13Die Anwendbarkeit von Verfallsfristen auf den Anspruch auf Übermittlung von Arbeitszeitaufzeichnungen
Die Anwendbarkeit von Verfallsfristen auf den Anspruch auf Übermittlung von Arbeitszeitaufzeichnungen
Gem § 26 Abs 8 AZG haben AN einmal monatlich Anspruch auf kostenfreie Übermittlung ihrer Arbeitszeitaufzeichnungen, wenn sie nachweislich verlangt werden.
Beim Anspruch auf Übermittlung von Arbeitszeitaufzeichnungen handelt es sich um einen im ordentlichen Rechtsweg durchsetzbaren arbeitsvertraglichen Anspruch.
Der Zweck des § 26 Abs 8 AZG liegt darin, AN die Kontrolle der Arbeitszeitaufzeichnungen und die Überprüfung der Richtigkeit der Entgeltabrechnung des AG sowie die Überprüfung der Einhaltung von Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten zu ermöglichen bzw zu erleichtern.
Verfallsklauseln sind grundsätzlich auf den Anspruch auf Übermittlung der Arbeitszeitaufzeichnungen anzuwenden.
Eine bestimmte Form, in der die Arbeitszeitaufzeichnungen dem AN zu übermitteln sind, schreibt § 26 Abs 8 AZG nicht vor.
[1] Der Kl war vom 11.1.2010 bis 15.10.2021 beim Bekl als Installations- und Duschwandmonteur beschäftigt. Auf das durch AN-Kündigung beendete Dienstverhältnis war der KollV für Arbeiter im eisen- und metallverarbeitenden Gewerbe [...] anzuwenden.
[2] Die Arbeitszeitaufzeichnungen erfolgten im Betrieb des Bekl seit 2010 auf einem vom Unternehmen zur Verfügung gestellten Firmen-iPad. Jeder Mitarbeiter, auch der Kl, hatte auf dem ihm zur Verfügung gestellten iPad die von ihm geleisteten Stunden einzutragen, die bereits unter der Woche durch Synchronisieren mit dem Firmenlaptop des Bekl an diesen übermittelt wurden. Den Mitarbeitern standen sämtliche von ihnen gemachte Aufzeichnungen bis zur Beendigung des Dienstverhältnisses zur Verfügung. Einmal monatlich wurden die Aufzeichnungen ausgedruckt, von den Mitarbeitern unterschrieben und dem DG übergeben. Wurden nach Durchsicht der Aufzeichnungen vom DG Änderungen daran vorgenommen, wurde dies mit dem Mitarbeiter besprochen. Wenn keine Besprechung und Änderung stattfand, wurden die aufgezeichneten Stunden ausbezahlt.
[3] Während des aufrechten Arbeitsverhältnisses hat der Kl nie verlangt, dass ihm diese Arbeitszeitaufzeichnungen auch in Papierform zur Verfügung gestellt werden. Es steht auch nicht fest, dass er danach ein solches Verlangen gestellt hat. Lediglich die Ehefrau des Kl begehrte nach der Kündigung bei der Sekretärin des Bekl die Übermittlung der Arbeitszeitaufzeichnungen, die ihr daraufhin für das Jahr 2021 zugesandt wurden.
[4] Erstmals mit Schreiben vom 21.10.2021 des Klagevertreters wurden die „aufgrund gesetzlicher Verpflichtung geführten“ Arbeitszeitaufzeichnungen vom Bekl gefordert, ohne konkreten Zeitraum. In einem nicht unterfertigten E-Mail vom 18.11.2021 präzisierte er den Anspruchszeitraum mit 2018 bis 2020 sowie September 2021.
[5] In der Klage wird das Begehren auf Auszahlung restlichen Entgelts für Überstunden sowie die Übermittlung aller Arbeitszeitaufzeichnungen des Kl für die Jahre 2019 und 2020 erhoben.
