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Kein Wiederaufleben der Witwenpension bei rechtsmissbräuchlicher (mehrmaliger) Scheidung

MaximilianWielander

Der Gesetzgeber hat die einvernehmliche Scheidung nicht allein in die privatautonome Disposition der Ehegatten gestellt. Ein Rechtsanspruch auf einvernehmliche Scheidung besteht daher nur dann, wenn – über das Einvernehmen über die Scheidung an sich hinaus – die weiteren von § 55a EheG normierten Voraussetzungen vorliegen. Dies setzt aber auch voraus, dass das Zugeständnis der Ehegatten von der unheilbaren Zerrüttung den Tatsachen entspricht und auch die eheliche Lebensgemeinschaft seit mindestens einem halben Jahr aufgehoben ist.

Hatte eine Versicherte mangels Vorliegens aller Voraussetzungen für eine einvernehmliche Scheidung gar keinen Rechtsanspruch darauf, geschieden zu werden, so ist die nur durch diese Scheidung mögliche Beantragung einer Witwenpension als rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren.

Sachverhalt

Die Kl bezog nach dem Tod ihres ersten Gatten im November 1981 eine Witwenpension. Im Oktober 1982 heiratete sie erstmals ihren jetzigen Mann. In weiterer Folge heiratete die Kl den Mann weitere elf (!) Mal, zuletzt am 29.11.2019, und ließ sich ebenso oft wieder von ihm gem § 55a EheG (einvernehmlich) scheiden. Seit dem Jahr 1982 leben die Kl und ihr Mann im gemeinsamen Haushalt, zwischen ihnen besteht auch eine Geschlechtsgemeinschaft. Nach der letzten Scheidung wurden die Zimmer der Wohnung nicht neu aufgeteilt.

Nach den (ersten elf) Scheidungen gewährte die bekl Pensionsversicherungsanstalt der Kl immer die Witwenpension und nach jeder erneuten Heirat die Abfertigung der Witwenpension – auch nach der letzten Eheschließung im Jahr 2019.

Mit Bescheid vom 5.9.2022 wies die Bekl den erneuten Antrag der Kl auf die – nach ihrer Scheidung vom 18.5.2022 wiederaufgelebte – Witwenpension nach ihrem ersten Gatten ab, weil die mittlerweile zwölfte Scheidung von ihrem Mann eine rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme des Scheidungsrechts darstelle.257

Verfahren und Entscheidung

Die Kl begehrte die Gewährung einer Witwenpension ab 1.8.2022, weil die Voraussetzungen für das Wiederaufleben nach § 265 ASVG vorlägen. Durch die wiederholten Eheschließungen und Scheidungen entstünde der Bekl kein Schaden, weil die Höhe der Abfertigung exakt der Wartezeit (auf das Wiederaufleben) von zweieinhalb Jahren entspräche. Die begünstigte Besteuerung sowie fehlende Beitragspflicht (in der KV) der Abfindung schädige allenfalls die Abgabenbehörden. Das Vorliegen der Zerrüttung der Ehe bei der letzten Scheidung ergäbe sich aus dem nicht bestreitbaren Scheidungsbeschluss. Ein behaupteter Rechtsmissbrauch oder eine Schädigungsabsicht sowie ein Scheingeschäft zum Nachteil der Bekl liege somit nicht vor.

Das Erstgericht wies die Klage ab und stellt zudem fest, dass die Ehe der Kl und ihres Mannes nie unheilbar zerrüttet war und die Verehelichungen bzw Scheidungen aus einem anderen Grund erfolgten. Die Scheidung soll lediglich dazu gedient haben, die Bekl über das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung der Witwenpension zu täuschen. Es qualifizierte die Scheidung vom 18.5.2022 als missbräuchliche Ausübung des Scheidungsrechts. Das Berufungsgerichts bestätigte das Urteil und führte aus, dass ein aufrechter Ehewille bestünde und die wiederholte Ausübung des Scheidungsrechtes, um abwechselnd die Witwenpension und die steuerbegünstigte Abfertigung zu beziehen, zumindest in den letzten 14 Jahren rechtsmissbräuchlich gewesen sei.

Die von der Kl erhobene außerordentliche Revision ist laut OGH mangels aufgezeigter Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung nicht zulässig.

Originalzitate aus der Entscheidung

1.2. Ob eine Ehe unheilbar zerrüttet ist, betrifft als solches nicht den Tatsachenbereich, sondern stellt eine rechtliche Beurteilung dar (RS0043423). […]

1.3. Hier ist das Berufungsgericht – wie dargestellt – davon ausgegangen, dass „die Ehe“ zwischen der Klägerin und ihrem Mann nicht unheilbar zerrüttet war.

