Heilmittel: Versorgungsanspruch und Ökonomiegebot

MICHAELA WINDISCH-GRAETZ (WIEN)

In der österreichischen KV versicherte Personen haben im Versicherungsfall der Krankheit Anspruch auf Krankenbehandlung. Diese umfasst gem § 133 Abs 1 ASVG ua ärztliche Hilfe und Heilmittel. Gem § 133 Abs 2 ASVG hat die Krankenbehandlung ausreichend und zweckmäßig zu sein, sie darf jedoch das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Dem dieser Formulierung inhärenten Wirtschaftlichkeitsgebot wird durch verschiedenste Kostendämpfungsinstrumentarien Rechnung getragen. Für den Bereich der Heilmittelversorgung enthält der Erstattungskodex zentrale Mechanismen zur Dämpfung der Kosten für Arzneimittel. Es entspricht jedoch hL und Rsp, dass der Erstattungskodex den gesetzlichen Anspruch des Versicherten auf notwendige Heilmittel gem § 133 Abs 2 ASVG nicht beschränken kann.1

  1. Zum Thema

  2. Grundmodell EKO

    1. Der EKO als Positivliste iSd Transparenz-RL 89/105/EWG

    2. Externe Referenzpreise (= EU-Durchschnittspreise)

  3. Preismodelle

  4. Parallelimporte im Erstattungssystem

    1. Status quo

    2. EKO-light-Verfahren

  5. MedGeF-Vereinbarungen

    1. Die Praxis

    2. Rechtsfragen

      1. § 148 Abs 10 ASVG

      2. MedGeF-Produkte im Erstattungssystem

  6. Zusammenfassende Thesen

1.
Zum Thema1

Neben den durch Gesetz und Verordnung hoheitlich vorgesehenen Kostendämpfungsmechanismen schließt der Dachverband der Sozialversicherungsträger (DV) mit Pharmaunternehmen privatrechtliche Verträge ab, um über das gesetzlich Vorgesehene hinaus weitere Kostensenkungen für Arzneimittel im Interesse der KV zu erreichen. Zu nennen sind insb „Preismodelle“, die für Arzneispezialitäten, die in den Erstattungskodex (EKO) aufgenommen werden, vereinbart werden, sowie „MedGeFVereinbarungen“ (Medikamente zur gemeinsamen Finanzierung) für Arzneimittel, die an der Nahtstelle zwischen intramuralem und extramuralem Bereich eingesetzt werden.

Diese privatrechtlichen Steuerungsmechanismen werden insb zur Preisregelung besonders teurer, sogenannter innovativer Heilmittel eingesetzt. Die Preise für solche Arzneimittel, insb für Onkologika und für sogenannte orphan drugs, Arzneimittel für seltene Krankheiten, sind zum Teil besonders hoch. Daran hat sich seit dem Befund von Probst aus dem Jahr 2018 „Die neue Krankheit – Extreme Medikamentenpreise“ im Wesentlichen nichts geändert.2 Dem Jahresbericht der österreichischen SV 20243 lässt sich entnehmen, dass die Kosten für Heilmittel im Jahr 2023 im Vergleich zum Jahr davor um 7,1 % gestiegen sind. Nach einem erneuten Rekordzuwachs von absolut rund 285 Mio € überschritten die Heilmittelkosten mit rund 4,3 Mrd € erstmals die Marke von 4 Mrd €. Wie auch im Jahr davor war diese außergewöhnliche Kostensteigerung vor allem auf Verordnungen aus dem „dunkelgelben“ Bereich 359 des EKO mit 8,7 % zurückzuführen. Darüber hinaus zeigte sich im Jahr 2023 ein deutliches Kostenwachstum in der Höhe von 15,4 % für Arzneispezialitäten, die nicht in den EKO aufgenommen sind („No-Box-Produkte“).4 Kostenintensive, innovative Heilmittel finden sich genau dort: im dunkelgelben Bereich des EKO oder überhaupt nicht im EKO.

Die genannten privatrechtlichen Vereinbarungen, die zwischen dem DV und den Pharmaunternehmen abgeschlossen werden, sind aus ökonomischer Sicht notwendig, um die steigenden Kosten für Arzneimittel zu dämpfen und – im Fall der Nahtstellenversorgung – den Besonderheiten der eingesetzten Arzneimittel und Therapiesettings gerecht zu werden. In beiden Fällen ergeben sich jedoch Rechtsfragen im Hinblick auf die Zulässigkeit dieser privatrechtlichen Vereinbarungen sowie verschiedenste rechtliche Folgeproblematiken. Einige davon sollen in diesem Beitrag diskutiert werden, insb auch jene, die im Regierungsprogramm 2025 Erwähnung finden.

Nach einem Überblick über die Grundsätze des Erstattungssystems und die gesetzlich implementierten Kostendämpfungsmechanismen wird daher auf drei Themenbereiche eingegangen: Erstens auf die rechtliche Beurteilung sogenannter Preismodelle, das sind die zwischen DV und Pharmaunternehmen privatrechtlich abgeschlossenen Vereinbarungen über zusätzliche Preisreduktionen gegenüber dem im EKO festgesetzten Preis. Damit zusammenhängend soll zweitens auf den rechtlichen Umgang des DV mit dem Phänomen des Parallelhandels von Arzneimitteln eingegangen werden. Diesbezüglich hat der Gesetzgeber letztes Jahr mit § 30a Z 39 ASVG eine Richtlinienkompetenz geschaffen, die der DV auch bereits genutzt hat; nunmehr finden sich diesbezüglich Pläne im Regierungsprogramm. Das dritte Thema betrifft das Schnittstellenmanagement zwischen intramuralem und extramuralem Bereich, dem sich die Regierung ebenfalls widmen will. Im vorliegenden Zusammenhang interessieren besonders die sogenannten MedGeF-Vereinbarungen zwischen der SV und den Krankenanstaltenträgern zur gemeinsamen Finanzierung von Arzneimitteln an der Schnittstelle zwischen intra- und extramuralem Bereich. Ähnlich wie bei den Preismodellen werden zwischen dem DV und den pharmazeutischen Unternehmen privatrechtliche Vereinbarungen über den Preis und eventuell weitere Bedingungen für die Abgabe von Nahtstellenmedikamenten vereinbart. Wie bei den Preismodellen haben wir es auch hier mit einem in der Form gesetzlich nicht vorgesehenen, privatrechtlich begründeten Kostendämpfungsmechanismus zu tun, der die Kosten für hochpreisige Arzneimittel begrenzen soll.