[6] Der Bekl wandte Verfall nach Abschnitt XX. des KollV ein.
[7] Das Erstgericht sprach dem Kl das begehrte restliche Entgelt (unangefochten) zu und wies das Herausgabebegehren ab. Er habe den Anspruch auf Übermittlung der begehrten Arbeitszeitaufzeichnungen nicht innerhalb der kollektivvertraglichen Verfallsfrist schriftlich geltend gemacht.
[8] Das Berufungsgericht gab dem gegen die Teilabweisung seines Begehrens gerichteten Rechtsmittel des Kl nicht Folge. Das Erstgericht sei zutreffend davon ausgegangen, dass auch der Anspruch nach § 26 Abs 8 AZG einer kollektivvertraglichen Verfallsfrist unterliegen könne, zumal das Gesetz selbst als Rechtsfolge der Nichtgewährung eine Verfallshemmung vorsehe. Die Verpflichtung zur Vorlage „einmal monatlich“ stelle klar den untrennbaren Zusammenhang dieser Bestimmung mit dem Zweck kollektivvertraglicher Verfallsfristen her. Ein rückwirkendes Verlangen auf Übermittlung von Arbeitszeitaufzeichnungen komme daher nur für Perioden in Frage, in denen ein Verfall noch nicht eingetreten sein könne.
[9] Die ordentliche Revision sei zuzulassen, weil zur Frage, ob kollektivvertragliche Fallfristen auf den Anspruch nach § 26 Abs 8 AZG anzuwenden sind, noch keine höchstgerichtliche Rsp bestehe.
[10] Die auf den Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision des Kl strebt die gänzliche Klagsstattgebung an. Der Bekl beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, das Rechtsmittel zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.
[11] Die Revision ist iSd Ausspruchs des Berufungsgerichts zur Klarstellung der Rechtslage zulässig. Sie ist jedoch nicht berechtigt.
[12] Nach § 26 Abs 8 AZG haben AN einmal monatlich Anspruch auf kostenfreie Übermittlung ihrer Arbeitszeitaufzeichnungen, wenn sie nachweislich verlangt werden.
[13] Es handelt sich dabei um einen im ordentlichen Rechtsweg durchsetzbaren arbeitsvertraglichen Anspruch (9 ObA 103/18i mwN). Zweck des § 26 Abs 8 AZG ist, dem AN die Kontrolle der Arbeitszeitaufzeichnungen und damit letztlich auch die Überprüfung der Richtigkeit der Entgeltabrechnung des AG sowie die Überprüfung der Einhaltung von Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten zu ermöglichen bzw zu erleichtern (9 ObA 103/18i; vgl Peschek/Unterrieder, Arbeitszeitaufzeichnungen und Verfall seit dem ASRÄG 2014, ecolex 2015, 228 [229]; Schrank, Die Neuerungen bei den Arbeitszeitaufzeichnungen – Überlegungen zur Neufassung von § 26 AZG durch 131 das ASRÄG 2014, ZAS 2015/26, 169 [173]; Schrank, Arbeitszeit Kommentar7 § 26 Rz 29b; Heilegger in Gasteiger/Heilegger/Klein, Arbeitszeitgesetz7 § 26 Rz 21).
[14] Wird dem AN die Übermittlung der Arbeitszeitaufzeichnungen verwehrt, ordnet § 26 Abs 9 AZG als Sanktion die Hemmung von Verfallsfristen an.
[15] Nach Abschnitt XX. Pkt 1. des KollV für Arbeiter im eisen- und metallverarbeitenden Gewerbe müssen alle gegenseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis bei sonstigem Verfall innerhalb von sechs Monaten nach Fälligkeit bzw Bekanntwerden – wenn sie nicht anerkannt werden – schriftlich geltend gemacht werden.
