. Daraus folgt, dass zwischen der Erbringung dieser Dienstleistungen und einer vom DG erbrachten Gegenleistung, dem Entgelt, „ein Austauschverhältnis besteht“.
Die „Ausübung des Sports“ stellt sich bei wirtschaftlicher Betrachtung – mangels insoweit bestehenden Austauschverhältnisses – „nicht“ als „Erbringung von Dienstleistungen für den Sponsor als DG im Rahmen dessen Geschäftsbetriebes“ dar.
Darauf, ob die weiteren Voraussetzungen der Pflichtversicherung nach § 4 Abs 4 ASVG erfüllt sind, insb auch, ob der Sportler iS dieser Bestimmung über „keine wesentlichen eigenen Betriebsmittel verfügt“, kommt es nicht mehr an.
Die Skispringer-E (siehe 2.1.) ist mE in der Begründung21 und im Ergebnis zutreffend.22 Entscheidend ist die massive Einordnung von L M in das fremde unternehmerische bzw – hier ausnahmsweise – sportliche Konzept, das, vom zuständigen internationalen Sportverband FIS vorgegeben, von der für den ÖSV veranstaltenden A GmbH – wie es sich gehört – akribisch umgesetzt wurde. Die Vorspringer sind so gesehen in diesen sechs Tagen – und nur um die Rechtsbeziehung in diesem Zeitraum ging es – in ihrem Handeln gesteuert, man könnte auch sagen: gemeinsam mit dem Vorspringerchef „ferngesteuert“, mit genauesten Vorgaben zu Arbeitszeit, Arbeitsort und Arbeitsabfolge.
Der Verfahrensablauf gibt jedoch Anlass, die Beurteilungsstrategie, insb die „Formeln“ der stRsp des VwGH, genauer zu betrachten (dazu allgemein 3.). So stifteten die Leitsätze betreffend das „jederzeitige Ablehnungsrecht“ beim BVwG23 große Verwirrung: Der Umstand, dass der Spitzensportler den Sprung noch am Schanzeneinstieg der nur für absolute Vollprofis geeigneten Flugschanze (Hillsize: 225 Meter, K-Punkt: 200 m [!]) ablehnen kann, wurde als Fehlen der höchstpersönlichen Arbeitspflicht gedeutet. Nicht gesprungen wird in der Praxis vor allem dann, wenn körperliche oder – eher selten – psychische Probleme auftreten: Mit Fieber oder Kreislaufschwierigkeiten beispielsweise sollte eine derartige sportliche Höchstleistung nicht angegangen werden. Dass diese Überlegungen zur persönlichen Arbeitspflicht unzutreffend sind, erweist sofort auch ein Vergleich mit einer weniger spektakulären Arbeitswelt: Dass der Bauarbeiter, dem wegen einer herannahenden Erkrankung schwindlig ist, nicht auf das hohe Baugerüst steigen muss 371 (bzw darf), hebt nicht seine persönliche Arbeitspflicht und damit seine Eigenschaft als DN auf.24
Daneben erstaunt auch die im Verfahren beim BVwG geführte umfangreiche Diskussion zur „wirtschaftlichen Abhängigkeit“ und die These, dass das Mitbringen einer (davor vom ÖSV geschenkten) Sprungausrüstung diesen Aspekt der Betriebsmittelabhängigkeit ausschließt. Richtig ist letztlich die Sichtweise, dass die Verfügungsmacht über die Sportanlage der entscheidende Punkt ist (dazu noch 3.2.2.).
Schlaglichtartig können an dieser Stelle auch leistungsrechtliche Folgen skizziert werden: Zunächst interessiert die angesichts des Arbeitsunfalls mit einer dauernden erheblichen Minderung der Erwerbsfähigkeit zu betrachtende Versehrtenrente vor allem in Bezug auf die Bemessungsgrundlage, zumal der relativ junge „Profisportler“25 kaum sozialversichertes Erwerbseinkommen aufweisen wird. Die Bemessungsgrundlage ist daher iSd § 180 ASVG („Jugend-Bemessungsgrundlage“) bzw allenfalls iSd § 182 ASVG „nach billigem Ermessen“ zu bestimmen.