2.
Grundmodell EKO
2.1.
Der EKO als Positivliste iSd Transparenz-RL 89/105/EWG

Der gem § 30b Abs 1 Z 4 ASVG vom DV herauszugebende Erstattungskodex besteht aus einer Liste jener Arzneimittel, die auf Kosten der Krankenversicherungsträger zu einem bestimmten Preis abgegeben werden können. Die §§ 351c ff ASVG regeln die Struktur des EKO sowie Grundsätzliches zum öffentlich-rechtlich konzipierten Verfahren zur Aufnahme von Arzneispezialitäten in den EKO. Nähere Verfahrensregelungen finden sich in der VO-EKO,5 die der DV auf der Grundlage von § 351g ASVG erlassen hat. Der DV handelt im Zusammenhang mit der Herausgabe des EKO als Behörde.6 Der EKO ist eine Verordnung. Die Aufnahme von Arzneispezialitäten in den EKO zu einem bestimmten Preis erfolgt mittels Bescheides.

Mit dem EKO wurde im Jahr 20047 ein unionsrechtskonformes System zur Einbeziehung von Arzneimitteln in das System der gesetzlichen KV eingeführt. Das davor bestehende Heilmittelverzeichnis genügte den unionsrechtlichen Vorgaben, allen voran der Transparenz-RL 89/105/EWG, nicht.8 Im Zusammenhang mit dem EKO wurden entsprechend der Transparenz-RL Fristen zur Entscheidung des DV über die Aufnahme von Arznei spezialitäten in den EKO normiert. Außerdem wurde eine Begründungspflicht für negative Entscheidungen und ein entsprechendes Rechtsschutzverfahren für die antragstellenden Unternehmen vorgesehen. Der DV entspricht auch insofern der Transparenz-RL, als der EKO im Internet veröffentlicht und die Preise der Arzneispezialitäten öffentlich einsehbar sind.

Der EKO ist nach einem Boxensystem aufgebaut, wobei mit jeder Box spezifische Kostendämpfungsinstrumente verbunden sind. Stellt ein vertriebsberechtigtes Unternehmen einen Antrag auf Aufnahme einer bestimmten Arzneispezialität in den EKO, wird diese zunächst zeitlich befristet dem roten Bereich (red box) des EKO zugeordnet.9 Die Verschreibung von Heilmitteln aus der roten Box unterliegt der ärztlichen Bewilligung des chef- und kontrollärztlichen Dienstes der Sozialversicherungsträger. Mit der Entscheidung des DV über die Zuordnung oder Nichtzuordnung der Arzneispezialität in die beantragte Box erfolgt die Streichung aus der roten Box (daher auch „Warteraum“). In den gelben Bereich (yellow box) des EKO können jene Arzneispezialitäten aufgenommen werden, die einen wesentlichen zusätzlichen therapeutischen Nutzen für Patienten aufweisen und die aus medizinischen oder gesundheitsökonomischen Gründen nicht in den grünen Bereich aufgenommen werden.10 Auch Arzneispezialitäten dieses Bereiches unterliegen der Bewilligung des chef- und kontrollärztlichen Dienstes der Sozialversicherungsträger 360 (dunkelgelb) oder zumindest einer nachfolgenden Kontrolle (hellgelb). Die meisten hochpreisigen innovativen Arzneimittel finden sich im dunkelgelben Bereich – wenn sie überhaupt im EKO gelistet sind (zu den sogenannten No-Box-Arzneimitteln unten). Der grüne Bereich (green box)11 des EKO beinhaltet jene Arzneispezialitäten, deren Abgabe ohne ärztliche Bewilligung des chef- und kontrollärztlichen Dienstes der Sozialversicherungsträger auf Grund ärztlicher Verschreibung medizinisch und gesundheitsökonomisch sinnvoll und vertretbar ist.

Die Vorschriften der §§ 351c ff ASVG zur Aufnahme von Arzneispezialitäten in den EKO bringen unmissverständlich zum Ausdruck, dass eine Arzneispezialität nur dann in den EKO aufgenommen werden soll, wenn sie entweder einen medizinischen oder zumindest einen ökonomischen Zusatznutzen gegenüber anderen im EKO angeführten Arzneispezialitäten aufweist.12 Die Aufnahme einer Arzneispezialität in den EKO setzt somit immer einen Vergleich mit bereits im EKO enthaltenen Arzneispezialitäten oder bestehenden therapeutischen Möglichkeiten voraus. Das Verfahren der Aufnahme von Arzneispezialitäten in den EKO ist daher immer mit einer pharmakologischen, medizinischtherapeutischen sowie gesundheitsökonomischen Evaluation (§ 351c Abs 3 ASVG) verbunden.

2.2.
Externe Referenzpreise (= EU-Durchschnittspreise)

Innerhalb der roten und der gelben Box bedient sich der Gesetzgeber eines spezifischen Kostendämpfungsmechanismus. Gem § 30b Abs 1 Z 4 lit a ASVG darf einem Sozialversicherungsträger zur Wahrung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit für eine Arzneispezialität des roten Bereichs maximal der von der gem § 9 PreisG beim BMASGPK eingerichteten Preiskommission zu ermittelnde EU-Durchschnittspreis verrechnet werden. Dasselbe gilt gem § 30b Abs 1 Z 4 lit b ASVG für den gelben Bereich sowie gem § 351c Abs 9a ASVG auch für sogenannte No- Box-Produkte, dh für Arzneispezialitäten, die nicht in den EKO aufgenommen worden sind.