[16] Von dieser Verfallsklausel sind alle jene Ansprüche erfasst, deren Rechtsgrund unmittelbar aus dem Arbeitsverhältnis abzuleiten ist und die spätestens im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bereits bestanden haben (vgl RS0097327). Um den Lauf einer Verfallsfrist zu unterbrechen, muss das Begehren wenigstens annähernd konkretisiert werden, sodass der AG erkennen kann, welche Ansprüche ihrer Art nach gemeint sind (vgl 8 ObA 90/08f; RS0034446; RS0034441). Eine Beschränkung der hier anzuwendenden Verfallsklausel auf Entgeltansprüche lässt sich ihrer Formulierung nicht entnehmen, vielmehr bezieht sie sich ausdrücklich sowohl auf Fälligkeit (dh von Geldforderungen) als auch auf Bekanntwerden des Anspruchs.
[17] Es entspricht stRsp, dass kollektivvertragliche Ausschlussfristen auch für zwingende gesetzliche Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis zulässig sind, weil derartige Verfallsklauseln nicht die Ansprüche selbst, sondern nur ihre Geltendmachung beschränken. Nur dann, wenn sie zum Nachteil des DN gegen zwingende gesetzliche Bestimmungen über die Frist zur Geltendmachung von Ansprüchen verstoßen, wie etwa gegen § 1162d ABGB oder gegen § 34 AngG, könnten derartige kollektivvertragliche Bestimmungen nichtig sein (RS0034517).
[18] Für den vom Kl geltend gemachten Anspruch auf Übermittlung von monatlichen Arbeitszeitaufzeichnungen gem § 26 Abs 8 AZG besteht keine zwingende gesetzliche Bestimmung, innerhalb welcher Frist diese geltend zu machen sind, sodass die Ausschlussfrist des Abschnitts XX. Pkt 1. Z 1 KollV zum Tragen kommt.
[19] Davon ausgehend erachtet der Senat die Begründung der Vorinstanzen für die Abweisung des noch strittigen Klagebegehrens für zutreffend, weshalb darauf verwiesen werden kann (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO).
[20] Wörtlich normiert § 26 Abs 8 AZG einen Anspruch auf Übermittlung der Arbeitszeitaufzeichnungen einmal monatlich, wenn der AN es verlangt. Nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch liegt es nahe, dass der Anspruch „ab Verlangen“ bestehen soll. Von einer rückwirkenden Übermittlungspflicht für mehr als ein Monat zurückreichende Vorperioden ist in dieser Bestimmung nicht die Rede.
[21] Selbst wenn aber diese Regelung unter Berücksichtigung ihrer Zielsetzung teleologisch dahin interpretiert werden kann, dass der Anspruch auch Aufzeichnungen aus früheren Perioden umfasst, für die dem AN im Zeitpunkt des Verlangens noch ein rechtliches Interesse an der Nachprüfung seiner Arbeitszeit zuzubilligen ist, gilt diese Überlegung nicht für Zeiträume, für die Nachforderungen wegen bereits eingetretenen Verfalls ohnehin nicht mehr möglich wären.
[22] Die Anwendbarkeit der Verfallsklausel auf den Anspruch auf Übermittlung der Arbeitszeitaufzeichnungen ist daher nach zutreffender Rechtsansicht der Vorinstanzen im System des KollV eine vernünftige, zweckentsprechend praktisch durchführbare Regelung (vgl RS0008828; RS0010089 [T14, T15]). Sie steht mit dem Gesetzeszweck des § 26 Abs 8 und Abs 9 Z 1 AZG in keinem Widerspruch, kann doch eine bereits abgelaufene kollektivvertragliche Verfallsfrist nicht mehr gehemmt werden.
[23] Im Übrigen verfügte der Kl nach den Sachverhaltsfeststellungen während des aufrechten Dienstverhältnisses über seine gesamten Arbeitszeitaufzeichnungen, weil er sie selbst als Datei auf seinem Firmen-iPad geführt hat und sie periodisch auf Papier ausgedruckt und von ihm unterschrieben wurden. Allfällige gelegentliche Abänderungen wurden mit dem Kl besprochen und waren ihm daher ebenfalls bekannt.