Die nächste Frage ist, ob L M eine Invaliditätspension gebührt. Nach der Robert-Pecl-E des OGH26 – deren Begründung zu kritisieren ist – wäre dies uU nicht der Fall, letztlich ist diese aber angesichts ihres Kerngedankens von vornherein nicht einschlägig, hat doch der hier betroffene Sportler seine Karriere nicht mit ca 35-40 Jahren, sondern wegen des Arbeitsunfalls ungewöhnlich früh beenden müssen. Nach allgemeinen Grundsätzen kann L M als ungelernter Arbeiter an sich auf körperlich wenig anspruchsvolle Tätigkeiten verwiesen werden. Bei letztlich massiven körperlichen Einschränkungen – die nach Informationen des Verfassers im konkreten Fall gegeben sind – gebührt Invaliditätspension27 nach Maßgabe der Ruhensbestimmungen.
Die Motocrossfahrer-E (siehe 2.2.) ist mE im Ergebnis wohl zutreffend. Die Begründung zu § 4 Abs 2 ASVG ist überzeugend, jene zu § 4 Abs 4 ASVG ist allerdings zu kritisieren (genauer dazu 3.3., insb 3.3.1.).
Auch hier geben – wie im anderen Fall (vgl 2.3.1.) – primär Begründungselemente des BVwG28 Anlass zu grundlegenden Überlegungen: Die erste Frage betrifft das Festmachen der Rechtsbeziehung in zeitlicher Hinsicht. Das BVwG zog aus der Gewährung eines Entgelts jeweils anlässlich der vorgesehenen Wettkämpfe den Schluss, dass für jeden dieser Wettkämpfe eine eigene Rechtsbeziehung als DN bestanden habe. Der VwGH rekurriert diesbezüglich zu Recht auf das allgemeine Vertragsrecht (dazu auch 3.1.) und arbeitet heraus, dass eine auf eine bestimmte Dauer – die Motocross-Saison 200329 – angelegte Rechtsbeziehung mit einem Bündel wechselseitiger Rechte und Pflichten vorliegt und dass die Fälligstellung des Entgelts davon zu unterscheiden und nicht stark zu gewichten ist. Der zweite Aspekt betrifft die Einordnung in die fremde unternehmerische Struktur in Bezug auf
Arbeitszeit, Arbeitsort und Arbeitsabfolge (dazu allgemein 3.2.1. sowie auch 2.3.1.). Das BVwG hat mE die mangelnde Einbindung bei der K AG gesehen und wollte daher die Rechtsbeziehung auf den Unfalltag, an dem H K intensiver – um im Jargon des Sports zu sprechen – vom „Team KTM“ betreut wurde, beschränken. Betrachtet man nämlich den gesamten Zeitraum der Rechtsbeziehung, so fehlt es offensichtlich an der Einbindung: H K war eben nicht – anders als oft im professionellen Sport, auch im Motorsport, zu sehen – in einem „Team KTM“ bei der K AG eingegliedert, er war vielmehr wohl Teil eines „Teams Kinigadner“.
