10Bindungswirkung eines Strafurteils im Haftungsprozess nach § 334 ASVG und Gefahrenbegriff nach dem ArbeitnehmerInnenschutzgesetz
Bindungswirkung eines Strafurteils im Haftungsprozess nach § 334 ASVG und Gefahrenbegriff nach dem ArbeitnehmerInnenschutzgesetz
Unter einer Gefahr iSd ASchG ist allgemein eine Situation zu verstehen, in der bei ungehindertem Ablauf des Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit der Eintritt eines Ereignisses droht, welches zur Verletzung von Rechtsgütern des AN (bzw eines Dritten) führt.
§ 2 Abs 7 Satz 2 ASchG ist dahin zu verstehen, dass die dort angeführten Belastungen auch vom Gefahrenbegriff des ASchG erfasst sind.
Es besteht keine Bindung des Zivilgerichts an jede einzelne Tatsachenfeststellung des vorangehenden Strafurteils. Erfolgte eine strafgerichtliche Verurteilung nicht nach einem die grobe Fahrlässigkeit des Täters voraussetzenden Qualifikationstatbestand, obliegt es der freien Beurteilung der Zivilgerichte, ob das zugrundeliegende Verhalten grob fahrlässig war.
[1] Der bei den Kl versicherte Q* N* erlitt am 19.10.2016 gegen 9:35 Uhr im Betrieb der Erstbekl in S* einen Arbeitsunfall, bei dem er schwerstens verletzt wurde (Querschnittlähmung). Damals war der Zweitbekl im Betrieb der Erstbekl tätig und Vorgesetzter des Verletzten.
[2] Die Kl nehmen mit ihrer Zahlungs- und Feststellungsklage die Bekl solidarisch mit dem Vorwurf, sie hätten jeweils grobe Fahrlässigkeit zu verantworten, wie aus dem Spruch ersichtlich auf Regress nach § 334 ASVG in Anspruch.
[3] Die Bekl bestritten [...] den Vorwurf eines qualifizierten Verschuldens und beantragten die Abweisung der Klage.
[4] Das Erstgericht gab dem Leistungs- und Feststellungsbegehren hinsichtlich beider bekl Parteien statt. [...] Darüber hinaus ging es zusammengefasst von folgendem Sachverhalt aus:
[5] Die Erstbekl produziert Druckwaren, wozu entsprechende Siebdruckplatten benötigt werden. Sie bestehen aus einem Alurahmen in einer Breite von bis zu 4 cm sowie einem Siebgewebe und sind je nach Größe zwischen 15 und 36 kg schwer. Die Platten werden nach ihrer Verwendung in die Siebwäscherei verbracht, gereinigt und zwischengelagert. Bis dahin werden sie – zum Unfallzeitpunkt noch ohne Sicherung gegen das Umfallen (der Fliesenboden der Halle ist glatt) – übereinander schräg an die Wand gelehnt gelagert.
[6] Es kommt wöchentlich ein- bis zweimal vor, dass in der Druckerei ein Nachdruck erforderlich ist, weshalb ein gebrauchtes (und noch nicht gereinigtes) Sieb wieder benötigt wird. Dieses wird dann von der Zwischenlagerung – schräg an die Wand gelehnt – in der Regel von ein oder zwei Siebwäschern herausgenommen (aus dem an der Wand angelehnten Stapel herausgezogen) und neuerlich verwendet.
[7] Eine Evaluierung dieser Lagerung [...] wurde von der Erstbekl nicht vorgenommen. Ebenso wenig gab es Sicherheitsvorgaben für die gebrauchten Siebe. Zwischen 2010 und 2016 wurde die Erstbekl mehrmals vonseiten der Erstkl im Zuge präventivdienstlicher Betreuung besucht. Sicherheitstechnische Defizite im Bereich der Siebwäscherei wurden nicht moniert [...]. [...]
[9] Der Zweitbekl [...] hatte gegenüber Q* N* eine Aufsichtsfunktion. Dieser war als Leiharbeiter bei der Erstbekl als Beschäftigerbetrieb tätig [...]. Eine Einschulung oder Einweisung von Q* N* auf die verfahrensgegenständliche Gefahrenquelle gab es nicht.
[10] Am Tag des Unfalls kam der Zweitbekl in die Siebwäscherei und gab Q* N* die Anweisung, ihm beim „Blättern“ der ungereinigten Siebdruckplatten zu helfen, da in der Druckerei ein Sieb zum Nachdruck benötigt wurde [...]. Um das benötigte Sieb zu entnehmen, wurden die im vorderen Bereich gelagerten Siebdruckplatten nach vorne gekippt, wobei die Aufgabe von Q* N* darin bestand, die vom Zweitbekl „geblätterten“ Siebplatten zu halten. [...] Als mehrere Siebe bereits „geblättert“ waren – die Anzahl kann nicht mehr festgestellt werden –, eilte F* M* von sich aus zu Hilfe, da er die Gefährlichkeit der Situation erkannt hatte. Den Beteiligten gelang es jedoch in der Folge nicht mehr, den Stapel von Sieben [...] weiterhin aufrecht zu halten. [...] Q* N* schaffte es nicht, den umfallenden Platten auszuweichen und sich in Sicherheit zu bringen. Er wurde von insgesamt elf wegrutschenden Sieben erfasst, zu Boden gedrückt und dabei schwer verletzt. [...]
