92Kein Verzicht des Arbeitgebers auf die Geltendmachung personenbezogener Kündigungsgründe bei sofortiger Dienstfreistellung nach Bekanntwerden des Vorfalls
Kein Verzicht des Arbeitgebers auf die Geltendmachung personenbezogener Kündigungsgründe bei sofortiger Dienstfreistellung nach Bekanntwerden des Vorfalls
Der Kl war bei der Bekl in einer Leitungsfunktion tätig. Als er gekündigt wurde, focht er die Kündigung wegen Sozialwidrigkeit an. Die Vorinstanzen wiesen die Klage des AN ab, der OGH wies nun auch die außerordentliche Revision des Kl zurück.
Der OGH führte dazu aus:
Das Gericht hat bei einer Kündigungsanfechtung wegen Sozialwidrigkeit zunächst zu prüfen, ob durch die Kündigung wesentliche Interessen des AN beeinträchtigt werden. Erst wenn das Vorliegen einer Beeinträchtigung von Interessen des gekündigten AN zu bejahen wäre, ist das Vorliegen von subjektiven oder objektiven Kündigungsrechtfertigungsgründen zu prüfen und anschließend eine Interessenabwägung vorzunehmen.
Die personenbezogenen Kündigungsgründe gem § 105 Abs 3 Z 2 lit a ArbVG müssen nicht so gravierend sein, dass sie die Weiterbeschäftigung des AN über den Kündigungstermin hinaus unzumutbar machen oder gar das Gewicht eines Entlassungsgrundes erreichen. Sie müssen aber die betrieblichen Interessen soweit nachteilig berühren, dass sie bei objektiver Betrachtungsweise einen verständigen Betriebsinhaber zur Kündigung veranlassen würden und die Kündigung als gerechte, dem Sachverhalt adäquate Maßnahme erscheinen lassen.
Der arbeitsrechtliche Unverzüglichkeitsgrundsatz gilt auch für die Geltendmachung von Verfehlungen des AN als personenbezogenen Rechtfertigungsgrund für eine Kündigung. Ein widriger Umstand, den der AG ohne Konsequenzen hingenommen hat, kann nicht viel später bei der Abwägung gegen wesentliche Interessen des Gekündigten auf einmal größeres Gewicht erlangen, als ihm ursprünglich vom AG selbst beigemessen wurde.
Entscheidend dabei ist nun vor allem der Verständnishorizont des betroffenen AN. Für diesen muss 231das Verhalten des AG gerechtfertigten Grund zur Annahme geben, dieser verzichte auf die Geltendmachung der Kündigungsgründe. Ein solcher Verzicht liegt regelmäßig dann nicht vor, wenn das Zögern sachlich begründet ist und der AG durch sein Verhalten nicht den Eindruck erweckt, er werde den Kündigungsgrund nicht wahrnehmen. Vorläufige Maßnahmen, etwa die bis zur Klärung der tatsächlichen oder rechtlichen Lage vorgenommene Suspendierung eines AN, können die Annahme eines Verzichts des AG auf die Ausübung des Kündigungs- oder Entlassungsrechts verhindern. Die Behauptungs- und Beweislast für einen etwaigen Verzicht des AG auf das Entlassungsrecht (hier: personenbezogene Kündigungsgründe) liegt beim AN.
Im vorliegenden Fall waren insb die lange Betriebszugehörigkeit des Kl und sein Alter zu berücksichtigen, allerdings auch, dass der Kl eine Leitungsfunktion innehat und damit seinem Verhalten gegenüber ihm unterstellten Mitarbeitern besonderes Gewicht zukommt. Weisungen mit einem Klappmesser in der Hand Nachdruck zu verleihen oder Probearbeitern mit Drohungen und mangelnder Unterstützung zu begegnen, ist ein Verhalten, dass vom AG auch bei langer Betriebszugehörigkeit nicht hingenommen werden muss.
Auf das Bekanntwerden dieser Vorfälle hat der AG mit sofortiger Dienstfreistellung reagiert und auch klargestellt, dass das Arbeitsverhältnis keinesfalls fortgesetzt wird. Aufgrund der langen Betriebszugehörigkeit hat man dem Kl aber die Möglichkeit geboten, eine andere Arbeitsstelle (insb im Konzern) zu suchen, wobei dieses Entgegenkommen von vornherein befristet war. Der Kl konnte daher nicht von einem Verzicht auf die Geltendmachung der personenbezogenen Kündigungsgründe ausgehen.
Laut OGH ist die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass die Kündigung des Kl dessen soziale Situation zwar beeinträchtigt, aber die Abwägung mit dem festgestellten personenbezogenen Kündigungsgrund zu Lasten des AN ausschlägt, jedenfalls vertretbar. Die Kündigung war gerechtfertigt.