Green Public Procurement – Die Berücksichtigung von ökologischen und sozialen Kriterien bei der öffentlichen Auftragsvergabe*

DIANANIKSOVA (INNSBRUCK)
Die öffentliche Hand kann aufgrund der immensen Marktmacht durch das „Green Public Procurement“ erheblich zum Erreichen der Ziele des „Green Deals“ beitragen. Der vorliegende Beitrag zeigt auf, dass die Berücksichtigung von ökologischen Kriterien bei der öffentlichen Auftragsvergabe nicht nur gesellschaftspolitisch wünschenswert, sondern nach der Vergabe-RL 2014/24 und dem nationalen BVergG 2018 unter bestimmten Voraussetzungen auf allen Ebenen des Vergabeverfahrens auch rechtlich zulässig und zum Teil sogar verpflichtend ist. Gleiches gilt auch für soziale Kriterien. Ein Hindernis bei den Bemühungen zu einer verstärkten Berücksichtigung sozialer Aspekte bei der öffentlichen Auftragsvergabe stellt jedoch die Entsende-RL 96/71 idF 2018/957 dar, die als vollharmonisierende RL das einzuhaltende Schutzniveau abschließend vorgibt und zusätzliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, die über das in der Entsende-RL normierte Niveau hinausgehen, nicht zulässt.
  1. Einleitung

  2. Analyse der EuGH-Judikatur zur Berücksichtigung von ökologischen und sozialen Kriterien bei der öffentlichen Auftragsvergabe

    1. Allgemeines

    2. Ebenen des Vergabeverfahrens

    3. EuGH-Judikatur vor dem Vergabe-Richtlinien- Paket 2004

    4. Ansatzweise Kodifikation der EuGH-Judikatur im Vergabe-Richtlinien-Paket 2004

  3. Novellierung der Vergabe-Richtlinien im Jahr 2014

    1. Grundsatzbestimmung: Art 18 RL 2014/24

    2. Ebene der Leistungsbeschreibung und der technischen Spezifikationen

    3. Ebene der Eignungskriterien

    4. Ebene der Zuschlagskriterien

    5. Ebene der Ausführungsbedingungen

    6. Gütezeichen

    7. Zwischenergebnis

  4. Entsende-RL als Hindernis bei der Berücksichtigung sozialer Kriterien?

    1. Schutzniveau der Entsende-RL

    2. Verhältnis zwischen der Vergabe-RL 2014/24 und der Entsende-RL 96/71 idF 2018/957

  5. Berücksichtigung von ökologischen und sozialen Kriterien im BVergG 2018

  6. Conclusio und Ausblick

1.
Einleitung

Der „Green Deal“ ist derzeit in aller Munde. Die EU hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu sein;* Österreich möchte dieses Ziel bereits bis zum Jahr 2040 erreichen.* Einen wesentlichen Beitrag zum Erreichen dieser Ziele kann aufgrund der immensen Marktmacht die öffentliche Hand durch das „Green Public Procurement“ leisten – die grüne öffentliche Beschaffung. Die öffentliche Hand beschafft auf EU-Ebene jedes Jahr Produkte und Dienstleistungen im Wert von ca 2,4 Billionen Euro; das entspricht ungefähr 17 % des BIP.* In Österreich beträgt das Auftragsvolumen ca 67 Milliarden Euro. Diese Zahlen verdeutlichen die enorme116wirtschaftliche Bedeutung des öffentlichen Beschaffungswesens, das einen gewaltigen Hebel für wirtschaftliche Entwicklungen und damit auch ein wichtiges Lenkungsinstrument in der Nachhaltigkeitsdiskussion darstellt.*