Dies stellt – wie soeben ausgeführt – eine rechtliche Beurteilung dar, die angesichts der getroffenen Feststellungen über das faktisch auch nach der letzten Scheidung weiter bestehende, durchaus einer aufrechten (und nicht unheilbar zerrütteten) Ehe entsprechende Zusammenleben der Geschiedenen im vorliegenden Einzelfall (RS0043423 [T8]) nicht korrekturbedürftig ist. […]

3.1. Die vom Berufungsgericht herangezogenen Grundsätze des Rechtsmissbrauchs sind auch im Sozialrecht anzuwenden (vgl § 539a Abs 2 ASVG sowie 10 ObS 152/91; RS0037797 [T14]). Ob Rechtsmissbrauch vorliegt, ist eine nach den Umständen des Einzelfalls zu klärende Rechtsfrage (RS0110900). Soweit der Rechtsmissbrauch entscheidungswesentlich ist, wird daher eine erhebliche Rechtsfrage nur dann aufgezeigt, wenn dem Berufungsgericht eine Fehlbeurteilung unterlaufen wäre, was hier von der Revision nicht aufgezeigt und auch – wie zu zeigen sein wird – nicht der Fall ist.

3.2. Entsprechend diesem Grundsatz ist auch § 539a Abs 2 ASVG, wonach durch den Missbrauch von Formen und Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechts Verpflichtungen nach diesem Bundesgesetz, besonders die Versicherungspflicht, nicht umgangen oder gemindert werden können, nicht nur auf die ausdrücklich genannte Umgehung der Versicherungspflicht beschränkt, sondern im Rahmen des ASVG allgemein anwendbar (VwGH2000/08/0097).

3.3. Missbräuchlich ist eine Rechtsausübung vor allem dann, wenn die Schädigungsabsicht den einzigen Grund der Rechtsausübung bildet oder zwischen den verfolgten eigenen und den beeinträchtigten Interessen des anderen ein ganz krasses Missverhältnis besteht (RS0025230; RS0026265; RS0026271). Ein Missbrauch liegt demgemäß jedenfalls dann vor, wenn die an sich zulässige Gestaltung der rechtlichen Verhältnisse anders als mit der Absicht der Umgehung gesetzlicher Regelungen nicht erklärt werden kann (vgl 10 ObS 73/22s Rz 18; VwGHRa 2016/08/0074, 2009/08/0010 ua). […]

4.1. Wie schon das Berufungsgericht zu Recht betont hat, erstreckt sich die Rechtskraftwirkung des Scheidungsbeschlusses grundsätzlich nur auf dessen Spruch (RS0041357). Sie hindert das Gericht in einem Folgeprozess daher nicht, seiner Entscheidung eine als unrichtig erkannte Sachverhaltsgrundlage des Urteils im Vorprozess, hier also die unheilbare Zerrüttung und die Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft, nicht mehr zugrunde zu legen (1 Ob 42/09x [Scheidungsurteil]; RS0102102). […]

4.3. Der Gesetzgeber hat somit die einvernehmliche Scheidung nicht allein in die privatautonome Disposition der Ehegatten gestellt, sondern von den in dieser Bestimmung angeführten weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht (vgl Melcher in Klang3 § 55a EheG Rz 10 bis 34, insb 30 bis 33). Liegt daher etwa gar keine objektive Zerrüttung in Form einer aufgehobenen ehelichen Lebensgemeinschaft vor, so ist der Scheidungsantrag abzuweisen (Melcher aaO Rz 33 aE mwN). […]

Da feststeht, dass die Klägerin und ihr Mann seit der ersten Verehelichung 1982 im gemeinsamen Haushalt leben, sich die Haushaltstätigkeiten und die Kosten teilen, nach der Scheidung die Zimmer der Wohnung nicht neu aufteilen und eine Geschlechtsgemeinschaft besteht, kann von einer mindestens seit einem halben Jahr vor der Scheidung bestehenden Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft schwerlich gesprochen werden. Unter diesem Aspekt kann auch nicht davon ausgegangen werden, das Zugeständnis der unheilbaren Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses bei ihrer letzten Ehescheidung am 18. Mai 2022 habe den Tatsachen entsprochen. […]258

4.5. Als Konsequenz der vorstehenden Überlegungen ergibt sich, dass die Klägerin mangels Vorliegens aller Voraussetzungen für eine einvernehmliche Scheidung gar keinen Rechtsanspruch darauf hatte, geschieden zu werden. Wenn unter dieser Rücksicht das Berufungsgericht die Vorgangsweise der Klägerin, konkret ihre nur durch diese Scheidung mögliche gegenständliche Beantragung einer Witwenpension bei der Beklagten, als rechtsmissbräuchlich qualifiziert hat, ist dies nicht korrekturbedürftig. Dies ergibt sich schon aus einem Größenschluss zur Rechtsprechung, wonach schon ein (an sich legaler) Verzicht auf Unterhalt zur Erwirkung einer Ausgleichszulage als rechtsmissbräuchlich beurteilt wird (RS0038599 [T1]).

