Nachhaltigkeit im Unternehmensrecht
Nachhaltigkeit im Unternehmensrecht
Nachhaltigkeit: Wirtschaftlich effizient, umweltverträglich, sozial gerecht
Mehrere Geschwindigkeiten des unternehmensbezogenen Nachhaltigkeitsrechts
Die Entwicklungsschritte aus politischer, rechtlicher und wirtschaftlicher Sicht
Völkerrechtliche und europarechtliche Vorgaben
Berichtspflichten: Keine klar gefassten Verbote und Gebote
Berichte als Umweg: Substitut für klare Handlungsvorgaben
Zweck der Berichtspflichten
Inhaltliche Ausgestaltung
Bürokratisierung
Nachhaltigkeit als Leitungsmaxime von Vorstand und Aufsichtsrat
Pflicht zur Berücksichtigung
Recht der Berücksichtigung
Aufsichtsrat – Unternehmensstrategie
Zustimmungspflicht und Gestaltungsmöglichkeiten
Hauptversammlung – gemeinsames Organ der Aktionäre
Unternehmensgegenstand – Unternehmensziel
Beschlussfassung über Klimabelange
Aktionärsrechte
Aktionärsrechte
Ausblick
Der Begriff der Nachhaltigkeit entstammt dem Forstrecht* und dient der dauerhaften Erhaltung des Waldes als mehrseitige Ressource unseres Lebens. Die außerforstliche Karriere des Wortes „Nachhaltigkeit“ beginnt mit dem 1987 von der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung unter Leitung der ehemaligen norwegischen Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland.* Dieser Bericht definiert erstmals auf globaler Ebene sustainable development (nachhaltige Entwicklung). Von Anfang an geht es um eine ganzheitliche Betrachtung, nämlich um die Integration von Umweltschutz und Armutsbekämpfung, somit um den Zusammenhang globaler und generationsübergreifender Gerechtigkeit. 1992 wurde in Rio erstmals ausdrücklich ausgesprochen, dass menschliches Handeln nachhaltig, dh „wirtschaftlich effizient im Sinne eines minimierten Ressourcenverbrauchs, ökologisch tragfähig und sozial gerecht
“ sein soll. Das so formulierte Handlungsprogramm für das 131 21. Jahrhundert sollte noch fast drei Jahrzehnte brauchen, um 2019 auf europäischer Ebene in den Aktionsplan „Der europäische Grüne Deal“* gegossen zu werden und eine zunehmende normative Verfestigung zu erfahren.
Nachhaltigkeitsrecht entfaltet sich von verschiedenen Seiten: Auf der einen Seite sind die öffentlichrechtlichen Rahmenbedingungen zu sehen, zugleich und auf der anderen Seite die gesellschaftsrechtlichen Vorgaben und Gestaltungsmöglichkeiten. Die konkreten wirtschaftspolitischen Ziele finden sich vielfach im öffentlichen Wirtschaftsaufsichts- und Wirtschaftslenkungsrecht.* Zahlreiche öffentlichrechtliche Regelungen schreiben klare Gebote vor (etwa den maximalen Ausstoß von Schadstoffen etc).* Das Gesellschaftsrecht steht dem Thema „Nachhaltigkeit“ offen gegenüber. Zu fragen ist, welche rechtlichen Vorgaben jede Gesellschaft erfüllen muss? Gibt das Gesellschaftsrecht bestimmte Pflichten vor? Darf das Gesellschaftsrecht bestimmte Pflichten vorsehen? Sollen rechtspolitisch in Zukunft weitere Pflichten etabliert werden?
