Telearbeitsgesetz – die neuen unfallversicherungsrechtlichen Regelungen
Telearbeitsgesetz – die neuen unfallversicherungsrechtlichen Regelungen
Mit dem Telearbeitsgesetz, BGBl I 2024/110 (idF TelearbeitsG), wurden mit Wirkung vom 1.1.2025 jene arbeits- und sozialrechtlichen Regelungen über Arbeiten außerhalb des örtlichen Betriebsbereichs, die bisher auf die Fälle der Vereinbarung von Homeoffice beschränkt gewesen sind, um andere Formen von Arbeiten im delegierten Aktionsbereich eines Unternehmens, insb auch außerhalb der Wohnung von AN, erweitert. Während § 2h AVRAG in der bis 31.12.2024 geltenden Fassung der Novelle BGBl I 2021/61 bisher nur regelmäßiges Arbeiten in der Wohnung regelte (Homeoffice), dehnt das TelearbeitsG die wechselseitigen Rechte und Pflichten in solchen Konstellationen weiter aus, und zwar auf Telearbeit an jeglicher „nicht zum Unternehmen gehörenden Örtlichkeit“ (also nicht nur in der Wohnung). Parallel dazu regelt § 175 Abs 1a und 1b ASVG idF des TelearbeitsG die unfallversicherungsrechtliche Seite, die uns hier beschäftigen soll.1
Allgemeines
Der Begriff der Telearbeit
Die versicherte Tätigkeit am Telearbeitsplatz und die Betriebswege
Die „Auch-Arbeitsunfälle“ nach § 175 Abs 2
Der differenzierte Wegschutz bei Telearbeit
Das neue Konzept
Telearbeitsplätze im engeren und im weiteren Sinn
Was bedeutet „Entfernung“ in Bezug auf den „sonst üblichen Arbeitsweg“?
Was bedeutet „in der Nähe“?
Unklarheiten beim Zusammenspiel der Entfernungsregelungen
Telearbeitsplätze im weiteren Sinn und die Verminderung des Schutzes für „Auch- Arbeitsunfälle“
Zusammenfassung
Das TelearbeitsG ändert nichts am Versicherungsschutz bei betrieblichen Arbeiten in den eigenen vier Wänden („Homeoffice“). Die Tätigkeit in Telearbeit macht den Ort der Verrichtung – wie schon bisher – zur (weiteren) Arbeitsstätte. Hingegen beschränken § 175 Abs 1a und 1b ASVG in der ab 1.1.2025 geltenden Fassung den Unfallversicherungsschutz bei Telearbeit insoweit, als sie – je nach dem vereinbarten Ort der Arbeitsleis tung – die Anwendbarkeit des Abs 2 betreffend sogenannter „Auch-Arbeitsunfälle“ (im Wesentlichen Unfälle auf Wegen) auf bestimmte Konstellationen der Telearbeit außerhalb der eigenen Wohnung beschränken und andere Konstellationen davon ausschließen.
Die Differenzierung erfolgt in § 175 Abs 1a ASVG zwischen Örtlichkeiten von Telearbeit im engeren Sinn (für diese gilt der volle Wegschutz) und den Örtlichkeiten von Telearbeit im weiteren Sinn (für diese gilt der Schutz des Abs 2 nicht). Ausgeschlossen 98 vom Wegschutz sind einerseits alle Örtlichkeiten iSd Abs 1a Z 1 lit b und c, die aufgrund der Entfernung von Wohnung bzw Arbeitsstätte nicht als Orte von Telearbeit im engeren Sinn gelten, sowie gem Abs 1a Z 2 alle sonstigen von der versicherten Person frei gewählten sonstigen Arbeitsorte (wie zB Cafés, Bäder, Parks uä).
Es unterliegt auch weiterhin keinem Zweifel, dass es innerhalb der Wohnung, in der Telearbeit verrichtet wird, oder innerhalb einer sonstigen dislozierten Arbeitsstätte keinen Arbeitsweg iSd § 175 Abs 2 Z 1 gibt, und zwar auch dann nicht, wenn es sich um einen Telearbeitsplatz im engeren Sinn handelt. Wege innerhalb derartiger Arbeitsstätten können aber Betriebswege sein.
§ 2h Abs 1 AVRAG idF des TelearbeitsG definiert den Begriff „Telearbeit“. Telearbeit liegt demnach vor, wenn regelmäßig Arbeitsleistungen insb unter Einsatz der dafür erforderlichen Informations- und Kommunikationstechnologie erbracht werden und dies entweder in der Wohnung bzw im Wohnhaus der/des AN oder in einer von ihr oder ihm selbst gewählten, nicht zum Unternehmen gehörenden Örtlichkeit erfolgt.
Wesentlich für die Telearbeit gem § 2h Abs 1 AVRAG ist, dass die Arbeitsleistung in dieser Form regelmäßig und damit wiederholt in bestimmten Zeitabständen erbracht werden soll. Soll die Arbeitsleistung lediglich in einem Anlassfall außerhalb der Örtlichkeiten des Unternehmens erfolgen (wie zB dann, wenn das Büro wegen Handwerkerarbeiten oder aus anderen Gründen vorübergehend nicht benützbar ist), ohne dass von den Arbeitsvertragsparteien weitere regelmäßige auswärtige Einsätze beabsichtigt wären, so liegt keine Telearbeit iSd § 2h AVRAG vor. In einem derartigen Fall gilt daher § 175 Abs 1 und 2 ASVG im vollen Umfang, unabhängig von der Lage des Arbeitsortes.