[13] Der Zweitbekl wurde mit Strafurteil des LG Klagenfurt als Berufungsgericht wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung zu einer Geldstrafe verurteilt. [...]
[14] Rechtlich führte das Erstgericht aus, die Erstbekl habe die ihr als DG obliegenden Pflichten zur Unfallverhütung durch Einhaltung der AN-Schutzvorschriften in außergewöhnlicher Weise vernachlässigt. [...] Der Erstbekl sei somit grobe Fahrlässigkeit anzulasten.
[15] Der Zweitbekl sei gegenüber dem Verletzten als eine dem DG gleichgestellte Person gem § 333 Abs 4 ASVG anzusehen. Als solcher [...] habe er erkennen müssen, dass auf dem rutschigen Boden iVm dem steigenden Gewicht der gekippten Siebdruckplatten eine eklatante Gefahrensituation vorgelegen sei. [...] Somit habe auch der Zweitbekl einen groben Sorgfaltsverstoß zu verantworten.
[16] Das Berufungsgericht gab den Berufungen der bekl Parteien nicht Folge. [...]
[17] Rechtlich führte das Berufungsgericht aus, die Erstbekl habe ihre Verpflichtung zur Gefahrenverhütung nach dem ASchG verletzt. [...] Es sei daher nicht zweifelhaft, dass die Erstbekl die Pflicht gehabt habe, die von der Lagerung der ungewaschenen Siebdruckplatten und der regelmäßig vorkommenden Entnahme eines „gebrauchten“ Drucksiebs aus dem zwischengelagerten Stapel ausgehenden 118 Gefahren zu ermitteln und zu beurteilen sowie darauf aufbauend Maßnahmen zur Gefahrenverhütung festzulegen, und zwar unabhängig von Beanstandungen durch die Erstkl oder das Arbeitsinspektorat sowie allenfalls bereits passierten Unfällen. [...] Die Erstbekl habe selbst diese naheliegenden und einfachsten AN-Schutzmaßnahmen unterlassen.
[18] Die Stellung des Zweitbekl als dem DG gem § 333 Abs 4 ASVG gleichgestellte Person sei unstrittig. [...]
[19] Gegen das Berufungsurteil richten sich die jeweils aus dem Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobenen außerordentlichen Revisionen der bekl Parteien [...]. [...]
[21] Die außerordentliche Revision der Erstbekl ist [...] zur Klarstellung der Auslegung des § 2 Abs 7 ASchG zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.
[22] Die außerordentliche Revision des Zweitbekl ist unter Beachtung der fehlenden Sicherheitsvorgaben und Schulungen durch die Erstbekl zur Korrektur der Beurteilung der Vorinstanzen hinsichtlich der Qualifikation des den Rechtsmittelwerber treffenden Verschuldens als grob fahrlässig zulässig und folglich auch berechtigt. [...]
II. Zur Revision der Erstbekl:
[25] II.1. Die Erstbekl bestreitet in ihrer Revision, dass sie nach dem ASchG verpflichtet gewesen sei, gegen die Gefahrenquelle „Stapelung von Platten an der Wand
“ vorzugehen. Sie beruft sich hierfür auf § 2 Abs 7 ASchG, wonach unter Gefahren iS dieses Bundesgesetzes „arbeitsbedingte physische und psychische Belastungen zu verstehen [sind], die zu Fehlbeanspruchungen führen
“. Die Gefahr, welche sich hier verwirklicht habe, sei keine solche.
[26] Diese Rechtsansicht der Erstbekl ist nicht zu teilen: [...]
[28] Nach Wortlaut und Systematik der §§ 3 und 4 ASchG trifft den AG [...] eine umfassende Pflicht zum Gefahrenschutz. Es liegt im Verantwortungsbereich des AG, seinen Betrieb so zu organisieren, dass es zu keinen Gefahren für die in seine Betriebsorganisation eingegliederten AN kommt (RS0111032).
[29] II.1.2. § 2 Abs 7 ASchG bestimmte bis 31.12.2012 nur, dass unter Gefahrenverhütung iS dieses Bundesgesetzes „sämtliche Regelungen und Maßnahmen zu verstehen [sind], die zur Vermeidung oder Verringerung arbeitsbedingter Gefahren vorgesehen sind
“.