Da der Anspruch der Versicherten auf Versorgung mit den notwendigen Heilmitteln nicht beschränkt werden soll, haben Versicherte gem § 30b Abs 1 Z 4 viert- und drittletzter Satz ASVG in begründeten Einzelfällen auch Anspruch auf No-Box-Produkte, wenn die Behandlung aus zwingenden therapeutischen Gründen notwendig ist und damit die Verschreibung in diesen Einzelfällen nicht mit Arzneispezialitäten aus dem Erstattungskodex durchgeführt werden kann. Diese unterliegen der ärztlichen Bewilligung des chef- und kontrollärztlichen Dienstes.

Die Bedachtnahme auf den EU-Durchschnittspreis ist kein österreichisches Spezifikum. Ein solches System externer Preisreferenzierung13 gibt es in vielen europäischen Staaten. Gemäß einer Studie, die 2013 im Auftrag des Branchenverbands Interpharma und von Novartis erstellt wurde, nutzten etwa 31 Länder den Schweizer Preis für ihre Preisfestsetzung.14 Umgekehrt ist für die Wirtschaftlichkeitsprüfung der Arzneimittel in der Schweiz der Durchschnittspreis von folgenden neun Ländern heranzuziehen: Deutschland, Dänemark, Großbritannien, den Niederlanden, Frankreich, Österreich, Belgien, Finnland, Schweden.15

In Österreich ist es die Aufgabe der Preiskommission, 16 den EU-Durchschnittspreis einer Arzneispezialität zu ermitteln. Der EU-Durchschnittspreis ist aus den Preisen in Mitgliedstaaten der Europäischen Union unter Berücksichtigung der in den jeweiligen Mitgliedstaaten gewährten gesetzlichen Rabatte zu errechnen.17 Dieser Preis ist von der Preiskommission sechs Monate nach Antragstellung auf Aufnahme einer Arzneispezialität in den EKO auf Basis der Meldungen der vertriebsberechtigten Unternehmen unter Beiziehung der Gesundheit Österreich GmbH zu ermitteln.18

Da bis zum Zeitpunkt der Entscheidung der Preiskommission die vom antragstellenden Unternehmen zunächst gemeldeten Preise erstattet werden, führt dies bei niedrigeren EU-Durchschnittspreisen im Bereich der Roten Box und der No-Box-Produkte zu Retaxierungen (§ 351c Abs 7 Z 2 ASVG für die rote Box; § 351c Abs 9a Z 2 ASVG für die No-Box- Produkte). Beim Anspruch auf Rückzahlung der Differenz zwischen dem vorläufigen österreichischen 361 Erstattungspreis und dem EU-Durchschnittspreis handelt es sich um einen privatrechtlichen Anspruch, der gem § 1 JN vor den ordentlichen Gerichten geltend zu machen ist.19 Für den gelben Bereich lehnt der OGH aufgrund der unterschiedlichen gesetzlichen Gestaltung eine Rückzahlung überhöhter Preise ab.20

3.
Preismodelle

Aber auch die EU-Durchschnittspreise scheinen oft zu hoch. Es hat sich daher zusätzlich zu dem gesetzlich vorgesehenen öffentlich-rechtlichen Verfahren eine Praxis des DV herausgebildet, mit den vertriebsberechtigten Unternehmen sogenannte „Preismodelle“ zu vereinbaren. Dabei handelt es sich um privatrechtliche Vereinbarungen, die den effektiven Preis einer in den EKO aufgenommenen Arzneispezialität gegenüber dem offiziell im EKO veröffentlichten Preis senken.21 Dieser inoffizielle de facto erstattete Preis ist in aller Regel vertraulich, sodass er Mitbewerbern und Behörden anderer Länder nicht zugänglich ist.22 Im EKO wird auf „Preismodelle“ durch ein „PM“-Symbol hingewiesen. Der im EKO und im Warenverzeichnis ausgewiesene Kassenpreis entspricht für die derart gekennzeichneten Arzneispezialitäten nicht dem effektiven Preis für die Sozialversicherungsträger. Die Folge eines erfolgreich verhandelten Preismodells ist es, dass das vertriebsberechtigte Unternehmen einmal jährlich die Differenz zwischen dem im Preismodell verhandelten und dem offiziellen Kassenverkaufspreis (inklusive der anteilig höheren anfallenden Arzneitaxe und Großhandelsspanne) an den DV zu bezahlen hat.23

Preismodelle sind ebenso wenig wie die Referenzierungen auf den EU-Durchschnittspreis ein österreichischer Sonderweg. Sie werden vielmehr auch in anderen europäischen Staaten vereinbart. Für die Schweiz wird festgehalten, dass bei hochpreisigen Arzneimitteln die Preisfestsetzung über den „Schleichweg“ des „Preismodells“ wohl sogar zum Normalfall geworden sei.24 Am 21.3.2025 hat das Parlament der Schweiz ein Gesetz verabschiedet („Kostendämpfungspaket 2“), womit Preismodelle und entsprechende Rückzahlungsverpflichtungen der Pharmaunternehmen gesetzlich geregelt werden, unter Bewahrung der Geheimhaltung der effektiven Preise für die einzelnen Arzneispezialitäten.25

Was auf den ersten Blick unverständlich scheint – warum werden nicht gleich niedrigere Preise für die einzelnen Arzneimittel verhandelt und im EKO als offizielle Preise veröffentlicht? –, hat seinen Grund in den Preisstrategien der global agierenden Pharmakonzerne und in den Preisreferenzierungen der EU-Mitgliedstaaten.26 Die Pharmaunternehmen haben ein Interesse daran, dass der öffentlich einsehbare Preis möglichst hoch ist. Denn sie wissen, dass sich auch andere Länder an diesem Preis orientieren – und es geht durchaus auch um andere Märkte als den europäischen Markt, zB die USA, wo die Arzneimittelpreise um ein Wesentliches höher sind als in Europa.27 Die europäischen Listenpreise werden daher nicht zu Unrecht „Schaufensterpreise“ genannt.28

Die hL qualifiziert Preismodelle als privatrechtliche Verträge, die der DV im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung abschließt.29 Privatwirtschaftliches Handeln seitens des DV und der Sozialversicherungsträger ist grundsätzlich zulässig und bedarf keiner ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage.30 Problematisch wird es allerdings, wenn das gesetzlich vorgesehene System der Festsetzung von Preisen für Arzneimittel im Rahmen des Krankenversicherungssystems umgangen wird. Dies ist sowohl aus innerstaatlicher Sicht31 als auch aus unionsrechtlicher Sicht bedenklich.

