AdjanTarifvertrag und Verbandsmitgliedschaft in der Insolvenz des Arbeitgebers
Duncker & Humblot Verlag, Berlin 2024, 210 Seiten, gebunden, € 69,90
AdjanTarifvertrag und Verbandsmitgliedschaft in der Insolvenz des Arbeitgebers
Das vorliegende Werk ist in der Reihe „Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht“ als Band 381 erschienen. Die Arbeit wurde im Wintersemester 2022/2023 von der juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München als Dissertation angenommen und von Dr. Richard Giesen als Doktorvater betreut. Es wird ausschließlich die deutsche Rechtslage beleuchtet.
Die Insolvenz eines tarifgebundenen AG wirft zahlreiche Fragen in unterschiedlichen Rechtsgebieten, vor allem im Insolvenz- und Tarifvertragsrecht, aber auch im Arbeitsvertrags- und im Verbandsrecht, auf. Wie die Autorin bereits in der Einführung ihres Werks ausführt, enthält keines dieser Rechtsgebiete ein umfassendes Regelungsregime für den Fall der Insolvenz eines tarifgebundenen AG. Die einzelnen Rechtsgebiete sind nicht aufeinander abgestimmt. So ist der Insolvenzverwalter nur für vermögensrechtliche Positionen zuständig. Das Verbandsrecht unterscheidet aber zwischen Vermögens-, Organ- und Schutzrechten. Daraus folgt hinsichtlich der Mitgliedschaftsrechte eine geteilte Zuständigkeit von Insolvenzverwalter und insolventem AG. Die Tarifbindung des AG entsteht aber nicht zwingend durch eine 566 Mitgliedschaft im AG-Verband. Vielmehr kann der AG auch selbst tarifgebunden sein, weil er selbst Partei des Tarifvertrages ist (Firmentarifvertrag) oder weil die Arbeitsverträge auf einen Tarifvertrag Bezug nehmen. Hier ist es naheliegend, die Grundlagen der Tarifanwendung auf AG-Seite insofern als vermögensrechtliche Position einzuordnen und eine umfassende Zuständigkeit des Insolvenzverwalters anzunehmen.
Ziel der Arbeit war es, die Auswirkungen der Insolvenzeröffnung über das Vermögen des AG auf die Tarifverträge sowie die – die Tarifbindung begründende – Verbandsmitgliedschaft zu untersuchen und das Zusammenspiel der nicht aufeinander abgestimmten Rechtsgebiete zu berücksichtigen.
Eine umfassende Aufarbeitung der Thematik fehlt bislang. Die Autorin verweist in ihrer Einführung (S 25) auf die bis dato zu diesem Thema veröffentlichte Literatur (siehe insb Mückl/Krings, BB 2012, 769; Belling/Hartmann, NZA 1998, 57; Giesen in Jaeger, InsO, vor § 113 Rn 147 ff; Caspers in MüKo InsO, § 120 Rn 47 ff; allgemein zu Tarifverträgen bei Sanierung: Benedikt, die Kürzung von Tariflöhnen zur Sanierung; Adam, DZWIR 2005, 236).
Das Werk konzentriert sich darauf, die Handlungsmöglichkeiten des insolventen AG und des Insolvenzverwalters nach geltendem Recht zu beschreiben. Es werden zunächst die insolvenz- und tarifvertragsrechtlichen Grundlagen erläutert (§ 1). Die Autorin gelangt hier zum Ergebnis, dass der Tarifvertrag, der sowohl massebelastende als auch masseneutrale Regelungen enthalten kann, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des AG fortbesteht. Anschließend wird gezeigt, dass sich die Insolvenzeröffnung grundsätzlich nicht auf die Tariffähigkeit des einzelnen AG oder den AG-Verband auswirkt (§ 2). Ebenso führt die Insolvenzeröffnung nach Ansicht der Autorin nicht zur Beendigung des Tarifvertrags. Ein Schwerpunkt der Arbeit wird daher auf die Frage, inwiefern bzw unter welchen Voraussetzungen der Tarifvertrag in der Insolvenz des AG beendet oder angepasst werden kann, gelegt (§ 3). Weiters kommt die Autorin zu dem Schluss, dass die Insolvenz des AG die Mitgliedschaft im AG-Verband grundsätzlich nicht beendet. Ein weiterer Forschungsschwerpunkt ist daher die Frage, wer die Mitgliedschaft im AG-Verband beenden und wer bei Fortsetzung der Mitgliedschaft die Mitgliedschaftsrechte wahrnehmen kann (§ 4).
