MengayProduktions-System-Kritik. Zur Entwicklung von Qualitätsmanagement, Lean Production und Digitalisierung von Arbeit

Westfälisches Dampfboot, Münster 2023, 280 Seiten, € 30,–

KLAUS FIRLEI (SALZBURG)

Diese auch für die österreichische Beschäftigungslandschaft und Arbeits(rechts)politik mit hohem Gewinn zu lesende Monografie schließt eine Lücke im Diskurs um die „neue Arbeitswelt“. Es gibt zwar, wie der Autor zu Recht hervorhebt, zahllose Einzelstudien zu den neuen Formen der Arbeitsorganisation und die damit verbundenen Wirkungen neuer Produktionskonzepte (wie zB Toyotismus, Industrie 4.0., Digitalisierung und Künstliche Intelligenz) auf die Lage der Beschäftigten. Was fehlt, ist tatsächlich eine ganzheitlich-systemische Sicht auf diese ökonomischen und technischen Entwicklungen. Vor allem mangelt es an einer kritischen Sicht aus der Perspektive der AN.

Adrian Mengay, vielgefragter Experte ua für Produktionssysteme, Change und Lean Management, Business Development, Produktionssystemgestaltung, stellt 426 zu Recht fest, dass im Schrifttum die positiven und produktivitätssteigernden Aspekte überbetont werden, hingegen die negativen Auswirkungen auf die ökonomische, soziale und gesundheitliche Situation der Beschäftigten verschwiegen, verschleiert und von einer durchwegs euphemistischen Sprache überlagert werden. Eines der Hauptanliegen des Autors ist es, Herrschaftssprache und Herrschaftstechnik zu entschlüsseln, weil ökonomische Partikularinteressen der Kapitalseite, das Streben nach ökonomischer Effizienzsteigerung und Kostensenkung, hinter scheinbar harmlosen und positiv konnotierten Begriffen wie „Qualität“ oder „kontinuierliche Verbesserung“ versteckt werden.

Generell geht der Autor davon aus, dass die neuen Gestaltungsprozesse als umfassender Versuch zu begreifen sind, den Prozess der Arbeit einer immer weitreichenderen Kontrolle und immer tieferen Eingriffsmöglichkeiten von oben zu unterwerfen. Er konstatiert im historischen Verlauf einen Paradigmenwechsel, der sich wegbewegt von der direkten Kontrolle und einer streng überwachten Fabrikdisziplin, hin zu Formen der Selbststeuerung und Selbstkontrolle. Dabei spielen der Einsatz von Kennzahlen sowie die Automation der Kontrolle durch technische Instrumente eine wesentliche Rolle. An die Stelle persönlicher Herrschaft trete eine unpersönliche Herrschaft, die sich hinter Zahlen und Technik versteckt. Mengays Analyse deckt sich hier mit Befunden des französischen Poststrukturalismus (zB Foucault, Baudrillard, Deleuze, Derrida, Lyotard): In einem leider viel zu kurzen theoretischen Exkurs bringt Mengay diese Veränderungen der Arbeitswelt mit Foucaults Unterscheidung von „Diszplinarregime“ und „Bio-Macht“ in Verbindung. Tatsächlich kennzeichnet dieser umfassende, ja epochale gesellschaftliche Wandel auch die neuen Produktionsregimes. Die Herrschaftsgewalt des Kapitals wird auf diese Weise quasi internalisiert und damit auch für die auf Gegenmacht und transparente Konfliktlinien angewiesenen „alten“ Strategien der Gewerkschaften und Betriebsräte sehr viel schlechter greifbar. Ziel ist so etwas wie eine „sanfte Führung“, deren Folge eine Art von subjektiv gewollter Selbstausbeutung ist. Diese Diagnosen von Mengay sind ein wertvoller strategischer Beitrag, der bei zeitgemäßen Reformprojekten im Bereich der Arbeitspolitik beachtet werden sollte.

Das Kapitel „Qualitätsmanagement“ führt in die Theorien und Konzepte dieses Ansatzes ein. Vorgestellt werden hier etwa die Konzepte „Total Quality Control“ und „Zero Defects“-Strategie, in denen die Qualitätskontrolle von einer bloßen Fehlerkontrolle am Ende der Montage auf eine Fehlervermeidung im gesamten Unternehmen bis hin zur Kundenbeziehung ausgeweitet und totalisiert wird.