[30] Mit Art I Z 4 des Bundesgesetzes BGBl I 2012/118 wurde in § 2 Abs 7 der folgende zweite Satz angefügt: „Unter Gefahren im Sinne dieses Bundesgesetzes sind arbeitsbedingte physische und psychische Belastungen zu verstehen, die zu Fehlbeanspruchungen führen.“ Nach den Gesetzesmaterialien handelt es sich bei dieser Änderung bloß um eine Klarstellung; bereits nach geltender Rechtslage seien die Begrifflichkeiten so zu verstehen. Die Klarstellung diene der stärkeren Betonung der Wichtigkeit psychischer Belastungen, die zu Fehlbeanspruchungen führen, im AN-Schutz, um damit den notwendigen Bewusstseinsbildungsprozess bei den Verantwortlichen in den Betrieben zu unterstützen (ErläutRV 1983 BlgNR 24. GP 6).
[31] Es entspricht daher gerade nicht [...] dem Willen des Gesetzgebers, dass die Pflicht des AG zur Gefahrenverhütung nur „arbeitsbedingte physische und psychische Belastungen [...], die zu Fehlbeanspruchungen führen
“, betrifft und damit beispielsweise die Gefahr, von Siebdruckplatten erschlagen zu werden, nicht erfasst wäre. § 2 Abs 7 Satz 2 ASchG ist vielmehr dahin zu verstehen, dass die in ihm angeführten Belastungen auch vom Gefahrenbegriff des ASchG erfasst sind (Lechner-Thomann in Novak/Lechner-Thomann, ASchG [2013] § 2 Rz 47; Schneeberger in Heider/Schneeberger, ASchG7 [2017] § 2 Rz 7). Unter einer Gefahr iSd ASchG ist – auch nach der Novelle BGBl I 2012/118 und so wie bei § 8 AVRAG (zum dortigen Gefahrenbegriff inhaltsgleich: Holzer/Reissner, Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz2 [2006] § 8 Rz 7; Binder/Mair in Binder/Burger/Mair, AVRAG3 [2017] § 8 Rz 10) – allgemein eine Situation zu verstehen, in der bei ungehindertem Ablauf des Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit der Eintritt eines Ereignisses droht, welches zur Verletzung von Rechtsgütern des AN (bzw eines Dritten) führt (Schneeberger in Heider/Schneeberger, ASchG7 [2017] § 2 Rz 7). Die Gefahr, die sich am 19.10.2016 verwirklichte, war damit eine solche iSd Gefahrenverhütungsvorschriften des ASchG.
[32] II.2. Grobe Fahrlässigkeit ist nach stRsp anzunehmen, wenn eine außergewöhnliche und auffallende Vernachlässigung einer Sorgfaltspflicht bzw Pflicht zur Unfallverhütung vorliegt und der Eintritt des Schadens als wahrscheinlich und nicht bloß als möglich voraussehbar ist (RS0030644). Wenn der AG als Adressat der AN-Schutzvorschriften nach objektiver Betrachtungsweise ex ante ganz einfache und naheliegende Überlegungen nicht angestellt hat, so bejaht die Rsp bei ihm grobe Fahrlässigkeit (RS0085228 [T16]; idS auch RS0052197 [T7]). Das Fehlen der Beanstandung einer Gefahrensituation durch das Arbeitsinspektorat schließt [...] die grobe Fahrlässigkeit des AG nicht aus (RS0085228 [T18]). Bei Beurteilung der Pflichten eines Unternehmens sind dabei die Kriterien der Sachverständigenhaftung maßgeblich und ist somit ein erhöhter Diligenzmaßstab anzulegen (RS0026555 [T10]).
[33] II.2.1. Hiervon ausgehend teilt der Senat die [...] Begründung des Berufungsgerichts für das Vorliegen grober Fahrlässigkeit der erstbekl AG [...]. [...]
[36] Der Revision der Erstbekl war daher der Erfolg zu versagen.
III. Zur Revision des Zweitbekl:
[37] III.1. Der Zweitbekl wurde rechtskräftig strafgerichtlich schuldig erkannt. Er hat ausweislich des Strafurteils am 19.10.2016 in S* als anordnungsbefugter Arbeiter der S* Gesellschaft m.b.H. durch Außerachtlassen der gebotenen und ihm zumutbaren Sorgfalt, indem er den Hilfsarbeiter Q* N* zum Halten mehrerer schwerer Siebdruckplatten auf einem glatten Fliesenboden ohne weitere Absicherung einteilte, die in der Folge auf diesen stürzten, fahrlässig Q* N* am Körper verletzt [...] und hierdurch das Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und Abs 4 erster Deliktsfall StGB begangen.