5.1. Die Revision beschränkt sich im Wesentlichen auf die Behauptung, beim Rechtsmissbrauch müsse dem anderen ein Schaden zugefügt werden […]. Dies treffe auf die Klägerin nicht zu, weil ihre Vorgangsweise von wiederholten Eheschließungen aufgrund der Wartezeit des § 265 Abs 3 ASVG die Beklagte nicht mehr koste, als wenn die Klägerin als Dauergeschiedene keine Abfertigungen nach § 265 Abs 1 ASVG, sondern nur die laufende Witwenpension nach § 265 Abs 2 ASVG bekäme. […]

5.2.1. Schon das Berufungsgericht hat darauf hingewiesen, dass die Abfertigungen nach § 67 Abs 4 EStG mit maximal 6 % steuerbegünstigt (und somit für die Klägerin lukrativer als eine normal einkommenbesteuerte Witwenpension [„Steuervorteil von 24 %“]) seien, was die Klägerin in der Revision nicht bestreitet. Der (so betrachtete) Schaden durch die wiederholten Eheschließungen und Scheidungen der Klägerin wäre dann zwar vielleicht nicht beim beklagten Sozialversicherungsträger, aber sehr wohl beim Fiskus eingetreten. Für die Behauptung der Revision, der „andere“ Geschädigte beim Rechtsmissbrauch müsse die Gegenpartei im Zivilprozess sein, bleibt sie freilich jegliche Begründung schuldig und kann somit den Rechtsmissbrauch nicht entkräften.

5.2.2. Darüber hinaus kommt es hier auf die von der Klägerin angestellten Überlegungen gar nicht an: Da sie – wie ausgeführt – im Zeitpunkt ihrer (für das vorliegende Verfahren allein maßgeblichen) letzten Scheidung am 18. Mai 2022 keinen Rechtsanspruch auf die Scheidung hatte, hätte sie beim Unterbleiben der Scheidung keine Witwenpension beantragen können. Der Schaden in Form der gewährten Witwenpension wäre daher ohnehin bei der Beklagten eingetreten.

Erläuterung

In vorliegender E beschäftigte sich der OGH mit der Frage, ob wiederholte Scheidungen und Wiederverehelichungen, die lediglich vor dem Hintergrund des abwechselnden Bezugs der unbefristeten Witwenpension und deren Abfindung vorgenommen wurden, einen Rechtsmissbrauch darstellen sowie, ob im sozialgerichtlichen Verfahren eine Bindung an einen (rechtskräftigen) Scheidungsbeschluss nach § 55a EheG besteht.

Gem § 265 Abs 1 ASVG gebührt einer Witwe bei Wiederverehelichung eine Abfertigung in der Höhe des 35-fachen Betrags der monatlichen Witwenpension (was dem zweieinhalbfachen Jahresbetrag entspricht), auf die sie im Zeitpunkt der Schließung der neuen Ehe Anspruch gehabt hat. Wird die neue Ehe der Witwe ua durch Scheidung aufgelöst, lebt der Anspruch auf die Witwenpension auf Antrag wieder auf, wenn die Ehe nicht aus dem alleinigen oder überwiegenden Verschulden der Witwe aufgelöst worden ist, und zwar mit dem der Antragstellung folgenden Monatsersten, frühestens mit dem Monatsersten, der dem Ablauf von zweieinhalb Jahren nach dem seinerzeitigen Erlöschen des Anspruchs folgt (§ 265 Abs 2 und 3 ASVG).

Als Hintergrundinformation soll der (mögliche) Grund für die Vorgangsweise der Kl kurz beleuchtet werden: Zwar stimmt das Vorbringen der Kl dahingehend, dass bezüglich der (Brutto-)Leistungshöhe der Bekl in Summe keine Differenz zwischen einer laufenden Witwenpension und der Abfindung auftritt. Im Ergebnis tritt aber aufgrund der begünstigten Besteuerung der Abfindung sowie fehlender Abzugspflicht eines Krankenversicherungsbeitrags eine höhere Nettoleistung für die Kl ein. Wenngleich die genauen Motive des Ehepaares nicht feststehen und für die rechtliche Beurteilung schlussendlich nicht relevant waren, bestätigte der OGH, dass im gegenständlichen Fall Rechtsmissbrauch vorliegt, weil die Scheidungsvoraussetzung der unheilbaren Zerrüttung nicht gegeben und demnach nicht Grund für die mehrfachen Scheidungen und Eheschließungen war. Laut OGH bestand kein Rechtsanspruch der Kl darauf, geschieden zu werden.

Des Weiteren stellt der OGH in gegenständlicher E klar, dass im Einklang mit seiner bisherigen Rsp dem rechtskräftigen Scheidungsausspruch keine Bindungswirkung im gegenständlichen Verfahren zukommt. Der Sachverhalt und das Vorliegen der Voraussetzungen des § 55a EheG konnten im sozialgerichtlichen Verfahren demnach autonom beurteilt werden.

Im Ergebnis kommt der OGH daher zum Schluss, dass die Kl trotz der am 18.5.2022 erfolgten Scheidung nach § 55a EheG dennoch keinen Anspruch auf Wiederaufleben der abgefundenen Witwenpension hat.259