Die Vereinbarungen von Preismodellen stehen mit der Transparenz-RL 89/105/EWG,32 die Regelungen für die Preisfestsetzung bei Arzneimitteln und ihre Einbeziehung in die staatlichen Krankenversicherungssysteme trifft, in Konflikt. Art 6 Transparenz- RL normiert für den Fall, dass ein Mitgliedstaat zur Erstattung von Arzneimitteln durch das staatliche Krankenversicherungssystem Positivlisten vorsieht, dieser verpflichtet ist, die vollständige Liste der Erzeugnisse, die unter sein Krankenversicherungssystem fallen, sowie deren Preise in einer geeigneten amtlichen Bekanntmachung zu veröffentlichen.33 Die durch die RL angestrebte Transparenz bei der Festsetzung der Preise und der Aufnahmekriterien für Arzneimittel in das Erstattungssystem der Mitgliedstaaten ist wesentlich, da es sich um einen Wirtschaftssektor handelt, in dem aufgrund der unterschiedlichen mitgliedstaatlichen Steuerungssysteme 362 der innergemeinschaftliche Handel mit Arzneimitteln behindert oder verfälscht wird und somit das Funktionieren des gemeinsamen Marktes für Arzneimittel unmittelbar beeinträchtigt werden könnte.34 Der EuGH betont regelmäßig, dass die Transparenz-RL „für Transparenz bei der Festsetzung der Preise einschließlich ihres Funktionierens und der ihnen zugrunde liegenden Kriterien sorgen“ soll.35 Der EuGH versteht die Transparenzverpflichtung weit: Diese trifft die Mitgliedstaaten etwa auch dann, wenn sie Regelungen über finanzielle Anreize für Ärzte, nur bestimmte, günstige Arzneimittel zu verschreiben, schaffen. Den Angehörigen der Pharmaindustrie müsse die Möglichkeit geboten werden, sich zu vergewissern, dass die von den staatlichen Behörden durchgeführte Regelung finanzieller Anreize auf objektiven Kriterien beruht und inländische Arzneimittel und solche aus anderen Mitgliedstaaten nicht unterschiedlich behandelt werden.36

Im Gegensatz zum öffentlich-rechtlichen Verfahren zur Aufnahme von Arzneispezialitäten zu einem bestimmten Preis in den EKO, das transparent gestaltet und dessen Ergebnis durch die Veröffentlichung des EKO allen Marktteilnehmern zugänglich ist, sind die Vereinbarungen von Preismodellen zwischen dem DV und den Pharmaunternehmen intransparent. Sie unterliegen Geheimhaltungsklauseln, sind für andere Marktteilnehmer nicht einsehbar, und es ist nicht nachvollziehbar, mit welchen Unternehmen zu welchen Bedingungen Preismodelle abgeschlossen werden. Der Abschluss von Preismodellen ist daher den Zielen der Transparenz- RL diametral entgegengesetzt und damit geeignet, den innergemeinschaftlichen Handel mit Arzneimitteln zu behindern oder zu verfälschen und somit das Funktionieren des gemeinsamen Marktes für Arzneimittel unmittelbar zu beeinträchtigen. Zu berücksichtigen ist auch, dass sich die Preisbildung für Arzneimittel in vielen Mitgliedstaaten am EU-Durchschnittspreis orientiert. Dieser kann von den Behörden der Mitgliedstaaten nur anhand offiziell kundgemachter Preise berechnet werden. Preismodelle führen dazu, den EU-Durchschnittspreis für das betreffende Arzneimittel zu verfälschen bzw künstlich hochzuhalten.

Die Vereinbarung von Preismodellen muss sich allerdings nicht unmittelbar an den Vorgaben der Transparenz-RL messen lassen, denn der Geltungsbereich der RL beschränkt sich nach Art 1 Abs 1 auf Rechts- und Verwaltungsvorschriften.37 Privatrechtliche Vereinbarungen sind vom Geltungsbereich der RL nicht erfasst. Allerdings konterkarieren Preismodelle das von der Transparenz-RL angestrebte Ziel, Transparenz über die Erstattungspreise von Arzneimitteln für alle Marktteilnehmer zu schaffen und verstoßen damit gegen grundlegende Verpflichtungen aus dem Unionsrecht.38 Art 4 Abs 3 UAbs 1 EUV normiert den „Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit“ und verpflichtet die Union und die Mitgliedstaaten gegenseitig zur Achtung und Unterstützung bei der Erfüllung der Aufgaben, die sich aus den Verträgen ergeben. Art 4 Abs 3 UAbs 3 EUV verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Unterstützung der Union bei der Erfüllung ihrer Aufgaben und zur Unterlassung aller Maßnahmen, die die Verwirklichung der Ziele der Union gefährden könnten. Aus Art 4 Abs 3 EUV folgt die Pflicht der Mitgliedstaaten, ihre Rechtsordnungen so zu gestalten, dass die Vorgaben des EU-Rechts ihre volle praktische Wirksamkeit entfalten können (effet utile).39 Die Mitgliedstaaten dürfen demnach keine Maßnahmen ergreifen oder aufrechterhalten, die die Einheit und praktische Wirksamkeit der Verträge sowie der zu ihrem Vollzug ergangenen oder zu treffenden Maßnahmen beeinträchtigen oder ausschalten können. Dieses allgemeine Beeinträchtigungsverbot zielt – wie das Handlungsgebot – auf die einheitliche, vollständige und effektive Geltung des Unionsrechts.40 Die Pflichten zur Sicherstellung der Wirksamkeit des Unionsrechts richten sich an alle innerstaatlichen Organe bzw an alle Träger der öffentlichen Gewalt in den Mitgliedstaaten, somit auch an den DV.41

