Fischer/Schmidt (Hrsg)Arbeitsrecht als geronnenes Verfassungsrecht? Dokumentation der 12. Tagung Junge Arbeitsrechtswissenschaft vom 20.-22. Juli 2023

Nomos Verlag, Baden-Baden 2024, 208 Seiten, broschiert, € 49,–

SOPHIALIENBACHER (WIEN)

Unter dem Generalthema „Arbeitsrecht als geronnenes Verfassungsrecht?“ fand vom 20. bis zum 22. Juli 2023 die 12. Tagung Junge Arbeitswissenschaft an der Universität Bayreuth statt. Im Mittelpunkt der Tagung stand der Einfluss der Grundrechte des GG, der Europäischen GRCh und der EMRK auf das Arbeitsrecht. Die Autor*innen des vorliegenden Tagungsbandes widmen sich in insgesamt zehn Beiträgen ausgewählten Themen des Arbeitsrechts aus unionsrechtlicher, verfassungsrechtlicher und grundrechtlicher Perspektive. Das für das Arbeitsrecht typenprägende Spannungsfeld zwischen dem Vorrang der Verfassung einerseits und der Eigenständigkeit des Privatrechts andererseits wird bei Durchsicht der verschiedenen Beiträge rasch sichtbar.

Monika Schlachter fragt in ihrem Beitrag „EU-Recht unter dem Einfluss von Grund- und Menschenrechten“ nach der Bedeutung der Grundrechte für die EU-Rechtsordnung. Schlachter liefert darin Antworten darauf, warum eine EU-Grundrechtsgarantie für die Ziele des europäischen Arbeitsrechts überhaupt notwendig ist, ob die GRCh für diese Zwecke hinreichend ist, und wodurch der Schutzstandard gegebenenfalls weiterentwickelt werden könnte. Die Autorin betont hierbei die dem Unionsrecht inhärente Asymmetrie zwischen wirtschaftlichen und sozialen Zielen. Für einen gerechten Ausgleich des Ungleichgewichts zwischen wirtschaftlichen Freiheiten einerseits und dem sozialen Schutz in der Union andererseits bedürfe es nach Ansicht der Autorin eines Rückgriffs auf die Europäische Sozialcharta. Schlachter appelliert aus diesem Grund für eine Auslegung der GRCh im Lichte der Sozialcharta, was ihres Erachtens bisher nur selten bzw unsystematisch stattfinde. Schlachter gelingt ein hervorragender Beitrag. Spannend sind insb ihre Ausführungen zum Verhältnis von EMRK und GRCh sowie jene zur Wirkung der ESC im Unionsrecht.

Andreas L. Paulus beleuchtet „[d]as Arbeitsrecht aus verfassungsrechtlicher Sicht“. Er tut dies anhand zweier aufsehenerregender Judikate des Bundesverfassungsgerichts, namentlich jenes zur Tarifeinheit aus 2017 und jenes zum Beamtenstreik aus 2018. Paulus zeigt auf sehr anschauliche Weise zunächst die Eckpunkte der Entscheidung zur Tarifeinheit sowie die damit verbundenen Schwierigkeiten für die Verhältnismäßigkeitsprüfung auf. Dabei nennt er auch die Gründe für die von ihm gemeinsam mit Richterin Baer abgegebene abweichende Meinung. Am Beispiel der Entscheidung zum Beamtenstreik stellt Paulus die spannende Frage, inwieweit das Grundgesetz und die deutschen Gesetze so ausgelegt werden könnten, dass die Konformität mit internationalen Gewährleistungen ohne zusätzliche Aktivität des (Verfassungs-)Gesetzgebers gewährleistet sei.

Julia Möller-Klapperich befasst sich im gleichnamigen Beitrag mit folgender Frage: „Der Arbeitgeber als ,Adressat‘ von Grundrechten – Ist die Verantwortungs- 161 verteilung im Arbeitsverhältnis heute noch zeitgemäß?“ Kern des Beitrags bildet eine Analyse der faktischen Stellung des AG als Grundrechtsadressat aus rechtsdogmatischer sowie rechtspolitischer Perspektive. Möller-Klapperich stellt fest, dass durch den AG verursachte Grundrechtsverletzungen zu Lasten des AN häufig erst durch die Möglichkeit der zivilrechtlichen Haftung durchsetzbar werden. Sie betont hierbei die weitreichende Lenkungsfunktion, die die Haftungsverteilung in der Praxis entfalte. Übersteige diese Lenkungswirkung aufgrund der Weiterentwicklung durch Gesetze und Gerichte das verfassungsrechtlich zwingende Maß, so sei dies nach Möller-Klapperich mit Blick auf das Demokratieprinzip problematisch. Den zentralen Anknüpfungspunkt für die Grundrechtsbindung im Arbeitsverhältnis bilde traditionell die Machtposition des AG. Aufgrund der Fortentwicklung der Erwerbswelt durch gesellschaftlichen Wertewandel, Digitalisierung und Globalisierung plädiert Möller-Klapperich hier für eine Neuevaluierung und Anpassung. Der Beitrag legt die Auswirkungen der Grundrechtsbindung des AG nachvollziehbar offen. Interessant sind auch die alternativen Regelungsmöglichkeiten, die Möller-Klapperich ans Ende ihres Beitrags stellt. Sie bietet damit Denkanstöße für die Weiterentwicklung des Grundrechtsschutzes insb vor dem Hintergrund zukünftiger Entwicklungen und Herausforderungen an.