Regelungen zur Nachhaltigkeit gelten auf mehreren Ebenen,* nämlich auf jener des Völkerrechts, des Rechts der Europäischen Union und des nationalen Rechts. Der Begriff und rechtliche Folgen der Nachhaltigkeit finden sich auf mehreren Stufen mit unterschiedlichen Regelungsadressaten. Die allgemein gefassten Generalklauseln des Völkerrechts richten sich an Staaten und internationale Organisationen; zum Teil werden im Rahmen von Empfehlungen auch Unternehmen einbezogen.* Ein breites Spektrum an Empfehlungen, Stellungnahmen, Resolutionen mit unterschiedlichem Grad an Verbindlichkeit und verschiedener prozeduraler Absicherung bildet den Rahmen.*Neben die völkerrechtlichen, unionsrechtlichen und nationalen Normgeber tritt eine Reihe privater Akteure, seien es Interessenvereinigungen, Non-Profit-Organisationen, private Gruppen oder Unternehmen. Ihre Regelungen können einseitige Erklärungen oder Empfehlungen sein; ihnen kann auf horizontaler Ebene wiederum verbindliche Wirkung zukommen.* Ein Unternehmen muss diese Normen zusammenführen und beachten.
Schön, Nachhaltigkeit in der Unternehmensberichterstattung, ZfPW 2020, 207; Schranz, Die neue Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen und die Rolle von Vorstand und Aufsichtsrat, ZFR 2033, 4 ff.
Die Nachhaltigkeitsberichterstattung* löst die nicht finanzielle Berichterstattung ab und läutet eine neue Ära von Informationspflichten der Unternehmen ein, für die weitreichende Handlungen der Unternehmen einfach vorausgesetzt werden.* Nachhaltigkeitsberichterstattung zielt darauf, mit verbesserten Informationen Anteilseigner und den Kapitalmarkt zur Disziplinierung der Unternehmensführung zu ermächtigen.* Hingegen geht es der Sorgfaltspflichten-RL (Lieferkette) darum, sehr kleinteilige, verfahrensmäßige und prozedurale Vorgaben zur Prävention umweltbezogener und menschenrechtlicher Risken zu machen und im Rahmen von Politiken vorzugeben und in einer Dreiteilung – identifizieren, beseitigen und vorsorgen – konkret zu gestalten.* Die Corporate Governance wird insofern beeinflusst, als auch diese Sorgfaltspflicht mit ihren Nachhaltigkeitsaspekten in die Unternehmensstrategie einzubeziehen ist und insb die Auswirkungen der Gesellschaft nach außen herauszuarbeiten und zu artikulieren sind.
Die Normgeber vermeiden es, einige wenige zielgerichtete Verhaltenspflichten vorzuschreiben, die von den rechtsunterworfenen Unternehmen einzuhalten und umzusetzen sind. Vielmehr weicht der Gesetzgeber auf die scheinbar einfachere und weniger belastende Technik der Berichterstattung aus.* Tausende Seiten an Regelungen normieren nun Berichte und Darstellungen, die eine Vielzahl von umweltbezogenen und sozialen Aspekten aufgreifen und die durch zunehmende Standardisierung und Detaillierung an Lesbarkeit, „Botschaft“ und Zielerreichung verlieren.
Ein Aspekt der Berichtspflicht liegt darin, zum Zweck der Selbstinformation eine Standortbestimmung zu schaffen und davon ausgehend das Verhalten von Unternehmen zu lenken – erst wenn ein Unternehmen etwa das Ausmaß seines Strom- und 132
Gasverbrauchs an seinen Standorten kennt und ihn messen kann, kann es beginnen, die Verwendung und den Gebrauch besser zu steuern und letztlich zu senken. Der Gedanke, durch eine Berichtspflicht auch das Verhalten zu ändern,* ist im Grundsatz anerkannt. Dennoch besteht Einigkeit darüber, dass keine konkrete Verhaltenspflicht mit der Berichtspflicht angeordnet wird,* sondern nur eine starke Anregung (Nudging) und mittelbare Anleitung.* Dies mag politisch einfacher sein und mögen Beharrungskräfte der unmittelbar Betroffenen für diese letztlich ausweichende Regelung der Grund sein; zugleich mag es auch im Interesse der Berichtersteller und Dienstleister für Vorarbeiten sein, gerade diesen Regelungsweg eingeschlagen zu haben.
Der Preis dafür ist allerdings sehr hoch. Abgesehen von den langen, schwer lesbaren und auch in sich nicht geschlossenen Regelwerken wird deshalb eine große Anwendungs- und Umsetzungslast auf Unternehmen gewuchtet,* ohne das Ziel direkt zu erreichen.