[24] Eine bestimmte Form, in der die Arbeitszeitaufzeichnungen zu übermitteln sind, schreibt § 26 Abs 8 AZG nicht vor.
[25] Der Revision war daher keine Folge zu gehen.
[...]
Die gegenständliche E beschäftigt sich mit der Frage, ob die gem § 26 Abs 8 AZG vorgesehene Übermittlung von Arbeitszeitaufzeichnungen an AN einer kollektivvertraglichen Verfallsfrist unterliegt oder nicht. Der OGH bejahte dies, zumal § 26 Abs 8 AZG keine zwingende gesetzliche Frist für die Geltendmachung vorsieht. Das Höchstgericht erachtet die Anwendbarkeit einer Verfallsklausel auf den Anspruch auf Übermittlung der Arbeitszeitaufzeichnungen als eine im System des KollV vernünftige, zweckentsprechende, praktisch durchführbare Regelung. Sie steht mit dem Gesetzeszweck des § 26 Abs 8 und Abs 9 Z 1 AZG in keinem Widerspruch, da eine bereits abgelaufene kollektivvertragliche Verfallsfrist nicht mehr gehemmt werden kann.
Gem § 26 Abs 8 AZG haben AN einmal monatlich Anspruch auf kostenfreie Übermittlung ihrer Arbeitszeitaufzeichnungen, wenn sie nachweislich verlangt werden. Solange den AN diese Übermittlung verwehrt wird, werden gem § 26 Abs 9 Z 1 AZG Verfallsfristen gehemmt.
§ 26 Abs 8 und Abs 9 Z 1 AZG sind mit 1.1.2015 in Kraft getreten und wurden seinerzeit mit dem 132 ASRÄG 2014 in das AZG aufgenommen. Zum Zweck dieser Regelungen, zur Vereinbarkeit mit einer etwaigen kollektivvertraglichen Verfallsfrist, zur nachweislichen Geltendmachung sowie zur Form der Übermittlung der Arbeitszeitaufzeichnungen bieten die parlamentarischen Erläuterungen keinen Aufschluss (ErläutRV 319 BlgNR 25. GP).
Der OGH stellt in der gegenständlichen E klar, dass der Zweck des § 26 Abs 8 AZG darin liegt, AN die Kontrolle der Arbeitszeitaufzeichnungen und damit letztlich auch die Überprüfung der Richtigkeit der Entgeltabrechnung des AG sowie die Überprüfung der Einhaltung von Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten zu ermöglichen bzw zu erleichtern (vgl Rz 13 der E mwN). ME gehören Arbeitszeitaufzeichnungen als Urkunden zu den Arbeitspapieren (vgl Pirker, Die Herausgabe von Arbeitspapieren, RZ 1990, 106). Die Übermittlungspflicht von Arbeitszeitaufzeichnungen stellt mMn – gleichfalls wie die Übermittlung von Lohnabrechnungen gem § 2f AVRAG – eine gesetzlich gesondert geregelte Fürsorgepflicht des:der AG gegenüber dem:der AN dar (vgl zu den Lohnabrechnungen OLG Innsbruck 26.6.2024, 13 Ra 12/24y).
Dass die Geltendmachung von Fürsorgepflichten (hier: Anspruch auf Übermittlung von Arbeitszeitaufzeichnungen) durch Verfallsfristen zeitlich abweichend von allgemeinen Verjährungsfristen auf eine sehr kurze Zeitspanne (hier: auf sechs Monate) verkürzt werden kann, halte ich für höchst kritisch. Zur Wahrung der genannten Zwecke wäre es mE vielmehr geboten, AN eine möglichst lange Frist zur Erlangung der Arbeitszeitaufzeichnungen zu gewähren.