Auch in diesem Fall kann schlaglichtartig auf weitere Fragestellungen hingewiesen werden: Nachdem sich letztlich auch § 4 Abs 4 ASVG als nicht einschlägig erwiesen hat (dazu genauer 3.3.), ist zu prüfen, ob H K als sogenannter neuer Selbstständiger iSd § 2 Abs 1 Z 4 GSVG pflichtversichert war. Ein – keineswegs absurdes – Opting-in gem § 2 Abs 1 Z 4 Satz 2 GSVG ist offensichtlich nicht erfolgt. Unklar ist, ob ein allfälliger Einkommensteuer- Bescheid ein einkommensteuerpflichtiges Einkommen unter der Versicherungsgrenze gem § 4 Abs 1 Z 5 GSVG ausgewiesen hat. Dies ist mE unrealistisch, zumal sich mit den € 500,– für 14 Rennen, dem weiteren Sponsoring-Vertrag mit der Red Bull GmbH und den einkommensteuerrechtlich relevanten Sachzuwendungen in der Einnahmen-Ausgaben-Rechnung ein Einkommen über der Versicherungsgrenze ergeben hätte müssen. Nimmt man an, dass kein Einkommensteuer- Bescheid 2003 ergangen ist, stellt sich die Frage, ob die Pflichtversicherung auch ohne einen solchen eintritt. Gem § 2 Abs 1 Z 4 Satz 3 GSVG ist die Pflichtversicherung im Nachhinein subsidiär „nach Vorliegen ... eines sonstigen maßgeblichen Einkommensnachweises ... festzustellen“. Insoweit ist plausibel, dass der Einkommensteuer-Bescheid nicht unabdingbare Voraussetzung für die Erfüllung des Pflichtversicherungstatbestands ist.30
Auf einen weiteren beitragsrechtlichen Aspekt sei angesichts der Diskussion über die zeitliche Struktur der Rechtsbeziehung (siehe oben) hingewiesen: Wäre H K freier DN iSd § 4 Abs 4 ASVG gewesen, so wäre bezüglich des Beitragszeitraumes auch § 44 Abs 8 ASVG zu berücksichtigen gewesen: 372 Gebührt der Arbeitsverdienst für längere Zeiträume als einen Kalendermonat, erfolgt eine gleichmäßige Aufteilung der Entgelte auf die Kalendermonate der Pflichtversicherung.
In beiden Entscheidungen wurde vom VwGH – mE notwendig und sinnvoll31 – die insb aus § 4 Abs 6 ASVG abzuleitende Prüfungsreihenfolge betont: Zunächst ist zu schauen, ob ein DN iSd § 4 Abs 1 Z 1 iVm Abs 2 Satz 1 ASVG vorliegt. Wird dies verneint, folgt – unabhängig von den Prozessvorbringen32 – die Prüfung nach § 4 Abs 2 Satz 2 ASVG (DN wegen Entlohnung mit Dienstleistungsscheck nach dem DLSG), wenn dies nicht gegeben ist, ist nach § 4 Abs 2 Satz 3 ASVG zu fragen, ob es sich um einen DN wegen Lohnsteuerpflicht nach § 47 Abs 1 iVm Abs 2 EStG 1988 (jenseits der in Z 1-3 des § 4 Abs 2 Z 3 ASVG genannten Ausnahmen) handelt. Ist auch dies nicht der Fall, so ist zu prüfen, ob eine gleichgestellte Person mit freiem Dienstvertrag iSd § 4 Abs 1 Z 14 iVm Abs 4 ASVG zu ermitteln ist. Ist schließlich auch dies zu verneinen, so ist eine Pflichtversicherung nach ASVG nicht gegeben und es ist zu schauen, ob eine solche nach einem anderen Sozialversicherungsgesetz, insb dem GSVG (vgl § 2 leg cit), eingetreten ist.
Laut VwGH ist das Überwiegen persönlicher Abhängigkeit einer Person vom Empfänger der Arbeit jeweils im konkreten Fall nach der Methodik des beweglichen Systems zu bestimmen. Diese zutreffende Vorgangsweise ist mE ebenso für den Aspekt der wirtschaftlichen Abhängigkeit maßgeblich (vgl auch § 4 Abs 2 Satz 1 Halbsatz 2 ASVG). Es sind mE für alle diese Aspekte Je-desto-Sätze zu bilden (dazu auch 3.2.1., 3.2.2.).
