Geschäftsführende Ausschüsse des Betriebsrates: Funktionsfähigkeit und Minderheitenschutz (k)ein Widerspruch?
Geschäftsführende Ausschüsse des Betriebsrates: Funktionsfähigkeit und Minderheitenschutz (k)ein Widerspruch?
Geschäftsführende Ausschüsse nach § 69 Abs 4 ArbVG dienen in großen Betrieben der arbeitsteiligen Erfüllung von Betriebsratsaufgaben. Mit strengen Vorgaben wahrt der Gesetzgeber dabei den Schutz von Minderheitenfraktionen im BR. Der vorliegende Beitrag widmet sich der Frage, wie weit dieser Schutz geht und nimmt das Spannungsfeld zwischen effizienter Betriebsratsarbeit und den Interessen von Minderheitenfraktionen in den Blick. Es wird beleuchtet, ob der Minderheitenschutz so weit geht, dass arbeitsteiliges Wirken durch bloße Passivität einer Minderheitenfraktion verhindert werden kann. Behandelt werden dabei die Fragen der Errichtung und Beschlussfähigkeit dieser Ausschüsse sowie der Möglichkeit der Außenvertretungsbefugnis von deren Vorsitzenden. Überlegungen de lege ferenda zur Sicherstellung einer effizienten und konstruktiven Betriebsratsarbeit gerade auch in großen Betrieben bilden den Abschluss.
Einleitung und Überblick über die Thematik
Maßgebliche betriebsverfassungsrechtliche Regelungen in Einzelbetrachtung und Zusammenschau
Geschäftsführende Ausschüsse und Passivität der Minderheit
Sachgerechtigkeit als zentrales Regelungs- und Auslegungserfordernis
Intention des Gesetzes als Messlatte einer sachgerechten Auslegung
Sachgerechtigkeit im rechtsvergleichenden Kontext
Rechtsfolgen der Passivität der Minderheit
Nichtausübung des Nominierungsrechtes
Nichtteilnahme an der Konstituierung
Nichtteilnahme an Ausschusssitzungen
Vertretungsmacht des:der Ausschussvorsitzenden
Überlegungen de lege ferenda
Mehr Effizienz bei gleichzeitig angemessenem Minderheitenschutz
Mandatsverlust bei gesetz- bzw pflichtwidrigem Verhalten
Resümee und Ausblick
Es ist notorisch, dass es in großen Betrieben erforderlich ist, arbeitsteilig zu agieren, um den Erfolg des Unternehmens zu sichern. Was für die Betriebsleitung gilt, gilt auch für die Belegschaftsvertretung. Daher widmen sich §§ 69 ff ArbVG der Übertragung von Befugnissen vom BR als Kollegialorgan an einzelne Mitglieder oder Ausschüsse. Hinsichtlich der Ausschüsse wird zwischen jenen, die Beschlüsse des BR vorbereiten und durchführen, und jenen, denen hinsichtlich bestimmter Angelegenheiten die selbständige Beschlussfassung zukommt, unterschieden. Letztere werden daher vom Gesetzgeber „geschäftsführende Ausschüsse
“ genannt. Handelt es sich nicht um eine Aufgabenübertragung 83 im Einzelfall, muss die Aufgabenübertragung an Ausschüsse in der so genannten „autonomen Geschäftsordnung
“ (AGO) festgelegt werden. Geschäftsführende Ausschüsse können nur errichtet werden, wenn im Betrieb (gemeinsamer BR) bzw der AN-Gruppe (Gruppen-BR) mehr als 1.000 AN beschäftigt sind.1 Diese Ausschüsse können bei entsprechender Ermächtigung anstelle des BR autonom handeln. Dem Betriebsratsplenum bleiben jedoch der Abschluss von Betriebsvereinbarungen, die Beschlussfassung iRd Mitwirkung in wirtschaftlichen Angelegenheiten sowie die Zustimmung zur beabsichtigten Kündigung bzw zur Entlassung vorbehalten (§ 69 Abs 4 letzter Satz ArbVG, § 63 Abs 2 und 4 Betriebsrats-Geschäftsordnung [BRGO]). Der:die Ausschussvorsitzende kann in der AGO vom BR mit Außenvertretungsbefugnis ausgestattet werden und ist damit für die Agenden des Ausschusses Ansprechpartner:in des:der BI.
Die gesetzlichen Festlegungen erfolgen unter einem starken Minderheitenschutz: Zum einen setzt die Errichtung von permanenten Ausschüssen die Existenz einer AGO voraus. Diese kann der BR nur mit einer qualifizierten Mehrheit von zwei Drittel seiner Mitglieder beschließen. Zum anderen gilt für geschäftsführende Ausschüsse zusätzlich, dass darin „jede wahlwerbende Gruppe, die ein Mitglied des Betriebsrates stellt
“,2 vertreten sein muss und dass deren Beschlüsse „einhellig zu erfolgen [haben]
“. Stimmt nur ein Ausschussmitglied gegen einen Beschluss, devolviert die Beschlusskompetenz an das Betriebsratsplenum.
Diese rechtlichen Vorgaben sind für den Normalfall klar. Es fehlen allerdings explizite Aussagen für zwei Konstellationen: Einerseits betrifft dies den Fall, dass die Vertretung einer Betriebsratsfraktion in einem geschäftsführenden Ausschuss realiter deswegen nicht gegeben ist, weil diese wahlwerbende Gruppe niemanden aus ihrer Fraktion für die Beschickung der geschäftsführenden Ausschüsse nominiert. Andererseits spricht der Gesetzeswortlaut nicht ausdrücklich an, ob es Rechtsfolgen hat, und wenn ja, welche Rechtsfolgen es hat, wenn nicht alle Fraktionen bei einer Beschlussfassung im Ausschuss durch ein Mitglied vertreten sind. Während die erste Frage in der Literatur bis dato noch nicht erörtert wurde, zeigt sich der bisherige Meinungsstand zur zweiten Frage als kontrovers. Einvernehmen besteht darüber, dass damit Mandatar:innen einer Minderheitenfraktion das Recht eingeräumt ist, einen übereinstimmenden Beschluss aller Fraktionen eines geschäftsführenden Ausschusses zu verhindern. Strittig ist, ob sie dieses Recht aktiv ausüben müssen oder es dafür reicht, dass sie Sitzungen der geschäftsführenden Ausschüsse fernbleiben.3
Im Folgenden soll daher der Frage nachgegangen werden, wie sich die Passivität einer Minderheitenfraktion auf die Funktionsfähigkeit geschäftsführender Ausschüsse auswirkt. Auszulegen sind dafür die Vorgaben für die Errichtung der Ausschüsse, die Auswahl ihrer Mitglieder und ihre Konstituierung. Thema sind auch die Fragen der Beschlussfähigkeit dieser Ausschüsse und der (allfälligen) Außenvertretungsbefugnis ihrer Vorsitzenden. Den Abschluss bilden Überlegungen, welche Möglichkeiten es de lege ferenda gibt, eine effiziente und konstruktive Betriebsratsarbeit gerade auch in Großbetrieben zu ermöglichen und sicherzustellen.
Kern der Thematik ist die Auslegung des § 69 Abs 4 ArbVG und dabei insb von dessen Sätzen 2 und 3: „In Betrieben (Arbeitnehmergruppen) mit mehr als tausend Arbeitnehmern4 kann der Betriebsrat in der Geschäftsordnung geschäftsführende Ausschüsse zur selbständigen Beschlußfassung in bestimmten Angelegenheiten errichten. In solchen Ausschüssen muß jede wahlwerbende Gruppe, die ein Mitglied des Betriebsrates stellt, vertreten sein. Die Beschlüsse in diesen Ausschüssen haben einhellig zu erfolgen. Kommt ein Beschluß nicht zustande, entscheidet der Betriebsrat. Das Recht auf Abschluß von Betriebsvereinbarungen und die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Mitwirkungsrechte gemäß §§ 108 bis 112 kann den geschäftsführenden Ausschüssen nicht übertragen werden.
“
In den Erläuternden Bemerkungen wird zu § 69 ArbVG ausgeführt:
„Vorwiegend den Bedürfnissen in Großbetrieben sollen die Bestimmungen des § 69 dienen. Fällt eine Vielzahl von gleichartigen Geschäften an, ist es schon aus rein zeitlichen Gründen nicht möglich, daß mit allen Angelegenheiten stets das gesamte Betriebsratskollegium befaßt wird. Die vorliegenden Bestimmungen geben dem Betriebsrat die Möglichkeit, entsprechend den betrieblichen Erfordernissen die anfallenden Geschäfte aufzuteilen. [...] Abs 4 hingegen ermöglicht die Delegierung auch der Beschlußfassung in bestimmten Angelegenheiten an einen Ausschuß. Dies kann nur durch die Geschäftsordnung und unter den in Abs 4 genannten Bedingungen erfolgen. Abs 4 zählt auch jene besonders wichtigen Mitwirkungsbefugnisse auf, die den geschäftsführenden Ausschüssen nicht übertragen werden können. Die Zuweisung dieser Angelegenheiten an vorbereitende Ausschüsse ist jedoch möglich. Weiters wird Sorge getragen, daß die geschäftsführenden Ausschüsse nicht an Stelle des gesamten Betriebsratskollegiums Entscheidungen treffen, die unter den Mitgliedern strittig sind. Durch die vorgesehene Regelung wird den Minderheiten in den Ausschüssen ein Vetorecht eingeräumt.