[38] Ein strafgerichtlich rechtskräftig Verurteilter kann sich im nachfolgenden Rechtsstreit einer 119 anderen Partei gegenüber nicht darauf berufen, dass er die Tat, derentwegen er strafgerichtlich verurteilt wurde, nicht begangen habe (1 Ob 612/95 [verstärkter Senat]; RS0074219). Dabei erstreckt sich die Bindung auf die den Schuldspruch notwendigerweise begründenden Tatsachen (RS0074219 [T5]). Von der Bindungswirkung ist die Feststellung umfasst, dass der Verurteilte die bestimmte strafbare Handlung begangen hat (RS0074219 [T6]). Der Zivilrichter darf daher keine vom Strafurteil abweichenden Feststellungen über den Nachweis der strafbaren Handlung, ihre Zurechnung und den Kausalzusammenhang zwischen der strafbaren Handlung und ihren Folgen treffen (RS0074219 [T27]). Es besteht jedenfalls insoweit Bindung an das strafgerichtliche Erkenntnis, als davon auszugehen ist, dass die im Strafurteil festgestellte Tat tatsächlich vom Verurteilten begangen wurde und dass dessen tatsächliche Handlungen für den Schadenserfolg kausal waren (RS0074219 [T13]). Es besteht aber keine Bindung an jede einzelne Tatsachenfeststellung des Strafurteils (RS0074219 [T3]). [39] Dem Zweitbekl ist es wegen seiner strafgerichtlichen Verurteilung daher vor dem Zivilgericht verwehrt, die Fahrlässigkeit seines Verhaltens in Abrede zu stellen; insofern sind die Zivilgerichte an das Strafurteil gebunden.
[40] III.2. Die strafgerichtliche Verurteilung erfolgte aber nicht nach dem – eine grobe Fahrlässigkeit des Täters – voraussetzenden Qualifikationstatbestand des § 88 Abs 4 zweiter Deliktsfall StGB. Ob das Verhalten des Zweitbekl grob fahrlässig war, obliegt damit der freien Beurteilung der Zivilgerichte (vgl 8 ObA 42/17k [Pkt 2.3.]).
[41] III.3. Der Senat vermag sich nicht der Beurteilung des Berufungsgerichts, der Zweitbekl habe grobe Fahrlässigkeit zu verantworten, anzuschließen:
[42] III.3.1. Die erstbekl AG hat ihre AN – damit auch den Zweitbekl – nicht iSd §§ 12 und 14 ASchG über die Gefahr umfallender Platten informiert und unterwiesen, so auch nicht, wie viele Arbeiter mit welchen konkreten Aufgaben an diesem Arbeitsvorgang mitwirken müssen, wie viele Druckplatten dabei maximal gehalten werden dürfen und wo die Mitarbeiter stehen müssen, um Verletzungen durch umfallende Platten möglichst zu vermeiden. [...]
[43] III.3.2. Das Organisationsverschulden der Erstbekl darf man dem Zweitbekl bei der Beurteilung, ob sein Verhalten grob oder nur leicht fahrlässig war, jedenfalls nicht zur Last legen (idS 8 ObA 109/01i).
[44] III.3.3. Wie viele Druckplatten vom Zweitbekl bereits geblättert wurden, als sich der Unfall ereignete, steht nicht fest. Das Berufungsgericht legt dem Zweitbekl zur Last, dass es (aufgrund der Anzahl der Druckplatten) jedenfalls „unweigerlich“ zur Überschreitung der maximalen Haltekraft kommen musste. Dass der Unfall „unweigerlich“ geschah, mag sein, ist aber eine Sicht ex post. Dass der Zweitbekl, als er sich entschloss, eine weitere Druckplatte zu blättern, [...] es als wahrscheinlich und nicht bloß als möglich ansehen musste, dass das Blättern dieser weiteren Platte zu einem Schaden führen wird, lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen.
[45] III.3.4. Nach den Feststellungen des Erstgerichts waren es in der Regel ein oder zwei Siebwäscher, die das benötigte Sieb aus dem an der Wand angelehnten Stapel herauszogen. Wie viele Mitarbeiter über die vielen Jahre die Platten für gewöhnlich hielten, blieb im Dunkeln, ebenso, wie viele Druckplatten der Zweitbekl beim Unfallgeschehen durchblätterte. Daraus, dass er nur einen (Hilfs-)Arbeiter zu seiner Unterstützung beim Blättern hinzuzog, kann daher noch nicht zwingend seine grobe Fahrlässigkeit abgeleitet werden.
[46] Anders als das Erstgericht im Zivilprozess stellte das Berufungsgericht im Strafprozess – nach einer Beweiswiederholung – fest, dass der (hier) Zweitbekl „wusste, dass beim Blättern großer Drucksiebe zumindest zwei weitere Personen hinzugezogen werden mussten, um das Gewicht der Siebe halten zu können
“. An jene Feststellung im Strafurteil besteht keine Bindung, weil sie für das vom Strafgericht bejahte leicht fahrlässige (objektiv sorgfaltswidrige) Verhalten des Zweitbekl nicht entscheidend war. [...]