Die Stärkung der nachhaltigen Finanzierung setzt voraus, dass Gesellschaften vergleichbare und aussagekräftige nachhaltigkeitsbezogene Informationen veröffentlichen.* Vermögensverwalter und sonstige institutionelle Anleger wollen und müssen die nachhaltigkeitsbezogenen Chancen und Risiken ihrer Investments abschätzen können.* Gleichzeitig dienen die nachhaltigkeitsbezogenen Informationen der Emittenten den Vermögensverwaltern und Finanzberatern als Grundlage dafür, dass sie ihrerseits den weitreichenderen Nachhaltigkeitsinformationen nachkommen können.*
Das gerade entstehende – noch torsohafte – Rahmenwerk der Taxonomie-VO soll die Kohärenz und Konsistenz der nachhaltigkeitsbezogenen Informationsfülle herstellen, indem bestimmte Wirtschaftstätigkeiten als ökologisch nachhaltig eingestuft werden.* Daher normieren sowohl die Taxonomie-VO als auch die Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD-RL) nachhaltigkeitsbezogene Berichtspflichten.
Die CSRD weitet den Adressatenkreis im Vergleich zur bestehenden nichtfinanziellen Berichterstattung aus und bringt eine inhaltliche Erweiterung des Berichtsumfangs und wirkt sich auch auf die Berichtsprüfung aus. Gleichzeitig haben Unternehmen ihre Wirtschaftstätigkeit unter mehreren Perspektiven in den Blick zu nehmen.* Die Gesellschaften haben nunmehr primär über die Auswirkungen der Geschäftstätigkeit auf ökologische und soziale Belange zu berichten (inside-out)* und weiterhin über Auswirkungen von Nachhaltigkeitsbelangen auf die Gesellschaft (outside-in).
Anstatt konkrete einzelne Verhaltenspflichten vorzusehen, werden Berichte, Zuordnungen und Einstufungen verlangt. Damit ist ein immenser Aufwand an der Erarbeitung der Einzelangaben verbunden, der für viele Unternehmen kaum machbar ist. Zugleich wird damit eine Regelungs- und Beratungsindustrie gefördert, die aus diesen Regelwerken und deren Anwendung drastische Haft- und Drohszenarien zeichnet und neue Geschäfts- und Beratungsmodelle schafft, um ihrerseits dazu beizutragen, diese Szenarien zu bewältigen und zu beseitigen.* Die Regelungs- und Anwendungslast wird von der Politik durch Verweigerung konkreter Entscheidungen und Formulierung klarer Handlungspflichten auf betroffene Unternehmen und die hier sehr weit gefassten Beratungsdienstleistungen geschoben. Angesichts der Vielfalt, Detailliert- und Ziseliertheit und Fehleranfälligkeit, gepaart mit einer schwierigen und offenen Durchsetzung mit völlig neuen Spielern (NGOs als Repräsentanten der Zivilgesellschaft), werden die Unternehmen umfassend gefordert.
Das neue Regelungsregime für die Nachhaltigkeit von Unternehmen lässt sich mit dem zweifachen Ausweichen der Regelgeber auf Private umschreiben. Zunächst werden die Unternehmen direkt 133 angesprochen, um – neben den Berichtspflichten – über die eigene Gesellschaft hinausgehende, auf die gesamte wirtschaftliche Einheit ausgerichtete Handels- und Einhaltungspflichten zu setzen. Dieser Regelungsauftrag und das Regelungsgebot gehen noch weiter und beziehen auch Geschäftspartner mit ein, die verpflichtet werden, die Regelungen ihrer starken Vertragspartner in der Wertschöpfungs- bzw Lieferkette zu unterfertigen. Da die Regelgeber es verabsäumt haben, einheitliche Standards dafür vorzusehen, haben nunmehr die Geschäftspartner in der Wertschöpfungs- bzw Lieferkette unterschiedliche Politiken zu akzeptieren und zu unterfertigen.