“5
Bemerkenswert ist, dass § 69 Abs 4 ArbVG nach wie vor in der Stammfassung BGBl 1974/22 in Geltung steht. § 69 ArbVG erfuhr nur hinsichtlich seiner Abs 2 und 3 eine Änderung mit BGBl 1992/833. Diese bezog sich auf eine gleichbehandlungsrechtliche 84 Akzentsetzung betreffend die von Ausschüssen zu behandelnden Angelegenheiten.6 Sonst hat der Gesetzgeber hinsichtlich § 69 ArbVG seit mehr als 50 Jahren keinen Novellierungsbedarf gesehen.7
Gesetzesnovellierungen haben vielfach Antwortcharakter. Sie sollen rechtliche Problemstellungen lösen, die erst im Nachhinein in der Rechtspraxis aufgetreten oder sichtbar geworden sind. Dass sich hinsichtlich der Errichtung von Ausschüssen und deren Tätigwerden solche Problemstellungen lange nicht gezeigt haben, dürfte dem in der Praxis vorherrschenden und im ArbVG grundgelegten Verständnis der Ausübung des Betriebsratsmandats als Handeln im Auftrag der vertretenen Belegschaft geschuldet sein. Die Rechte des BR, die dieser insb gegenüber dem:der BI hat, sind gleichzeitig mit der Verpflichtung verbunden, diese im Interesse der Belegschaft auszuüben. Dies zeigt sich klar an § 38 ArbVG, der die Aufgabe der „Organe der Arbeitnehmerschaft des Betriebes“ festlegt, „die wirtschaftlichen, sozialen, gesundheitlichen und kulturellen Interessen der Arbeitnehmer im Betrieb wahrzunehmen und zu fördern“. Die Erläuternden Bemerkungen sprechen davon, dass in § 38 ArbVG „die umfassende Interessenvertretungsaufgabe [...] verankert [ist]; dieser Interessenvertretungsaufgabe werden im 3. Hauptstück die Befugnisse, die zur Erfüllung dieser Aufgabe dienen, gegenübergestellt“.8 Die damit zur Pflichtaufgabe des BR erklärte Interessenvertretungstätigkeit wirkt nicht nur „prägend und gestaltend“ hinsichtlich des Ermessens, welches in Bezug auf die Ausübung der in §§ 89 ff ArbVG normierten Befugnisse besteht.9
Vielmehr determiniert sie auch das organschaftliche Rechtsverhältnis des Betriebsratsmitglieds zur Belegschaft.10 Das findet seinen sinnfälligen Ausdruck auch darin, dass § 115 Abs 1 ArbVG das Mandat des Betriebsratsmitglieds als „Ehrenamt“ bezeichnet.11 Ein Amt ist mit der Ausübung einer Aufgabe und damit einer Verpflichtung verbunden. Nicht umsonst ist daher in § 115 Abs 2, 3 und 4 ArbVG hinsichtlich der Mandatsausübung der Betriebsratsmitglieder jeweils von der „Ausübung ihrer Tätigkeit“ bzw der „Ausübung ihres Amtes“ die Rede.12 Die Regelungen des § 69 Abs 4 ArbVG betreffend die Zusammensetzung von sowie die Willensbildung in geschäftsführenden Ausschüssen müssen daher im Kontext des Verpflichtungscharakters der Tätigkeit sowohl des BR als auch des Betriebsratsmitglieds gegenüber der Belegschaft und der gesetzgeberischen Erwartungshaltung eines aktiven Handelns betrachtet werden.13
Die Bedeutung des Verpflichtungscharakters der Betriebsratstätigkeit bei der Auslegung des § 69 Abs 4 ArbVG zeigt sich auch am Umstand, dass das ArbVG während der Funktionsperiode des BR kein Sanktionensystem dafür kennt, dass Betriebsratsmandate faktisch nicht ausgeübt werden, mag dies aus welchen Motiven auch immer oder aus bloßem Desinteresse der Fall sein.14
§ 70 ArbVG regelt die Beschlussfassung über eine AGO des BR. Diese „kann“, muss aber nicht beschlossen werden. Bemerkenswert ist dabei einerseits das erforderliche Quorum: Während § 68 Abs 2 ArbVG als Normalfall eine Beschlussfassung „mit Mehrheit der abgegebenen Stimmen“ festlegt und § 68 Abs 1 ArbVG (nur) „mindestens die Hälfte der Mitglieder“ als Präsenzquorum normiert, kann nach § 70 ArbVG ein gültiger Beschluss einer AGO durch den BR nur „mit Mehrheit von zwei Drittel seiner Mitglieder“ erfolgen. Daraus ergibt sich nicht nur ein erhöhtes Konsensquorum, sondern implizit auch ein erhöhtes Präsenzquorum. Die Zustimmung von mindestens zwei Drittel der Mitglieder erfordert nämlich auch die Anwesenheit von jedenfalls zwei Drittel der Mitglieder des BR, wobei diese dann geschlossen für die AGO stimmen müssten. Hat ein BR also etwa 30 Mitglieder, müssten jedenfalls 20 Mitglieder für die AGO stimmen, was zB auch bei 23 anwesenden Mitgliedern und nur drei Gegenstimmen der Fall wäre. Dieses erhöhte Quorum für die Schaffung einer AGO wird in den Erläuternden Bemerkungen explizit mit den Worten „Qualifizierte Mehrheit im Interesse des Minderheitenschutzes“ begründet.15 Wenn aber die Zustimmung von zwei Drittel der Betriebsratsmitglieder erforderlich ist, um eine in der AGO zu regelnde Errichtung geschäftsführender Ausschüsse zu beschließen, so kann umgekehrt bis zu einem Drittel der Mitglieder die gültige Beschlussfassung einer AGO nicht verhindern. Es wäre daher jedenfalls wertungswidersprüchlich, wenn eine Betriebsratsfraktion, die sogar noch weniger als ein Drittel der Mandate stellt, die Rechtsmacht hätte, die Funktionsunfähigkeit eines geschäftsführenden Ausschusses herbeizuführen.
§ 71 ArbVG legt ausdrücklich die Möglichkeit fest, besondere Regelungen hinsichtlich der Vertretungsbefugnisse zu schaffen: Vertreter:in des BR gegenüber dem:der BI und nach außen ist der:die Vorsitzende, im Verhinderungsfall der:die Stellvertreter:in. Der BR kann in Einzelfällen auch 85 andere seiner Mitglieder und in Angelegenheiten, zu deren Behandlung ein geschäftsführender Ausschuss errichtet wurde, den:die Vorsitzende:n dieses Ausschusses mit der Vertretung nach außen beauftragen; die Einräumung von Vertretungsmacht an den:die Vorsitzende:n eines geschäftsführenden Ausschusses ist dabei in der AGO zu regeln (§ 70 Z 3 ArbVG). Die Ausgestaltung der Vertretungsbefugnisse ist dem:der BI umgehend mitzuteilen und erlangt erst mit der Verständigung Rechtswirksamkeit.16 Die Gesetzesmaterialien betonen hierbei wiederum die Bedeutung von geschäftsführenden Ausschüssen für Großbetriebe.17
In einer Gesamtschau des ArbVG fällt schließlich auch Folgendes auf: Während es hinsichtlich der Nominierung von Mitgliedern geschäftsführender Ausschüsse gem § 69 Abs 4 ArbVG an einer expliziten gesetzlichen Festlegung fehlt, kennt die Regelung des § 110 ArbVG für die Entsendung von AN-Vertreter:innen in den Aufsichtsrat nicht nur eine genaue Regelung des Prozederes des Nominierungs- und Entsendungsvorgangs, sondern trifft vielmehr sogar Vorsorge für den Fall, dass eine Betriebsratsfraktion die Nominierung von Kandidat:innen unterlässt. In § 110 Abs 2 ArbVG ist ein fraktionelles Nominierungsrecht festgelegt, von dem innerhalb von drei Monaten Gebrauch gemacht werden muss. Wird dieses Nominierungsrecht nicht ausgeübt, ist der Zentralbetriebsrat (ZBR) (Betriebsausschuss [BA], BR) hinsichtlich der entsprechenden Anzahl an Mitgliedern prinzipiell frei, wen er per Mehrheitsbeschluss in den Aufsichtsrat entsendet. Er muss sich dabei allerdings an die allgemeine Vorgabe halten, dass diesen Betriebsratsmitgliedern das aktive Wahlrecht zum BR zusteht (§ 110 Abs 1 ArbVG).18 Des Weiteren spielt in börsenotierten Unternehmen sowie in Unternehmen mit mehr als 1.000 AN auch die Einhaltung einer Geschlechterquote von 30 % eine Rolle, sofern sich mindestens 20 % des Minderheitsgeschlechts in der Belegschaft finden und aus dem ZBR (BA, BR) zumindest drei AN-Vertreter:innen in den Aufsichtsrat zu entsenden sind (§ 110 Abs 2a ArbVG). Wird diese Geschlechterquote nicht eingehalten, bleiben die entsprechenden Sitze bis zur Erstattung eines gesetzmäßigen Vorschlages unbesetzt („Sanktion des leeren Stuhls
“). Auch hier kann allerdings wiederum ersatzweise eine Entsendung durch den BR per Mehrheitsbeschluss ohne Vorschlagsbindung erfolgen.19
Ergeben sich mangels detaillierter und alle Eventualitäten berücksichtigender Vorgaben Auslegungsspielräume, so sind die einschlägigen Regelungen jedenfalls verfassungskonform zu interpretieren. Das Auslegungsergebnis muss ein dem Gleichheitssatz entsprechendes und damit sachgerechtes sein.