[50] III.3.8. Den Kl ist es daher nicht gelungen, eine grobe Fahrlässigkeit des Zweitbekl – konkrete Vorhersehbarkeit der Wahrscheinlichkeit des Schadens eines Dritten – unter Beweis zu stellen. Die Klage ist ihm gegenüber – in Stattgebung seiner Revision – abzuweisen. [...]
In der E setzt sich der OGH mit der solidarischen Geltendmachung von Regressansprüchen zweier Sozialversicherungsträger nach einem Arbeitsunfall sowohl gegenüber der AG des Verletzten (Erstbekl als auch gegenüber dessen am Unfallhergang beteiligten Vorgesetzten (Zweitbekl) auseinander. Der Arbeitsunfall ereignete sich in Folge des „Blätterns“ ungesichert an einer Wand lehnender Siebdruckplatten. Der AN, der versuchte, die „geblätterten“ Druckplatten festzuhalten, zog sich dabei schwere Verletzungen zu.
Nach § 333 ASVG haften der AG und diesem iSd § 333 Abs 4 ASVG Gleichgestellte (darunter auch „Aufseher im Betrieb“) nicht für Personenschäden infolge eines Arbeitsunfalls gegenüber dem Geschädigten, außer sie haben den Unfall vorsätzlich verursacht (sogenanntes „DG-Haftpflichtprivileg“). Das Haftungsprivileg wird aber insoweit eingeschränkt, als bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verursachung ein originärer Ersatzanspruch der Sozialversicherungsträger bezüglich der nach dem ASVG erbrachten Leistungen besteht (§ 334 Abs 1 ASVG). Während die Vorinstanzen das Vorliegen grober Fahrlässigkeit hinsichtlich beider Bekl bejahten, differenziert der OGH und verneint die grobe Fahrlässigkeit des Zweitbekl.
Ob der Zweitbekl als Aufseher im Betrieb iSd § 333 Abs 4 ASVG zu behandeln ist, thematisiert der OGH nicht (mehr), sondern legt dies seinen Ausführungen als gegeben zugrunde. Wer als Aufseher im Betrieb eingestuft wird, ist seit jeher von starker 120 Kasuistik geprägt. Der OGH zieht diesen Kreis der „Aufseher“ aber für gewöhnlich sehr weit (vgl Auer-Mayer in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SVKomm [2023] § 333 ASVG Rz 49 ff mwN) und stellt maßgeblich auf das Bestehen von Aufsichts- und Kontrollbefugnissen ab (vgl RIS-Justiz RS0085510; RS0085519; RS0085661). Da der Zweitbekl nach den Feststellungen gegenüber dem Verletzten eine Aufsichtsfunktion hatte, fügt sich diese Beurteilung in die bestehende Rsp ein.
Die Erstbekl berief sich in ihrer Revision darauf, dass die Gefahrenquelle „Stapelung von Platten an der Wand“ nicht unter den Gefahrenbegriff des ASchG falle und sie demnach nicht verpflichtet gewesen sei, gegen diese vorzugehen. Nach § 2 Abs 7 S 2 ASchG seien als Gefahren iS dieses Gesetzes lediglich „arbeitsbedingte physische und psychische Belastungen zu verstehen, die zu Fehlbeanspruchungen führen.
“ Zwar gibt der Wortlaut der Bestimmung Grund zur Annahme, es handle sich bei § 2 Abs 7 ASchG um eine (abschließende) Legaldefinition des im AN-Schutzrecht relevanten Gefahrenbegriffs, doch sieht der OGH jene Belastungen zutreffend lediglich als Teilaspekt dieses Begriffs. Insb verweist er dabei zurecht auf die Genese des S 2 leg cit: Dieser wurde durch die ASchG-Novelle BGBl I 2012/118 nachträglich ergänzt, wodurch vor allem Bewusstsein und Prävention arbeitsbedingter psychischer Belastungen, die zu Fehlbelastungen bei den AN führen, gestärkt werden sollten. Ausweislich der Gesetzesmaterialien sollte die Ergänzung bloß klarstellender Natur sein (ErläutRV 1983 24. GP 6).
Der OGH nimmt in diesem Zusammenhang auch auf Kommentierungen des § 8 AVRAG („Verhalten bei Gefahr“) Bezug. Er hält daher den Gefahrenbegriff nach dem ASchG inhaltlich dem Gefahrenbegriff nach § 8 AVRAG gleich. Letztgenannte Norm legt ein Verbot der Benachteiligung von AN fest, die bei ernster und unmittelbarer Gefahr für Leben und Gesundheit den Gefahrenbereich verlassen bzw selbst Maßnahmen der Gefahrenabwehr treffen. § 8 AVRAG ergänzt somit die öffentlich-rechtlichen Pflichten des § 3 Abs 3 und 4 ASchG durch die Einräumung privatrechtlicher Rechtspositionen zu Gunsten der AN (Mosler in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 [2018] § 8 AVRAG Rz 2).