Im Gegensatz zur österreichischen Rechtslage ist nach deutschem Recht eine Anpassung der tarifvertraglichen Arbeitsbedingungen oder die Beendigung der Tarifverträge möglich und nach Ansicht der herrschenden Lehre für eine erfolgreiche Sanierung des Schuldners sogar erforderlich (siehe S 27 mwN).
Wird nicht die Eigenverwaltung angeordnet, geht durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Verwaltungs- und Verfügungsrecht des Schuldners über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen auf den Insolvenzverwalter über (§ 80 Abs 1 InsO). Über das nicht zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen bleibt der Schuldner hingegen allein verfügungsberechtigt. Ziel der vorliegenden Arbeit ist zu überprüfen, wer in einem eröffneten Insolvenzverfahren ohne Eigenverwaltung des Schuldners für die Tarifverträge und wer für die – die Tarifbindung begründende – Verbandsmitgliedschaft des insolventen Mitglieds zuständig ist.
Obwohl auch Tarifverträge Regelungen enthalten, die die Masse belasten, sieht die InsO keine Regelungen, die eine Anpassung oder Beendigung von Tarifverträgen in der Insolvenz normieren, vor. Da nach einhelliger Auffassung die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens keine Beendigung bestehender Vertragsverhältnisse bewirkt, muss das Erlöschen eines Vertragsverhältnisses gesetzlich angeordnet werden. Mangels Erwähnung in den Sondervorschriften der §§ 115 bis 117 InsO bestehen Tarifverträge daher trotz Insolvenzeröffnung weiter (S 39). Es liegt daher an den Tarifvertragsparteien, auf die Insolvenz zu reagieren und die nach Insolvenzeröffnung weiter geltenden Tarifverträge anzupassen oder aufzukündigen (S 34).
Die Autorin kommt im Rahmen ihrer Forschungsarbeit zum Ergebnis, dass im Rahmen der insolvenzrechtlichen Diskussion zu etwaigen Anpassungs- und Kündigungsmöglichkeiten der Tarifverträge nach Insolvenzeröffnung nur vereinzelt Stellung genommen wurde (S 42). Auch das im Jahr 2021 in Kraft getretene Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG), das verfahrensrechtliche Regelungen für ein dem Insolvenzverfahren vorgelagertes Sanierungsverfahren neu einführt, sieht keine Einschränkung des Arbeitsrechts zugunsten der angestrebten Sanierung des Schuldners vor.
Es ist somit Sache der Tarifvertragsparteien, die Regelungen der wirtschaftlichen Notlage anzupassen. Allerdings enthalten Satzungen der AG-Verbände oft Regelungen, die insolvente Mitglieder ausschließen. Dadurch soll verhindert werden, dass ein verbandsfremder Dritter, wie der Insolvenzverwalter, in das Verbandsgeschehen eingreift. Es können aber der AG selbst oder der Insolvenzverwalter mit der Gewerkschaft einen Firmentarifvertrag aushandeln, der eine Sanierung oder bevorstehende Betriebsänderung erleichtert (S 42). Aus den insolvenzrechtlichen Sondervorschriften zum Arbeitsrecht folgt also, dass der Insolvenzverwalter für Arbeitsverhältnisse und Betriebsvereinbarungen umfassend zuständig ist. Ob dies auch für Tarifverträge gilt, wird von der Autorin in den folgenden Kapiteln näher untersucht. Für eine bessere Übersichtlichkeit wird am Ende des § 4 eine zusammenfassende tabellarische Übersicht zur Zuständigkeitsverteilung zwischen Insolvenzverwalter und insolventem Mitglied des AG-Verbands erstellt (S 186). Unter § 5 werden die gesamten gewonnenen Ergebnisse der Forschungsarbeit noch einmal dargestellt und zusammengefasst.
Insgesamt ist festzuhalten, dass die einschlägige, fachspezifische Literatur sowie die aktuelle Judikatur bis einschließlich Jänner 2023 umfassend aufgearbeitet wurden. Das vorliegende Werk gibt einen guten Überblick über einschlägige Fragestellungen und bereits ausjudizierte Fallkonstellationen. Die Forschungsergebnisse werden gut strukturiert und die getroffenen Schlussfolgerungen fundiert begründet und nachvollziehbar dargestellt. Zusammenfassend stellt die vorliegende Dissertation ein gelungenes Nachschlagewerk der – im Zeitalter multipler Krisen immer wichtiger werdenden – Querschnittsmaterie kollektiven Arbeitsrechts und Insolvenzrechts dar. 567