Die Örtlichkeiten von Telearbeit können durchaus wechseln. Es ist für das Merkmal der regelmäßigen oder wiederholten Telearbeit nicht erforderlich, dass diese immer am selben Ort verrichtet wird. Den – den Gesetzeswortlaut im Wesentlichen wiederholenden – Materialien zufolge1 kommen für Telearbeit „neben der Wohnung/dem Wohnhaus am Haupt- oder Nebenwohnsitz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und einer Wohnung von deren Angehörigen etwa auch Räumlichkeiten von Coworking-Spaces (das sind organisatorisch eingerichtete, von der Arbeitnehmerin oder vom Arbeitnehmer angemietete Büroräumlichkeiten) oder andere von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gewählte Orte (wie etwa Internet-Cafés) in Betracht
“.
Örtlichkeiten der Arbeitsleistung, die der AG bereitstellt oder – etwa im Rahmen des arbeitsvertraglich Vereinbarten – dem AN zuweist, sind immer betriebliche Arbeitsstätten und nicht Arbeitsorte iSd TelearbeitsG. Für sie gelten daher auch die Bestimmungen über die UV ohne Abstriche; unabhängig davon, wo sich diese Arbeitsorte befinden. Gem § 2h Abs 2 AVRAG ist Telearbeit samt Örtlichkeiten der Erbringung der Arbeitsleistung zwischen der/dem AN und der/dem AG aus Beweisgründen schriftlich zu vereinbaren. Die ausdrückliche Vereinbarung wird vom Gesetz verlangt, weil Telearbeit idR eine Abweichung von der bisherigen arbeitsvertragsrechtlichen Vereinbarung darstellt. Dementsprechend kann Telearbeit nur im Einvernehmen zwischen den Arbeitsvertragsparteien vereinbart werden, dh entweder schon im Arbeitsvertrag oder in einer Zusatzvereinbarung zu einem bereits bestehenden Arbeitsvertrag, der bisher Telearbeit nicht vorsah. Weder soll Telearbeit einseitig durch die/den AG angeordnet werden können noch soll die/der AN einen Rechtsanspruch auf Telearbeit haben.
Das Fehlen der Schriftlichkeit führt entsprechend der bisherigen Rechtslage zum Homeoffice nicht zur Nichtigkeit der Telearbeitsvereinbarung. Eine Unterschrift ist nicht zwingend erforderlich, die Vereinbarung kann auch im elektronischen Weg (durch betriebliche IT-Tools, Handy-Signatur, E-Mail) zustande kommen. Entsprechend den bisherigen gesetzlichen Bestimmungen zu den Rahmenbedingungen der Vereinbarung von Homeoffice ist die Vereinbarung eines einseitigen Weisungsvorbehalts des AG, ob Telearbeit ausgeübt wird, nicht zulässig, da dies dem Grundsatz der einvernehmlichen Festlegung der Telearbeit widerspricht.2 Es ist aber selbstverständlich zulässig, Telearbeit mit allen hiefür erforderlichen Details (vor allem wann und wo) schon im Arbeitsvertrag zu vereinbaren.
Mit dem 3. Covid-Gesetz, das durch das Sozialversicherungs- Änderungsgesetz (SVÄG) 2020 noch verändert wurde, war – als eine Auswirkung der Covid-19-Lockdowns – mit Wirkung vom 11.3.2020 „für die Dauer von Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von Covid-19
“ erstmals eine Sonderregelung für Homeoffice eingeführt worden; diese Regelung sah in ihrem wesentlichen Teil vor, dass der Aufenthaltsort der versicherten Person (Homeoffice) als Arbeitsstätte iSd § 175 Abs 2 Z 1, 2, 5 bis 8 und 10 ASVG galt. Sie galt zunächst befristet, wurde einmal verlängert und durch die Novelle BGBl I 2021/61 von Covid-19-Maßnahmen abgekoppelt und für Homeoffice als Dauerrecht eingeführt.3
§ 175 Abs 1a und 1b idF des TelearbeitsG knüpft am im Verhältnis zu Homeoffice weiteren Begriff der Telearbeit an; dies zwar ohne ausdrückliche Verweisung auf § 2h AVRAG, worin aber immerhin im selben Gesetz und zur selben Zeit geregelt wird, wie Telearbeit rechtens zustande kommt. Man wird also davon ausgehen können, dass innerhalb des TelearbeitsG vom Gesetzgeber als Telearbeit immer dasselbe gemeint sein wird. 99
Unfallversicherungsrechtlich gesehen kommt es auch weiterhin für den Schutz iSd § 175 Abs 1 ASVG nur darauf an, dass ein Unfall auf die versicherte Tätigkeit oder einer mit ihr im inneren Zusammenhang stehenden Ausübungshandlung zurückzuführen ist, gleichgültig, an welchem Ort diese Tätigkeit verrichtet wird. § 175 Abs 1a Einleitungssatz, der dies für Telearbeit noch einmal bekräftigt, ist daher insoweit redundant. Telearbeit ist insoweit nur ein technisch und örtlich besonders geprägter Ausschnitt aus dem weiten Begriff der versicherten Beschäftigung.