Österreich hat mit der Umsetzung der Transparenz- RL im ASVG seine diesbezüglichen Pflichten zunächst erfüllt. Allerdings setzt der DV mit der Vereinbarung von Preismodellen Maßnahmen, die geeignet sind, die in der Transparenz- RL vorgeschriebenen Ziele ernstlich in Frage zu stellen. Derselbe Träger öffentlicher Gewalt, der im hoheitlichen Verfahren zur Aufnahme von Arzneispezialitäten in den EKO die Umsetzungsbestimmungen zur Transparenz-RL vollzieht, konterkariert die darin angestrebte Zielerreichung – die Transparenz der Preise –, indem er im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung mit den vertriebsberechtigten Unternehmen anderes vereinbart und geheim hält. Der DV, der außerhalb des gesetzlich vorgesehenen hoheitlichen Verfahrens zur Aufnahme von Arzneimitteln in den EKO im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung intransparente Preismodelle abschließt, verstößt daher mE42 gegen die sich aus Art 4 Abs 3 EUV ergebende Verpflichtung, alle Maßnahmen zu unterlassen, die die effektive Umsetzung der Transparenz-RL und damit ihre volle praktische Wirksamkeit gefährden können.

Erstaunlicherweise kam es bisher noch zu keinem Vertragsverletzungsverfahren. Die Europäische Kommission scheint die parallele Existenz eines transparenten und eines intransparenten Erstattungsmarktes hinzunehmen. Über den Grund kann man nur spekulieren. Auf wirksame Arzneimittel ist ganz Europa dringend angewiesen. Wer allerdings ein tatsächliches Problem mit der Intransparenz der effektiven Preise in diesem System hat, 363 sind die Parallelimporteure. Der Parallelimport von Arzneispezialitäten ist in den letzten Jahren immer wichtiger geworden. Aktuell beschäftigt der Parallelimport nicht nur den DV, sondern auch den Gesetzgeber, und er fand Aufnahme in das Regierungsprogramm 2025.

4.
Parallelimporte im Erstattungssystem

Der Parallelimport von Arzneispezialitäten ist dadurch gekennzeichnet, dass vom Hersteller bzw Lizenznehmer unabhängige Dritte (Parallelhändler) in einem EWR-Mitgliedstaat zugelassene Arzneimittel kaufen, um sie in einen anderen Mitgliedstaat, in dem die entsprechende Arzneispezialität ebenfalls zugelassen ist, zu importieren. Der wirtschaftliche Anreiz für Parallelhändler liegt in dem – wegen der nationalen Kompetenz zur Preisfestsetzung – unterschiedlichen Preisniveau im Arzneimittelsektor. In der Regel kauft der Parallelhändler Arzneimittel in einem Niedrigpreisland, um sie in einem Mitgliedstaat mit hohem Preisniveau weiterzuverkaufen.43 In der Regel handelt es sich um idente Arzneispezialitäten.44 Die Zulässigkeit des Parallelimports von Arzneimitteln ist auf die Warenverkehrsfreiheit gestützt und darf insofern von den Mitgliedstaaten nur in Ausnahmefällen beschränkt werden (zB Exportstopps zur Sicherung der öffentlichen Gesundheit). Es existiert eine umfangreiche Rsp des EuGH zur Frage der Zulässigkeit von Parallelimporten bzw zulässigen Beschränkungen derselben.45

Obwohl das Volumen parallelimportierter Arzneimittel, die auf Kassenkosten verschrieben werden, durchaus bedeutsam ist, lässt einen das ASVG bezüglich des Umgangs mit parallel importierten Arzneispezialitäten weitgehend im Dunkeln. Virulent wird das Problem, wenn ein Parallelimporteur eine Arzneispezialität, die bereits zu einem bestimmten offiziellen Preis im EKO gelistet ist (Bezugsarzneispezialität), zu eben diesem Preis erstattet erhalten will, der DV dies aber mit dem Hinweis verweigert, mit dem vertriebsberechtigten Unternehmen der Bezugsarzneispezialität sei ein Preismodell vereinbart worden und daher der Preis effektiv viel niedriger als der Listenpreis sei. Da die Preise der Preismodelle geheim sind, ergeben sich für den Parallelimporteur massive Schwierigkeiten beim Marktzugang. Es sind daher insb die Parallelimporteure, von denen erwartet werden kann, dass sie die Unionsrechtswidrigkeit von Preismodellen geltend machen. Das Regierungsprogramm stellt daher ein „EKO-light-Verfahren für Parallelimporte“ in Aussicht. Wie dieses aussehen wird, ist noch offen. Für die SV macht die Erstattungsfähigkeit parallel importierter Arzneimittel nur dann Sinn, wenn sie höchstens so teuer sind wie die in den EKO aufgenommenen Bezugsarzneispezialitäten. Aus Sicht der SV muss es sich bei dem Vergleichspreis allerdings um den Preis des Preismodells handeln. Denn wären parallel importierte Arzneispezialitäten zum offiziellen, im EKO veröffentlichten Preis zu erstatten, wären diese effektiv teurer als die Bezugsarzneispezialitäten.