Betriebsverfassungsrecht als geronnenes Verfassungsrecht – gibt es ein ‚Grundrecht auf Mitbestimmung?‘“, so der Beitragstitel von Lukas Diepenthal. Darin untersucht er, inwieweit die betriebliche Mitbestimmung verfassungsrechtlich abgesichert ist und ob sich aus dem GG ein eigenständiges „Grundrecht auf Mitbestimmung“ ableiten lässt. Nach eingehender historischer Analyse kommt Diepenthal zum Ergebnis, dass sich dem Grundrechtskatalog kein Grundrecht auf Mitbestimmung entnehmen lasse. Abzulehnen sei nach Ansicht des Autors auch, der betrieblichen Mitbestimmung durch Rechtsfortbildung einen Grundrechtscharakter zuzusprechen. Abschließend betont Diepenthal, dass die Entscheidung gegen ein Grundrecht auf Mitbestimmung zugleich eine Entscheidung für den Vorrang autonomer vor heteronomer Interessenvertretungen darstelle. Diepenthal sieht darin keinen verfassungsrechtlichen Widerspruch, was er überzeugend darlegen kann.

Sarah Häußinger beschäftigt sich in ihrem Beitrag „Entgeltlichkeit – Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg?“ mit den rechtlichen Instrumenten zur Behebung des bereinigten Gender Pay Gap. Ihr Fokus gilt der Beweislastverteilung bei Entgeltdiskriminierungsklagen und den Begriffen „gleiche oder gleichwertige Arbeit“. Hierfür stellt sie auf die nationale und europäische Rechtslage ab. Ein klarer Auftrag, Entgeltdiskriminierung abzubauen, finde sich einerseits in Art 3 Abs 2 GG sowie in Art 157 AEUV. Auf einfachgesetzlicher Ebene ergebe sich ein Auskunftsanspruch bzw ein Anspruch auf gleiche Bezahlung aus dem EntgTranspG. Dieses enthalte auch Parameter für die Ermittlung von gleicher bzw gleichwertiger Arbeit. Im Falle der Vermutung einer Entgeltbenachteiligung sieht Häußinger die Beweislast beim AG angesiedelt, der sich dabei nicht auf die Vertragsfreiheit berufen könne.

Lisa Gerlach handelt in ihrem Beitrag das Thema „Zu alt zum Pfeifen? – Diskriminierung durch eine Altersgrenze bei Elite Schiedsrichtern“ ab. Den Ausgangspunkt bildet ein Rechtsstreit zwischen einem Ex-Schiedsrichter und dem DFB im Jahr 2023. Anlass hierfür war die seit Jahrzehnten umstrittene Altersgrenze von 47 Jahren, die gleichzeitig das Rentenalter von Elite-Schiedsrichtern markiert. Ob es sich dabei um eine unzulässige Diskriminierung handelt, steht ebenso wie etwaige Rechtsfolgen im Mittelpunkt des Beitrags. Gerlach skizziert zunächst die allgemeinen Strukturen und Mechanismen des Schiedsrichterwesens. Zudem befasst sie sich mit der AN-Eigenschaft von Schiedsrichtern und ordnet das Verhältnis zwischen DFB und Elite-Schiedsrichtern als Arbeitsverhältnis iSd § 611a BGB ein. Im Ergebnis wäre dem Ex-Schiedsrichter nach Gerlach aufgrund der diskriminierenden Behandlung neben einer Entschädigung auch Schadenersatz zugestanden. Gerlach unterzieht diesen – insb in Sportrechtskreisen – brisanten Fall einer tiefgehenden Analyse und begründet ihr Ergebnis plausibel.

Der bezahlte Jahresurlaub in der Grundrechtecharta – Implikationen und Folgen für das innerstaatliche Recht“ lautet der Titel des von Anna Zaversky verfassten Beitrags. Darin möchte sie klären, ob es sich beim Recht auf bezahlten Jahresurlaub in der GRCh um ein Grundrecht oder einen Grundsatz handelt und welche Folgen diese Qualifikation für das innerstaatliche Recht nach sich zieht. Basierend auf grundlegenden Überlegungen zur Grundrechtsqualifikation und deren rechtlichen Konsequenzen kommt die Autorin zum Ergebnis, dass das in Art 31 Abs 2 GRCh verankerte Recht als Grundrecht zu qualifizieren sei. Zur Durchsetzung stehe der Rechtsweg über die nationalen Fachgerichte offen. Der EuGH könne über den Umweg eines Vorabentscheidungsersuchens belangt werden.