Zur versicherten Tätigkeit gehören auch die sogenannten Betriebswege.4 Unter einem Betriebsweg versteht man die Bewegung des AN von einem Ort der Beschäftigung zu einem anderen Ort, um betriebsbedingt jemanden oder etwas zu transportieren, um etwas zu besorgen oder um die Beschäftigung am anderen Ort fortzusetzen.5 Ein Betriebsweg ist unabhängig davon vom Schutzbereich der Generalklausel umfasst, ob er nur der Fortbewegung dient oder auch einem Transport von Gütern oder Personen.6
Die Beschränkungen, die das TelearbeitsG für bestimmte Orte der Telearbeit vorsieht, betreffen allesamt nur den Schutzbereich der „Auch-Arbeitsunfälle“ iSd § 175 Abs 2 ASVG, in dem alle Wege außerhalb der versicherten Tätigkeit geregelt sind. Diese Beschränkungen betreffen daher nicht die versicherte Tätigkeit selbst und daher auch nicht die Betriebswege. Das ist deshalb wichtig, weil bei Verwendung auswärtiger Orte für Telearbeit zwar der Weg vom gewöhnlichen Aufenthaltsort7 zu diesem Ort ein Arbeitsweg ist, der § 175 Abs 2 Z 1 ASVG und daher auch den Beschränkungen des TelearbeitsG unterliegt, nicht aber der Weg vom Ort der Telearbeit zum Betriebssitz oder zu einem anderen betrieblichen Arbeitsort. Soweit Wege zwischen einem Telearbeitsplatz und einer betrieblichen Arbeitsstätte zurückgelegt werden, zB um dort an Besprechungen teilzunehmen, Direktiven einzuholen, Berichte zu erstatten, Arbeiten abzuliefern oder auf andere Weise die versicherte Tätigkeit fortzusetzen, liegen Betriebswege vor; der volle Schutz der UV auf diesen Betriebswegen ist mangels einer gegenteiligen Regelung wie bisher unabhängig davon gewährleistet, in welche Kategorie des Gesetzes der Telearbeitsplatz einzuordnen ist. Aus welchem rechtlichen Grund das nur bei einer „ausschließlichen Verrichtung der die Versicherung begründenden Beschäftigung mittels Telearbeit im engeren Sinn“ der Fall sein soll, wie die Erläuterungen zur RV meinen,8 ist nicht nachvollziehbar.
Anders als bei der versicherten Tätigkeit samt Betriebswegen ist es mit dem Schutz bei „Auch- Arbeitsunfällen“ iSd § 175 Abs 2 ASVG bestellt. Hier unterscheidet das Gesetz zwischen Orten, die von der versicherten Person selbst gewählt werden und anderen Orten. Bei den von der versicherten Person selbst gewählten Orten unterscheidet das Gesetz zwischen Orten der Telearbeit (im Folgenden kurz: Telearbeitsplatz genannt) im engeren und solchen im weiteren Sinn, wobei der Schutz nach § 175 Abs 2 ASVG für „Auch-Arbeitsunfälle“ nur bei Orten der Telearbeit im engeren Sinn besteht. „Auch-Arbeitsunfälle“ sind zB solche, die sich auf dem Arbeitsweg, auf dem Arztweg, auf dem Weg zur Bank, auf dem Weg zur Inanspruchnahme der gesetzlichen Interessenvertretung, auf einem Weg zur Unterbringung der Kinder zur Betreuung oder bei der Verwahrung, Instandhaltung, Erneuerung und beim Transport von Arbeitsgerät ereignen.
Es ist aufgrund des Sachzusammenhanges der Regelungen wohl davon auszugehen, dass für einen Telearbeitsplatz im engeren Sinn ein mit dem DG vereinbarter Ort der Arbeitsleistung iSd § 2h AVRAG erforderlich ist. Die als Ordnungsvorschrift (ausdrücklich nur zu Beweiszwecken) in § 2h Abs 2 AVRAG angeordnete Schriftlichkeit ist hingegen für den Schutz der UV nicht von Relevanz. Bei Telearbeitsplätzen im weiteren Sinn sehe ich die Notwendigkeit einer vorherigen Vereinbarung des genauen Ortes der Arbeitsleistung mit dem DG nicht, sofern nur vereinbart ist, dass die versicherte Person grundsätzlich im dislozierten Delegationsbereich des Unternehmens arbeitet (also zwar Telearbeit verrichtet, aber uU an nach eigenem Gutdünken wechselnden Orten).
Das TelearbeitsG führt die soeben genannten Begrifflichkeiten der Telearbeitsplätze im engeren und im weiteren Sinn zu dem Zweck neu ein, um mit deren Hilfe einen unterschiedlichen Schutzumfang bei den „Auch-Arbeitsunfällen“ iSd § 175 Abs 2 ASVG zu generieren.
Der volle Umfang des Schutzes gilt künftig nur für Telearbeitsplätze ieS. Für alle anderen Telearbeitsplätze (also jene im weiteren Sinn) gilt nach 100 § 175 Abs 1b ASVG § 175 Abs 2 zur Gänze nicht. Der komplette Wegschutz ist also für Telearbeitsplätze im weiteren Sinn ausdrücklich ausgeschlossen. Der Unterscheidung zwischen Telearbeitsplätzen im weiteren und im engeren Sinn kommt daher für den Schutz bei „Auch-Arbeitsunfällen“ iSd § 175 Abs 2 ASVG entscheidende Bedeutung zu.
Zum Grund dieser Differenzierung kann den Materialien nur Undeutliches entnommen werden: Aufgrund der Möglichkeit, Telearbeit von unterschiedlichsten Örtlichkeiten im In- und Ausland aus zu verrichten, komme es zu einer Erweiterung des örtlichen Zusammenhangs mit der die Versicherung begründenden Tätigkeit und damit zu einer Ausweitung des Wegeschutzes im Vergleich zur bisherigen Rechtslage. Da sich dadurch eine Risikoerhöhung bei Wegen ergebe, sei mit der Unterscheidung zwischen Örtlichkeiten von Telearbeit im engeren Sinn und Örtlichkeiten von Telearbeit im weiteren Sinn im Hinblick auf den Wegeschutz eine Abwägung getroffen und das Wegerisiko entweder dem/der DG oder dem/der Versicherten zugeordnet worden, um eine lebensnahe und sachgerechte Verteilung beruflicher und privater Risiken beim Wegeschutz zu erreichen.9 Wie noch zu zeigen sein wird, betrifft die Beschränkung aber nur Wege vom gewöhnlichen Aufenthaltsort zum Telearbeitsplatz (einschließlich Bank-, Arztwege udgl), nicht aber Betriebswege vom Telearbeitsplatz zum betrieblichen Beschäftigungsort oder Unternehmenssitz. Arbeitswege von übermäßig weit entfernten Wohnorten hat die Rsp aber schon bisher als nicht versichert angesehen.10 Und dem DG wird gerade auf Wegen kein wie immer geartetes Risiko zugewiesen, da sie mangels Ingerenz für Schäden durch Wegunfälle nicht einmal im Regress in Anspruch genommen werden können. Die Risikoverteilung spielt sich ausschließlich zwischen der versicherten Person und der Gesamtheit der Versicherten ab und ist – angesichts des Umfangs der gesetzlichen KV – eigentlich nur für Ansprüche auf Unfallrente (also bei schwereren Unfallfolgen) für Versicherte wirklich von Bedeutung.