Geht es um Partizipationsrechte, so zeigt etwa die Rsp des VfGH zur Ausgestaltung von Parteirechten in behördlichen Verfahren, dass der Gleichheitssatz hierfür eine zentrale Rolle spielt.20 Zu denken ist aber auch an die Judikatur des VfGH zu Selbstverwaltungseinrichtungen. Beim BR handelt es sich zwar nicht um einen Selbstverwaltungskörper iSd Art 120a ff B-VG. Dennoch gilt es zu bedenken, dass die Betriebsverfassung nach dem ArbVG auf dem Gedanken der Selbstverwaltung beruht;21 dies zeigt sich im Übrigen auch darin, dass der BR auf betrieblicher Ebene ganz ähnliche Aufgaben wahrnimmt wie die Arbeiterkammer auf der überbetrieblichen. Für die Arbeiterkammer als Selbstverwaltungseinrichtung ist nicht nur Art 120c Abs 1 B-VG maßgeblich, wonach „[d]ie Organe der Selbstverwaltungskörper [...] aus dem Kreis ihrer Mitglieder nach demokratischen Grundsätzen zu bilden [sind]
“. Für Selbstverwaltungseinrichtungen verlangt der VfGH überdies dem Gleichheitssatz entsprechende Regelungen hinsichtlich ihrer Organkreation. Dies hat der VfGH in seiner E G 78/2019 ua VfSlg 20.361 zu den Organen der Sozialversicherungsträger in Anknüpfung an seine Vorjudikatur deutlich zum Ausdruck gebracht.22 Was jedoch für die Organkreation gilt, muss selbstverständlich auch für die Geschäftsführung dieser Organe gelten.23
Überlegungen zu einer sachgerechten Auslegung des § 69 Abs 4 ArbVG betreffend geschäftsführende Ausschüsse von BR dienlich ist die Auseinandersetzung mit ähnlichen Fragestellungen in vergleichbaren Rechtsbereichen. Zu denken ist insb an Festlegungen betreffend parlamentarische Ausschüsse und Unterausschüsse, wie sie im B-VG getroffen werden. Besonders bietet sich auch die Sichtung der darauf bezogenen Bestimmungen der Geschäftsordnung des Nationalrates24 an. Diese konkretisieren die bundesverfassungsrechtlichen Vorgaben betreffend parlamentarische (Unter-)Ausschüsse und legen die Wahl, Konstituierung, Arbeitsweise und Beschlussfassung von bzw in (Unter-)Ausschüssen 86 im Einzelnen fest. Bei der Erfüllung parlamentarischer Aufgaben geht es genauso um das Spannungsverhältnis zwischen der Sicherstellung der Funktionsfähigkeit des Parlaments und seiner Ausschüsse sowie Unterausschüsse einerseits und der Wahrung der Rechte der entsendenden (politischen) Fraktionen andererseits.
§ 69 Abs 4 ArbVG selbst und noch deutlicher den Erläuternden Bemerkungen dazu lässt sich klar die Intention entnehmen, sinnstiftend ein arbeitsteiliges Wirken der Mitglieder des BR zu ermöglichen. Es gibt dabei keine Divergenz zwischen dem, „was sich der Gesetzgeber subjektiv gedacht haben mag
“, und dem „objektiven Gehalt
“ dieser Norm.25 Erscheint das verfolgte Ziel vor dem Hintergrund des abgestuften Konzepts des § 69 ArbVG, das im Folgenden nochmals näher dargelegt werden wird, sachgerecht, kann dieses auch Messlatte für eine sachgerechte und damit dem Gleichheitssatz entsprechende Auslegung sein. Die an dieser Messlatte zu überprüfenden Kernfragen lauten wie folgt: Kann eine Fraktion, die an geschäftsführenden Ausschüssen nicht mitwirken möchte, deren Funktionsfähigkeit verhindern? Sei es dadurch, dass sie jeweils niemanden als Mitglied nominiert, sei es dadurch, dass die dieser Fraktion angehörenden Mitglieder nicht zu Sitzungen erscheinen?
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass diese Rechtsfolgen jedenfalls nicht positivrechtlich verankert sind. Gegen sie sprechen vielmehr mehrere Erwägungen. Zunächst fällt auf, dass sich das ArbVG sehr zurückhaltend bezüglich der Errichtung von Ausschüssen verhält und diese im Detail abstuft: Für Einzelfälle reicht ein (einfacher) Betriebsratsbeschluss (§ 69 Abs 2 ArbVG); für Ausschüsse, die für bestimmte Angelegenheiten die Vorbereitung und Durchführung von Betriebsratsbeschlüssen dauernd übernehmen sollen, bedarf es bereits einer Übertragung in der AGO mit Zweidrittelmehrheit der Betriebsratsmitglieder (§ 69 Abs 3 ArbVG). Erst, wenn ein Betrieb mehr als 1.000 AN hat, ist an die Errichtung von geschäftsführenden Ausschüssen mit selbständigem Beschlussrecht zu denken, allerdings auch wiederum auf bestimmte Angelegenheiten beschränkt (Verbot der Globaldelegation) und mit dem Erfordernis der Einhelligkeit bei der Beschlussfassung. Des Weiteren bleibt die Fassung besonders bedeutsamer Beschlüsse ausdrücklich dem Betriebsratsplenum vorbehalten (§ 69 Abs 4 ArbVG, § 63 BRGO). Der Gesetzgeber hat sich also viel und das ausdifferenziert überlegt und sieht einen starken Schutz von Minderheitenfraktionen vor.26
Weiters ist zu bedenken, dass der Passivität der Minderheitenfraktion sogar die Intention zugrunde liegen kann, das Tätigwerden geschäftsführender Ausschüsse zu verhindern. Dem Gesetzgeber kann jedenfalls nicht unterstellt werden, dass er es ermöglichen wollte, dass die Partizipation sowohl an der Errichtung (Nominierung, Konstituierung) von als auch an der Arbeit in geschäftsführenden Ausschüssen rechtsmissbräuchlich unterlassen wird.27 Hinsichtlich dieser Frage sind jene Minderheitenfraktionen besonders in den Blick zu nehmen, die so klein sind, dass sie nicht bereits durch ein entsprechendes Minderheitenvotum von mehr als einem Drittel der Betriebsratsmitglieder den Beschluss einer AGO als Grundvoraussetzung für die Existenz von geschäftsführenden Ausschüssen verhindern können. Wenn das Betriebsverfassungsrecht nur einer qualifizierten Minderheit von mehr als einem Drittel der Betriebsratsmitglieder die Rechtsmacht einräumt, die Errichtung eines geschäftsführenden Ausschusses zu verhindern (§ 70 Z 1 ArbVG), kann es nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprechen, dass eine Betriebsratsfraktion, die uU nur über ein einziges Mandat verfügt und allein deshalb in einem geschäftsführenden Ausschuss vertreten sein muss, durch bloße Passivität dieses Mitglieds die Existenz und Arbeitsfähigkeit des Ausschusses verhindern bzw obstruieren können soll. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber Minderheitenfraktionen zwar bewusst die Möglichkeit der Verhinderung insb der Schaffung geschäftsführender Ausschüsse einräumte (auf diese beziehen sich immerhin auch zwei weitere der vier Ziffern des § 70 ArbVG). Die Grenze dieser Möglichkeit setzte er jedoch genau dort an, wo zwei Drittel der Betriebsratsmitglieder hinter einem Beschluss stehen.28
Schließlich gilt es auch noch zu beachten, dass selbst eine (intentionale) Obstruktion der Funktionsfähigkeit von geschäftsführenden Ausschüssen nicht sanktioniert werden könnte. Das ArbVG sieht keine Möglichkeit vor, dass Betriebsratsmitglieder wegen Verletzung ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Verpflichtungen gegenüber der Belegschaft ihr Betriebsratsmandat verlieren. Man muss daher davon ausgehen, dass der Gesetzgeber bei Erlassung des ArbVG den Idealfall sich ihrer Pflichtaufgabe bewusster Betriebsratsmitglieder vor Augen hatte und deswegen keine Regelung für den Fall getroffen hat, dass das Verhalten eines oder mehrerer Betriebs- 87 ratsmitglieder diesem Idealbild nicht entspricht. Es kann dem Gesetzgeber daher anders gewendet nicht unterstellt werden, dass pflichtwidriges Verhalten die Konstituierung und Arbeitsfähigkeit von geschäftsführenden Ausschüssen verhindern können soll. Liegt es also in der Sphäre der betreffenden Betriebsratsmitglieder, ob sie an den Ausschüssen teilhaben oder nicht, so ist es nur sachgerecht, die einschlägige Regelung so zu interpretieren, dass deren Untätigkeit sich nicht bzw nicht dauerhaft negativ auf die Ausschusstätigkeit auswirkt.