Das Problem besteht jedoch darin, dass der Ursprung des Vergaberechts im Haushaltsrecht liegt, das die öffentliche Hand zu einem wirtschaftlichen und sparsamen Umgang mit Steuergeldern verpflichtet. Aus diesem Grund wurde lange Zeit vertreten, dass übergeordnete gesellschaftspolitisch wünschenswerte Ziele bei der öffentlichen Auftragsvergabe keinen Platz hätten. Ökologische Kriterien, wie etwa eine verpflichtende Recycling-Quote, Zugehörigkeit zur höchstmöglichen Energieeffizienzklasse, das Verwenden von Gütesiegeln etc, sowie auch soziale Kriterien, wie bspw die Förderung der Beschäftigungschancen für Langzeitarbeitslose, ältere AN oder Menschen mit Behinderung, die Begrenzung von Subvergaben, die Einbeziehung von „fairem Handel“ etc – also soziale Aspekte, die über das ohnehin einzuhaltende gesetzliche, kollektivvertragliche und betriebsverfassungsrechtliche Niveau hinausgehen –*, wurden daher in der Vergangenheit häufig als „vergabefremde Kriterien“ bezeichnet, die bei der öffentlichen Auftragsvergabe nicht berücksichtigt werden können.*

Der vorliegende Beitrag zeigt auf, dass diese Ansicht in der Zwischenzeit als überholt gilt und die Berücksichtigung sowohl ökologischer als auch sozialer Kriterien nicht nur gesellschaftspolitisch wünschenswert, sondern nach der RL 2014/24 über die öffentliche Auftragsvergabe und dem österreichischen BVergG 2018 unter bestimmten Voraussetzungen rechtlich zulässig und in manchen Bereichen sogar verpflichtend ist. Dazu wird in Pkt 2. zunächst die historische Entwicklung beginnend ab den 70er-Jahren nachgezeichnet, in der der EuGH eine zentrale Rolle gespielt hat. Während der Unionsgesetzgeber in den Vergabe-Richtlinien aus den 70er-* und 90er-Jahren* nämlich ökologische und soziale Kriterien ursprünglich noch nicht berücksichtigt hat, hat der EuGH bereits im Jahr 1988 erstmals soziale Kriterien bei der öffentlichen Auftragsvergabe für zulässig erachtet. Diese Judikatur hat der Gerichtshof später weiterentwickelt und auch auf ökologische Kriterien übertragen. Bereits im Jahr 2004 hat diese Entwicklung zum Teil in das Vergabe-Richtlinien-Paket* Eingang gefunden, in dem der Unionsgesetzgeber erstmals ansatzweise auch ökologische Kriterien berücksichtigt hat. Eine wirkliche Zäsur auf gesetzlicher Ebene erfolgte jedoch erst mit der Novellierung der Vergabe- Richtlinien im Jahr 2014,* die nunmehr auf allen Ebenen der Vergabeverfahrens unter bestimmten Voraussetzungen ökologische und soziale Kriterien zulassen. Die einzelnen Voraussetzungen werden in Pkt 3. behandelt und analysiert. Dabei wird aufgezeigt, dass ein Hindernis bei der Berücksichtigung sozialer Kriterien die Entsende-RL 96/71 idF 2018/957* darstellt, auf die in Pkt 4. näher eingegangen wird. Pkt 5. ist der Umsetzung der Vergabe-RL 2014/24 im österreichischen BVergG 2018 gewidmet, bevor in Pkt 6. ein kurzer Ausblick erfolgt.

2.
Analyse der EuGH-Judikatur zur Berücksichtigung von ökologischen und sozialen Kriterien bei der öffentlichen Auftragsvergabe
2.1.
Allgemeines

Der EuGH hat sich bereits sehr früh, nämlich schon seit 1988, für die Zulässigkeit von sozialen und später auch von ökologischen Kriterien bei der öffentlichen Auftragsvergabe ausgesprochen, obgleich diese in den damaligen Vergabe-Richtlinien noch in keinster Weise enthalten waren. Um diese EuGH-Judikatur nachzeichnen zu können, sind vorweg zunächst die unterschiedlichen Ebenen des Vergabeverfahrens darzustellen, um darauf aufbauend untersuchen zu können, auf welcher Ebene der Gerichtshof soziale und ökologische Kriterien unter welchen Voraussetzungen zugelassen hat.