Somit wird ein breiter Regelungsauftrag an die Unternehmen übertragen, den sie beinahe nicht leis ten können. Zugleich taucht das Problem auf, dass ein Rechtsunterworfener (zB österreichische Tochtergesellschaft oder österreichischer Geschäftspartner) plötzlich einer Vielzahl verschiedener Regelungsgeber gegenübersteht.*
Mit Zunahme der neuen Pflichten nach den Richtlinien fragt man sich, wie weit eine Pflicht zur Berücksichtigung der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit als Ausprägung des Unternehmensinteresses* bereits nach geltendem Recht im allgemeinen Sorgfaltsrahmen des nationalen Gesellschaftsrechts greift.
Nach § 70 AktG hat der Vorstand die Gesellschaft so zu leiten, wie es das Wohl des Unternehmens erfordert. Dabei sind die Interessen der Aktionäre, der AN sowie das öffentliche Interesse zu berücksichtigen. Die Bestimmung steckt mit den genannten Leitungsmaximen und deren Gewichtung den äußeren Rahmen für die Sorgfaltspflichten bei Entscheidungen des Leitungsorgans ab. Bei langfristiger Sicherung des Unternehmenswohls unterliegt die Gewichtung der übrigen Interessen § 84 Abs 1a AktG. Dem Vorstand kommt daher ein breiter Ermessensspielraum zu.* Das Wohl der Gesellschaft iSd § 84 Abs 1a AktG bezieht auch die in § 70 AktG genannten Interessen ein und grenzt sie nicht nur gegen sachfremde Entscheidungen ab.* Die Bestimmung von § 70 AktG entstammt dem AktG 1937 und wurde 1965 mit einer wesentlichen Änderung aufrechterhalten.* Während in der Ursprungsfassung der „gemeine Nutzen von Volk und Reich“ (= nun öffentliches Interesse) und das „Wohl der Belegschaft“ (= AN-Interessen) und das „Wohl des Betriebes“ (= Unternehmenswohl) in einem gleichberechtigten, parallelen Verhältnis standen, um den weisungsfreien Vorstand zu binden,* führte die Neufassung 1965 den Primat des Unternehmenswohls ein.* Die übrigen Interessen – dazugekommen ist explizit nur die Nennung der Interessen der Aktionäre – sind dem Unternehmenswohl nunmehr untergeordnet. Ihrerseits sind sie auf horizontaler Ebene gleichgeordnet.
Hat das Leitungsorgan ökologische und soziale Nachhaltigkeitsaspekte als Ziele bei der Leitung und Geschäftsführung zu verfolgen?* Sind diese Ziele zumindest bei der Entscheidungsfindung im Rahmen einer Abwägung zu berücksichtigen?* Die überwiegende Lehre sieht Nachhaltigkeitsaspekte (Klima, Umwelt) nicht als Teilaspekt des Unternehmenswohls. Daher wird auch eine eigenständige dem Unternehmenswohl gleichgestellte Pflicht zum ökologisch und sozial nachhaltigen Handeln aktuell nicht anerkannt.* Das Wohl des Unternehmens hängt vom Gesellschaftszweck ab.* Dieser liegt regelmäßig in der Gewinnerzielungsabsicht, womit das Unternehmenswohl iSd Sicherung der dauerhaften Rentabilität des Unternehmens und zumindest der Vermögenserhaltung zu sehen ist.* Wirkt sich die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten bei einer Entscheidung auf das langfristige Unternehmenswohl aus – etwa in Form der Marktwahrnehmung und der Unternehmensreputation –, besteht schon nach geltender Rechtslage die Pflicht zur Beachtung derartiger Belange bei der Entscheidungsfindung.* Die Risiken werden durch die neuen Verhaltenspflichten deutlich ausgedehnt, zumal der Marktdruck spürbar gestiegen ist.* Ein unmittelbares Durchschlagen der Nachhaltigkeits- Berichtspflichten auf den gesellschaftsrechtlichen Leitungsmaßstab ist noch nicht gegeben.* Eine 134 solche Pflicht könnte sich aber bereits aus dem zu berücksichtigenden öffentlichen Interesse, ökologische Ziele zu erfüllen, ergeben, die zunehmend normativ anerkannt werden.* Öffentliches Interesse ist als Gemeinwohl iSd Förderung volkswirtschaftlicher Interessen der Gesamtgesellschaft zu verstehen.* Dem öffentlichen Interesse wird in der Regel durch Einhaltung von Gesetzen und Verordnungen entsprochen.* Die Berücksichtigung des öffentlichen Interesses kann weiter reichen. Der dynamische Begriff des öffentlichen Interesses lässt sich auch als ökologische und soziale Verantwortung des Gemeinschaftsinteresses des Staates begreifen. Öffentliches Interesse soll daher fortgedacht und unter dem wandelnden Verständnis interpretiert werden. Anknüpfungspunkte sind die Beiträge des Unternehmens an der Verschlechterung der Umwelt, an der Klimaveränderung und an der sozialen Ungleichheit. Die entscheidende Frage liegt darin, ob und wann sich diese Aspekte zu einer Berücksichtigungspflicht verdichten. Wann ist dieser normative Kipppunkt überschritten?