Das Gesetz unterscheidet zunächst zwei Gruppen von Telearbeitsplätzen:
Diese sind jedenfalls Telearbeitsplätze im engeren Sinn. Die Regelung entspricht insoweit der bisherigen Homeofficeregelung, als für solche Arbeitsplätze der volle Schutz des § 175 Abs 2 ASVG gewährleistet ist, und zwar grundsätzlich unabhängig von der Entfernung von der betrieblichen Arbeitsstätte (bei Fehlen einer solchen vom Unternehmenssitz).
Interessant ist die Erweiterung der möglichen Arbeitsstätten um den Nebenwohnsitz
. Bisher war in der Homeoffice-Regelung in der erweiterten Generalklausel des § 175 Abs 1a in der bis 31.12.2024 geltenden Fassung von „Beschäftigung in der Wohnung (Homeoffice)“ die Rede. Man konnte davon ausgehen, dass es sich dabei um jenen Ort handelte, bei dem die versicherte Person ihren „ständigen Aufenthaltsort“ als im Gesetz ausdrücklich genannten Ausgangspunkt des geschützten Arbeitsweges iSd § 175 Abs 2 Z 1 ASVG hatte. Nur in dem ganz seltenen Fall, in dem die versicherte Person über zwei gleichmäßig genutzte „ständige“ Aufenthaltsorte verfügte, konnte der Weg von jedem dieser beiden ständigen Aufenthaltsorte zur Arbeitsstätte geschützt sein.11 Dies gilt nach der bisherigen Rsp aber nur bei „gleichmäßiger Nutzung“, also dann nicht, wenn eine versicherte Person schon unter rein quantitativen Gesichtspunkten an einem der beiden Standorte überwiegend die Wohnfunktionen wahrgenommen hat.12 In der Mehrzahl der Fälle bestand also bisher vom Zweitwohnsitz zur Arbeitsstätte kein Wegschutz.13
Mit der Erweiterung der Telearbeitsplätze im engeren Sinn um Nebenwohnsitze durch das TelearbeitsG besteht ab 1.1.2025 auf dem Arbeitsweg vom Hauptwohnsitz zum Telearbeitsplatz am Nebenwohnsitz jedenfalls Versicherungsschutz, und zwar unabhängig davon, wie oft und intensiv der Zweitwohnsitz genutzt wird, sofern nur für diesen Ort Telearbeit vereinbart ist und der Ort auch wiederkehrend für Telearbeit genutzt wird. Der Versicherungsschutz besteht auch unabhängig davon, wie weit der Nebenwohnsitz im Verhältnis zum Hauptwohnsitz von der Arbeitsstätte entfernt ist. Da der Weg vom Nebenwohnsitz als Telearbeitsplatz zur betrieblichen Arbeitsstätte in der Regel ein Betriebsweg ist, besteht auch für diesen Weg voller Versicherungsschutz nach der Generalklausel des § 175 Abs 1 ASVG.14
Damit fällt ein Teil der Problematik des Schutzes am „Weg vom zweiten Ort“15 weg. Für den offenen Rest bei regelmäßiger (wenn auch nicht ganz gleicher) Inanspruchnahme zweier Wohnsitze ohne Telearbeit wird vielleicht angesichts dessen dann doch die Rsp sorgen. Der noch fehlende Schritt ist nicht sehr groß. Bis dahin empfiehlt es sich, für den Sommersitz jedenfalls Telearbeit zu vereinbaren, um den Wegschutz zum Sommersitz und von dort an die betriebliche Arbeitsstätte sicherzustellen.
Die zweite Gruppe von Telearbeitsorten, die – entsprechend eingerichtet – nur unter bestimmten Bedingungen für einen Wegschutz iSd § 175 101 Abs 2 ASVG vom gewöhnlichen Aufenthaltsort zum Telearbeitsplatz in Betracht kommen, ist in lit b und c des Abs 1a des § 175 genannt.
Dazu gehören zunächst Wohnungen naher Angehöriger, die das Gesetz taxativ aufzählt: Verwandte der ersten (Kinder, Enkel), der zweiten (Eltern, Geschwister sowie Nichten und Neffen) und der dritten Parentel (Großeltern, Onkel und Tanten sowie Cousins und Cousinen), der/die (voraussetzungsgemäß getrennt lebende) Ehegatte/Ehegattin oder der/die eingetragene Partner/Partnerin, Schwieger-, Wahl- und Stiefeltern, Lebensgefährten/ Lebensgefährtinnen sowie deren Eltern und Kinder, Schwieger-, Wahl- und Stiefkinder (lit b). Man wird davon ausgehen können, dass es genügt, wenn die verwandte oder verschwägerte Person über diese Wohnung rechtens verfügen kann (dh Mieterin oder Eigentümerin ist), nicht aber, dass sie selbst auch dort wohnen muss. Es kam dem Gesetzgeber offenbar nur darauf an, solche Orte aufzuzählen, auf die eine versicherte Person, wenn sie einen Heimarbeitsplatz benötigt, mangels eigener Ressourcen am ehesten zurückgreifen könnte.