Da § 8 AVRAG im Zuge der Neufassung des ASchG (BGBl 1994/450) eingeführt wurde und ebenso einen Aspekt des technischen AN-Schutzes behandelt, ist diese Gleichhaltung der Gefahrenbegriffe durchaus überzeugend: Sowohl § 8 AVRAG als auch § 2 ASchG (in seiner Stammfassung) gehen auf die Umsetzung mehrerer, den technischen AN-Schutz betreffende Richtlinien zurück, insb auf die Arbeitsschutz-RahmenRL 89/391/EWG. § 8 AVRAG dient der Umsetzung von Art 8 Abs 4 und 5 Arbeitsschutz- RahmenRL, § 2 Abs 7 S 1 ASchG von Art 3 lit d Arbeitsschutz-RahmenRL (ErläutRV 1590 18. GP 63 f, 72). Eine Entsprechung für den später eingefügten S 2 dieser Bestimmung kennt die Arbeitsschutz-RahmenRL nicht. Den Gesetzesmaterialien ist zu entnehmen, dass die arbeitsvertragsrechtlichen Bestimmungen der Arbeitsschutz-RahmenRL durch eine Novellierung des AVRAG umgesetzt werden sollten und dass „[d]iese Bestimmungen [...] im Zusammenhang mit den Vorschriften des Entwurfes eines Bundesgesetzes über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit (ASchG) zu sehen
“ sind (ErläutRV 1590 18. GP 127). Die Bestimmungen des ersten Abschnitts des ASchG (§§ 1-18 leg cit) enthalten vor allem die allgemeinen Grundsätze zur Verhütung arbeitsbedingter Gefahren, für Sicherheit, Gesundheitsschutz und Unfallverhütung, welche die Arbeitsschutz-RahmenRL nicht auf einzelne Bereiche des AN-Schutzes beschränkt. Der Gefahrenbegriff wird in der Arbeitsschutz-Rahmen-RL zwar nicht näher definiert (Klindt/Schucht in Franzen/Gallner/Oetker [Hrsg], EuArbRK5 [2024] RL 89/391/EWG Rz 21), ihr liegt aber zweifellos ein weites Begriffsverständnis des AN-Schutzes bzw der Gefahrenverhütung zugrunde (Schneeberger in Heider/Schneeberger [Hrsg], ASchG7 [2017] 1. Abschn Rz 1-3). Nach deren Art 1 Abs 1 und 2 soll sie ua allgemeine Grundsätze für die Verhütung berufsbedingter Gefahren sowie die Ausschaltung von Risiko- und Unfallfaktoren etablieren, um eine Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der AN am Arbeitsplatz zu bewirken.
Würde man die Gefahrenquelle der ungesicherten Stapelung bis zu 36 kg schwerer Druckplatten an der Wand vom Gefahrenbegriff des ASchG ausnehmen, würde das Gesetz wohl insgesamt seinen angestrebten Schutzzweck verfehlen. AG sollen immerhin dazu verpflichtet sein, „für Sicherheit und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer in Bezug auf alle Aspekte, die die Arbeit betreffen, zu sorgen
“ (§ 3 Abs 1 ASchG). Folglich wären diesfalls auch die Vorgaben des Unionsrechts zum technischen AN-Schutz nur unzureichend umgesetzt. Mit dem OGH ist daher dem AN-Schutzrecht – also sowohl § 8 AVRAG als auch dem ASchG – ein weiter Gefahrenbegriff zugrunde zu legen.
Für die Einhaltung von AN-Schutzvorschriften ist primär der AG verantwortlich. Davon können die AN auch ausgehen (RIS-Justiz RS0111032 [insb T1, T2]). Der Unterschied zwischen leichter und grober Fahrlässigkeit ist nach stRsp stets rein maßlich und nur aus den Umständen des Einzelfalles ableitbar. Nicht jede Übertretung einer Unfallverhütungsvorschrift bedeutet dabei gleich grobe Fahrlässigkeit (RIS-Justiz RS0026555 [T1], vgl auch RS0052197).
Das ASchG unterscheidet zwischen der Pflicht der AG zur Information (§ 12 leg cit) und einer solchen zur Unterweisung (§ 14 ASchG). Letztere Pflicht umfasst insb verhaltensbezogene Anweisungen, die auf den konkreten Arbeitsplatz oder Aufgabenbereich der AN abgestimmt sind. Die Verpflichtung zur Information soll den AN vor allem ermöglichen, ihre eigenen Pflichten zu erfüllen und Mitwirkungsrechte auszuüben sowie zur Entwicklung des AN-Schutzes auf der Ebene des Betriebs beizutragen (ErläutRV 1590 BlgNR 18. GP 121 78 f). Nach § 12 Abs 3 ASchG muss diese Information unverzüglich erfolgen, wenn AN einer unmittelbaren erheblichen Gefahr ausgesetzt sein können. Sie hat dabei nicht nur die Gefahrenquelle an sich zu behandeln, sondern auch die zu ergreifenden Schutzmaßnahmen. Das „Blättern“ mehrerer ungesicherter, bis zu 36 kg schwerer Druckplatten wird man zweifellos als eine solche informationspflichtige akute Gefahrensituation verstehen können.