4.1.
Status quo

Fragt man sich, wie nach der aktuellen Rechtslage parallel importierte Arzneispezialitäten in Bezug auf den EKO zu behandeln sind, stößt man auf § 2 Abs 2 VO-EKO. Dieser bestimmt, dass „Entscheidungen nach dieser Verfahrensordnung für gleiche Arzneispezialitäten unabhängig davon, auf welchem Weg diese in Österreich in Verkehr gebracht worden sind, gelten“. Diese Regelung stellt insb auf den Parallelimport ab und verpflichtet zur Gleichbehandlung parallelimportierter oder direkt vom Hersteller nach Österreich importierter oder in Österreich hergestellter Arzneispezialitäten. Die Gleichbehandlung erreicht der Verordnungsgeber dadurch, dass er die Geltung sämtlicher Entscheidungen nach der VO-EKO, die in Verwaltungsverfahren in Bezug auf „gleiche“ Arzneispezialitäten eines vertriebsberechtigten antragstellenden Unternehmens ergangen sind, auf Parallelimporteure erstreckt. § 2 Abs 2 VO-EKO gewährt damit dem Parallelimporteur ein subjektives öffentliches Recht, in Bezug auf eine „gleiche“ Arzneispezialität genauso behandelt zu werden wie das antragstellende Unternehmen, das Entscheidungen bezüglich einer „gleichen“ Arzneispezialität erwirkt hat. Dies bezieht sich insb auf den Bescheid, den der DV zugunsten des antragstellenden Unternehmens über die Aufnahme einer bestimmten Arzneispezialität zu einem bestimmten Preis in einem bestimmten Bereich des EKO erlassen hat. § 2 Abs 2 VO-EKO erstreckt die Wirkung des Bescheides ex lege auf den Parallelimporteur.46 Die parallel importierte Arzneispezialität folgt daher dem Boxenstatus der vom Hersteller direkt in Österreich vertriebenen oder in Österreich hergestellten „gleichen“ Arzneispezialität. Für die parallel importierte Arzneispezialität gilt damit auch der im Bescheid festgesetzte und im EKO veröffentlichte Kassenverkaufspreis. Für die parallel importierte Arzneispezialität gelten aber auch alle anderen Entscheidungen, die nach der VO-EKO getroffen werden können, insb Entscheidungen über die Streichung aus dem EKO, über die Übernahme in einen anderen Bereich des EKO, über die Änderung der Verwendung oder die Änderung der Packungsgröße oder Entscheidungen über Preiserhöhungen (§§ 28, 31, 32, 35 VO-EKO).

Festzuhalten ist die im Hinblick auf den Rechtsschutz schwächere Position des Parallelimporteurs, die sich aus § 2 Abs 2 VO-EKO ergibt. Der Parallelimporteur hat keine Parteistellung im Verfahren über die Aufnahme des Bezugsarzneimittels. Er hat damit auch keine Möglichkeit, die Verhandlungen über den Preis mitzugestalten. Beantragt das im Bescheid adressierte Unternehmen etwa eine Streichung der Arzneispezialität aus dem EKO, hat die Entscheidung darüber dieselben Auswirkungen auf den Parallelimporteur wie für die Verfahrenspartei. 364

4.2.
EKO-light-Verfahren

Diese Lücken soll das geplante EKO-light-Verfahren schließen. Der Parallelimporteur soll – dem Vernehmen nach – ebenfalls einen Bescheid über die Zuordnung der von ihm importierten Arzneispezialitäten in einen bestimmten Bereich des EKO erhalten, in einem Verfahren, das einen entsprechenden Rechtsschutz vorsieht. In diesem Verfahren wird es im Wesentlichen um die Festsetzung des Preises für die parallel importierte Arzneispezialität gehen, dh um die gesundheitsökonomische Evaluation (§ 351c Abs 3 ASVG). Denn die pharmakologische und die medizinisch-therapeutische Evaluation sind ja bereits im Verfahren des Antragsstellers für die Bezugsarzneispezialität durchgeführt worden.

Die Festlegung des Preises macht aber, wie gesagt, für die SV nur Sinn, wenn auch für die parallel importierte Arzneispezialität der Preis des Preismodells der Bezugsarzneispezialität gilt. Im Rahmen des EKO-light-Verfahrens müssen also ebenfalls Preisverhandlungen geführt werden, die maximal zum Preis des Preismodells führen. Dazu muss dieses offengelegt werden – die Preise aus dem Preismodell sind ja aufgrund von Geheimhaltungsklauseln in den Verträgen zwischen dem DV und dem vertriebsberechtigten Unternehmen geheim. Diesbezüglich wurde aus dem DV mitgeteilt, dass die Parallelimporteure auf Anfrage im DV Auskunft über die Preise der Preismodelle erhalten (sollen) und dass die Verträge des DV mit den vertriebsberechtigten Unternehmen über Preismodelle bereits insofern angepasst werden, als die Geheimhaltungsklauseln nicht gegenüber Parallelimporteuren gelten.

Mit einem solchen Verfahren könnte die mE größte Bedrohung für die Existenz der Preismodelle gebannt werden, sofern dadurch der Marktzugang für Parallelimporteure nicht mehr beschränkt ist. Die Unionsrechtskonformität eines Systems von Preismodellen ist mangels Transparenz der effektiven Preise allerdings immer noch fraglich, genauso wie die innerstaatliche Zulässigkeit der Vereinbarung eines Preismodells, sollte sie zur Bedingung47 für die hoheitliche Aufnahme einer Arzneispezialität zu einem offiziellen Preis in den EKO gemacht werden.