Der Rückgriff auf Rechtsfiguren des Zivil- bzw Arbeitsrechts ist erkenntnisleitend und daher sinnvoll:
In der Motocrossfahrer-E33 wurde der Werkvertrag pointiert ausgegrenzt – in sich geschlossene Leistung, idR Zielschuld, Erfolgsverbindlichkeit dh Gewährleistungstauglichkeit – und auch der freie Dienstvertrag entsprechend der Lesart im Arbeitsrecht charakterisiert. Nach § 4 Abs 4 ASVG muss ja ein freier Dienstvertrag vorliegen. Dies war in diesem Sachverhalt der Fall, mag auch in erster Linie von Sponsoring- Verträgen die Rede sein.
Zur Ermittlung des „wahren wirtschaftlichen Gehalts“ (§ 539a ASVG) ist mE auch auf die Gedanken der §§ 914 f ABGB – Wortlaut, Absicht der Parteien, redliche Verkehrsübung – zurückzugreifen. Dem Herauslösen des Unfalltages durch das BVwG in der Motocrossfahrer- E kann so klar entgegengetreten werden, es liegt ein durchgehender freier Dienstvertrag vor (vgl schon 2.3.2.).
Im Hintergrund ist in § 4 ASVG mE jedoch immer die sogenannte Eingliederungstheorie maßgeblich, sodass eine Nichtigkeit des zu Grunde liegenden Vertrags, etwa wegen Verstoßes gegen das AuslBG, grundsätzlich unbeachtlich ist. Dies auch in Fällen des § 4 Abs 4 ASVG, obwohl hier ausdrücklich „freier Dienstvertrag“ steht.
Gem § 4 Abs 2 Satz 1 Halbsatz 1 ASVG ist DN, wer in einem Verhältnis
persönlicher (siehe 3.2.1.) und
wirtschaftlicher Abhängigkeit (siehe 3.2.2)
gegen Entgelt (siehe 3.2.3.) beschäftigt wird.
Der zentrale Aspekt zur Bestimmung des DN-Begriffs wird durch den Passus „persönliche Abhängigkeit“ ausgedrückt, einer unglücklichen Formulierung, die mit der Stammfassung 195534 ins ASVG geraten ist.35 Übersetzt, unter Würdigung einerseits der Formulierung in § 1151 ABGB und andererseits des Verständnisses in unionsrechtlichen Zusammenhängen, sollte man mE dazu „Einordnung in ein fremdes unternehmerisches Konzept“ sagen.36 Der VwGH stellt – mE weniger aufschlussreich – erst die Folge dieser Einordnung in den Mittelpunkt, nämlich die Frage, ob die „Bestimmungsfreiheit des Beschäftigten durch die Beschäftigung weitgehend ausgeschaltet“ ist. Die stRsp des VwGH setzt an dieser „Ausschaltung der Bestimmungsfreiheit“ mit folgenden immer wieder verwendeten Formeln37 an: 373
Die diesbezüglich „unterscheidungskräftigen Kriterien“, so der Gerichtshof, sind nur die Bindung des Beschäftigten an Ordnungsvorschriften über
den „Arbeitsort“,
die „Arbeitszeit“,
das „arbeitsbezogene Verhalten“ sowie
„die sich darauf beziehenden Weisungsund Kontrollbefugnisse“.
Wenn die unterscheidungskräftigen Kriterien nicht kumulativ vorliegen, „können“ an sich nicht entscheidende Nebenkriterien wie zB
„längere Dauer des Beschäftigungsverhältnisses“ oder
„ein das Arbeitsverfahren betreffendes Weisungsrecht des Empfängers der Arbeit“ oder
die „Art des Entgelts und der Entgeltleistung“
von „maßgebender Bedeutung“ sein.
ME ist die Frage des Weisungsrechts, die in den Formeln ja doppelt oder sogar in den beiden Ebenen gleich angesprochen wird, herauszunehmen und in eine eigene Je-desto-Prüfformel zu stellen. Davor sollte das Wesen der Weisung klargelegt werden:
Weisungen sind Instrumente zur Konkretisierung des Geschuldeten38 und können ausdrücklich oder stillschweigend („stille Autorität des DG“)39 getätigt werden. Zu unterscheiden sind personenbezogene, fachliche und sachliche Weisungen:40
Je stärker erteilte Weisungen personenbezogen, dh unmittelbar auf das Handeln der Person gerichtet sind, desto eher liegt Einordnung vor.