2.2.
Ebenen des Vergabeverfahrens

Im Vergabeverfahren gilt es, fünf verschiedene Ebenen zu unterscheiden, bei denen unterschiedliche Voraussetzungen zu beachten sind. Zunächst ist auf der Ebene der Leistungsbeschreibung (1) der Leistungsgegenstand zu definieren, also das zu beschaffende Produkt oder die zu beschaffende Dienstleistung eindeutig zu bestimmen. Technische Spezifikationen (2) beschreiben den Leistungsgegenstand und sind die in einem Vertrag enthaltenen technischen Merkmale für eine Dienstleistung oder ein Erzeugnis. Die Ebene der Eignungskriterien (3) betrifft das Unternehmen, das den Auftrag ausführen soll und bezieht sich auf die vom Auftragnehmer zu erfüllenden Kriterien der wirtschaftlichen, technischen und beruflichen Zuverlässigkeit. Eignungskriterien sind 117 Knock-out-Kriterien, sodass Unternehmen, die sie nicht erfüllen, auszuscheiden sind. Zuschlagskriterien (4) sind dagegen Kriterien, auf deren Basis der Zuschlag erteilt wird. Anders als Eignungskriterien sind Zuschlagskriterien keine Knock-out- Kriterien, sondern können abgewogen werden. Die Eignungs- und Zuschlagkriterien müssen strikt voneinander getrennt werden, sodass Kriterien, die als Eignungskriterien gefordert werden, nicht gleichzeitig auch auf der Ebene der Zuschlagskriterien verlangt werden dürfen und umgekehrt. Ausführungsbedingungen (5) sind schließlich erst nach Abschluss des Vergabeverfahrens zu prüfen. Mit Zuschlag werden sie Vertragsbedingungen und müssen während der Ausführung des Auftrags eingehalten werden.*

2.3.
EuGH-Judikatur vor dem Vergabe-Richtlinien-Paket 2004

Den Ausgangspunkt der Judikaturlinie stellt die Rs Beentjes aus dem Jahr 1988 dar, in der der EuGH erstmals unter bestimmten Voraussetzungen soziale Kriterien bei der öffentlichen Auftragsvergabe zugelassen hat. In dieser E ging es um die Ausschreibung eines Bauauftrags, wobei die Vergabe des öffentlichen Auftrags daran geknüpft war, dass eine bestimmte Anzahl der für den Auftrag eingesetzten Arbeitskräfte Langzeitarbeitslose sein sollten. Der EuGH erachtete das Kriterium als zulässig, wenn es nicht unmittelbar oder mittelbar zu einer Diskriminierung der Bieter aus anderen Mitgliedstaaten führt und mit dem Primärrecht in Einklang steht.* Wenngleich unklar war, auf welcher Ebene des Vergabeverfahrens der EuGH das Kriterium geprüft hat, wurde in der Literatur* überwiegend vertreten, dass es sich um eine Ausführungsbedingung gehandelt hat, zumal die Bedingung nach Ansicht des EuGH weder mit der Eignung des Bieters noch mit den Kriterien für die Erteilung des Zuschlags etwas zu tun hatte.*

In einer späteren E aus dem Jahr 2000, der Rs Nord-Pas-de-Calais, hat der EuGH jedoch zum Ausdruck gebracht, dass er in der Rs Beentjes eigentlich die Ebene der Zuschlagskriterien gemeint habe. Auch in der Rs Nord-Pas-de-Calais sollten die Bieter bei Bauaufträgen an einem lokalen Pakt zur Beschäftigungsförderung teilnehmen, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. In dieser E war es jedoch unstrittig, dass es um ein Zuschlagskriterium ging. Der Gerichtshof verwies auf die Rs Beentjes und erachtete eine mit dem Kampf gegen Arbeitslosigkeit zusammenhängende Bedingung als Zuschlagskriterium für zulässig, solange dabei das Diskriminierungsverbot beachtet wird.*

Mit der Berücksichtigung von ökologischen Kriterien war der EuGH erstmals in der Rs Concordia Bus Finland im Jahr 2002 befasst. In dieser E hat die Stadt Helsinki den Betrieb ihres innerstädtischen Busverkehrs ausgeschrieben, wobei ein Unternehmen gewonnen hat, das mehr Zusatzpunkte für geringere Schadstoff- und Lärmemissionen bekam und daher das insgesamt wirtschaftlich günstigste Angebot abgegeben hat. Der EuGH qualifizierte das Umweltkriterium der geringen Schadstoff- und Lärmemissionen als zulässig, sofern vier Voraussetzungen erfüllt sind:

  1. Es muss ein Bezug zum Auftragsgegenstand bestehen.

  2. Alle Vergabegrundsätze, nämlich die Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung, Transparenz, Verhältnismäßigkeit und der freie Wettbewerb, müssen zwingend eingehalten werden.