Regelungen betreffend die Mindestvertretung einer Partei oder einer Fraktion in Ausschüssen finden sich nicht nur im ArbVG, sondern sogar im B-VG und damit im Verfassungsrang. Die prominenteste davon ist jene betreffend den Hauptausschuss des Nationalrates und seine ständigen Unterausschüsse.29 Der Hauptausschuss wird vom Nationalrat aus seiner Mitte nach dem Grundsatz der Verhältniswahl gewählt (Art 55 Abs 1 B-VG). Die ständigen Unterausschüsse werden dann vom Hauptausschuss ebenfalls nach dem Grundsatz der Verhältniswahl gewählt, wobei diesen jeweils mindestens ein Mitglied jeder im Hauptausschuss vertretenen Partei angehören muss (Art 55 Abs 3 B-VG). Das Erfordernis, dass jeweils mindestens ein Mitglied jeder im Hauptausschuss vertretenen Partei vorhanden sein muss, gilt auch für die ständigen Unterausschüsse zur Mitwirkung in Angelegenheiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus (Art 50d Abs 3 B-VG), die ständigen Unterausschüsse zur Überwachung der Staatspolizei und der militärischen Nachrichtendienste (Art 52a Abs 1 B-VG) und den ständigen Unterausschuss des Rechnungshofausschusses (Art 52b Abs 1 B-VG); für den ständigen Unterausschuss des Budgetausschusses nach Art 51d Abs 1 B-VG ist dies zwar nicht im B-VG, jedoch in § 32a iVm § 31 GONR normiert. Art 50d, 52a, 52b und 55 B-VG sehen ebenso wie § 69 Abs 4 ArbVG nicht explizit das Erfordernis der Nominierung von Ausschuss- bzw Unterausschussmitgliedern vor. In der GONR ist dies jedoch in näherer Ausführung insb des Art 55 B-VG vorgesehen.30 In den Kommentierungen zu diesen Bestimmungen des B-VG findet sich keine Problematisierung dieser Thematik, vor allem nicht dahingehend, dass die Unterlassung von Nominierungen bzw Beschickungen die Handlungsunfähigkeit der ständigen Unterausschüsse bewirken könnte.31 Dass der Verfassungsgesetzgeber, der sich zu den Fragen der Nominierung und Beschi ckung in den einschlägigen Bestimmungen genauso wenig äußert wie der einfache Gesetzgeber im ArbVG derartige Konsequenzen intendiert haben könnte, ist auf Grund der Bedeutung der ständigen Unterausschüsse ausgeschlossen. Dies hätte nämlich gravierende Folgen, vor allem hinsichtlich der Funktion der ständigen Unterausschüsse des Hauptausschusses und jener zur Mitwirkung in Angelegenheiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus, wenn der Bundespräsident den Nationalrat nach Art 29 Abs 1 B-VG auflösen sollte. Diese ständigen Unterausschüsse bleiben nämlich selbst dann im Amt, wenn der Nationalrat aufgelöst ist und haben damit eine in unserer demokratischen Rechtsordnung ganz zentrale Systemerhalterfunktion.32 Würde man es einer Minderheitenfraktion im Parlament zubilligen, durch Nichtnominierung bzw Nichtbeschickung die Konstituierung und Handlungsfähigkeit dieser ständigen Unterausschüsse verhindern zu können, würde man das Funktionieren unseres parlamentarischen Rechtsstaates insgesamt in Frage stellen.33 88
Diesbezüglich kann man sogar davon sprechen, dass den einschlägigen Artikeln ein Inhalt unterstellt würde, der gesamtändernden Charakter hätte. Es läge damit ein Sonderfall der Unterstellung eines verfassungswidrigen Inhaltes vor, nämlich eine insb dem demokratischen Grundprinzip widersprechende Auslegung von Verfassungsbestimmungen. Eine derartige Auslegung stünde im Speziellen auch in Widerspruch zum verfassungsrechtlichen Auftrag an die GONR dafür Vorsorge zu treffen, dass die ständigen Unterausschüsse des Hauptausschusses sowie der ständige Unterausschuss zur Mitwirkung in Angelegenheiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus „jederzeit einberufen werden und zusammentreten können
“ (Art 55 Abs 3, Art 50d Abs 3 B-VG). Im Falle eines Konfliktes zwischen dem Ziel der Mitwirkung aller im Hauptausschuss vertretenen Parteien und dem Ziel der Gewährleistung der jederzeitigen Funktionsfähigkeit der ständigen Unterausschüsse räumt das B-VG Letzterem schon aufgrund seines Wortlautes klar Vorrang ein.34 Dieser Vorrang der jederzeitigen Funktionsfähigkeit findet seinen sinnfälligen Niederschlag auch darin, dass der GONR (die im Übrigen gem Art 30 Abs 2 B-VG vom Nationalrat mit den gleichen Quoren wie das B-VG beschlossen wird) die Substituierung nichtausgeübter Nominierungsrechte insgesamt fremd ist.35 Eine solche müsste zwangsläufig eine Frist für die Ausübung und den daran anschließenden Übergang des Nominierungsrechtes einräumen36 und würde damit die volle Funktionsfähigkeit eines (Unter-)Ausschusses verzögern.
Eine Verzögerung wäre aber insb auch für jene ständigen Unterausschüsse hochproblematisch, für die Art 52a und 52b B-VG das Erfordernis einer jederzeitigen Funktionsfähigkeit nicht explizit festlegen.37 Gerade für die ständigen Unterausschüsse zur Überwachung der Staatspolizei und der militärischen Nachrichtendienste gem Art 52a B-VG ist es schon alleine aufgrund ihres staatliche Kernaufgaben Kernaufgaben betreffenden Wirkungsbereiches undenkbar anzunehmen, dass ihr Tätigwerden durch die Nichtnominierung von Ausschussmitgliedern verzögert oder letztlich sogar verhindert werden darf.38 Würde die GONR das Funktionieren des Nominierungssystems nicht als selbstverständlich voraussetzen, hätte es wohl im Übrigen die für die Unterausschüsse des Hauptausschusses des Nationalrates bestehenden Vorgaben nicht auch noch zusätzlich für den ständigen Unterausschuss des Budgetausschusses vorgesehen, der ebenfalls im Amt bleibt, wenn der Nationalrat gem Art 29 Abs 1 B-VG aufgelöst wird und, so es notwendig ist, auch außerhalb der Tagungen des Nationalrates einzuberufen ist und daher auch einberufen können werden muss.
Genauso wenig, wie den genannten Bestimmungen des B-VG und der GONR unterstellt wird, dass eine Minderheitenfraktion die Konstituierung, Handlungsfähigkeit und damit auch gleichzeitig die demokratischen Willensbildungsprozesse in diesen parlamentarischen (Unter-)Ausschüssen verhindern kann, kann man § 69 Abs 4 ArbVG Analoges hinsichtlich der Konstituierung und Handlungsfähigkeit von geschäftsführenden Ausschüssen unterstellen. Wenngleich eine derartige Unterstellung hinsichtlich § 69 Abs 4 ArbVG deutlich weniger gravierende Auswirkungen hätte als bei parlamentarischen Ausschüssen, zeigt der Vergleich, dass es keinesfalls sachgerecht sein kann anzunehmen, dass selbst eine Betriebsratsfraktion mit nur einem einzigen Mandat die Funktionsfähigkeit geschäftsführender Ausschüsse dadurch (dauerhaft) aushebeln kann, dass sie sich nicht konstruktiv an der Konstituierung von und Arbeit in diesen beteiligt.
Offen bleiben damit allerdings noch die Fragen, welche konkreten Rechtsfolgen dieses Verhalten einer Minderheitenfraktion zeitigt und wie mit diesem umgegangen werden kann, um dem Geist des ArbVG bestmöglich Rechnung zu tragen. Für ständige Unterausschüsse im Nationalrat, insb jene, deren volle Funktionsfähigkeit jederzeit gegeben sei muss, muss aufgrund des zuvor Dargelegten gelten, dass, wenn es entgegen den Vorgaben der GONR zu keinen Nominierungen kommt, dies in der parlamentarischen Praxis weder der Konstituierung noch der Aufgabenerfüllung entgegensteht. Doch kann dies rechtsvergleichend betrachtet das einzige Vorbild für einen Lösungsweg sein?
Wertungsmäßig und in einer vergleichenden Betrachtung erscheint auch die juristische Diskussion zur Wahl der Mitglieder der Volksanwaltschaft von Interesse. Art 148g B-VG legt fest, dass die Volksanwaltschaft aus drei Mitgliedern zu bestehen hat. Diese sind aufgrund eines Gesamtvorschlags des Hauptausschusses des Nationalrates vom Nationalrat zu wählen (Art 148g Abs 2 B-VG, § 29 Abs 2 lit j GONR), wobei den drei mandatsstärksten (und bei Mandatsgleichheit den drei stimmenstärksten) Parteien ausdrücklich das Recht auf Namhaftmachung je eines Mitglieds eingeräumt ist. Auch hier wird in der Literatur angenommen, dass einem bundesverfassungsrechtlichen Kriterium der Vorrang über ein weiteres eingeräumt ist: Nimmt eine der vorschlagsberechtigten Parteien ihr Recht 89 nicht wahr, verletze sie gleichzeitig im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Vorgabe der Anzahl von drei Mitgliedern ihre, freilich nicht durchsetzbare, Nominierungspflicht, um die Besetzung mit drei Mitgliedern auch zu gewährleisten. Da man dem Verfassungsgesetzgeber nicht zusinnen könne, dass er einer Partei die Möglichkeit einräume, durch Obstruktion die Besetzung der Volksanwaltschaft zu verhindern, sei anzunehmen, dass der Hauptausschuss des Nationalrates anstelle der säumigen Partei(en) nach eigenem Ermessen Personen in den Gesamtvorschlag aufnehmen dürfe.39 Da für den Mitgliedervorschlag im Allgemeinen nur den Vorgaben des Art 148g Abs 5 B-VG Rechnung zu tragen ist, hat diese in der Literatur vertretene Auffassung allerdings zur Konsequenz, dass auch Personen Mitglieder der Volksanwaltschaft werden können, die nicht einmal in einem politischen Naheverhältnis zur an sich nominierungsberechtigten Partei stehen bzw deren Vertrauen genießen. Vor diesem Hintergrund könnte es sich anbieten, dass der Hauptausschuss des Nationalrates aus verfahrensökonomischen Gründen einen alternativen Gesamtvorschlag erstellt, dh dem Nationalrat mehrere Varianten zur Abstimmung vorschlägt, um möglichst rasch zu einem positiven Abstimmungsergebnis zu gelangen.40
Im Schrifttum gibt es bislang keine Stellungnahmen, die sich mit der Frage der unterbliebenen Nominierung von Kandidat:innen für geschäftsführende Ausschüsse auseinandergesetzt haben. Das ist freilich nicht überraschend: Anders als die Errichtung eines geschäftsführenden Ausschusses handelt es sich bei der namentlichen Entsendung der Ausschussmitglieder nicht um eine in die AGO aufzunehmende generelle Regelung; sie erfolgt daher durch (einfachen) Mehrheitsbeschluss des BR.41 Das birgt allerdings die Gefahr, dass der Minderheitenschutz in geschäftsführenden Ausschüssen an Wirksamkeit einbüßt oder sogar ganz leerläuft, wenn die Mehrheitsfraktion sich den:die Vertreter:in der Minderheit aussuchen könnte. Deshalb geht eine im Vordringen befindliche Auffassung davon aus, dass bei der Entsendung in geschäftsführende Ausschüsse – analog zur Entsendung von AN-Vertreter:innen in den Aufsichtsrat (§ 110 Abs 2 S 1 ArbVG) – ein verbindliches Nominierungsrecht der Betriebsratsfraktionen besteht: Zwar bedarf es für die (namentliche) Entsendung des:der Vertreters:Vertreterin der jeweiligen Betriebsratsfraktion eines Mehrheitsbeschlusses des BR, dieser ist jedoch inhaltlich aufgrund des Nominierungsrechtes der Betriebsratsfraktionen vorgezeichnet.42 Ein solches verbindliches Nominierungsrecht könnte nun aber den Minderheitenfraktionen im BR die Möglichkeit eröffnen, die Fassung eines Entsendungsbeschlusses hinsichtlich ihres:ihrer Vertreters:Vertreterin im geschäftsführenden Ausschuss zu verzögern oder sogar zu verhindern. Dass dem ArbVG trotz Anlehnung an die bereits auf die B-VG-Novelle 1929 BGBl 1929/392 zurückgehende Formulierung des Art 55 Abs 3 B-VG eine Regelung fremd ist, die gewährleisten soll, dass ein Ausschuss „jederzeit einberufen werden und zusammentreten kann“, kann – wie bereits dargelegt – nicht gleichbedeutend damit sein, dass trotz wirksamer Errichtung eines geschäftsführenden Ausschusses durch die AGO dessen Funktionsfähigkeit vom Gutdünken einer einzelnen Betriebsratsfraktion abhängt. Im Gegenteil: Eine solche Auslegung würde die Anordnung erhöhter Quoren für die Errichtung geschäftsführender Ausschüsse ihres Zweckes berauben und diese zu überflüssigem Gesetzestext machen.43 Anknüpfend an die obigen Ausführungen bieten sich daher – wenn eine Betriebsratsfraktion die Nominierung eines:einer Minderheitenvertreters:Minderheitenvertreterin unterlässt – zwei Auslegungsvarianten an: Zum einen könnte die unterbliebene Nominierung – wie zuvor hinsichtlich der ständigen Unterausschüsse des Nationalrates dargelegt – zur Vakanz dieser Mitgliedstelle führen, bis die säumige Betriebsratsfraktion von ihrem Recht Gebrauch macht („Vakanzlösung“). Zum anderen könnte – wie hinsichtlich der Namhaftmachung der Volksanwält:innen vertreten wird – eine Substituierung durch den BR stattfinden („Substituierungslösung“).