Lit c nennt Coworking-Spaces, das sind flexible, voreingerichtete, in der Regel mit EDV und Internet ausgestattete einfache Arbeitsplätze, in deren Rahmen mitunter auch mit anderen AN zusammengearbeitet werden kann. Zum Teil finden sich solche Coworking Spaces mit ihren Arbeitskojen, die angemietet werden können und grundsätzlich mit allem für ein Büro Nötigen ausgestattet sind, in aufgelassenen Fabriksräumlichkeiten.16
Dieser in § 175 Abs 1a Z 1 lit b und c genannten zweiten Gruppe von Telearbeitsplätzen kommt aber nur dann die Qualifikation von Telearbeitsplätzen im engeren Sinne – also mit vollem Wegschutz – zu, wenn sie eine von zwei Voraussetzungen erfüllt: Die „hausfremden“ Arbeitsorte nach lit b und c müssen sich entweder in der Nähe des Wohnortes oder des Arbeitsortes befinden oder es darf die Entfernung von der Wohnung nach lit a zu Wohnungen und Räumlichkeiten nach lit b und c jene des sonst üblichen Arbeitsweges nicht überschreiten.
Nach den Materialien17 soll die Bezugnahme auf die „Nähe zur Wohnung nach lit a oder Arbeitsstätte“ bzw „Dienststätte“ es insb Wochenpendlerinnen und Wochenpendlern ermöglichen, Telearbeit im engeren Sinn auch in unmittelbarer Nähe zu ihrem ständigen Aufenthalt (iSd Mittelpunkts der privaten Lebensinteressen) auszuüben. Ein Abstellen auf den „sonst üblichen Arbeitsweg“ sei in diesem Fall nicht zweckmäßig.
Eine Entfernung entspricht – den Erläuterungen der RV zufolge18 – dann dem „sonst üblichen Arbeitsweg“, wenn der Weg zur Wohnung eines/einer nahen Angehörigen (lit b) oder zu Räumlichkeiten eines Coworking-Spaces (lit c) dem Weg zur Arbeits- bzw Dienststätte in zeitlicher und örtlicher Distanz vergleichbar ist. Das macht die Sache aber noch nicht eindeutig, und zwar auch wenn man das Problem für lösbar hält, dass § 175 Abs 2 Z 1 ASVG den Arbeitsweg am gewöhnlichen Aufenthaltsort beginnen lässt, während das Telearbeitsgesetz den Haupt- bzw Nebenwohnsitz einführt und damit allem Anschein nach nicht am tatsächlichen Aufenthaltsort, sondern an den Verhältnissen nach dem Meldegesetz anknüpft. Denn Lehre und Rsp vertreten das Bestehen einer Wahlfreiheit der versicherten Person, auf welche Weise sie den Arbeitsweg zurücklegen möchte, insb hinsichtlich der Wahl des Verkehrsmittels.19
Was die geographischen Verhältnisse betrifft, so wird die in Betracht kommende Entfernung vor allem unter ländlichen Verhältnissen dann eindeutig sein, wenn zB von A (Wohnung) nach B (Arbeitsplatz) nur eine Straße und kein öffentliches Verkehrsmittel führt. Beim häufigeren Fall, nämlich unter städtischen Bedingungen, ist aber das Gegenteil der Fall. Die freie Wahl des Verkehrsmittels (Privat-PKW, Bus, Straßenbahn, U-Bahn, S-Bahn, Eisenbahn bzw eine Kombination von zwei oder drei öffentlichen Verkehrsmitteln) hat in solchen Fällen ganz unterschiedliche Wegstrecken in unterschiedlicher Länge und Zeitdauer zur Folge. Selbst bei der Wahl des PKW als Verkehrsmittel stehen in der Stadt neben mehreren Hauptdurchzugsstraßen in rasterförmig angelegten Vierteln auch parallele Nebenstraßen zur Verfügung, die bei Bedarf genutzt werden können.
Es wäre ganz ungewöhnlich, vor allem aber besonders begründungsbedürftig, wenn man trotz des Grundsatzes der freien Wahl des Verkehrsmittels, die Länge des Weges oder seine Dauer den Begriff des „üblichen Arbeitsweges“ plötzlich in Richtung „kürzestmöglicher Weg“ definieren würde. Gerade längere innerstädtische Distanzen lassen sich häufig alternativ über zwei oder drei Hauptdurchzugsstraßen zurücklegen, die alle mehr oder minder zum selben Ziel, nämlich in die Gegend führen, in der sich der betriebliche Arbeitsplatz befindet. Auch außerhalb städtischer Verhältnisse kann die Entfernung vom betrieblichen Arbeitsplatz dort, wo dies möglich ist, stark von der Wahl des öffentlichen Verkehrsmittels (Bahn oder Bus) abhängen. Die Wahl der Strecke wird von den Versicherten aber idR kaum nach der Entfernung vorgenommen, sondern in erster Linie nach der subjektiven Erwartung, auf welchem Weg man am angenehmsten und am raschesten bzw zweckmäßig und störungsfrei zum Ziel kommen wird. Wenn daher in Lehre und Rsp mitunter verkürzend vom „direkten“ bzw vom „kürzesten“ Weg die Rede ist, dann ist das nicht mehr als ein den dahinterliegender Sachverhalt stark vergröbernder Rechtssatz. Es geht nicht um „gleich lange“, sondern um – gemessen an der erforderlichen inneren Handlungstendenz – „gleichwertige“ Wege. Die Rsp sagt zurecht, dass dabei alle nach der Verkehrsanschauung maßgeblichen Umstände in Betracht zu ziehen sind, insb 102 das gewählte Verkehrsmittel und die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit im Hinblick auf dieses Verkehrsmittel, um möglichst schnell und sicher den gewünschten Zielort zu erreichen.20
Die ErläutRV21 unterstellen, bei Wegen zu oder im Zusammenhang mit weiter entfernten oder anderen Örtlichkeiten der Telearbeit (Örtlichkeiten der Telearbeit im weiteren Sinn) stünden im Regelfall eigenwirtschaftliche Interessen im Vordergrund. Dies mag für frei gewählte sonstige Orte, wie die Fahrt zu einem Park, in das Freibad oder in das Kaffeehaus, um dort zu arbeiten, durchaus zutreffen, aber schon nicht mehr für die Fahrt zu im Vergleich zum üblichen Arbeitsweg „weit entfernt“ wohnenden Eltern oder sonstigen Verwandten. Abgesehen davon, dass zwischen „weit entfernt“ und „in der Nähe“ gedanklich eine Lücke klafft, kann nicht gesagt werden, dass jemand mit einem kurzen Arbeitsweg bei der Wahl des Telearbeitsplatzes eher eigenwirtschaftliche Interessen verfolgt als jemand mit einem längeren Arbeitsweg. Ob dieser Gedankengang die unterschiedliche Behandlung unfallversicherter Personen nach Maßgabe der Entfernung des Wohnortes von der betrieblichen Arbeitsstätte zu rechtfertigen vermag, muss daher als zweifelhaft angesehen werden. Bei den vorgeblich „privilegierten“ Wohnorten naher Angehöriger scheint es auch rechtspolitisch überzogen zu sein, einerseits den Kreis der Wohnungsbesitzer auf nahe Verwandte einzugrenzen und überdies auf eine bestimmte Entfernung vom Wohnort, da man bei einer Durchschnittsbetrachtung nicht ohne Weiteres unterstellen kann, dass AN unter mehreren (teils ausreichend nahen, teils entfernteren) Wohnungen naher Angehöriger frei wählen können, sofern die Telearbeit am Haupt- oder Nebenwohnsitz nicht möglich ist.