Von der Pflicht zur Berücksichtigung ist das Recht zur Berücksichtigung klar zu trennen. Liegt der Gesellschaftszweck primär in der Gewinnerzielung, offenbart sich bei der Berücksichtigung von ökonomisch nachteiligen Nachhaltigkeitsaspekten ein Spannungsverhältnis.* Muss sich Nachhaltigkeit finanziell lohnen? Bei einer ökologisch oder sozial nachhaltigeren Entscheidungsalternative, die sich im Vergleich ungünstiger auf die finanzielle Lage der Gesellschaft auswirkt, begründet die Berücksichtigung nicht unbedingt eine Pflichtwidrigkeit.* Das Aktienrecht ist aber für die nachhaltigen und sozialen Belange offen, der Vorstand ist daher berechtigt, nachhaltige und soziale Ziele zu verfolgen.* Die Berücksichtigung liegt im weiten unternehmerischen Ermessen des Leitungsorgans, soweit durch die Beachtung von Gemeinwohlbelangen nicht der Bestand und die dauerhafte Rentabilität der Gesellschaft gefährdet werden.* Die Entscheidung muss sorgfaltsgemäß getroffen werden. Der haftungsfreie Ermessensspielraum des § 84 Abs 1a AktG bzw § 25 Abs 1a GmbHG verwirkt bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen damit erst, wenn die Abwägung der Leitungsmaximen offenkundig misslungen ist.* Dies gilt auch bei einer evidenten Nichtberücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten als Teilbereich des öffentlichen Interesses. Eine völlig unvertretbare Nichtberücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten wird sich bei Gesellschaften regelmäßig auf die Marktwahrnehmung und damit auf das ökonomische Wohl des Unternehmens auswirken; sie ist unzulässig.
Die Erarbeitung der Unternehmensstrategie fällt in die Zuständigkeit des Vorstands. Bei der Erstellung der Unternehmensstrategie empfiehlt L Regel 11 des ÖCGK* eine enge Zusammenarbeit zwischen Vorstand und Aufsichtsrat. Konkret hat der Aufsichtsrat die Strategie nicht mit dem Leitungsorgan (Vorstand) zu erarbeiten, sondern die bereits vom Vorstand erstellte Strategie einzuschätzen, zu hinterfragen und zu diskutieren.* Diese Zusammenarbeit mündet in der Pflicht zur Vorlage der allgemeinen Grundsätze der Geschäftspolitik an den Aufsichtsrat, der gem § 95 Abs 5 Z 8 AktG seine Zustimmung zu erteilen hat.*
Jedenfalls ist es auch zulässig, die Unternehmensstrategie und daher auch die nachhaltigkeitsbezogenen Aspekte der expliziten Zustimmung des Aufsichtsrats zu unterwerfen.* Jede Umgestaltung iS eines nachhaltigen Wirtschaftens kann der Zustimmung unterworfen werden.