Im Allgemeinen trifft das Betriebsverfassungsrecht bei der Einräumung verbindlicher Nominierungsrechte Vorsorge, dass deren Nichtausübung nicht dazu führt, dass Mitgliedstellen dauerhaft unbesetzt bleiben. Sofern eine Betriebsratsfraktion das Nominierungsrecht nicht binnen drei Monaten ausübt, erfolgt die ausständige Besetzung mittels Mehrheitsbeschlusses des BR (vgl § 110 Abs 2 letzter Satz ArbVG). Das gilt selbst bei der Entsendung von Mitgliedern in die Konzernvertretung (§ 88a Abs 6 ArbVG), wo diese Beschränkung des Rechtes, verbindliche Nominierungsvorschläge zu erstatten, nicht ausdrücklich ins Gesetz aufgenommen wurde (§ 48b Abs 4 BRWO iVm § 8 Abs 2 ARVO). Es bietet sich daher zunächst an, diesen 90 Ausgleich zwischen der erforderlichen Effektivität des Minderheitenschutzes und der Vermeidung einer missbräuchlichen Obstruktionspolitik auch dort zur Anwendung zu bringen, wo verbindliche Vorschlagsrechte im Wege der Rechtsfortbildung durch Analogie bestehen. Eine solche Entsendung mittels Mehrheitsbeschlusses des BR müsste dann aber der Anforderung des § 69 Abs 4 S 2 ArbVG Rechnung tragen und eine:n Vertreter:in der säumigen Betriebsratsfraktion auswählen. Aus dem Blickwinkel des Minderheitenschutzes ist dies alles andere als optimal, wird doch der:die Minderheitenvertreter:in durch einen Mehrheitsbeschluss des BR bestimmt. Die Substituierung des Nominierungsrechtes gewährleistet die Einbeziehung der Minderheit in den geschäftsführenden Ausschuss daher nur unvollkommen. Allerdings sorgt sie immerhin dafür, dass die Minderheit überhaupt einbezogen ist; insofern dürfte sie nicht nur dem Wortlaut des § 69 Abs 4 ArbVG, sondern auch dem Minderheitenschutz besser Rechnung tragen als die Vakanz der Mitgliedstelle.44 Die Möglichkeit einer Substituierung stößt freilich mitunter an ihre Grenzen, denn gegen seinen Willen darf kein Betriebsratsmitglied in einen Ausschuss entsandt werden.45 Sofern sich daher kein Mitglied der säumigen Betriebsratsfraktion bereit erklärt, im geschäftsführenden Ausschuss mitzuwirken, kann die Vorgabe des § 69 Abs 4 S 2 ArbVG nicht erfüllt werden. Die Mitgliedstelle bleibt dann – für die Dauer der Weigerung aller Mitglieder der säumigen Betriebsratsfraktion – unbesetzt, ohne dass dies der Funktionsfähigkeit des geschäftsführenden Ausschusses entgegensteht. Dies gilt im Übrigen auch schon vor Ablauf der Drei-Monats-Frist, wenn sich alle Mitglieder einer Betriebsratsfraktion weigern, in geschäftsführenden Ausschüssen mitzuwirken. Steht die Verweigerung aller Mitglieder einer Betriebsratsfraktion fest, dann wäre das Abwarten des Fristablaufs ein sinnloser Formalismus und kann daher nicht gefordert werden.
Anders als die „Substituierungslösung“ steht die „Vakanzlösung“ in keinem Spannungsverhältnis mit dem Recht des Betriebsratsmitglieds, die Entsendung in Ausschüsse abzulehnen. Sie verfolgt allerdings auch den Minderheitenschutz weniger konsequent als die „Substituierungslösung“. Gegen die Übertragung der für die ständigen Unterausschüsse des Nationalrates vertretenen „Vakanzlösung“ auf geschäftsführende Ausschüsse des BR könnte zudem eingewendet werden, dass der Gesetzgeber das Spannungsverhältnis zwischen Minderheitenschutz auf der einen Seite und Funktionsfähigkeit von Ausschüssen auf der anderen Seite im ArbVG und in der GONR nicht nach denselben Maßstäben auflöst: Das Erfordernis einer jederzeitigen (vollen) Funktionsfähigkeit geschäftsführender Ausschüsse sieht das ArbVG trotz Anlehnung an den Wortlaut des Art 55 Abs 3 B-VG gerade nicht vor und ihre Bedeutung ist auch ganz allgemein nicht mit jener von im B-VG vorgesehenen ständigen Unterausschüssen vergleichbar. Geschäftsführende Ausschüsse des BR haben vor allem auch keine „Systemerhalterfunktion“. Sie dienen vielmehr („nur“) der effizienteren Gestaltung der Betriebsratsarbeit. Diese unterschiedliche Auflösung des Spannungsverhältnisses zwischen Minderheitenschutz und Funktionsfähigkeit findet seinen Niederschlag auch in der organisationsrechtlichen Ausgestaltung der ständigen Unterausschüsse und der geschäftsführenden Ausschüsse: Anders als für die Beschlüsse der parlamentarischen Ausschüsse, die grundsätzlich mit Stimmenmehrheit der anwesenden Ausschussmitglieder gefasst werden (§ 41 Abs 9 GONR), gilt in den geschäftsführenden Ausschüssen das Erfordernis der Einhelligkeit (§ 69 Abs 4 ArbVG).
Zusammenfassend lässt sich daher festhalten: Die Anwendung sowohl der „Vakanzlösung“ als auch der „Substituierungslösung“ erweist sich im betriebsverfassungsrechtlichen Kontext als nicht gänzlich friktionsfrei. Beide Varianten haben jeweils ihre Vor- und Nachteile. Insofern erscheint es dringend geboten, eine Klarstellung im ArbVG zu treffen, welche dieser beiden Varianten zur Anwendung gelangen soll.
Als Kollegialorgan erlangt der geschäftsführende Ausschuss seine volle Handlungsfähigkeit erst durch seine Konstituierung.
Folgt man zur Absicherung der besonderen Willensbildungsvorschriften der „Substituierungslösung“, erscheint es konsequent, dass die Konstituierung des geschäftsführenden Ausschusses erst dann erfolgen kann, wenn – iSd Ausführungen unter 3.4.1. – die Besetzung aller Mitgliedstellen feststeht. Solange aufgrund der Säumnis einer Fraktion eine Substituierung noch nicht erfolgt ist und somit die Besetzung aller Mitgliedstellen noch nicht (endgültig) feststeht, ist davon auszugehen, dass eine bereits vorzeitige Konstituierung der bisher entsandten Betriebsratsmitglieder als Konstituierung eines vorbereitenden Ausschusses iSd § 69 Abs 3 ArbVG zu werten ist, der bereits die dem geschäftsführenden Ausschuss zugedachten Agenden betreut. Zu bedenken ist diesbezüglich nämlich, dass auch derartige Ausschüsse in der AGO vorgesehen werden können und man auf diese Weise dem Willen einer Mehrheit von (mindestens) zwei Drittel aller Betriebsratsmitglieder iS eines Größenschlusses am besten gerecht wird. Steht (spätestens) nach Ablauf der Drei-Monats- Frist endgültig fest, dass kein Mitglied der Minderheitenfraktion bereit ist, im geschäftsführenden Ausschuss mitzuwirken, wäre es wiederum ein sinnloser Formalismus, eine nochmalige Konstituierung 91 dieses Ausschusses als Ausschuss iSd § 69 Abs 4 ArbVG zu verlangen. Eine im Lichte der „Substituierungslösung“ allenfalls verfrühte Konstituierung würde insofern konvalidieren.