  3. Das Kriterium muss in der Bekanntmachung ausdrücklich genannt werden.

  4. Das ökologische Kriterium darf nicht zur uneingeschränkten Entscheidungsfreiheit des Auftraggebers führen.*

Diese Voraussetzungen hat der EuGH später auch in der Rs Wienstrom im Jahr 2003 bestätigt, in der es um die Integration von erneuerbaren Energien als technische Spezifikation bei der Lieferung von Elektrizität ging. Allerdings wurde in diesem Fall verlangt, dass die Bieter angeben, wie viel Strom aus erneuerbaren Energieträgern sie in den letzten zwei Jahren generell produziert haben und in den nächsten zwei Jahren produzieren werden. Der EuGH bestätigte erneut, dass die Berücksichtigung von ökologischen Kriterien zulässig ist, jedoch war in diesem Fall der Bezug zum Auftragsgegenstand nicht gegeben.*

2.4.
Ansatzweise Kodifikation der EuGH-Judikatur im Vergabe-Richtlinien-Paket 2004

Im Jahr 2004 wurde diese EuGH-Judikatur aus den Jahren 1988-2003 erstmals ansatzweise im Vergabe-Richtlinien-Paket 2004 kodifiziert, wobei der Unionsgesetzgeber den ökologischen Kriterien zunächst einen höheren Stellenwert eingeräumt hat als den sozialen. So wurden in der RL 2004/18 Umweltkriterien bereits ausdrücklich auf der Ebene der Zuschlagskriterien (Art 53 Abs 1 lit a) und auf der Ebene der Ausführungsbedingungen (Art 26) genannt. Sozialkriterien wurden hingegen nur in ErwGr Nr 1 erwähnt sowie auf der Ebene der Ausführungsbedingungen (Art 26). Größere Bedeutung hat der Unionsgesetzgeber sozialen Kriterien erst im Zuge der Novellierung der Vergabe-Richtlinien im Jahr 2014 beigemessen,* auf die nun näher einzugehen ist.

3.
Novellierung der Vergabe-Richtlinien im Jahr 2014

Seit der Novellierung der Vergabe-Richtlinien 2014 erhielten soziale Kriterien den gleichen Stellenwert wie ökologische Kriterien und können nunmehr nach der RL 2014/24 über die öffentliche Auftragsvergabe, die im Mittelpunkt dieses Beitrags 118 steht, auf allen Ebenen des Vergabeverfahrens unter bestimmten Voraussetzungen berücksichtigt werden. Das Vergaberecht steht seither im Zeichen strategischer Beschaffung und damit der Verwirklichung von Zielsetzungen auf den Gebieten der Umwelt und des Sozialen durch die Vergabe öffentlicher Aufträge. Ökologische und soziale Aspekte sind damit zu einem integralen Bestandteil des Vergaberechts geworden.* Dies zeigt sich zunächst in der Grundsatzbestimmung Art 18 RL 2014/24, in die erstmals auch ökologische und soziale Kriterien Eingang gefunden haben.

3.1.
Grundsatzbestimmung: Art 18 RL 2014/24

Art 18 RL 2014/24 ist mit „Grundsätze der Auftragsvergabe“ überschrieben und stellt eine grundlegende Schlüsselbestimmung dar, die das gesamte Vergaberecht betrifft. Abs 1 leg cit normiert die bereits erwähnten Vergabegrundsätze der Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung, Transparenz, Verhältnismäßigkeit und des freien Wettbewerbs. Neu eingefügt wurde jedoch im Jahr 2014 der Abs 2, der ein gänzliches Novum in der Entwicklung des europäischen Vergaberechts darstellt, dessen primäre Zwecksetzung die Förderung umweltbezogener und sozialer Vergabekriterien ist:*