Zurecht zieht der OGH hierbei nicht in Erwägung, den Zweitbekl als „Aufseher im Betrieb“ anstelle der AG zum Normadressaten der AG-Pflichten zu machen. Die Rechtsfigur des „Aufsehers im Betrieb“ spielt lediglich im Kontext des DG-Haftungsprivilegs gem §§ 333 und 334 ASVG eine Rolle und kann darüber hinaus keine AG-Verantwortlichkeiten begründen (Mazal, Grob fahrlässige Verletzung von AN-Schutzvorschriften, ecolex 2024, 436 [437]; vgl auch OGH 24.1.2024, 9 ObA 3/24t). Der AG als Adressat der AN-Schutzbestimmungen kann sich seiner Verantwortlichkeit für deren Einhaltung daher nicht dadurch entledigen, dass er sich eines Aufsehers im Betrieb bedient, den er mit der Durchführung (Planung, Organisation und Abwicklung) bestimmter Arbeiten betraut. Eine derartige Übertragung der rechtlichen Verantwortlichkeit – die zu einer Befreiung des AG von ebendieser Verantwortlichkeit führen würde – ist gesetzlich nicht vorgesehen und entspräche nicht der Konzeption der die Fürsorgepflicht des AG für einzelne Bereiche konkretisierenden AN-Schutzbestimmungen (vgl auch bereits OGH 19.12.2022, 9 ObA 102/22y).
Im Hinblick auf die erstbekl AG bestätigt der OGH mE zurecht die Qualifikation des Verhaltens als grob fahrlässig durch die Vorinstanzen. Grob fahrlässiges Organisationsverschulden erfordert einen objektiv und auch subjektiv schweren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt. Dasjenige muss unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall eigentlich jedem hätte einleuchten müssen (RIS-Justiz RS0110748 [T4]). Der Betrieb war hinsichtlich Feststellung und Verhütung potenzieller Gefahrenquellen mangelhaft organisiert. Dass die – trotz der einfachen Möglichkeit der Aufstellung eines Plattenregals – ungesicherte Lagerung der schweren Druckplatten durch Anlehnen an die Wand und das regelmäßig vorkommende „Durchblättern“ dieser Stapel bei gänzlichem Unterbleiben einer entsprechenden Information und Unterweisung durch die AG als grobe Fahrlässigkeit qualifiziert werden kann, liegt auf der Hand.
Das Verhalten des zweitbekl Aufsehers beurteilt der OGH demgegenüber im Gegensatz zu den Vorinstanzen als nur leicht fahrlässig. Die Beurteilung des Grades der Fahrlässigkeit stellt eine Frage des Einzelfalls dar, die nur bei grober Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO begründet (vgl nur RIS-Justiz RS0087606 [insb T1, T8]; RS0026555 [insb T5]), wovon der OGH vorliegend in Bezug auf den Zweitbekl ausgeht. Konsequenterweise verneint er – mangels der nach § 334 Abs 1 ASVG notwendigen groben Fahrlässigkeit – diesem gegenüber auch den Regressanspruch der Sozialversicherungsträger. Insb könne dem Zweitbekl das Organisationsverschulden der erstbekl AG nicht zur Last gelegt werden, weil diese ihren Informations- und Unterweisungspflichten über Gefahren für Sicherheit und Gesundheit und deren Verhütung (§§ 12, 14 ASchG) gegenüber ihren AN – und somit auch gegenüber dem Zweitbekl – nicht nachgekommen sei.
Zu den Pflichten der AN gehört zwar, AG oder Vorgesetzten unverzüglich jede von ihnen festgestellte ernste und unmittelbare Gefahr für Sicherheit oder Gesundheit zu melden (§ 15 Abs 5 ASchG); die AN dürfen daher nicht zur Gänze passiv bleiben. Die AN-Pflichten kommen jedoch nach richtiger Ansicht nur bei ausreichender Unterweisung zum Tragen (Lechner-Thomann in Novak/Lechner-Thomann [Hrsg], ASchG [2013] § 15 Rz 1). Für die Verhängung von Verwaltungsstrafen über die AN bei Verletzung dieser Meldepflichten (§ 130 Abs 4 Z 6 ASchG) wird dabei zusätzlich zur Aufklärung sogar eine nachweislich schriftliche Aufforderung durch den AG oder das Arbeitsinspektorat vorausgesetzt. Da die AG vorliegend ihren Pflichten zur Gefahrenverhütung in Bezug auf die ungesicherte Lagerung und das „Blättern“ der Druckerplatten gar nicht nachgekommen ist, hatte sich der OGH nicht weiter mit der Frage nach einer Meldepflicht des Zweitbekl auseinanderzusetzen. Davon zu unterscheiden sind etwaige „Meldepflichten“ über drohende Gefahren, die sich aus dem Arbeitsvertrag (bzw uU der Treuepflicht) ergeben können, sollte die Gefahr für die AN offenkundig sein. Insb bei AN mit Aufsichtsverantwortung wird diese Pflicht bereits meist unmittelbar aus der Dienstpflicht folgen (Kietaibl/Rebhahn in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 1153 ABGB Rz 39).