Folgt man demgegenüber der „Vakanzlösung“, bietet sich eine sinngemäße Anwendung der Regeln an, welche zur Konstituierung der Konzernvertretung bestehen. Deren Mitglieder werden ebenso wie jene der geschäftsführenden Ausschüsse auf Basis von fraktionellen Nominierungsvorschlägen entsandt: Welche Delegierten in die Konzernvertretung entsandt werden, ist bis zu einem (von dem:der Einberufer:in) festzusetzenden Termin bekanntzugeben (§ 88a Abs 4 ArbVG), zur Konstituierung der Konzernvertretung sind jene Delegierten zu laden, deren Entsendung bekanntgegeben wurde (§ 88b Abs 1 ArbVG); die Säumnis einzelner Fraktionen mit der Nominierung von Delegierten zur Konzernvertretung (vgl § 88a Abs 6 ArbVG) steht deren Konstituierung nicht entgegen.46 Vor diesem Hintergrund muss es bei Anwendung der „Vakanzlösung“ zulässig sein, die Konstituierung des geschäftsführenden Ausschusses durchzuführen, bevor die Besetzung aller Mitgliedstellen vorgenommen wurde: Wird durch den BR ein Termin festgesetzt, bis zu dem die Nominierungsvorschläge der Betriebsratsfraktionen bekanntzugeben sind, wäre die Konstituierung als geschäftsführender Ausschuss iSd § 69 Abs 4 ArbVG nach diesem Termin ohne weiteres Zuwarten auch dann möglich, wenn nicht alle Betriebsratsfraktionen von ihrem Nominierungsrecht Gebrauch gemacht haben.
Bei der Konstituierung von Ausschüssen gelten – unabhängig davon, ob man der „Substituierungslösung“ oder der „Vakanzlösung“ den Vorzug einräumt – besondere Präsenz- und Konsensquoren: Anders als hinsichtlich der Beschlussfassung in geschäftsführenden Ausschüssen enthält weder das ArbVG noch die BRGO Regelungen für die Wahl des:der Vorsitzenden, seiner:ihrer Stellvertreter:in und weiterer Funktionär:innen (zB Schriftführer:in). Sofern auch die AGO des jeweiligen BR keine Regeln über die Konstituierung geschäftsführender Ausschüsse aufstellt, ist die Lücke durch Rückgriff auf § 66 Abs 3 ArbVG zu schließen.47 Die Wahl der Funktionär:innen des geschäftsführenden Ausschusses erfolgt daher „mit Mehrheit der abgegebenen Stimmen
“; es ist daher nicht ausreichend, dass ein:e Bewerber:in bloß die relative Mehrheit der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigt. Anders als für die Beschlussfassung legt das Betriebsverfassungsrecht für Wahlen kein Präsenzquorum fest.48 Für die Wahl genügt daher die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen, ohne dass ein Präsenzquorum zu beachten wäre.49 Erforderlich ist daher in sinngemäßer Anwendung des § 10 Abs 1 letzter Satz BRGO (iVm § 14 Abs 6 BRGO) allein die rechtzeitige Verständigung von der konstituierenden Sitzung des Ausschusses.
Einen besonderen Minderheitenschutz normiert der Gesetzgeber hinsichtlich der Beschlussfassung in geschäftsführenden Ausschüssen: Diese hat „eineinhellig“ zu erfolgen. Geht es um die Nichtteilnahme an Sitzungen, so fällt auf, dass jene Stimmen, die daraus auf das Nichtzustandekommen eines einhelligen Beschlusses schließen, dies nicht begründen.50 Es fehlt damit eine nähere Auseinandersetzung, warum dieses Auslegungsergebnis ein sachgerechtes und damit letztlich auch verfassungskonformes sein soll.51 Ansatzpunkt dieser Auffassung könnte allenfalls das überkommene Verständnis sein, welches dem Begriff „einhellig
“ in den zivilrechtlichen Bestimmungen des Miteigentums beigemessen wird (§§ 835, 841 ABGB). Einhellig ist eine Entscheidung der Miteigentümer:innen nur dann, wenn „eine wechselseitige Übereinkunft aller Teilhaber und Stimmeneinhelligkeit
“ vorliegt.52 Zwar überzeugt dieses miteigentumsrechtliche Begriffsverständnis mit Blick auf Regelungen zu gleichgelagerten Problemlagen im Gesellschaftsrecht, bei denen sich der Gesetzgeber klarer ausdrückt (§ 1191 Abs 2 ABGB: „einstimmiger Beschluss aller Gesellschafter
“; § 1208 Z 2 iVm § 1192 Abs 1 ABGB: „Zustimmung aller zur Mitwirkung bei der Beschlussfassung berufenen Gesellschafter
“); allerdings ist diese Lesart keiner unbesehenen Ausdehnung zugänglich. Das zeigt sich eindrücklich im Kontext der Arbeitsmarktverwaltung: Abweichend von den allgemeinen Beschlusserfordernissen, welche für den Regionalbeirat aufgestellt werden (§ 21 Abs 3 und 4 AMSG), müssen Beschlüsse sowohl iSd § 76 Abs 3 AlVG als auch iSd § 4 Abs 3 AuslBG „einhellig“ getroffen werden. Obwohl sich die Gesetzesmaterialien zur Frage verschweigen, welche Auswirkung das Erfordernis der Einhelligkeit auf die Präsenz- und Konsensquoren zeitigt, fassen Judikatur und Literatur dies gleichermaßen bloß als Änderung des Konsensquorums auf: An die Stelle der bloß einfachen Mehrheit (§ 21 Abs 4 AMSG) tritt das Erfordernis der Einstimmigkeit.53 92 Stimmeneinhelligkeit ist daher nicht zwangsläufig gleichbedeutend mit Allstimmigkeit.54 Das zeigt sich auch im Betriebsverfassungsrecht: Das Erfordernis eines „einvernehmlichen Beschluss[es]
“ gem § 110 Abs 2d ArbVG wird durch den Verordnungsgeber als Erfordernis eines „einhelligen Beschluss[es]
“ gedeutet (§ 15f ARVO); das Schrifttum leitet daraus ab, dass ein solcher Beschluss „einstimmig
“ gefasst werden muss.5555) Ein solches Verständnis von „einhellig
“ als „einstimmig
“ ist auch hinsichtlich des § 69 Abs 4 ArbVG angebracht. Das folgt bereits daraus, dass der Gesetzgeber gerade nicht jene Formulierung verwendet, mit der er im ArbVG das Erfordernis der Allstimmigkeit zum Ausdruck bringt (vgl § 68 Abs 2 S 4, § 77 Abs 3 S 2 ArbVG); wäre es dem Gesetzgeber tatsächlich darauf angekommen Allstimmigkeit anzuordnen, dann hätte er dies mit folgender Formulierung leicht bewerkstelligen können: „Beschlüsse von geschäftsführenden Ausschüssen kommen nur bei Übereinstimmung aller Ausschussmitglieder zustande
“. Dass sich der Gesetzgeber dagegen entschieden hat, diese Formulierung zu gebrauchen, muss bereits nach den Grundregeln der systematischen Interpretation Berücksichtigung finden. Das umso mehr, als letztlich auch die Materialien zu § 69 Abs 4 ArbVG dagegensprechen, dass „einhellig
“ als „mit den Stimmen aller Ausschussmitglieder
“ gelesen werden soll: Diese weisen darauf hin, dass „den Minderheiten in den Ausschüssen ein Vetorecht eingeräumt
“ wird, damit keine Entscheidungen getroffen werden können, „die unter den Mitgliedern strittig sind
“.56 Nicht nur, dass ein Vetorecht bereits seinem Wortsinn nach ein Tätigwerden verlangt.57 Wer von einer Teilnahme an der Willensbildung im Ausschuss – aus welchen Motiven auch immer – Abstand nimmt, sich maW nicht in den Ausschuss begibt, um sich an der Diskussion über ein bestimmtes Thema zu beteiligen, nimmt auf die Willensbildung im Ausschuss keinen Einfluss.58 Analoges muss für eine allfällige schriftliche Abstimmung im Umlaufweg gelten, wie sie § 17 Abs 2 unter Bezugnahme auf § 14 Abs 7a BRGO explizit für zulässig erklärt.59
Es zeigt sich daher, dass im Rahmen des § 69 Abs 4 ArbVG der Gesetzgeber „Einhelligkeit
“ iS von „Einstimmigkeit
“ gebraucht; die Übereinstimmung aller Ausschussmitglieder ist dafür nicht erforderlich.60 Für die Beschlussfassung in geschäftsführenden Ausschüssen ist – sofern die AGO nichts anderweitig regelt – vom Normalfall des für Beschlüsse im BR erforderlichen Präsenzquorums auszugehen. Demnach ist nicht nur das Betriebsratsplenum, sondern auch ein geschäftsführender Ausschuss beschlussfähig, wenn – nach ordnungsgemäßer Ladung – mindestens die Hälfte der Mitglieder anwesend ist (vgl § 68 Abs 1 ArbVG).
Das Betriebsverfassungsrecht sieht grundsätzlich eine Monopolisierung der Außenvertretungsmacht vor. Der:die Betriebsratsvorsitzende wird durch § 71 S 1 ArbVG zur Vertretung des BR berufen. Lediglich im Fall seiner:ihrer Verhinderung kann der:die Stellvertreter:in des:der Betriebsratsvorsitzenden außenwirksam für den gesamten BR handeln; eine parallele Zuständigkeit von dem:der Vorsitzenden und dem:der Stellvertreter:in ist damit ausgeschlossen. Eine davon abweichende Regelung der Vertretungsmacht ist nur unter den Voraussetzungen des § 71 S 2 ArbVG möglich. Diese Bestimmung erlaubt es, Mitglieder des BR im Einzelfall sowie Vorsitzende geschäftsführender Ausschüsse dauernd mit der Vertretung im Außenverhältnis zu beauftragen. Eine solche Sondervertretung kann an Vorsitzende geschäftsführender Ausschüsse jedoch nur für jene Angelegenheiten erteilt werden, zu deren Behandlung ein geschäftsführender Ausschuss iSd § 69 Abs 4 ArbVG errichtet wurde; Rechtswirksamkeit erlangt eine solche „besondere Regelung
“ der Vertretungsmacht gem § 71 S 3 ArbVG erst dann, wenn sie dem:der BI mitgeteilt wurde.