Doch auch in der Vergangenheit haben die Gerichte eine Verkürzung der Geltendmachung von Arbeitspapieren für zulässig erachtet (vgl zB OGH 13.11.2002, 9 ObA 159/02a, wonach abweichend von der 30-jährigen Verjährungsfrist für das Verlangen auf Ausstellung eines Dienstzeugnisses eine sechswöchige Verfallsfrist im KollV für die Geltendmachung des Dienstzeugnisses als wirksam erachtet wurde; vgl zur generellen 30-jährigen Verjährungsfrist bei Dienstzeugnissen: LGZ Wien 44 Cg 68/71 Arb 8.941). Diese OGH-Urteile sind aber aufgrund der besonderen arbeitnehmerschutzrechtlichen Funktion von Arbeitszeitaufzeichnungen nicht mit der gegenständlichen E zu vergleichen.
Die E ist auch vor dem Hintergrund von europäischem Recht kritisch zu würdigen. Art 31 Abs 1 GRC verbrieft das Recht auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen; Abs 2 leg cit ua das Recht auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit sowie auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten. Zur Durchsetzung dieser sozialen Grundrechtsstandards ist man als AN häufig auf das Vorliegen von Arbeitszeitaufzeichnungen angewiesen. Eine zeitliche Einschränkung des Anspruchs auf Übermittlung erschwert aber gerade die Durchsetzung dieser sozialen Grundrechtsstandards (vgl zu Art 31 GRC: Kröll in Holoubek/Lienbacher [Hrsg], GRC-Kommentar2 Art 31 Rz 1 [Stand 1.4.2019, rdb.at]; aA Mazal, Verjährung des Anspruchs auf Herausgabe von Arbeitszeitaufzeichnungen, ecolex 2024, 616 [616]). Auch im Hinblick auf die EUTransparenz- RL 2019/1152, mit welcher transparente Arbeitsbedingungen gefördert werden, halte ich diese E für höchst diskutabel, da kurze Geltendmachungsfristen Arbeitsbedingungen intransparenter machen.
Kritisch zu würdigen ist des Weiteren, dass der OGH prima vista aus § 26 Abs 8 AZG keine rückwirkende Übermittlungspflicht von Arbeitszeitaufzeichnungen für mehr als ein Monat zurückreichende Vorperioden ableitet, zumal der Anspruch „ab Verlangen“ bestehen soll. Der OGH fokussiert sich sodann allerdings auf eine teleologische Interpretation, wonach ein Anspruch auf Aufzeichnungen aus früheren Perioden umfasst sein kann, für die dem AN im Zeitpunkt des Verlangens noch ein rechtliches Interesse an der Nachprüfung seiner Arbeitszeit zuzubilligen ist (vgl Rz 20 f der E). In Zusammenschau mit der Begründung der Vorinstanzen kommt ein rückwirkendes Verlangen auf Übermittlung von Arbeitszeitaufzeichnungen für Perioden in Frage, in denen ein Verfall noch nicht eingetreten sein könne (vgl Rz 8, 19 der E).
Positiv an der gegenständlichen E ist der Umstand, dass AN auch dann einen grundsätzlichen Anspruch auf Übermittlung von Arbeitszeitaufzeichnungen nach § 26 Abs 8 AZG haben, wenn diese bereits über die Arbeitszeitaufzeichnungen verfügen, zB weil es das betriebsinterne Aufzeichnungssystem mit sich brachte (vgl Rz 23 der E). MaW ist der Anspruch auf Übermittlung der Arbeitszeitaufzeichnungen auch dann zu bejahen, wenn der:die AN die Unterlagen ohnehin bereits inne hat.
Im Hinblick auf die Verfallsfrist des Abschnitt XX. Pkt 1. KollV für Arbeiter:innen im eisen- und metallverarbeitenden Gewerbe ist die gegenständliche E wohl zu akzeptieren. Die Anwendbarkeit von Verfallsfristen auf die Übermittlung von Arbeitszeitaufzeichnungen kann aber aufgrund der unterschiedlichen Textierungen von Verfallsfristen in den KollV nicht generalisiert werden. Insofern bedarf es einer Einzelfallbetrachtung.