Auch fachliche Weisungen, die das Arbeitsverfahren konkretisieren, sind ein deutliches Indiz für Einordnung. Je ... desto ...
Sachliche Weisungen hingegen, die sich auf das gewünschte Arbeitsergebnis beziehen, sind nicht stark zu gewichten.
Besondere Probleme sind im Skispringer-Fall im Zusammenhang mit den Leitsätzen zur persönlichen Arbeitspflicht zutage getreten (vgl dazu 2.1.2., 2.3.1.). „Grundvoraussetzung“ für die Annahme persönlicher Abhängigkeit ist laut den Formeln des VwGH „stets die persönliche Arbeitspflicht“.
Eine solche ist (ua) dann nicht gegeben, wenn
eine „generelle Vertretungsbefugnis bei Erbringung dieser Leistung eingeräumt“ ist oder
ein Beschäftigter die „Leistung bereits übernommener Dienste jederzeit nach Gutdünken ganz oder teilweise sanktionslos ablehnen kann“. Dies ist etwa bei einem „präsenten Arbeitskräftepool“ der Fall.41
ME sollten diese Formulierungen – den § 1153 ABGB reflektierend, der vertraglich oder aus den Umständen ausnahmsweise Vertretung vorsieht – „umgedreht“ werden:
Eine Einordnung kann nicht gegeben sein, wenn jemand überhaupt nicht oder allenfalls in Spuren persönlich arbeitspflichtig ist, also
sich – typisch unternehmerisch – generell vertreten lassen darf und dies auch weitestgehend macht oder
ein sanktionsloses umfassendes Ablehnungsrecht in Bezug auf an sich übernommene Dienste tatsächlich nützt.
Weiters „setzt“, so der VwGH, eine Einbindung in die betriebliche Organisation „das Vorhandensein eines Betriebs“ iSd § 34 Abs 1 ArbVG „voraus“. ME ist der Verweis auf § 34 Abs 1 ArbVG erstens überflüssig und zweitens überschießend. Die „Einordnung in ein fremdes unternehmerisches Konzept“ kommt auch ohne Betrieb iSd Betriebsverfassung, der wichtig für die Organisation der Belegschaft ist, aus. Der Passus „fortgesetzt erfolgt“ engt die Problematik zu sehr ein.
Beispiel: Ein an sich bereits im Ruhestand befindlicher Malermeister wird von einer treuen Kundschaft gebeten, das in die Jahre gekommene „Architekten“-Einfamilienhaus „so wie vor 20 Jahren“ neu auszumalen. Er willigt ein, nimmt das Gewerbe für diesen lukrativen Auftrag wieder auf und zieht seinen langjährigen, ebenfalls in Pension befindlichen ehemaligen AN, der „schon seinerzeit dabei“ war, hinzu. Die beiden führen einmalig den Auftrag nach dem Konzept und den Vorgaben des Malermeisters aus, danach ziehen sie sich wieder in den Ruhestand zurück. – Der Malergeselle ist DN iSd § 4 Abs 2 ASVG, mangels Dauerhaftigkeit liegt aber kein Betrieb iSd § 34 ArbVG vor.42
Zusätzlich zur persönlichen Abhängigkeit ist (arg „und“) die wirtschaftliche Abhängigkeit zu prüfen. Auch wenn diese mit der persönlichen Abhängigkeit „zusammenfließen“ mag, einen „Unterfall“ darstellt, ist es mE gesetzlich vorgesehen und auch sinnvoll, sie in den Argumentationen getrennt abzuhandeln. 374 Wirtschaftliche Abhängigkeit bedeutet unstrittig Betriebsmittelabhängigkeit. Angesichts der Diskussionen im Skispringer-Fall könnte man mE wiederum präzisierend einen Je-desto-Satz bilden: Je stärker der fehlende Zugriff auf zentrale, für die Tätigkeit nötige und nicht frei zugängliche Betriebsmittel ausgeprägt ist, desto gewichtiger ist das Argument der wirtschaftlichen Abhängigkeit.