Was den Verfahrensaufwand betrifft, wird man mit dem Abstellen auf die Entfernung auf dem üblichen Arbeitsweg bei Anwendung des TelearbeitsG in der Praxis nur dann gut zurechtkommen, wenn eine versicherte Person immer denselben Arbeitsweg mit demselben Transportmittel nimmt. Was aber ist „üblich“, wenn diese Person den Arbeitsweg öfter wechselt, teils öffentlich, teils mit dem Auto fährt und mit dem Auto nicht immer denselben Weg nimmt? In diesem Fall wird man dem sozialpolitischen Zweck der UV gemäß im Zweifel wohl den entfernungsmäßig längsten, noch nach § 175 Abs 2 Z 1 geschützten Arbeitsweg als Maßstab dafür heranziehen müssen, ob der Telearbeitsplatz ein solcher im engeren oder im weiteren Sinn ist.
Ob der bürokratische Aufwand, der mit der Erforschung der Länge des üblichen Arbeitsweges verbunden sein wird, durch den damit erzielten Nutzen gerechtfertigt werden kann, ist fraglich.
Die Begrenzung „in der Nähe“ des Haupt- oder Nebenwohnsitzes erinnert an die Wendung „in der Nähe“ bei der Arbeitspausenregelung des § 175 Abs 2 Z 7 ASVG. Zu jener Regelung hat der OGH entschieden, dass der Begriff „in der Nähe“ nach dem Gesamtzusammenhang der Umstände des Einzelfalls verstanden und dementsprechend ausgelegt werden muss (insb unter Berücksichtigung des Umstandes, in welcher Nähe vom Arbeitsplatz sich welche Verköstigungsmöglichkeiten finden lassen22).
Bei einem solchen Verständnis wäre die „in der Nähe“-Regelung in Bezug auf Wohnort oder Arbeitsstätte so auszulegen, dass auch jene Orte der Telearbeit als „im engeren Sinn“ in Betracht kommen, die nicht an der Wegstrecke zur (gemeint: betrieblichen) Arbeitsstätte liegen. Die Wendung „in der Nähe“ muss jedenfalls im Kontext der jeweiligen Umgebung ausgelegt werden: Im eher dünn besiedelten ländlichen Bereich kann „in der Nähe“ uU die nächste Ortschaft unabhängig von der Entfernung vom Wohnort oder Arbeitsort sein, im dicht besiedelten städtischen Bereich bedeutet „in der Nähe“ einen eher engeren Einzugsbereich. Ein Viertel des Arbeitsweges kann unter städtischen Bedingungen „in der Nähe“ sein; beträgt der Arbeitsweg hingegen 80 km, so wird man bei einer zusätzlichen Entfernung von 20 km nicht mehr von „in der Nähe“ sprechen können. Es wird daher darauf ankommen, ob im Einzelfall nach der Verkehrssitte im Verhältnis zum Arbeitsweg und zur Siedlungssituation noch von „in der Nähe“ gesprochen werden kann, wobei es – insofern wie auch bei § 175 Abs 2 Z 7 ASVG – auch darauf ankommen wird, wie sehr nicht Sachzwänge (großzügige nahe Verwandte und Coworking-Spaces gibt es nicht immer „in der Nähe“), sondern das eigenwirtschaftliche Interesse bei der Wahl des Ortes im Verhältnis zum betrieblich orientierten Interesse im Vordergrund gestanden ist.
Das Zusammenspiel dieser beiden Entfernungsregeln, einerseits „in der Nähe“ des Wohnortes oder des betrieblichen Arbeitsortes, andererseits die Entfernung von der betrieblichen Arbeitsstätte als Maßstab, scheint rätselhaft und auch in den Materialien nicht geklärt. Das eröffnet mehrere Interpretationsmöglichkeiten.