Johannes Tegel befasst sich in seinem Beitrag „Die sachgrundlose Befristung und das ‚Anschlussverbot‘“ insb mit der Auslegung von § 14 Abs 2 S 2 TzBfG. Diese Regelung verbiete die sachgrundlos befristete Einstellung eines AN, wenn der AN bereits zuvor – befristet oder unbefristet – bei demselben AG beschäftigt war. Fraglich sei seit Einführung des TzBfG im Jahr 2000, ob jedes frühere Arbeitsverhältnis eines AN bei demselben AG als „Zuvor-Beschäftigung“ iS dieses Gesetzes zu werten ist. Basierend auf einer tiefgehenden und kritischen Analyse einschlägiger Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesarbeitsgerichts kommt Tegel zum Ergebnis, dass die sachgrundlose Befristung nicht zulässig sei, wenn mit demselben AG bereits zuvor ein (un-)befristetes Arbeitsverhältnis bestanden habe. Tegel weist darauf hin, dass dem AG hinsichtlich möglicher Vorbeschäftigungen des AN ein Fragerecht zukomme. Tegel gelingt es unter Zugrundelegung reichhaltiger Literatur und Judikatur, die aus der arbeitsrechtlichen Praxis aufgeworfenen Fragen eingängig zu beantworten und wichtige Pflöcke für die praktische Anwendung einzuschlagen.

Effektiver Hinweisgeberschutz – ein verfassungsrechtliches Gebot?“, so der Beitragstitel von Johannes Götz. Nach dessen Ansicht gebieten bereits die Grundwerte unseres freiheitlich demokratischen Rechtsstaats einen verlässlichen Schutz für Hinweisgeber. Die Europäische Union habe die sich aus der Rsp entwickelten nationalen Grundsätze zum arbeitsrechtlichen Schutz von Hinweisgebern aufgegriffen und 2019 die sogenannte Hinweisgeber-RL erlassen. Im in Umsetzung 162 der EU-RL ergangenen Hinweisgeberschutzgesetz sieht Götz einen großen Schritt in die richtige Richtung. Hierdurch seien seines Erachtens Hinweisgeber nun fast umfassend geschützt. An Unternehmen richtet Götz den Apell, durch eine offene Hinweisgeberkultur eine niedrige Meldeschwelle zu etablieren. Insb dürfe durch Ansprechen von Missständen kein Nachteil für Hinweisgeber drohen. Götz betont abschließend, dass – sofern Unternehmen keine Anreize für interne Meldungen schaffen – das jederzeitige Risiko einer externen Meldung und Offenlegung bestünde. Er liefert mit seinen Ausführungen einen auch für die Praxis sinnvollen Beitrag zur Umsetzung dieses EU-Rechtsaktes.

Der letzte Beitrag dieses Tagungsbandes wurde von Nicole Windisch zum Thema „Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Normen zum Gesinnungsschutz der Journalisten“ verfasst. Windisch stellt gleich zu Beginn fest, dass einer arbeitsrechtlichen Analyse von Journalisten eine Untersuchung der Pressefreiheit inhärent sei. Aus diesem Grund widme sich Windisch zunächst der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Rechtsvorschriften zum Gesinnungsschutz der Journalisten im deutschen und österreichischen Arbeitsrecht. Im Fokus ihrer Untersuchung liegen Bestimmungen zur Verweigerung einer inhaltlich gestaltenden Mitarbeit und die Schutzgarantien beim Wechsel der sogenannten Blattlinie. Im Ergebnis sei die deutsche und österreichische Rechtslage betreffend die Verweigerung einer inhaltlich gestaltenden Mitarbeit für Windisch aus verfassungsrechtlicher Sicht zufriedenstellend. Die Grenze der Zulässigkeit liege nach Ansicht der Autorin dort, wo die Grundrechtsposition der Zeitungsunternehmen und des Leserpublikums unverhältnismäßig beeinträchtigt werde. Letzteres sieht Windisch beim seit 1920 in Kraft stehenden § 11 des österreichischen Journalistengesetzes verwirklicht.

Insgesamt überzeugen die Beiträge dieses Tagungsbandes neben ihrem wissenschaftlich hohen Niveau durch Praxisnähe und thematische Vielfalt. Die Autor*innen arbeiten unter der gemeinsamen Klammer des Verfassungsrechts unterschiedlichste brandaktuelle arbeitsrechtliche Fragestellungen ab und liefern fundierte Antworten auf vieldiskutierte Fragen in Wissenschaft und Praxis.