Das Verhältnis der Vertretungsmacht des:der Betriebsratsvorsitzenden und des:der Ausschussvorsitzenden wird durch das ArbVG nicht explizit geklärt. Im Schrifttum werden die Sondervertretungen des § 71 S 2 ArbVG als Übertragung der Vertretungsmacht qualifiziert.61 Da der BR aber auf eine Vertretung angewiesen ist – maW selbst nicht über Vertretungsmacht verfügt –, kann „Übertragung“ in diesem Kontext nur eines bedeuten: Die Übertragung der Vertretungsmacht von dem:der Betriebsratsvorsitzenden an den:die Ausschussvorsitzende:n.62 Dementsprechend wird die allgemeine Regelung der Außenvertretung gem § 71 S 1 ArbVG durch eine „besondere Regelung
“ gem § 71 S 2 ArbVG verdrängt, sobald diese Rechtswirksamkeit erlangt.63 Die von § 71 ArbVG angestrebte Monopolisierung der Vertretungsmacht findet daher auch im Verhältnis zwischen dem:der Betriebsratsvorsitzenden und dem:der Ausschuss- 93 vorsitzenden ihren Niederschlag.64 Das macht eine genaue Abgrenzung der Vertretungsbefugnisse erforderlich, die ausgehend vom Zweck des § 71 S 2, 2. Fall ArbVG vorzunehmen ist: Dieser zielt darauf ab, einen Gleichlauf zwischen dem Umfang der Geschäftsführungsbefugnis des geschäftsführenden Ausschusses („Innenverhältnis“) und dem Umfang der Vertretungsbefugnis des:der Vorsitzenden des geschäftsführenden Ausschusses („Außenverhältnis“) zu ermöglichen.65 Das bedeutet für den Fall, dass die Entscheidungszuständigkeit mangels Einigung im Ausschuss an den BR devolviert, dass wiederum der:die Betriebsratsvorsitzende zur Vertretung im Außenverhältnis zuständig ist.
Die ausschließliche Zuständigkeit entweder des:der Betriebsratsvorsitzenden oder des:der Ausschussvorsitzenden zeitigt auch maßgebliche Auswirkungen in der Beziehung zu dem:der BI.66 Mit der Rechtswirksamkeit der Übertragung der Vertretungsmacht gehen Erklärungen des:der BI in den dem geschäftsführenden Ausschuss übertragenen Angelegenheiten erst dann zu, wenn sie bei dem:der Ausschussvorsitzenden einlangen. Mit der Verständigung des:der Betriebsratsvorsitzenden werden die (zT verwaltungsstrafbewehrten) betriebsverfassungsrechtlichen Auskunfts- und Informationsrechte nicht erfüllt; ebenso wenig wird der Lauf etwaiger Fristen für eine Stellungnahme in Gang gesetzt (zB § 105 Abs 1, § 106 Abs 1 ArbVG). Der:die Betriebsratsvorsitzende nimmt dann lediglich die Stellung als Erklärungsbote:Erklärungsbotin des:der BI ein; ob und wann die Erklärung dem:der Ausschussvorsitzenden zugeht, fällt in den Risikobereich des:der BI.67 Weigert sich demgegenüber der:die BI, die aktive Vertretungsmacht des:der Ausschussvorsitzenden anzuerkennen, gilt es zu unterscheiden: Keine Rolle spielt die fehlende Anerkennung insb dann, wenn durch die Mitteilung eines Beschlusses des Ausschusses an den:die BI die Rechtslage gestaltet wird (zB § 101 S 3, § 105 Abs 2 ArbVG); die Rechtsgestaltung tritt bereits mit Empfang der Erklärung ein.68 Verweigert demgegenüber der:die BI trotz Verlangens des:der außenvertretungsbefugten Ausschussvorsitzenden die Erteilung einer Auskunft oder die Durchführung einer Beratung, können diese – als Forderungsrechte zu qualifizierenden69 – Ansprüche mittels Leistungsklage – und erforderlichenfalls durch Beugestrafen70 – durchgesetzt werden.71
Die hier dargelegten Problemstellungen werfen die Frage auf, ob die Regelungen betreffend die Ermöglichung der Errichtung von geschäftsführenden Ausschüssen reformiert werden sollten. Dabei geht es nicht nur darum, ob es für die Sicherstellung der Funktionsfähigkeit geschäftsführender Ausschüsse von Vorteil wäre, dessen Beschickung und Willensbildung genauer zu regeln. Konkret stellen sich auch folgende Fragen: Ist die erforderliche Mindestanzahl von 1.000 AN im Betrieb zu hoch gegriffen? Soll selbst in noch viel größeren Betrieben etwas mehr als ein Drittel der Betriebsratsmitglieder die Schaffung geschäftsführender Ausschüsse durch Ablehnung einer AGO verhindern können? Wäre es im Hinblick auf eine effiziente Betriebsratsarbeit von Vorteil, vom Erfordernis der Einhelligkeit abzugehen und könnte dem Minderheitenschutz auch ein qualifiziertes Mehrheitserfordernis Genüge tun?
Diese Fragen können hier nicht abschließend beantwortet werden. Sie sind letztlich von der Politik zu entscheiden. Dennoch lohnt ein Blick nach Deutschland, weil das BetrVG einen gänzlich anderen Weg als das ArbVG beschreitet, um das Spannungsverhältnis zwischen dem Prinzip der Effizienz (Arbeitsteilung zwischen den Betriebsratsmitgliedern) und dem Prinzip der Demokratie (Beteiligung aller Betriebsratsmitglieder) aufzulösen: Nicht nur, dass für Betriebsräte mit zumindest neun Mitgliedern (Betriebe mit idR mehr als 200 AN) die Pflicht statuiert wird, einen Betriebsausschuss zu bilden, der die laufenden Geschäfte führt (§ 27 BetrVG);72 vielmehr können bei Bestehen eines Betriebsausschusses auch weitere Ausschüsse gebildet werden, denen selbständige Entscheidungskompetenz zukommt (§ 28 Abs 1 BetrVG).73
Im Ergebnis bedeutet dies, dass der Schwellenwert für die Errichtung geschäftsführender Ausschüsse 94 nach dem BetrVG etwa ein Fünftel von jenem nach dem ArbVG beträgt. Auch die Anforderung an die Stimmenmehrheit für die Übertragung von Aufgaben zur selbständigen Erledigung an Ausschüsse ist in Deutschland erheblich geringer als in Österreich: Während nach dem BetrVG lediglich die Mehrheit der Stimmen (wenngleich) aller Betriebsratsmitglieder erforderlich ist (§ 27 Abs 2 iVm § 28 Abs 1 BetrVG),74 muss nach dem ArbVG für jede dauernde Delegation von Befugnissen – unabhängig davon, ob mit ihr eine selbständige Entscheidungskompetenz eingeräumt wird – der Beschluss von einer Mehrheit von zwei Drittel der Betriebsratsmitglieder getragen werden (§ 70 Z 1 ArbVG). Anders als nach dem ArbVG gelten nach dem BetrVG auch keine erhöhten Quoren für die Beschlussfassung in Ausschüssen, denen eine selbständige Entscheidungskompetenz übertragen wurde.75
Die bisherige Gegenüberstellung zeigt deutlich, dass in Bezug auf Ausschüsse mit selbständiger Entscheidungskompetenz das BetrVG die Belange der Minderheit weder bei der Übertragung von Aufgaben noch bei der Geschäftsführung im Ausschuss besonders schützt. Dies unterscheidet die Rechtslage wesentlich von jener nach dem ArbVG. Nach dem BetrVG erfolgt der Schutz der Minderheit in Ausschüssen mit selbständiger Entscheidungskompetenz dadurch, dass diese nach den Grundsätzen der Verhältniswahl eingerichtet werden müssen (§ 27 Abs 1 S 3, § 28 Abs 1 BetrVG).76 Das Stärkeverhältnis der Fraktionen des BR spiegelt sich daher auch in der Besetzung der Ausschüsse wider. Diese Regelung birgt freilich ein gewisses Missbrauchspotential: Eine geschickte Wahl der Ausschussgröße erlaubt es uU, Minderheiten von der Mitwirkung im Ausschuss auszuschließen.77 Das Erfordernis einer Zusammensetzung geschäftsführender Ausschüsse nach dem Spiegelbildlichkeitsprinzip ist wiederum dem ArbVG fremd: Hinsichtlich der Zusammensetzung geschäftsführender Ausschüsse bestimmt dieses bloß, dass jede Betriebsratsfraktion mit zumindest einem Mitglied in geschäftsführenden Ausschüssen vertreten sein muss. Allerdings gilt es in Bezug auf die Zusammensetzung der geschäftsführenden Ausschüsse nach dem ArbVG zweierlei zu beachten: Zum einen räumt dieses einer qualifizierten Minderheit von mehr als einem Drittel der Betriebsratsmitglieder die Möglichkeit ein, die Errichtung geschäftsführender Ausschüsse zu blo ckieren; ausgestattet mit diesem Druckmittel kann eine qualifizierte Minderheit eine angemessene Repräsentation in geschäftsführenden Ausschüssen durchsetzen.78 Zum anderen fällt eine etwaige „Unterrepräsentation“ nicht entscheidend ins Gewicht. Nicht nur, dass alle nicht ausschussangehörigen Betriebsratsmitglieder an Ausschusssitzungen teilnehmen und sich zu Wort melden können (vgl § 69 Abs 5 ArbVG),79 vielmehr vermag jedes ausschussangehörige Betriebsratsmitglied eine Beschlussfassung im Ausschuss zu verhindern und eine Befassung des BR zu erzwingen.80