Das Gesetz toleriert die Entfernung des üblichen Arbeitsweges ohne nähere Einschränkungen. Dies bedeutet, dass ein gedachter Kreis, gezogen um den Haupt- oder um den Nebenwohnsitz (es geht ja darum, ob die Entfernung von der Wohnung nach lit a zu Wohnungen und Räumlichkeiten nach lit b und c dem sonst üblichen Arbeitsweg entspricht), nach allen Richtungen die mögliche Lage eines Telearbeitsplatzes als Ort der Telearbeit im engeren Sinn begrenzt. Diese Lösung hat problematische Nebeneffekte: Orte, die zwar innerhalb des Kreises der Entfernung des Wohnortes von der betrieblichen Arbeitsstätte, aber in zur betrieblichen Arbeitsstätte entgegengesetzter Himmelsrichtung liegen, könnten bis zu doppelt so weit vom betrieblichen Arbeitsplatz entfernt 103 und immer noch Telearbeitsplätze im engeren Sinn sein. Der Betriebsweg zum betrieblichen Arbeitsplatz wäre bis doppelt so lang wie der übliche Arbeitsweg. Überdies würden je nach Größe dieses Kreises (dessen Radius dem normalen Arbeitsweg entspricht) Orte „in der Nähe“ des Wohnortes in vielen Fällen ohnehin innerhalb dieses Kreises liegen, sodass „in der Nähe“ in dieser Konstellation so gut wie keine normative Bedeutung zukommt. Ähnliches gilt für Kreise, die man um die betriebliche Arbeitsstätte ziehen kann. Die Begrenzung „in der Nähe“ des Wohnortes oder des Beschäftigungsortes würde also nur dann zum Tragen kommen, wenn der Arbeitsweg als solcher so kurz ist, dass auch ein weiter entfernter Telearbeitsort als noch „in der Nähe“ von Wohnung oder betrieblichem Arbeitsort liegend bezeichnet werden kann.
Unter städtischen Bedingungen könnte durchaus der Fall eintreten, dass ein Arbeitsort kein Telearbeitsplatz im engeren Sinn ist, weil einerseits der Arbeitsweg kürzer ist und der Arbeitsort der Telearbeit auch nicht in der Nähe des Wohnortes liegt (und daher kein Wegschutz besteht), während unter ländlichen Bedingungen alle derartigen Orte solche im engeren Sinn sein könnten, wenn sie zB noch in einem Umkreis eines längeren Arbeitswegs von zB 80 km vom Wohnort liegen. Die Regelung des TelearbeitsG könnte sich als eine Pendlerbegünstigung23 herausstellen und gleichheitsrechtliche Fragen aufwerfen, vor allem wenn sich sozialpolitisch entsprechend unerfreuliche Ergebnisse häufen sollten.
Es wäre aber auch denkbar, die Regelung so auszulegen, dass Arbeitsorte nur dann als Telearbeitsplätze im engeren Sinn gelten, wenn sie innerhalb einer Fläche liegen, die von den einander schneidenden, um Wohnort bzw Arbeitsstätte gezogenen Kreisen gebildet wird, sodass die Entfernung unabhängig davon, von welchem der beiden in Betracht kommenden Punkte man sie misst, immer höchstens der Entfernung zwischen Wohnort und betrieblicher Arbeitsstätte entspricht. Diesfalls könnten außerhalb der Fläche liegende Orte immer noch in der Nähe des Wohnortes oder der betrieblichen Arbeitsstätte liegen und solcherart Telearbeitsplätze ieS sein. Bei dieser Variante käme also beiden Alternativen entsprechende Bedeutung zu. Allerdings nur unter der Voraussetzung, dass der Arbeitsweg so lang ist, dass die einander schneidenden Kreise eine nennenswerte Fläche bilden.
Die Problematik der Regelung besteht mE hauptsächlich darin, dass nach dem Gesetzeswortlaut nur die Entfernung des Haupt- oder Nebenwohnsitzes vom betrieblichen Arbeitsplatz über den Wegschutz zum Telearbeitsplatz entscheidet, nicht aber auch die Richtung, in der sich dieser Arbeitsplatz befindet. Die zuletzt erwähnte Auslegungsvariante würde dieses Manko korrigieren, wobei die unerfreuliche Begleiterscheinung bleibt, dass je kürzer ein Arbeitsweg ist, desto weniger Spielraum für die Auswahl eines voll geschützten Telearbeitsplatzes besteht.
Es wird in der Praxis zu Konstellationen kommen, dass gleich entfernte Telearbeitsplätze teils den Schutz des § 175 Abs 2 ASVG genießen werden, teils aber davon ausgeschlossen bleiben, und zwar nur deshalb, weil der übliche Arbeitsweg unterschiedlich lang ist. Man hat den Eindruck, der Gesetzgeber geht von der – mE abstrusen – Annahme aus, dass sich die Versicherten ohne derartige gesetzliche Einschränkungen Orte der Telearbeit danach aussuchen könnten, bei welchen sie die weitesten Wege und daher – überspitzt formuliert – die größte Chance auf einen Arbeitsunfall haben. Anders vermag ich die Regelungswut des TelearbeitsG nicht zu deuten.
Sind Telearbeitsplätze an Orten iS von § 175 Abs 1a Z 1 lit b und c ASVG (also bei nahen Verwandten oder in Coworking-Spaces) oder an sonstigen vom AN gewählten Arbeitsorten (wie zB Cafés, Parkanlagen uä – § 175 Abs 1b Z 2 ASVG) solche im weiteren Sinn, so geht nach der Anordnung des § 175 Abs 1b ASVG der Schutz bei „Auch-Arbeitsunfällen“ verloren.
Die Ausnahmen vom Schutz iSd § 175 Abs 2 betreffen vor allem die Wegunfälle auf Wegen zum oder vom Arbeitsplatz und auf Wegen, die von einem dieser Orte ausgehen können (Arbeitsweg, Arztweg, Weg zur Essenseinnahme in einer Arbeitspause, Bankweg, Fahrgemeinschaft, Verbringung von Kindern in Betreuung), aber auch Arbeitsunfälle bei einer mit der Beschäftigung zusammenhängenden Verwahrung, Beförderung, Instandhaltung und Erneuerung des Arbeitsgerätes, auch wenn dieses vom Versicherten beigestellt wird und bei einer mit der Beschäftigung zusammenhängenden Inanspruchnahme von gesetzlichen beruflichen Vertretungen oder Berufsvereinigungen. Die Weite des Ausschlusses vom Unfallversicherungsschutz bei Telearbeit im weiteren Sinn überzeugt sachlich und sozialpolitisch in keiner Weise.
