BrauerHaftungsrechtliche Fragen des Einsatzes privater Informations- und Kommunikationstechnik im Arbeitsverhältnis
Duncker & Humblot Verlag, Berlin 2023, 364 Seiten, kartoniert, € 102,70
BrauerHaftungsrechtliche Fragen des Einsatzes privater Informations- und Kommunikationstechnik im Arbeitsverhältnis
In der vorliegenden Arbeit, die auf seiner im Wintersemester 2022/2023 an der Gottfried Wilhelm Leibnitz Universität Hannover approbierten Dissertation beruht, setzt sich Lukas Brauer mit den haftungsrechtlichen Konsequenzen auseinander, die mit dem dienstlichen Einsatz privater Informations- und Kommunikationstechnik (zB Smartphone) einhergehen. Die praktische Relevanz dieser Untersuchung liegt in Anbetracht der sich wandelnden Arbeitswelt (Digitalisierung, Telearbeit, Entgrenzung der Arbeitszeit etc) und der damit in Zusammenhang stehenden Verunsicherung, wie sich diese auf das arbeitsrechtliche Haftungsregime auswirkt (vgl Lelley/Ahmed, Arbeitnehmerhaftung aktuell, AuA 2024, Heft 9, 28 ff), auf der Hand. Schadenersatzrechtliche Fragen stellen sich nämlich nicht nur dann, wenn das private Arbeitsgerät beschädigt wird (Risikohaftung des/der AG), sondern auch, wenn das private Arbeitsgerät bei dem/der AG Schäden verursacht (Haftungsprivileg des/der AN). Letztlich beruhen diese beiden Instrumente des arbeitsrechtlichen Haftungsregimes auf der Fremdnützigkeit und Fremdbestimmtheit der Tätigkeit des/der AN. Doch sind diese im Rahmen „moderner“ Arbeitsformen überhaupt noch im erforderlichen Ausmaß gegeben, um die – in Deutschland rein richterrechtlich etablierten – Abweichungen vom allgemeinen Schadenersatzrecht zu rechtfertigen?
Eingehend befasst sich Brauer zunächst mit den Grundlagen des arbeitsrechtlichen Haftungsregimes im Kontext der durch zeitliche und örtliche Flexibilisierung sowie den Einsatz privater Arbeitsmittel gekennzeichneten „modernen“ Arbeitsformen. Dabei stellt er sogleich klar, dass es nicht angehe, den Einsatz privater Informations- und Kommunikationstechnik gleichsam als Kehrseite der von AN-Seite gewünschten Flexibilisierung der Arbeit anzusehen. Eine solche Junktimierung sei weder zwingend noch berücksichtige sie, die auf AG-Seite bestehenden eminenten Interessen an diesen Maßnahmen (Einsparung bei Investitions- und Personalkosten). Im Regelfall liege der Einsatz privater Arbeitsgeräte vielmehr im AG-Interesse (S 31 ff). Vergleichbar verhalte es sich auch mit der im Rahmen „moderner“ Arbeitsformen anzutreffenden „indirekten Steuerung“: AG beschränken sich vielfach darauf, strategische Entscheidungen zu treffen und damit die Rahmenbedingungen vorzugeben, innerhalb derer AN die operativen Entscheidungen zu treffen und ihre Fähigkeiten eigenständig zur Bewältigung des Marktdruckes einzusetzen haben. Es wäre jedoch verfehlt, wollte man die damit einhergehenden arbeitgeberseitig eingeräumten Freiräume mit der Möglichkeit der AN zur Selbstbestimmung gleichsetzen. Überspitzt könnte man formulieren: An die Stelle der Führung durch engmaschige Weisungen („Kommandosystem“) tritt – bei fortbestehender Verantwortung gegenüber dem/ der AG – eine solche durch die unsichtbare Hand des Marktes. Im Ergebnis vermag dies an der grundsätzlichen Fremdbestimmtheit der Arbeit nichts zu ändern (S 49 ff).
Dass Brauer diese „allgemeinen“ Fragen derart ausführlich behandelt, erscheint vor dem Hintergrund der Judikatur (BAG 22.6.2011, 8 AZR 102/10 Rz 35: keine Überwälzung des Schadensrisikos auf AN bei Einsatz privater Arbeitsmittel; BAG 1.12.2020, 9 AZG 102/20 Rz 33: Weisungsbindung bei Crowdworking) zunächst schwer nachvollziehbar, erschließt sich jedoch spätestens, wenn die betriebliche und private Risikosphäre voneinander abgegrenzt werden. Dort stößt man auch auf die Kernaussage des Werkes: AG, die sich die Vorteile „moderner“ Arbeitsformen zu Nutze machen, müssen es sich auch gefallen lassen, dass ihnen tätigkeitsspezifische und umgebungsspezifische Risiken in größerem Ausmaß zuzurechnen sind, als dies bei „traditionellen“ Arbeitsverhältnissen der Fall ist (zB S 141, S 149). Als Ausgangspunkt für die Bestimmung 163 der Reichweite der AG-Risikosphäre dient dem Autor dabei der Vergleich mit dem Einsatz eines Betriebsgerätes in der jeweiligen Situation (S 145 ff). Auf diese Weise gelangt er zum Ergebnis, dass der Einsatz privater Arbeitsgeräte der AG-Risikosphäre zuzurechnen sei, wenn ein solcher vereinbart wird, von dem/ der AG explizit oder implizit angeordnet (zB Fehlen notwendiger IT-Geräte) bzw auch bloß geduldet (zB Betriebsüblichkeit des Einsatzes privater Geräte) wird (S 152 f). Bedauerlicherweise wird der sich aufdrängenden Parallele zur arbeitgeberseitigen Veranlassung von Überstunden (vgl BAG 10.4.2013, 5 AZR 122/12) nicht nachgegangen. Dennoch gelangt Brauer zu einer stimmigen Abgrenzung der privaten und der betrieblichen Sphäre, die auch Schadensszenarien unterhalb der „Einsatzschwelle“ (Mitführen und Vorhalten des Gerätes) nicht ausspart (S 154 ff).