Die im gegenständlichen Beitrag aufgegriffene Thematik legt nahe, auch über die Schaffung eines Sanktionensystems nachzudenken, wenn sich ein bzw mehrere Betriebsratsmitglieder oder allenfalls eine ganz Fraktion zwar in den BR wählen lassen und ihre Wahl annehmen, ihr Mandat in weiterer Folge jedoch kaum bis gar nicht ausüben und auch nicht an der Willensbildung mitwirken. In größeren Betrieben wirft dies die im Beitrag geschilderten Probleme auf. In Kleinbetrieben wirken sich die in § 68 ArbVG festgelegten Beschlusserfordernisse besonders drastisch aus: Besteht ein BR etwa nur aus zwei Mitgliedern und nimmt ein Mitglied seine Aufgaben nicht wahr, droht dieser BR – insb, wenn sich auch die Ersatzmitglieder der Betätigung im BR verweigern – für die gesamte Funktionsperiode handlungsunfähig zu sein. Abhilfe schafft weder § 62 ArbVG noch § 64 ArbVG. Während die (dauernde) Funktionsunfähigkeit zum Erlöschen der Funktionsperiode des BR (§ 62 Z 2 ArbVG) bzw die dauernde Verhinderung eines Betriebsratsmitglieds – zumindest nach der Rsp und der älteren Lehre – zum Erlöschen des Mandats des Betriebsratsmitglieds (vgl auch § 64 Abs 1 Z 3 ArbVG) führt,8181) müssen der BR bzw das Betriebsratsmitglied die eigene Funktionsunwilligkeit jeweils selbst aufgreifen (§ 62 Z 4, § 64 Abs 1 Z 2 ArbVG).82 Sofern das Organ bzw das Betriebsratsmitglied nicht die Konsequenzen aus seiner jeweiligen Funktionsunwilligkeit zieht, bleibt der Belegschaft als Abhilfe nur die Enthebung des gesamten BR (§ 62 Z 3 ArbVG), wobei dies einen Beschluss der Betriebsversammlung erfordert, der bei Anwesenheit von zumindest der Hälfte der stimmberechtigten AN mit einer Mehrheit von zwei Drittel der abgegebenen Stimmen zu fassen ist.83
Das österreichische Betriebsverfassungsrecht sieht – anders als das deutsche Betriebsverfassungsrecht 95 (§ 23 Abs 1 iVm § 24 Z 5 BetrVG)84 – die Möglichkeit eines Entzugs des Betriebsratsmandats (bei gleichzeitigem Fortbestand des BR) nur dann vor, wenn das Betriebsratsmitglied die Zugehörigkeit zu jener AN-Gruppe verliert, die es in den BR gewählt hat (§ 64 Abs 1 Z 4 ArbVG), oder es die Wählbarkeit zum BR nicht bzw nicht mehr besitzt (§ 64 Abs 4 ArbVG). Das realistische Szenario, dass jemand ohne triftigen Grund bspw an mehr als der Hälfte der Sitzungen nicht teilnimmt, hat als solches keinerlei Auswirkungen auf das Mandat. Das erscheint zunächst insofern ungewöhnlich, als Mandatsverlustverfahren in der österreichischen Rechtsordnung fest etabliert sind. Ein solches existiert etwa im Hinblick auf das Mandat als Personalvertreter:in und damit das Pendant zum Betriebsratsmandat für den öffentlichen Dienst. Das B-PVG normiert ein vom Zentralwahlausschuss durchzuführendes Aberkennungsverfahren bei der Verletzung von Verschwiegenheitspflichten (§ 21 Abs 3 lit f iVm § 26 Abs 4 und 5 B-PVG), aber auch den Mandatsverlust durch Beschluss des Ausschusses, dem ein:e Personalvertreter:in angehört, mit Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen, wenn ein Mitglied drei aufeinanderfolgenden Sitzungen ohne genügenden Entschuldigungsgrund fernbleibt (§ 21 Abs 3 lit c iVm § 22 Abs 3 S 3 und 4 B-PVG).85 Darüber hinaus ermöglicht Art 141 Abs 1 B-VG Mandatsverlustverfahren ua sowohl für Mitglieder allgemeiner Vertretungskörper als auch für Mitglieder bestimmter Organe der Selbstverwaltung (insb satzungsgebender Organe bzw Vertretungskörper einer gesetzlichen beruflichen Vertretung) bei Vorliegen eines gesetzlich vorgesehenen Grundes (vgl insb lit c und g leg cit), wozu etwa nach der GONR auch die Nichtausübung des Mandats zählt. Würde ein Mitglied des Nationalrates über einen längeren Zeitraum ohne triftigen Grund an Sitzungen nicht teilnehmen, würde es, sollten die in der GONR näher geregelten Voraussetzungen dafür gegeben sein, sein Mandat verlieren.86 Aufgrund der Zuständigkeit des VfGH ist freilich ein (höchst-) gerichtliches Verfahren sichergestellt, das nicht nur den einzelnen Abgeordneten schützt, sondern auch die Gesetzgebung insgesamt vor einer Beeinflussung durch die Verwaltung.87
Das Fehlen eines Mandatsverlustverfahrens im ArbVG hängt eng mit der ideengeschichtlichen Herkunft des Betriebsverfassungsrechtes zusammen: Aufgrund des imperativen Mandats und der jederzeitigen Abberufbarkeit der Mandatare kennt das Rätesystem keine Notwendigkeit, ein an das Vorliegen wichtiger Gründe gebundenes Mandatsverlustverfahren vorzusehen; der Entzug des Vertrauens durch die Wähler:innenschaft an sich erweist sich im Rätesystem als hinreichender Grund. Das österreichische Betriebsverfassungsrecht sah mit der bloß einjährigen Funktionsperiode des BR (§ 7 Abs 1 BRG 1919) sowie der niederschwelligen Möglichkeit zur Enthebung des gesamten BR (§ 7 Abs 2 BRG 191988) deutliche Anklänge an das Rätesystem vor.89 Dass – obwohl das imperative Mandat im BRG 1919 nicht verankert wurde – keine Mandatsverlustverfahren vorgesehen wurden, fiel daher anfangs nicht entscheidend ins Gewicht.90 Mit der sukzessiven Verlängerung der Funktionsperiode sowie der Anhebung der Quoren für die Enthebung des BR mangelt es jedoch mittlerweile an einem wirksamen Korrektiv hinsichtlich der Funktionsunwilligkeit einzelner Betriebsratsmitglieder. Abhilfe scheint auf zwei Arten denkbar: Entweder der Gesetzgeber stärkt die Kontrollfunktion der Betriebsversammlung (zB Senkung der Quoren zur Enthebung des BR; Schaffung einer Möglichkeit zur Enthebung einzelner Betriebsratsmitglieder, wobei dann Vorsorge getroffen werden muss, dass nicht die Mehrheit der Wähler:innen die Betriebsratsmitglieder der Minderheit ihres Amtes enthebt91) oder der Gesetzgeber schafft ein an das Vorliegen wichtiger Gründe anknüpfendes Mandatsverlustverfahren.
Im Ergebnis ist festzuhalten, dass bei sachgerechter und damit verfassungskonformer Interpretation 96 der Regelungen betreffend die Errichtung geschäftsführender Ausschüsse und die Willensbildung in ihnen zwischen der Sicherstellung ihrer Funktionsfähigkeit und dem Schutz von Minderheitenfraktionen kein unauflöslicher Widerspruch besteht. Das ArbVG verknüpft die Mitgliedschaft zum BR nicht nur mit Rechten, sondern gestaltet diese (auch) als Verpflichtung zum Tätigwerden im Interesse der Belegschaft aus. Nicht zuletzt wegen dieses Verpflichtungscharakters und des Fehlens von Sanktionen für die Nichtwahrnehmung von Aufgaben kann es nicht angehen, dass die Passivität einer Minderheitenfraktion die dauerhafte Funktionsunfähigkeit geschäftsführender Ausschüsse bewirken könne; dies nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund, dass das ArbVG ohnehin ein sowohl wirksames als auch fein ausdifferenziertes System der Minderheitenrechte bei der Delegation von Befugnissen an geschäftsführende Ausschüsse vorsieht: Im Einklang mit dem (bloß) qualifizierten Quorum für die Errichtung geschäftsführender Ausschüsse sowie der Rechtslage bei Entsendungen in den Aufsichtsrat bzw die Konzernvertretung kann daher das Nominierungsrecht der Betriebsratsfraktion die Aufnahme der Tätigkeit durch den geschäftsführenden Ausschuss allenfalls verzögern, aber nicht dauerhaft verhindern.
Geschäftsführende Ausschüsse eines BR erlangen daher auch dann ihre volle Funktionsfähigkeit, wenn eine Minderheitenfraktion sich weigert, an ihrer Errichtung und/oder in ihnen selbst mitzuwirken. Dies hat zur Konsequenz, dass auch der:die BI verpflichtet ist, die Ausschüsse als solche, ihre Beschlüsse und die Außenvertretungsbefugnis ihrer Vorsitzenden anzuerkennen. Wird dieser Verpflichtung nicht nachgekommen, hat der BR die Möglichkeit, deren Einhaltung gerichtlich durchzusetzen.
Dass Betriebsratsmandate zwar angenommen, in weiterer Folge jedoch nicht oder bloß defizitär ausgeübt werden, ist ein Phänomen, für das das österreichische Betriebsverfassungsrecht gegenwärtig keine adäquate Antwort bereithält. Abhilfe wäre entweder durch stärkere Rückbesinnung auf die im Rätesystem wurzelnden Ursprünge des Betriebsverfassungsrechtes oder durch die Schaffung eines Mandatsverlustverfahrens möglich. 97