Hinsichtlich des Verschuldensgrades des Zweitbekl setzt sich der OGH zudem damit auseinander, inwieweit eine Bindung an die Feststellungen eines Strafverfahrens im nachfolgenden Zivilprozess besteht. Eine allgemeine gesetzlich festgeschriebene Bindung der Zivilgerichte an die Inhalte strafgerichtlicher Entscheidungen sieht die Rechtsordnung seit der Aufhebung des § 268 ZPO im Jahr 1990 nicht mehr vor (BGBl 1990/706, vgl VfGHG 73/89 VfSlg 12.504). Während freisprechende Strafurteile nach der Rsp keinerlei Bindung der Zivilrichter begründen (RIS-Justiz RS0106015; zuletzt im arbeitsrechtlichen Kontext etwa OGH 25.5.2022, 8 ObA 34/22s), wird seit einer Grundsatzentscheidung des OGH aus 1995 (verstSen 17.10.1995, 1 Ob 612/95), auf die auch die vorliegende E Bezug nimmt, in stRsp (wieder) eine begrenzte Bindungswirkung verurteilender Strafurteile für nachfolgende Zivilprozesse anerkannt.
Niemand kann sich demnach im nachfolgenden Zivilprozess einer anderen Partei gegenüber – gleichgültig, ob diese am Strafverfahren beteiligt war oder nicht – darauf berufen, dass er eine Tat, deretwegen er strafrechtlich verurteilt wurde, nicht begangen habe (RIS-Justiz RS0074219). Diese 122 Bindung wirkt zwar einerseits gegenüber jedermann, also vorliegend auch gegenüber den nicht am Strafprozess beteiligten klagenden Sozialversicherungsträgern, andererseits erstreckt sie sich jedoch nur auf den Schuldspruch notwendigerweise begründende Tatsachen (RIS-Justiz RS0074219 [T5]). Davon umfasst ist demnach die Feststellung jener konkreten Tatsachen, die die Subsumtion unter einen bestimmten Straftatbestand ermöglichen, nicht aber solcher, die darüber hinausgehen (U. Schrammel, Zur Bindung des Zivilrichters an strafrechtliche Verurteilungen, Zak 2008, 47 [47]; vgl OGH 29.4.1998, 9 ObA 416/97k). Eine Bindung an jede einzelne Tatsachenfeststellung des Strafurteils besteht nach stRsp daher nicht (RIS-Justiz RS0074219 [T3]).
Der OGH bewegt sich bei der vorliegenden E im Rahmen dieser stRsp. Gegenständlich wurde der (nun) zweitbekl Aufseher in einem vorangehenden Strafverfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung rechtskräftig verurteilt. Der Schuldspruch beruhte jedoch auf der Qualifikation des § 88 Abs 4 erster Deliktsfall StGB, die das Vorliegen einer schweren Körperverletzung voraussetzt, nicht aber – im Gegensatz zu § 88 Abs 4 zweiter Deliktsfall StGB – zusätzlich einen bestimmten Verschuldensgrad. Die Bindung der strafrechtlichen Verurteilung erstreckte sich im Haftungsprozess nach § 334 ASVG daher zwar auf das Vorliegen von Fahrlässigkeit, nicht aber auf eine bestimmte Qualifikation als leicht oder grob fahrlässig. Insofern war es den Zivilrichtern möglich, das Verschulden des Zweitbekl unter Zugrundelegung der im Zivilprozess abweichend getroffenen Feststellungen in freier Kognition zu beurteilen. Hätte das Strafurteil hingegen die Erfüllung eines Qualifikationsmerkmals, das grobe Fahrlässigkeit erfordert, für den angewendeten höheren Strafsatz bejaht, hätte sich die Bindungswirkung auch darauf erstreckt (vgl OGH 24.8.2017, 8 ObA 42/17k).
Die Kernaussagen des OGH überzeugen sowohl hinsichtlich ihres Ergebnisses als auch ihrer Begründung. Den Schwerpunkt der E bildet freilich die stets einzelfallabhängige Abgrenzung zwischen leichter und grober Fahrlässigkeit. Verallgemeinerungsfähige Aussagen trifft der OGH dagegen vor allem im Hinblick auf die weite Auslegung des Gefahrenbegriffs im Bereich des AN-Schutzes, indem er zurecht klarstellt, dass dieser nicht auf die Belastungen nach § 2 Abs 7 S 2 ASchG beschränkt ist.