Der aus dieser E an die kollektivvertragsfähigen Interessenvertretungen der AN ableitbare Auftrag ist mE klar: Verfallsfristen sollen – wenn sie überhaupt Eingang in den KollV finden – sehr differenziert für die jeweiligen Ansprüche formuliert werden. Auch die Geltendmachung von Arbeitszeitaufzeichnungen sollte bei der Gestaltung etwaiger kollektivvertraglicher Verfallsfristen jedenfalls mitbedacht werden (vgl dazu auch: Thöny-Maier, Entgelt – Verjährung und Verfall [2024], Lexis Briefings Personalrecht).
§ 26 Abs 8 AZG stellt den Anspruch auf Übermittlung der Arbeitszeitaufzeichnung unter die Bedingung, dass diese „nachweislich“ verlangt werden. Das Wort „nachweislich“ verdeutlicht, dass für das Verlangen kein Formerfordernis besteht. Die Arbeitszeitaufzeichnungen können daher vom:von der AN schriftlich, mündlich, aber auch konkludent 133 verlangt werden, solange es nur nachweislich ist (Heilegger in Gasteiger/Heilegger/Klein [Hrsg], Arbeitszeitgesetz7 [2021] § 26 Rz 22). Auch sämtliche Formen der elektronischen Kommunikation, wie zB einfache E-Mails ohne Unterschrift, E-Mails mit elektronischer Signatur, E-Mails mit Attachment, SMS- und WhatsApp-Nachrichten, usw, stehen AN für das Verlangen auf Übermittlung der Arbeitszeitaufzeichnungen zur Verfügung. Geht man vom Grundsatz der Formfreiheit iSd § 883 ABGB aus, wären etwaige Einschränkungen dieser Formfreiheit durch KollV oder durch Arbeitsvertrag gesetzwidrig und somit unwirksam (Geiblinger, Formgebote im Arbeitsrecht [2018] 10 ff).
Wenngleich Abschnitt XX. Pkt 1. KollV für Arbeiter:innen im eisen- und metallverarbeitenden Gewerbe für die Geltendmachung das Schriftformgebot statuiert, erfolgte im Hinblick auf die Formfreiheit des § 26 Abs 8 AZG durch das Schreiben des Klagevertreters in Form eines nicht unterfertigten E-Mails die Geltendmachung ordnungsgemäß (vgl Rz 4 der E).
In welcher Form die Arbeitszeitaufzeichnungen dem:der AN zu übermitteln sind, schreibt § 26 Abs 8 AZG nicht vor und hat letztlich auch der OGH in der gegenständlichen E offen gelassen (vgl Rz 24 der E). Eine bestimmte Form der Aufzeichnung der Arbeitszeiten ist auch ansonsten in § 26 AZG nicht vorgesehen (Pfeil in Auer-Mayer/Felten/Pfeil [Hrsg], AZG4 § 26 Rz 3 [Stand 1.3.2019, rdb.at]). Nach einem Urteil des EuGH bedarf es eines objektiven, verlässlichen und zugänglichen Systems, mit dem die von einem:r jeden AN geleisteten täglichen Arbeitszeit gemessen werden kann (EuGH 14.5.2019, C-55/18, Federación de Servicios de Comisiones Obreras (CCOO)/Deutsche Bank SAE). In der Praxis erfolgen Arbeitszeitaufzeichnungen schriftlich, mittels automatisierter Systeme (zB durch eine Stechuhr) oder durch sonstige automationsunterstützte Arbeitszeiterfassungssysteme (Rotter, Arbeitszeitaufzeichnungen in der Praxis, ASoK 2002, 249; Heilegger in Gasteiger/Heilegger/Klein [Hrsg], Arbeitszeitgesetz7 § 26 Rz 2; Pfeil in Auer-Mayer/Felten/Pfeil [Hrsg], AZG4 § 26 Rz 3 mwN [Stand 1.3.2019, rdb.at]).
