SöllerPlattformarbeit. Zu den Vertragsverhältnissen und zur Arbeitnehmereigenschaft von PlattformarbeiternPlattformarbeit

Nomos/Tectum Verlag, Baden-Baden 2023, XXV, 498 Seiten, kartoniert, € 134,–

MARTINGRUBER-RISAK (WIEN)

Dass die Plattformarbeit nun endlich im arbeitsrechtlichen Mainstream angekommen ist, erkennt man nicht zuletzt daran, dass die einschlägige Literatur mittlerweile massiv angewachsen ist und bereits auch eine größere Anzahl an Dissertationen vorliegt. Interessanterweise erfolgte die arbeitsrechtliche Auseinandersetzung mit der Plattformarbeit in Österreich im Vergleich zu Deutschland relativ früh; Warter hat bereits 2016 seine Dissertation zum Crowdwork publiziert, eine weitere von Gogola zu ortsgebundener Plattformarbeit wurde 165 2018 eingereicht. In Deutschland hat es ein wenig länger gedauert, aber es verwundert natürlich nicht, dass auch hier die Beschäftigung mit den arbeitsrechtlichen Aspekten der Plattformarbeit als lohnend angesehen wurde. Zu nennen ist hier insb die Dissertation von Pacha, Crowdwork, aus 2018 und die von Schneider-Dörr, Crowd Work und Plattformökonomie, aus 2020. Die hier zu rezensierende Arbeit reiht sich in diese Liste ein. Sie wurde an der Universität Osnabrück von Bieder betreut und im Februar 2021 vorgelegt, erschienen ist sie aber letztlich erst 2023. Es ist anzunehmen, dass sie für die Publikation grundlegend zu überarbeiten war, so zB im Hinblick auf den Entwurf einer Plattformarbeitsrichtlinie, der im Dezember 2021 veröffentlicht wurde. Dieser wird eher knapp in einem Unterkapitel dargestellt (S 364-371) und hätte eine intensivere Auseinandersetzung verdient. An diesem Beispiel zeigt sich gut, dass die Plattformarbeit ein überaus bewegliches (Forschungs-)Ziel darstellt und dass die erzielten Ergebnisse durch neuere rechtliche Entwicklungen mitunter an Relevanz verlieren können.

Damit ist eine zweite Problematik angesprochen, nämlich die, dass bei der Beschäftigung mit einem aktuellen Thema häufig mehrere Dissertant:innen in zeitlicher Nähe starten und sozusagen gegeneinander anschreiben. Wer zuerst fertig ist, hat dann den Bonus des first mover, bei den nachfolgend publizierten Dissertationen wirken einige Teile dann nicht unbedingt neu, selbst wenn sie zum Zeitpunkt der Abfassung eigenständig erarbeitet wurden. So sind im vorliegenden Werk die allgemeinen Ausführungen zur Plattformarbeit über weite Strecken ebenso wenig neuartig wie jene zur rechtsgeschäftlichen Analyse der Plattformarbeit und zur AN-Eigenschaft der Plattformbeschäftigten. Dem Rezensenten stellt sich daher die gar nicht so einfach zu beantwortende Frage, was die vorliegende Publikation von anderen unterscheidet und welche Erkenntnisse tatsächlich innovativ sind.

Interessant ist insb aus österreichischer Perspektive die Einbettung der Plattformarbeit in die grundsätzliche Entwicklung des (deutschen) AN-Begriffes (S 5-79). Originell ist der Abschnitt zur diskontinuierlichen Arbeit in der digitalisierten Arbeitswelt (S 81-150). Die Grundannahme ist dabei, dass Kontinuität den Kern des analogen Arbeitsprozesses darstellt, während dies bei digitalen Arbeitsmodellen die Diskontinuität ist. In der Folge wird dann die „Diskontinuitätstoleranz“ des Typus der persönlichen Abhängigkeit untersucht, wobei über viele Seiten einschlägige Judikatur dargestellt und bewertet wird. Das hätte straffer erfolgen können, auch die Ableitung der daraus entwickelten Thesen ist sehr ausführlich ausgefallen. Letztlich geht es darum, wieviel Diskontinuität, dh Spielraum, bestehen darf, ohne dass dies für das Vorliegen der persönlichen Abhängigkeit schädlich ist und es daher zum Verlust der AN-Eigenschaft kommt.

Erst nach diesen grundsätzlich gehaltenen 150 Seiten beginnt die Auseinandersetzung mit der Plattformarbeit, wobei zuerst das Phänomen breit dargestellt wird; dann werden drei Modelle herausgegriffen, nämlich Crowdwork, Gig-Work und Mobile Crowdwork. Warum gerade diese Terminologie verwendet wird, ist nicht gut nachvollziehbar – auf EU-Ebene ist sie nicht gebräuchlich, Eurofound und auch die Europäische Kommission unterscheiden zwischen on-location und online Plattformarbeit. Diese drei Typen werden dann nach einer rechtsgeschäftlichen Analyse hinsichtlich der AN-Eigenschaft der Plattformbeschäftigten (S 237- 236) behandelt. Martin Söller kommt zu dem, dem deutschen Mainstream wohl entsprechenden Ergebnis, dass bei Crowdwork idR Selbständigkeit vorliegen wird. In Einzelfällen könne dies anders sein, wie insb die Crowdworker-E des BAG (1.12.2020, 9 AZR 102/20) zeige. Bei Gigwork sei dies hingegen anders, wenngleich es wesentlich auf die konkrete Ausgestaltung der Vertragsverhältnisse ankomme. Für den deutschen Rechtsbereich ist diese Erkenntnis eher neu, in Österreich wird das ua von Warter und vom Rezensenten schon lange vertreten. Es hätte den Wert der Arbeit erhöht, wenn dieser Aspekt unter Kürzung der anderen Teile stärker ausgebaut worden wäre und insb konkrete Geschäftsmodelle der Essenszustellung und der Personenbeförderung untersucht worden wären. So bleibt die Untersuchung zwangsläufig abstrakt.

Wenig hilfreich ist es zudem für Leser:innen, dass keine Auseinandersetzung mit der, dasselbe Thema behandelnden Dissertation von Schneider-Dörr erfolgt, die 2020 veröffentlicht wurde; im Literaturverzeichnis scheint sie nicht auf. Auch die Kommentierung der Crowdworker-E des BAG (9 AZR 102/20) von Gruber-Risak/Warter in AuR 2021, 329 wird nicht berücksichtigt. Damit bietet die Arbeit leider keine lückenlose Aufarbeitung des Meinungsstandes zum Stand Mai 2023 (so das Vorwort, S VII).

Es zeigt sich daher auch anhand der vorliegenden Publikation, dass die Auseinandersetzung mit der Plattformarbeit herausfordernd ist, da mittlerweile Unmengen an Literatur aufzuarbeiten sind und die zu gewinnenden Erkenntnisse zumeist sehr abstrakt bleiben, untersucht man nicht konkrete Geschäftsmodelle. Auch kann zudem ohnehin nur eine Momentaufnahme geboten werden, da sich diese dauernd verändern. Nichts des totrotz ist zu erwarten, dass es im Gefolge der Umsetzung der Plattformarbeits-RL zu einer weiteren Welle an einschlägigen Dissertationen kommen wird. Es bleibt zu hoffen, dass hier auf allgemeine Ausführungen verzichtet und der Fokus auf die spezifischen Probleme, wie insb der Umsetzung der gesetzlichen Vermutung, den kollektiven Rechten oder dem Umgang mit dem algorithmischen Management, gelegt wird.