5.
MedGeF-Vereinbarungen

Das Regierungsprogramm 2025 nimmt weiters auf „Verbesserungen des Schnittstellenmanagements“ zwischen dem stationären und dem ambulanten Sektor Bezug. In diesem Zusammenhang interessiert eine Praxis des DV, mit pharmazeutischen Unternehmen und Krankenanstalten privatrechtliche Vereinbarungen zur gemeinsamen Kostentragung von besonders hochpreisigen Arzneimitteln abzuschließen. Dabei geht es um Arzneimittel, die an der Schnittstelle zwischen dem intra- und extramuralen Sektor angewendet werden – sogenannte Nahtstellenprodukte48 – und die häufig spezielle Formen der Verabreichung oder Überwachung erfordern. Mit Vereinbarungen über „Medikamente zur gemeinsamen Finanzierung“ (MedGeF) wird die Kostentragung zwischen dem Krankenanstaltenträger (Landesgesundheitsfonds) und der SV für besonders hochpreisige Arzneimittel geteilt (meist im Verhältnis 50:50). Wie im Fall der Vereinbarung von Preismodellen liegen auch den MedGeFVereinbarungen Bedürfnisse der Praxis zugrunde, rechtliche Instrumentarien einzusetzen, die sich nicht leicht in das klassische Erstattungs- und Finanzierungssystem des ASVG einordnen lassen. Probleme der MedGeF-Vereinbarungen für Nahtstellenprodukte ergeben sich insb daraus, dass das ASVG klar zwischen dem niedergelassenen Bereich iVm Leistungen der ärztlichen Hilfe und dem intramuralen Bereich iVm der Leistung der Anstaltspflege unterscheidet.4950)

5.1.
Die Praxis

Typische Fälle des Einsatzes von Nahtstellenprodukten an der Schnittstelle zwischen Anstaltspflege und extramuraler Versorgung sind solche, in denen eine in der Krankenanstalt begonnene Therapie extramural mit demselben Arzneimittel fortgesetzt werden soll. Häufig bedarf es dazu einer besonderen Anwendung oder Überwachung der Medikamentengabe, die speziell auf diese Medikamente geschultes Krankenpflegepersonal notwendig macht. Die extramurale Therapie kann daher nicht einfach dem niedergelassenen Arzt überlassen werden, sondern es bedarf einer engen Zusammenarbeit zwischen der Krankenanstalt bzw ihrer Ambulanz und spezialisierten Personen im extramuralen Bereich. Es handelt sich um Fälle, in denen eine häusliche Medikamentengabe möglich ist, therapieleitend bleibt aber idR die Krankenanstalt – häufig eines der Expertisezentren für seltene Erkrankungen.50

Um eine derartige Betreuung an der Schnittstelle zwischen Krankenanstalt und extramuralem Bereich sicherstellen zu können, schließt der DV mit dem Pharmaunternehmen eine privatrechtliche Vereinbarung, in der nicht nur der effektive Preis des Arzneimittels vereinbart wird, sondern es werden auch weitere Modalitäten vereinbart, wie zB die Zurverfügungstellung von Serviceleistungen an die Patient*innen durch das Pharmaunternehmen. In der Praxis bestehen Serviceunternehmen der Pharmaunternehmen (dem Vernehmen nach gibt es derzeit sechs oder sieben in Österreich), deren Personal von den Pharmaunternehmen auf die Verabreichung der konkreten Arzneimittel eingeschult worden ist, und das den Patienten diese spezifischen Arzneimittel extramural (idR zu Hause) verabreicht. Der niedergelassene Arzt spielt bei diesem Konzept keine Rolle. Zusätzlich zu der Vereinbarung mit dem Pharmaunternehmen schließt der DV, gestützt auf § 148 Z 10 ASVG, im Einvernehmen mit dem in Betracht kommenden 365 Krankenversicherungsträger und dem Krankenanstaltenträger (dieser im Einvernehmen mit dem zuständigen Landesgesundheitsfonds) eine Vereinbarung über die gemeinsame Kostentragung für das betreffende Arzneimittel ab. Da der Vertrag zwischen dem DV und dem Pharmaunternehmen mit Wirkung zugunsten Dritter vereinbart wird, ist der Krankenanstaltenträger dadurch berechtigt, das Arzneimittel zu dem zwischen DV und Pharmaunternehmen vereinbarten Preis einzukaufen.51 Der Krankenversicherungsträger überweist in der Folge dem Krankenanstaltenträger den auf ihn fallenden Kostenanteil.

5.2.
Rechtsfragen

Aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht lassen sich zwei Problemkreise ausmachen: Einerseits die Frage, auf welcher Rechtsgrundlage der DV bzw der Krankenversicherungsträger zusätzlich zu den Zahlungen an die Landesgesundheitsfonds zur Finanzierung der Anstaltspflege weitere Finanzierungen übernehmen darf. Und andererseits die Frage, wie sich die Kostenübernahme für das betreffende Arzneimittel in der extramuralen Phase innerhalb oder außerhalb des Systems des EKO mit dessen Erstattungslogik einordnen lässt.

5.2.1.

Fraglich ist, ob bzw inwieweit § 148 Z 10 ASVG als Rechtsgrundlage für MedGeF-Vereinbarungen taugt. Grundsätzlich sind gem § 148 Z 3 ASVG mit den leistungsorientierten Krankenanstaltenfinanzierungs-(LKF-)Gebührenersätzen der Landesgesundheitsfonds alle Leistungen der Krankenanstalten, insb im stationären, halbstationären, tagesklinischen und spitalsambulanten Bereich abgegolten.52 § 148 Z 10 ASVG enthält eine generelle Regelung, dass die Beziehungen der Sozialversicherungsträger zu den Krankenanstalten durch privatrechtliche Verträge geregelt werden. Der Gesetzgeber äußert sich nicht positiv über den Gegenstand dieser Verträge, regelt aber umgekehrt ausdrücklich, dass die auf § 148 Z 10 ASVG gestützten Verträge zwischen dem DV und den Krankenanstaltenträgern rechtsgültig keine Ansprüche auf Zahlungen begründen können. Das gesetzlich geregelte System der Finanzierung der Anstaltspflege als Gesamtleistung durch die pauschal berechneten LKF-Gebühren soll nicht durch Abreden verändert werden können.