Das entscheidende Betriebsmittel im Fall des Skispringers beispielsweise ist die Sprungschanze, eine Infrastruktur, die in der Verfügung der anderen Seite steht.43 Das Sportgelände, die Sportanlage, die Sportinfrastruktur gehören also bei Sportarten, die nur auf sehr speziellen Flächen sinnvoll ausgeübt werden können, dazu. Eine geringe Rolle spielt demgegenüber die für eine Tätigkeit nötige Ausrüstung wie Berufskleidung oder Werkzeug (vgl schon 2.1.2., 2.3.1.) genauso wie das von der Person erworbene und eingesetzte Know-how.
Es muss „Entgelt“ iSd § 49 Abs 1 ASVG gebühren. Eine pauschale Reiseaufwandentschädigung iSd § 49 Abs 3 Z 28 ASVG ist kein Entgelt.
In beiden skizzierten Fällen war das sowohl in § 4 Abs 2 als auch in § 4 Abs 4 ASVG relevante Tatbestandsmerkmal „Entgelt“ unproblematisch. Eine allfällige, vor allem im Skispringer-Fall zu erwartende Argumentation in Richtung § 49 Abs 3 Z 28 iVm Abs 7 ASVG wäre schon am Erfordernis der Nebenberuflichkeit und am Status des DG (GmbH) gescheitert. Der VwGH44 hat zu Recht aus dem zur Unterschrift vorgelegten Formular betreffend „Abführung von Abgaben“ auf den Entgeltcharakter des sogenannten Taschengeldes geschlossen.45
Allgemein sei zum auf den Sportbereich zielenden § 49 Abs 3 Z 28 ASVG angemerkt, dass die augenzwinkernde Praxis, alle Geldzuwendungen bis zur im Gesetz genannten Höhe, insb von € 720,– pro Monat, als beitragsfrei zu behandeln, nicht nur gesetzwidrig, sondern auch sportpolitisch nicht sinnvoll und nicht zukunftsträchtig ist. Juristisch
gesprochen steht in der Ausnahmebestimmung noch immer der Terminus „Aufwandsentschädigung“ im Mittelpunkt, also eine Zuwendung zur Abdeckung eines unmittelbar mit der geschuldeten Dienstleistung zusammenhängenden Aufwands. Ist also eine Person DN oder steht in einem freien Dienstvertrag iSd § 4 Abs 4 ASVG, so greift die Beitragsausnahme nur dann, wenn der Begriff der Aufwandsentschädigung vom wahren wirtschaftlichen Gehalt her erfüllt ist.46
Die Zuwendung besonders wertvoller, im jeweiligen Sportmilieu nicht typischer Sportausrüstung und sonstiger Sachleistungen (Alltagskleidung, Accessoires usw) iZm mit einer Nationalteamaktivität mit „Kasernierung“ udgl stellt mE ein Entgelt iSd § 49 Abs 1 ASVG und keinen Fall des Abs 3 Z 5 leg cit dar.47
§ 4 Abs 4 ASVG erfasst Personen, die sich
auf Grund freier Dienstverträge (vgl auch 3.1.) ... verpflichten, und zwar für
einen DG (Z 1 leg cit; oder für andere Personen; Z 2)
„im Rahmen seines Geschäftsbetriebs ...“ (dazu 3.3.1.),
„aus dieser Tätigkeit ein Entgelt beziehen“ (siehe 3.3.1.; vgl auch 3.2.3.),
die „Dienstleistungen im Wesentlichen persönlich erbringen“ und
„über keine wesentlichen eigenen Betriebsmittel verfügen“ (dazu 3.3.2.),
es sei denn, dass sie anderweitig versichert sind (vgl lit a-d leg cit).