Von besonderem Interesse sind die Schutzpflichten, welche der/die AN beim Einsatz privater Informations- und Kommunikationstechnik gegenüber dem/der AG zu beachten hat. Dabei treffe den/die AN zwar ein Verbot aktiver Schädigung (zB Umgehung arbeitgeberseitiger Sicherheitsmaßnahmen), eine Verpflichtung zum Ergreifen aktiver Schutzmaßnahmen könne jedoch nur in engen Grenzen anerkannt werden (zB getrennte Speicherung privater und betrieblicher Daten). Letztere bestimmt Brauer ausgehend von der Schutzbedürftigkeit des/der AG, welche aufgrund der für diese/n bestehenden Möglichkeit, angemessene Schutzvorkehrungen zu treffen, nur in eingeschränktem Maße anzuerkennen sei. Sofern die gebotene Absicherung unterbleibt, resultiere dies daher in beschränkten Schadenersatzansprüchen (S 232). Als heikel erweist sich in diesem Zusammenhang insb die private Internetnutzung des/der AN. Zutreffend gelangt Brauer zum Ergebnis, dass sich weitreichende Beschränkungen des privaten Nutzungsverhaltens am betrieblich genutzten Privatgerät wegen des grundrechtlichen Schutzes der Privatsphäre weder vertraglich vereinbaren (S 212 f) noch als vertragliche Nebenpflichten konstruieren lassen (S 214). Der schwierigen Gemengelage in diesem Bereich will der Autor schließlich durch die Anwendung des Sorgfaltsmaßstabes des § 277 BGB („eigenübliche Sorgfalt“) begegnen: Solange keine grobe Fahrlässigkeit vorliege, könne der/die AN vorbringen, dass er/sie auch in eigenen Angelegenheiten gewöhnlich nicht die verkehrsübliche Sorgfalt einhalte (S 215 f). Weshalb dieser – in der österreichischen Rechtsordnung traditionell misstrauisch beäugte und mit dem HaRÄG (BGBl I 2005/120) schließlich endgültig getilgte (vgl § 180 HGB aF) – Sorgfaltsmaßstab zur Anwendung gelangen soll, hätte freilich eine nähere Begründung verdient. Im deutschen Recht wird im familienrechtlichen (§§ 1359, 1664 BGB), erbrechtlichen (§ 2131 BGB) und verbraucherrechtlichen (§§ 346 f BGB) Kontext sowie bei unentgeltlicher Verwahrung (§ 690 BGB) auf diesen Sorgfaltsmaßstab zurückgegriffen. Es wäre, wenn schon nicht erforderlich, so doch zumindest lohnenswert gewesen, die Gründe hinter diesen Bestimmungen aufzuzeigen und auf ihre Übertragbarkeit zu untersuchen.
Im letzten Teil seines Werkes befasst sich Brauer mit den Auswirkungen des Einsatzes privater Informations- und Kommunikationstechnik im dreipersonalen Verhältnis. Dabei arbeitet er nicht nur grundlegend die gegenüber Geschäftspartner/innen (des/der AG) bestehenden Sorgfaltspflichten sowohl des/der AG als auch des/der AN auf (S 234 ff), sondern befasst sich auch mit der Schädigung durch andere AN und den in diesem Zusammenhang entstehenden Fragen hinsichtlich des Freistellungsanspruches des/der schädigenden AN gegenüber dem/der AG (S 294 ff). Wie schon bei der Erörterung des arbeitsrechtlichen Haftungsregimes im zweipersonalen Verhältnis (S 77 ff) wird dabei besonderes Augenmerk auch auf die Verteilung der Beweislast und die praktische Durchsetzbarkeit der Ansprüche gelegt.
Zusammenfassend gilt festzuhalten, dass das vorliegende Werk deutlich mehr bietet, als sein Titel vermuten lässt: Es erschöpft sich nicht allein in einer tiefschürfenden Untersuchung der Anwendbarkeit des arbeitsrechtlichen Haftungsregimes beim betrieblichen Einsatz privater Informations- und Kommunikationstechnik. Vielmehr bietet es eine grundlegende Aufarbeitung des arbeitsrechtlichen Haftungsregimes und seiner Anwendbarkeit auf die durch Digitalisierung und Flexibilisierung gekennzeichneten „modernen“ Arbeitsformen.