Nach Art 5 Abs 1 Corporate Sustainability Due Diligence Directive-RL-Entwurf (CSDD-RL-E) müssen die Sorgfaltspflichten der Artt 6 ff CSDD-RL-E in alle Bereiche der Unternehmenspolitik einbezogen werden; zur Eindämmung des Klimawandels ist gem Art 15 CSDD-RL-E ein Plan festzulegen, mit dem sichergestellt wird, dass das Geschäftsmodell und die Strategie der Gesellschaft mit dem Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft und der Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5° C vereinbar sind, und gegebenenfalls sind Emissionsreduktionsziele in diesen Klimaplan aufzunehmen. Sofern derartige Maßnahmen bisher noch nicht in den vom Aufsichtsrat abgesegneten allgemeinen Grundsätzen der Geschäftspolitik der Gesellschaft festgeschrieben waren, wirkt sich die Umsetzung wesentlich auf die Gestaltung der sozialen und ökologischen Orientierung der Gesellschaft aus. Diesfalls ist von einer gesetzlichen Zustimmungspflicht des Aufsichtsrats gem § 95 Abs 5 Z 8 AktG auszu- 135 gehen.* Sie kann und soll durch Satzung oder Geschäftsordnung des Aufsichtsrats (Beschluss des Aufsichtsrats) explizit gefasst und festgeschrieben werden. Bei erstmaliger Anpassung der Strategie bzw Unternehmenspolitik an die Anforderungen der Art 5 und 15 CSDD-RL-E und bei jeder wesentlichen Änderung ist der Aufsichtsrat daher durch die Zustimmungspflicht unmittelbar in die Gestaltung einbezogen.
Die Aktionäre können mit dem Unternehmensgegenstand die konkrete Tätigkeit des Vorstands festlegen. Zusätzlich zum Gegenstand können der Gesellschaftszweck und die Unternehmensziele der Gesellschaft ausformuliert werden. Die Aktionäre können vom strikten Unternehmensinteresse ebenso abrücken, wie sie Unternehmensziele vorgeben können, für die bestimmte Handlungen vorweg erforderlich sind.*
Die Aktionäre können über die Satzungsgestaltung eine verstärkte nachhaltigkeitsbezogene Ausrichtung erwirken. Eine Satzungsregelung über eine Präzisierung der Unternehmensziele oder über eine Klarstellung der Entscheidungsbefugnisse und des Entscheidungsrahmens des Vorstands und der einzelnen Aspekte der Entscheidungsfindung durch den Vorstand ist zulässig. Die Einführung einer Environmental, Social & Governance-(ESG-)Klausel, die nachhaltigkeitsbezogene Aktivitäten ausdrücklich gestattet, ist in der Aktiengesellschaft möglich.* Eine ESG-Klausel, wonach der Vorstand zur Berücksichtigung von Nachhaltigkeitszielen verpflichtet ist, ist unter Wahrung der Leitungsautonomie nach § 70 AktG zulässig.* Jährlich verbindliche CO2-Reduktionsziele oder ähnlich konkrete Vorgaben sind aber als zu genau unzulässig.* Als teilweise Änderung bzw „hybride“ Ausrichtung des Unternehmenszwecks kann eine derartige Klausel mit qualifizierter Mehrheit der Gesellschafter eingeführt werden.*
Ausgehend von Klimaschutzinitiativen von institutionellen Investoren,* Stimmrechtsberatern* und Investorengemeinschaften erhebt sich vermehrt eine klimaschutzbezogene Rechenschaftsforderung der Aktionäre gegenüber der Unternehmensführung. Dabei werden zwei Informationsrichtungen in Anspruch genommen: Einerseits soll die Geschäftsleitung die Maßnahmen zur Förderung der Nachhaltigkeitsbelange kommunizieren und andererseits möchten die Aktionäre die eigenen Ansichten dem Leitungsorgan mitteilen.* Die Debatte wird durch die nachhaltigkeits- und dabei insb die klimaschutzbezogenen konkreten Verhaltenspflichten des CSDD-RL-E befeuert.