Maßgeblich zur internationalen Verbreitung von Qualitätsmanagementsystemen haben, wie Mengay ausführlich darlegt, die ISO-Qualitätsmanagementnormen beigetragen. Sie wurden entwickelt, um praktische Projekte der Einführung von Qualitätsmanagementsystemen in Unternehmen zu operationalisieren und zu standardisieren. Für Mengay spielt in diesem Zusammenhang die ISO-Norm 8402 aus dem Jahr 1992 und dessen Ablösung und Ersetzung durch die bis heutige gültige ISO-Norm 9000 eine wesentliche Rolle. Verdeutlicht wird in Form einer kritischen Analyse dieser beiden Normen, welche Weiterentwicklungen stattgefunden haben. Die sehr technische Sprache der beiden Normen wird vom Autor gekonnt in „Klartext“ übersetzt. Er arbeitet die Aspekte der Prozessorientierung und der zunehmenden „Selbstbezüglichkeit“ der Qualitätsmanagementsysteme heraus. Die Analyse der ISONorm 9001 („Qualitätsmanagementsysteme – Anforderungen“) zeigt, dass unter dem Begriff „beherrschter Bedingungen“, die sich in Überwachung und Messungen manifestieren, das Management extrem an Verfügungsmacht gewinnt. Es geht um permanente Selbstevaluation und Selbstverbesserung und in der Folge um Kosteneinsparungen und Arbeitsverdichtung.

Im Anschluss daran wird das Toyota-System mit seinen dramatischen Folgen für die körperliche und seelische Gesundheit der unter diesem System arbeitenden Menschen dargestellt. Das Kapitel „Lean Production, Lean Management und Ganzheitliche Produktionssysteme“ thematisiert die weltweiten Entwicklungen, die auf Grund des ökonomischen Erfolgs des Toyota- Produktionssystems seit den 1980er-Jahren erfolgten, beispielsweise die „Wertstromanalyse“, die bezweckt, Potenziale für Stellenabbau und/oder Outsourcing und sonstige Maßnahmen zur Kostensenkung systematisch zu berechnen. In Deutschland ist ein Beispiel dafür die Initiative „Auto 5000“ zu Beginn der 2000er-Jahre beim Automobilkonzern Volkswagen.

In diesem Zusammenhang unterzieht der Autor die VDI-Richtlinie 2870 aus dem Jahr 2012, die „Ganzheitliche Produktionssysteme“ institutionalisiert und standardisiert, einer detaillierten Kritik. Mengay bewertet zusammenfassend die beschriebenen Tendenzen im neoliberalen Produktionsmodell zu Recht als Aufkündigung des „fordistischen“ Klassenkompromisses.

Das Kapitel „Digitalisierung von Arbeit und Industrie 4.0.“ beschreibt und analysiert einzelne invasiv die neue Arbeitswelt prägende Instrumente, wie digitale Kennzahlensysteme (zB Enterprise Resource Planning und Manufacturing Execution Systems) und die Software- Programme der „workplace“ und „people analytics“, die es ermöglichen, Arbeitsprozesse und Beschäftigte engmaschig zu überwachen und damit Leistungsdruck zu erzeugen. In den Blick genommen werden auch neue Formen der Arbeitsgestaltung durch „agile Arbeit“ und „Scrum“ (eine Methode des agilen Projektmanagements, mit dem kleine Teams selbstorganisiert arbeiten können) sowie neue Instrumente zur Formalisierung von Arbeit und zur datenzentrierten Entscheidungsfindung. Beleuchtet wird die Einführung von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz mithilfe von „Digitalisierungsroadmaps“ am Fallbeispiel eines Versicherungskonzerns.

Für die österreichische Fachwelt besonders anregend ist das letzte Kapitel dieses Buches. Ähnlich wie in Deutschland bestehen ja auch für Österreich bei Einführung der neuen Produktions- und Arbeitsregimes relativ starke Mitbestimmungsrechte. Zu denken wäre hier an sozialplanpflichtige Betriebsänderungen und an die mE massiv unterschätzten Möglichkeiten, die § 96a ArbVG bietet.

Der Autor plädiert dafür, die neuen technischen Möglichkeiten auch als Chance zu begreifen. IdS ist die Idee zu verstehen, arbeitnehmerorientierte Managementsysteme einzuführen und die Strategien der Belegschaften in Richtung auf eine wirksame Wahrung ihrer Interessen zu professionalisieren. Die Kosten dafür sollten die AG/Unternehmen tragen. Zuzugeben ist, dass Kennzahlensysteme theoretisch tatsächlich gegen 427 ökonomische Effizienz- und Profitlogiken eingesetzt werden können, um eine emanzipatorische Neuausrichtung von Digitalisierungsprojekten im Interesse der Beschäftigten und der Gesellschaft durchzusetzen. Ein durchaus schöner Gedanke, der in Zeiten der totalen Dominanz einer „Standortpolitik“, die auch von den Gewerkschaften weitgehend mitgetragen wird, leider wenig Realisierungschancen hat.

Das hier besprochene Buch motiviert dazu, über einen umfassenden Strategiewechsel nachzudenken, der die Interessen der AN bereits im Bereich der Produktionsplanung zur Geltung bringt, zweifelsohne auch ein europäisches Projekt.