Gerade wenn die Arbeitszeiterfassung durch automationsunterstützte Arbeitszeiterfassungssysteme erfolgt, stellt sich die Frage, ob AN dennoch einen Anspruch auf Übermittlung der Aufzeichnungen in physischer Form haben.
Der OGH stellt in der gegenständlichen E klar, dass der Zweck des § 26 Abs 8 AZG darin liegt, AN die Kontrolle der Arbeitszeitaufzeichnungen und damit letztlich auch die Überprüfung der Richtigkeit der Entgeltabrechnung des AG sowie die Überprüfung der Einhaltung von Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten zu ermöglichen bzw zu erleichtern (vgl Rz 13 der E mwN). Arbeitszeitaufzeichnungen sind somit ein wichtiges Beweismittel für die Einhaltung der Arbeitszeitvorschriften (Rotter, Arbeitszeitaufzeichnungen in der Praxis, ASoK 2002, 249). Für etwaige außergerichtliche, gerichtliche oder behördliche Vorgänge/Prozesse ist es vielfach notwendig, die Aufzeichnungen in physischer Form vorzulegen, so zB gegenüber Interessenvertretungen (zB Arbeiterkammer, Gewerkschaften, etc), gegenüber Behörden (zB Arbeitsinspektoraten, Bezirksverwaltungsbehörden, etc) sowie gegenüber Gerichten (zB Arbeits- und Sozialgerichten, etc). MaW dienen Arbeitszeitaufzeichnungen neben dem Beweissicherungs- und Publikationszweck auch dem Schutz zur Sicherung einer fachgerechten Beratung und dem Schutz zur Sicherung der Einhaltung verwaltungsbehördlicher Normen (vgl zu den diversen Zwecken im Allgemeinen: Geiblinger, Formgebote im Arbeitsrecht 37 ff).
In der E vom 28.10.2015 zu 9 ObA 110/15i hat der OGH bereits ausgesprochen, dass es aus rechtlicher Sicht nicht ausreichend ist, wenn AG AN ein vom schriftlichen unterfertigten Kündigungsschreiben erstelltes Foto per WhatsApp übermitteln. Vielmehr ist es unter Berücksichtigung der Beweissicherung und für eine ausreichende Prüfungsmöglichkeit notwendig, dass AN das Kündigungsschreiben in physischer Form erhalten. Diese Grundsätze können sinngemäß auch für die Übermittlung von Arbeitszeitaufzeichnungen gem § 26 Abs 8 AZG angewendet werden. Verlangt der:die AN die Übermittlung von Arbeitszeitaufzeichnungen, sind ihm:ihr diese in physischer Form, also ausgedruckt, zur Verfügung zu stellen.
Die Übermittlung der Arbeitszeitaufzeichnungen in elektronischer Form, zB per Mail oder per WhatsApp, wird idR auch deshalb nicht ausreichend sein, da der:die AN gem § 26 Abs 8 AZG Anspruch auf „kostenfreie“ Übermittlung hat. Muss aber der:die AN die elektronisch übermittelten Aufzeichnungen selbst unter Verwendung der eigenen EDV-Infra struktur abrufen bzw ausdrucken, sind damit Kosten zB für Strom, Internet, Papier und Druckerpatrone, etc, verbunden. Dieser Kostenaufwand wird dem Anspruch auf „kostenfreie“ Übermittlung nicht gerecht. Das Recht auf die physische Übermittlung von Arbeitszeitaufzeichnungen in Papierform kann iwS auch als Teil eines Rechts auf ein analoges Leben gewertet werden (vgl EA vom 12.6.2024, 4075/A (E) 27. GP). 134