Im Folgenden sollen die zwei (bis drei) Tatbestandsmerkmale, die im Motocrossfahrer-Fall relevant sind, vertieft werden (siehe 3.3.1., 3.3.2.).
Die Formulierung „im Rahmen seines Geschäftsbetriebs“ und die unmittelbar daran anschließenden Wortfolgen in § 4 Abs 4 Z 1 und 2 ASVG dienen nach dem Willen des Gesetzgebers vor allem dazu, Beschäftigungen im privaten Bereich auszuschließen.48
Davon abgesehen ist – hier interessierend – „Erbringung von Dienstleistungen ... im Rahmen seines Geschäftsbetriebs“ sowie „aus dieser Tätigkeit ein Entgelt beziehen“ offen zu interpretieren. Dem hat sich der VwGH im Motocrossfahrer-Fall verweigert und eine mE nicht überzeugende restriktive Sichtweise gewählt: „Die Ausübung des Sports stellt sich bei wirtschaftlicher Betrachtung ... – mangels insoweit bestehenden Austauschverhältnisses – nicht als eine Erbringung von Dienstleistungen für den Sponsor als DG im Rahmen dessen Geschäftsbetriebes ... dar“. Hier wird das Wesen des Sponsorings bzw des Sponsoringvertrags4951) verkannt.
Zu fragen ist, was alles zum „Geschäftsbetrieb“ iSd § 4 Abs 4 Z 1 ASVG gehört. Hier kann an 375 Anleihen aus anderen Rechtsgebieten wie zB dem Unternehmensrecht gedacht werden oder auch ein Blick in die Betriebswirtschaftslehre geworfen werden. Eine K AG50 hat so gesehen nicht nur Bereiche wie Produktion, Entwicklung oder Vertrieb sowie diverse Funktionen eines sogenannten Back Office, zu einer Firma wie dieser gehört auch – allenfalls als Teil des Vertriebs – eine Abteilung Marketing. Letztere arbeitet mit der sehr bekannten Marke „KTM“ und daran anknüpfend mit verschiedenen Werbemitteln, ua auch mit sogenannten Werbeträgern. Und in diesen Teil des „Geschäftsbetriebs“ fällt die Rechtsbeziehung mit H K. Dieser hat mE schlicht Dienste für die Marketingabteilung erbracht und dafür ein Entgelt bezogen.
Eine Subsumtion des Motocrossfahrer-Falles unter § 4 Abs 4 ASVG scheitert mE allerdings an einem weiteren Tatbestandsmerkmal (siehe 3.3.2.).
„Wesentliche eigene Betriebsmittel“ sind vorhanden, wenn sich freie DN eine eigene betriebliche Infrastruktur geschaffen haben. Diese Infrastruktur muss aber auch in concreto bedeutsam, also „wesentlich“ sein.
Ein Betriebsmittel ist laut VwGH51 grundsätzlich dann für eine Tätigkeit wesentlich, wenn es nicht bloß ein geringwertiges Wirtschaftsgut ist und der freie DN es entweder durch Aufnahme in das Betriebsvermögen (und die damit einhergehende steuerliche Verwertung als Betriebsmittel) der Schaffung einer unternehmerischen Struktur gewidmet hat oder es seiner Art nach von vornherein in erster Linie der betrieblichen Tätigkeit zu dienen bestimmt ist.
Dies war mE im Fall von H K gegeben: Es geht um das von der K AG geschenkte Rennmotorrad, welches – gemeinsam mit der ebenfalls ins Eigentum übertragenen hochwertigen Spezialausrüstung – wenn schon nicht in das Betriebsvermögen aufgenommen, so doch seiner Art nach der betrieblichen Tätigkeit zu dienen bestimmt war. Dieses repräsentierte zusammen mit der Rennausrüstung einen erheblichen wirtschaftlichen Wert im deutlich fünfstelligen EURO-Bereich. Ein Rennmotorrad wird auch sinnvollerweise nicht für Spazierfahrten, sondern eben für die Rennen und die dafür nötigen Trainings Verwendung finden, war also seiner Art nach der betrieblichen Tätigkeit gewidmet.