Davon gibt es allerdings eine Ausnahme: Ausgenommen sind gem § 148 Z 3 2. Satz ASVGim Einvernehmen zwischen dem DV und den betroffenen Ländern ausgenommene Leistungen (Art 2553der Vereinbarung gemäß Art 15a B-VG über die Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens)“. Für bestimmte Leistungen lässt sich also das pauschalierende LKF-System außer Kraft setzen. Das bietet mE für den Fall besonders kostenintensiver Therapien an der Nahtstelle zwischen intraund extramuralem Bereich die Möglichkeit, eine andere Verteilung der Kostentragung zu regeln.54

5.2.2.
MedGeF-Produkte im Erstattungssystem

Meinem Verständnis nach sind MedGeF-Produkte sehr eng mit der Leistung der Anstaltspflege gem § 144 ASVG verknüpft. Eine regelmäßige Überwachung der Medikamentenverabreichung und des Therapieerfolges in der Krankenanstalt bzw ihrer Ambulanz dürfte der Regelfall sein. Therapieleitend bleibt idR die Ambulanz bzw das Expertisezentrum, dh die Krankenanstalt. Man kann daher zweifeln, ob die häusliche Medikamentengabe überhaupt dem extramuralen Sektor zuzurechnen ist.

Fister/Ernst betonen dennoch, dass Ansprüche der Versicherten auf Krankenbehandlung gem § 133 ASVG sowie das System des EKO durch die MedGeFVereinbarungen nicht konterkariert werden dürfen. Voraussetzung für solche Überlegungen ist, dass das Arzneimittel zur Erstattung im extramuralen Bereich überhaupt in Frage kommt. § 351c Abs 2 ASVG regelt im Zusammenhang mit den Regelungen zur Aufnahme von Arzneispezialitäten in den EKO, dass der DV eine Liste jener Arzneimittelkategorien zu erstellen hat, die im Allgemeinen nicht zur Krankenbehandlung iSd § 133 Abs 2 ASVG geeignet sind, da sie „zB überwiegend zur Behandlung in Krankenanstalten, unter ständiger Beobachtung (...) verwendbar sind“. Trotz Zugehörigkeit eines Arzneimittels zu einer der betreffenden Arzneimittelkategorien ist dennoch in begründeten Einzelfällen die Erstattungsfähigkeit gem § 30b Abs 1 Z 4 viertletzter Satz ASVG gegeben, wenn die Behandlung aus zwingenden therapeutischen Gründen notwendig ist und damit die Verschreibung in diesen Einzelfällen nicht mit Arzneispezialitäten aus dem EKO durchgeführt werden kann.55

Je nachdem, ob eine Arzneispezialität erstattungsfähig ist oder (im Allgemeinen) nicht (Negativliste), ergeben sich unterschiedliche Finanzierungsvorgaben. Ist ein MedGeF-Produkt erstattungsfähig und stellt das vertriebsberechtigte Unternehmen einen Antrag auf Aufnahme in den EKO, ist dieser unabhängig von einer MedGeF-Vereinbarung zu behandeln. Bei hochpreisigen Arzneispezialitäten wird die Aufnahme in den (dunkel)gelben Bereich realistisch sein. Der DV wird wahrscheinlich ein Preismodell verhandeln wollen. Der Preis darf den EU-Durchschnittspreis jedenfalls nicht übersteigen. Die Kosten einer solchen Arzneispezialität für die extramurale Behandlung trägt der Krankenversicherungsträger allein. Für den Fall, dass das vertriebsberechtigte Unternehmen darauf verzichtet, für ein an sich erstattungsfähiges Arzneimittel einen Antrag auf Aufnahme in den EKO zu stellen, handelt sich um ein sogenanntes No-Box-Arzneimittel, auf das der Versicherte im begründeten Einzelfall gem § 30b Abs 1 Z 4 ASVG ebenfalls einen Anspruch haben kann. Für No-Box-Arzneien gelten die Kostendämpfungsregelungen 366 des § 351c Abs 9a ASVG (EUHöchstpreis und gesetzlicher Rabatt; siehe oben).

Anders ist die Rechtslage für nicht erstattungsfähige Arzneimittel, dh Arzneimittel, die auf der Negativliste gem § 351c Abs 2 ASVG aufscheinen, auf die im begründeten Einzelfall allerdings doch ein Anspruch auf Kostenerstattung gegeben sein kann. Für solche Arzneimittel gelten anders als für No-Box-Produkte gem § 351c Abs 9a Z 3 ASVG weder der EU-Durchschnittspreis als gesetzlicher Höchstpreis noch der gesetzliche Rabatt von 6,5 %. Das Erstattungsregime der §§ 351c ff ASVG ist nicht anzuwenden. Im Fall nicht erstattungsfähiger Arzneimittel ist der rechtliche Spielraum für den DV, mit den Pharmaunternehmen auf privatrechtlicher Grundlage MedGeF-Preisverhandlungen zu führen, am größten. Hier gelten weder die Vorgaben der Transparenz-RL noch innerstaatliche Regelungen betreffend Höchstpreise.

6.
Zusammenfassende Thesen
  • Österreich hat mit den Regelungen um den Erstattungskodex ein der Transparenz-RL 89/105/EWG entsprechendes unionsrechtskonformes Erstattungssystem geschaffen.

  • Die zwischen dem DV und den antragstellenden Unternehmen verhandelten Preismodelle, wodurch geheim zu haltende effektive Preise ausgehandelt werden, sind unionsrechtswidrig.

  • Dieses in vielen Mitgliedstaaten der EU und in der Schweiz praktizierte Modell ist dennoch wohl als faktisch gegeben hinzunehmen.

  • Dem Bedürfnis der Parallelimporteure an Transparenz und damit an Marktgerechtigkeit könnte mit der Einführung eines EKO-light und der Bekanntgabe der effektiven Preise der Arzneispezialitäten gegenüber den Parallelimporteuren Rechnung getragen werden.

Preisverhandlungen des DV mit den Krankenanstalten über eine gemeinsame Finanzierung von Arzneimitteln (MedGeF) an der Schnittstelle von intramuralem und extramuralem Sektor fügen sich am besten in den bestehenden Rechtsrahmen der Arzneimittelfinanzierung ein, wenn es sich um sogenannte nicht erstattungsfähige Arzneispezialitäten handelt. 367