Der Sinn der Ausnahme der Verwahrung, Beförderung, Instandhaltung und Erneuerung des Arbeitsgerätes erschließt sich kaum, da die Instandsetzung und Erneuerung von Arbeitsgeräten wohl auch Teil der versicherten Tätigkeit selbst und nach der Generalklausel des § 175 Abs 1 bzw § 175 Abs 1a Einleitungssatz ASVG geschützt ist. Insoweit geht die Ausnahme daher ins Leere. Auch wird eine Verwahrung von Arbeitsgeräten an flüchtig genutzten (Café, Schwimmbad usw) oder entlegenen Orten nicht in Betracht kommen. Der Transport von Arbeitsgeräten wird überdies in der Regel ein (jedenfalls geschützter) Betriebsweg sein. Wenn der Arbeitsweg zu einem Telearbeitsplatz im weiteren Sinn ohnehin nicht geschützt ist, kommt es auch nicht darauf an, ob auf diesem Weg 104 auch ein Arbeitsgerät (zB ein Laptop) transportiert wurde. Arbeitsunfälle bei Tätigkeiten iSd Z 5 des Abs 2 haben zur Entfernung des Telearbeitsplatzes zum betrieblichen Arbeitsplatz oder zum Wohnort so gut wie keinen Bezugspunkt. Die umfassende Ausnahme von § 175 Abs 2 ASVG ist daher nur geeignet, Verwirrung zu stiften oder Zweifel an der Gleichheitskonformität der Regelung aufkommen zu lassen.
Noch problematischer ist es, dass für Telearbeitsplätze im weiteren Sinn auch die Bestimmung über den Schutz bei Inanspruchnahme von Interessenvertretungen nicht anwendbar sein soll. Auch der Sinn dieser Ausnahme erschließt sich nicht: Der Schutz auf dem Weg zur Interessenvertretung ist nach dem Gesetz weder räumlich noch zeitlich in irgendeiner Weise begrenzt. Es muss nur ein Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit bestehen. Es kann daher sachlicherweise auch nicht darauf ankommen, ob dieser Weg von daheim, von der Arbeitsstätte oder von einem weiter entfernten Telearbeitsplatz angetreten wird. Die Unterscheidung des Schutzes für diesen Weg zwischen Telearbeitsplatz im engeren und im weiteren Sinn ist auch hier vollkommen sachfremd und verstößt mE gegen den Gleichheitssatz: Es besteht insofern eine sogenannte „In-sich“-Gleichheitswidrigkeit, weil sich der Schutz versicherter Personen auf dem Weg zur Interessenvertretung nach der Länge eines ganz anderen, damit nicht im Zusammenhang stehenden Weges, nämlich dem zwischen Wohnort und Arbeitsplatz bemisst. Die Regelung ist aber auch im Vergleich zum Schutz selbständig erwerbstätiger Versicherter gleichheitsrechtlich bedenklich. Die Orte der Ausübung von deren selbständiger Erwerbstätigkeit sind (selbstverständlich) auch weiterhin in keiner Weise beschränkt; für selbständig Erwerbstätige ist daher der Weg zur Inanspruchnahme der Wirtschaftskammer unabhängig davon geschützt, von wo er angetreten wird. Warum das bei unselbständig Erwerbstätigen anders sein soll, ist rätselhaft.
Warum letztendlich der Schutz während einer Arbeitspause bei der Befriedigung lebenswichtiger persönlicher Bedürfnisse „in der Nähe der Arbeits- oder Ausbildungsstätte“ von der Entfernung zwischen zwei ganz anderen Orten abhängen soll, wissen wohl nur die Gesetzesverfasser. Mir erschließt es sich nicht. Vergleichbares gilt für Wege von der Arbeitsstätte zum Arzt. Das alles lässt sich weder mit Durchschnittsbetrachtung noch als „Härtefälle“ rechtfertigen.
Die Erweiterung der in der Covid-19-Zeit entstandenen Regelung über Arbeiten im „Homeoffice“ auf alle Formen der Arbeitsleistung außerhalb betrieblicher (dh vom DG bereitgestellter oder zugewiesener) Arbeitsstätten, die man – der häufigs ten Arbeitsform folgend – als Telearbeit bezeichnet, mag einem Regelungsbedürfnis des Gesetzgebers dienen; sozialpolitisch entspricht sie keinem erkennbaren Bedürfnis.
Die Wiederholung der Generalklausel in § 175 Abs 1a Einleitungssatz ASVG für Telearbeit ist im Hinblick auf § 175 Abs 1 ASVG und die herrschende Lehre und Rsp zu dieser Generalklausel redundant. Die Einführung bestimmter Orte in § 175 Abs 1a ASVG, um je nach Entfernung vom Wohnort oder Arbeitsort den Schutz bei „Auch-Arbeitsunfällen“ differenzieren zu können, ist weder rechtspolitisch nachvollziehbar noch ist die Regelung selbst klar und eindeutig.
Die Differenzierung zwischen Telearbeitsplätzen im engeren und im weiteren Sinn wirft inhaltlich mehrere Zweifelsfragen auf, und zwar sowohl was die Entfernung auf dem üblichen Arbeitsweg betrifft als auch betreffend den Begriff „in der Nähe“, vor allem aber auch das Zusammenspiel zwischen diesen beiden alternativen Kriterien. Mehr als fraglich ist auch der Sachzusammenhang zwischen einer je unterschiedlichen Entfernung des Wohnortes von der üblichen Arbeitsstätte und der Intensität mutmaßlich eigenwirtschaftlicher Interessen bei der Wahl des Telearbeitsplatzes. Die Ausnahme für Telearbeitsplätze im weiteren Sinn vom gesamten Schutzbereich des § 175 Abs 2 ASVG ist darüber hinaus problematisch, sowohl sozial politisch als auch gleichheitsrechtlich. 105