Beide analysierten Entscheidungen, jene zum Skispringer wie auch jene zum Motocrossfahrer, sind mE Leitentscheidungen, die eindeutig über den Einzelfall hinausweisen und das Wissen zum richtigen Verständnis des in der SV pflichtversicherten Personenkreises erweitern. Angesichts der Skispringer-E wird über die Behandlung auch weiterer professionell
tätiger Personen im Leistungs- und Spitzensport nachzudenken sein, welche – vordergründig als „hobbymäßig tätige Einzelsportler“ deklariert – einerseits massiv in Vereins- oder Verbandsstrukturen eingeordnet sind und andererseits auch „davon leben“, indem etwa „indirekt“ für ihren Lebensunterhalt gesorgt wird. Angesichts der Motocrossfahrer- E – wo im historischen Fall bedauerlicherweise der Status als neuer Selbstständiger nicht angestrebt wurde – müsste mE eine Einordnung von Sponsoring- Verträgen doch in § 4 Abs 4 ASVG – anstatt in § 2 Abs 1 Z 4 GSVG – überlegt werden, wird doch nicht immer ein derart wertvolles Betriebsmittel für die Ausübung der Tätigkeit nötig sein.
Festzuhalten ist, dass die Rsp nicht nur durch die bereits erwähnten, sondern auch laufend durch weitere Fälle aus der am Rande des Wirtschaftslebens stehenden Sportbranche bereichert und gefestigt wird. Aus jüngerer Zeit hervorgehoben sei zum einen die E des VwGH5254) zur Canyoning-Führerin, deren Führungen durch ein Unternehmen organisiert und gesteuert wurden, sodass sie – wie die typischen Skilehrer in einer Skischule53 – als DN iSd § 4 Abs 2 ASVG zu qualifizieren war. Selbst bei Bergführern, die im Normalfall nicht in fremde Strukturen eingeordnet und auch nicht betriebsmittelabhängig sind („die Berge sind frei“) – womit sie in aller Regel als neue Selbstständige einzustufen sind –, wären derartige Einbindungen in den Sport organisierende Unternehmen denkbar.
Zu § 4 Abs 4 ASVG bemerkenswert ist schließlich der Fall der Lehrenden im Rahmen der Tiroler Umweltbildung.54 Gefördert vom Land Tirol haben Trägervereine von Naturparks die Aufgabe übernommen, Führungen durch diese Parks, teilweise bis in den hochalpinen Bereich, anzubieten und durchzuführen, wobei die Nachfrage insb von Schulen kommt. Was die Rechtsstellung des betroffenen Naturparkführers anlangt, so ist einmal klar, dass er nicht in den Betrieb des Naturparkvereins eingeordnet wurde, also kein DN iSd § 4 Abs 2 ASVG ist. Was § 4 Abs 4 ASVG anlangt, so enthält die vorliegende E eine neue Differenzierung in Bezug auf das Fehlen der wesentlichen eigenen Betriebsmittel (allgemein 3.3.2.). Der Gerichtshof führt aus, dass auch an sich geringwertige Wirtschaftsgüter – im Fall zB Bergausrüstung wie Karabiner, Seil, Helm usw – in Summe relevant sein können, sofern diese im Verhältnis zu auch genützten Betriebsmitteln der anderen Seite „nicht ganz in den Hintergrund getreten“ sind. Im zweiten Rechtsgang wird also eine Abwägung der Bedeutung der eigenen Betriebsmittel im Verhältnis zu jenen der Gegenseite zu erfolgen haben. Je nachdem wird dann die Pflichtversicherung nach § 4 Abs 4 ASVG oder – wie bisher – jene nach § 2 Abs 1 Z 4 GSVG nach Maßgabe der Versicherungsgrenze gegeben sein. 376