„Die Mitgliedstaaten treffen geeignete Maßnahmen, um dafür zu sorgen, dass die Wirtschaftsteilnehmer bei der Ausführung öffentlicher Aufträge die geltenden umwelt-, sozial- und arbeitsrechtlichen Verpflichtungen einhalten, die durch Rechtsvorschriften der Union, einzelstaatliche Rechtsvorschriften, Tarifverträge oder die in Anhang X aufgeführten internationalen umwelt-, sozial- und arbeitsrechtlichen Vorschriften festgelegt sind.“

Rechtspolitischer Hintergrund der umfassenden Novellierung der Vergabe-RL im Jahr 2014 war die von der Europäischen Kommission verfolgte Strategie „Europa 2020“ für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum.* Aspekte des Umweltschutzes, soziale Aspekte und Innovationsaspekte sollten gem ErwGr 123 der RL 2014/24 im Vergaberecht verstärkt berücksichtigt werden, um die Ziele der Strategie „Europa 2020“ zu erreichen. Dies zeigt sich auch durch zahlreiche neue Richtlinienbestimmungen in allen Phasen des Vergabeverfahrens, auf die nun näher einzugehen ist:

3.2.
Ebene der Leistungsbeschreibung und der technischen Spezifikationen

Ökologische und soziale Kriterien können zunächst auf der Ebene der Leistungsbeschreibung verlangt werden. Auf dieser Ebene definiert der öffentliche Auftraggeber die zu beschaffende Leistung. Dabei können gem Art 42 RL 2014/24 etwa bei technischen Spezifikationen ökologische und soziale Anforderungen verlangt werden, die die betreffende Ware oder die betreffende Dienstleistung unmittelbar charakterisieren.*

3.3.
Ebene der Eignungskriterien
3.3.1.
Zuverlässigkeit iSd Art 57 RL 2014/24

Die Eignungskriterien sind als Knock-out-Kriterien in Art 57 und 58 der RL 2014/24 abschließend aufgezählt, wobei soziale Kriterien insb bei der Zuverlässigkeit iSd Art 57 RL 2014/24 eine entscheidende Rolle spielen. Demnach gelten ua solche Bieter, die ihren Verpflichtungen zur Entrichtung von Steuern oder Sozialversicherungsbeiträgen nicht nachgekommen sind, nicht als zuverlässig und sind gem Art 57 Abs 2 RL 2014/24 auszuschließen, sofern dies rechtskräftig festgestellt worden ist. UAbs 2 leg cit sieht zusätzlich eine Erleichterung dahingehend vor, dass es genügt, wenn „auf geeignete Weise“ nachgewiesenwird, dass der Bieter seinen Steuer- oder Sozialversicherungspflichten nicht nachgekommen ist, außer der Bieter erfüllt seine Pflichten nachträglich oder garantiert die Nachzahlung. Ferner können Auftraggeber gem Art 57 Abs 4 lit a RL 2014/24 auch solche Bieter ausschließen, die die Pflichten, die sich aus Art 18 Abs 2 RL 2014/24 ergeben, verletzt haben. Auch in diesem Bereich genügt es, wenn dies „auf geeignete Weise“ nachgewiesen wird. Aus diesem Grund haben öffentliche Auftraggeber gem Art 69 RL 2014/24 auch solche Angebote abzulehnen, bei denen der Preis ungewöhnlich niedrig ist, wenn sich herausstellt, dass der niedrige Preis durch Verstöße gegen Art 18 Abs 2 RL 2014/24 entstanden ist.*