Nunmehr wird die Diskussion unter dem Vorzeichen der Beschlüsse zu Klima-, Umwelt- und Sozialfragen geführt. Gesetzlich ist keine Befassungspflicht der Hauptversammlung zu Nachhaltigkeitsfragen angelegt.* Vorstellbar ist vor allem ein „Anhängen“ an der Beschlussfassung über den Vergütungsbericht gem § 78b AktG, bezogen auf die nachhaltigkeitsbezogenen Kriterien.* Weder der CSDD-RL-E noch die CSRD sehen eine Konsultationspflicht der Gesellschafterversammlung vor. Die Nachhaltigkeitspolitik fällt als Geschäftsführungsangelegenheit grundsätzlich in die Zuständigkeit des Vorstands und ist als wesentliche Geschäftspolitik der Zustimmungspflicht des Aufsichtsrats unterworfen.* Weder der Klimaplan gem Art 15 CSDD-RL-E noch die Strategie zur Umsetzung der Sorgfaltspflichten in der Aktivitätskette gem Artt 4 ff CSDD-RL-E sind gegenüber der Hauptversammlung vorlagepflichtig.
Die Fassung eines bloßen Meinungsbeschlusses zu Nachhaltigkeitsfragen durch die Hauptversammlung scheidet aus, zumal das Gesetz die Beschlusskompetenzen der Hauptversammlung abseits der Vorlage durch den Vorstand nach § 103 Abs 1 AktG grundsätzlich* abschließend regelt.* Eine Ausnahme ist nur anzuerkennen, wenn durch diese Maßnahmen dauerhaft Geschäftstätigkeiten aufgenommen werden, die durch den Unternehmensgegenstand nicht gedeckt sind.* Eine Einbindung der Aktionäre betreffend Nachhaltigkeitsfragen auf Initiative des Vorstands oder des Aufsichtsrats ist im Rahmen eines Vorlagebeschlusses nach § 103 Abs 2 AktG möglich.* Der Vorstand kann den Beschlusscharakter auf nichtverbindliche Meinungsbeschlüsse der Hauptversammlung beschränken.* Eine Beschlussfassung auf Initiative der Aktionäre ist damit jedoch nicht erreichbar. 136
Auch sonstige Aktionärsrechte leisten diese Aufgabe nicht. Der Entlastungsbeschluss ist als Äußerung zur vergangenen Geschäftsführung in ihrer Gesamtheit zu holzschnittartig, um eine konkrete Stellungnahme der Anteilseigner zur Nachhaltigkeitsorientierung der Geschäftsführung zu ermöglichen.* Bei Tagesordnungsergänzungsverlangen nach § 109 Abs 1 AktG hat der Vorstand zu prüfen, ob das Verlangen in die Entscheidungskompetenz der Hauptversammlung fällt.* Das Verlangen zur Ergänzung in Nachhaltigkeitsfragen könnte als genuine Geschäftsführungsangelegenheit mittels Vorstandsbeschlusses abgelehnt werden.* Nichts anderes gilt, wenn das Ergänzungsverlangen auf einen Konsultationsbeschluss der Hauptversammlung in Nachhaltigkeitsfragen abzielt – in Geschäftsführungsangelegenheiten bleibt es bei der Initiative des Vorstands, die Hauptversammlung einzubeziehen. 137*
In der GmbH besteht – ebenso wie im Personengesellschaftsrecht – eine Definitionshoheit der Gesellschafter, was unter Gesellschaftsinteresse und Unternehmenswohl zu verstehen ist.* Daher können Nachhaltigkeitsaspekte – mit unterschiedlich starker Gewichtung – gut in die begriffliche Fassung des Gesellschaftsinteresses im Gesellschaftsvertrag aufgenommen werden.
Nachhaltigkeit treibt das gesamte Wirtschaftsrecht. Nachhaltigkeitsfragen und Nachhaltigkeitsrecht treffen mit hoher Gestaltungswirkung auf die Unternehmen. Die Zielvorgaben und Berichtspflichten können als „Umwegregelungen“ ohne klare Verhaltensvorgaben qualifiziert werden. Sie ziehen eine Flut von Einzelregeln und eine unverhältnismäßig starke Belastung für Unternehmen nach sich. Aktionäre sind unmittelbar kaum in die neuen Regelungen eingebunden, die Regelungen zielen vor allem auf neue Pflichten für Vorstand und Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft oder der sonstigen Gesellschaften. 137