3.3.2.
Subunternehmer

Entscheidend ist, dass sich die Zuverlässigkeit iSd Art 57 RL 2014/24 auch auf die Subunternehmer bezieht, die zur Erfüllung des Auftrags herangezogen werden sollen. Gem Art 63 RL 2014/24 ist es grundsätzlich zulässig, dass Bieter für einen Auftrag Subunternehmer in Anspruch nehmen. Der öffentliche Auftraggeber hat aber zu überprüfen, ob bei dem angegebenen Subunternehmen Ausschlussgründe iSd Art 57 RL 2014/24 vorliegen. Ist dies der Fall, muss der Unterauftragnehmer ersetzt werden. Ein automatischer Ausschluss eines Bieters, der ein Subunternehmen angegeben hat, das gegen Art 18 Abs 2 RL 2014/24 verstößt, ist dagegen nach Ansicht des EuGH nicht zulässig. Der Gerichtshof argumentiert unter Zugrundelegung der Wortauslegung von Art 57 Abs 4 lit a RL 2014/24 und der systematischen Auslegung von Art 18 Abs 2 RL 2014/24 zu Recht, dass es grundsätzlich im Ermessen der Mitgliedstaaten liegt, nicht nur das Subunternehmen, das gegen Art 18 Abs 2 RL 2014/24 verstößt, auszuschließen, sondern auch den Bieter, der das Subunternehmen angegeben hat. Allerdings ist ein automatischer Ausschluss des Bieters nach Ansicht des EuGH nicht verhältnismäßig; vielmehr muss er die Möglichkeit haben, nachzuweisen, dass er auch 119 ohne dieses unzuverlässige Subunternehmen den Auftrag erfüllen kann, indem er zB ein anderes Subunternehmen dafür einsetzt oder den Teil des Auftrags selbst übernimmt.*

Auch eine Höchstgrenze, nach der maximal 30 % des Auftrags an Subunternehmen vergeben werden dürfen, ist dem EuGH zufolge in den nationalen Rechtsordnungen mangels Verhältnismäßigkeit nicht zulässig. Das Ziel, das im italienischen Recht mit einer solchen Begrenzung erreicht werden sollte, nämlich die Bekämpfung der organisierten Kriminalität, kann nach Ansicht des Gerichtshofs auch mit gelinderen Mitteln erreicht werden.* Eine Begrenzung der Subvergabe ist aus diesem Grund mE auch dann unzulässig, wenn eine maximale Anzahl an möglichen Subunternehmen vorgegeben würde. Schließlich hat der Gerichtshof in der Rs Tedeschi Srl* auch eine Höchstgrenze von 20 % für Preisabschläge, wenn Leistungen an Subunternehmen vergeben werden, für unzulässig erklärt, weil auch in diesem Fall die Verhältnismäßigkeit nicht gegeben sei.

Die Haftung des Hauptauftragnehmers richtet sich gem Art 71 Abs 4 RL 2014/24 aber weiterhin nur nach dem nationalen Recht des betroffenen Mitgliedstaats. Ist im nationalen Recht eines Mitgliedstaats ein Mechanismus der gemeinsamen Haftung von Unter- und Hauptauftragnehmer vorgesehen, so hat der betreffende Mitgliedstaat dafür zu sorgen, dass die einschlägigen Vorschriften unter Einhaltung der in Art 18 Abs 2 RL 2014/24 festgelegten Bedingungen angewendet werden.* Eine Verpflichtung zur gemeinsamen Haftung von Unter- und Hauptauftragnehmern lässt sich jedoch aus der RL 2014/24 nicht ableiten.

3.4.
Ebene der Zuschlagskriterien
3.4.1.

Auch auf der Ebene der Zuschlagskriterien spielen ökologische und soziale Kriterien seit Inkrafttreten der RL 2014/24 eine große Rolle. Gem Art 67 RL 2014/24 ist der Zuschlag auf der Grundlage des wirtschaftlich günstigsten Angebots zu erteilen, das anhand einer Bewertung auf der Grundlage des Preises, mittels eines Kosten-Wirksamkeits-Ansatzes oder des besten Preis-Leistungs-Verhältnisses erfolgen kann. Beim besten Preis-Leistungs-Verhältnis können nunmehr auch soziale, umweltbezogene und innovative Eigenschaften berücksichtigt werden. Damit jedoch dem öffentlichen Auftraggeber nicht eine unbegrenzte Wahlfreiheit eingeräumt wird, ist es gem ErwGr 92 RL 2014/24 nicht zulässig, ausschließlich kostenfremde Kriterien zur Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots heranzuziehen.*

3.4.2.
Bezug zum Auftragsgegenstand

Ökologische und soziale Zuschlagskriterien müssen ferner mit dem Auftragsgegenstand im Zusammenhang stehen. Die Abgrenzung, welche Kriterien mit dem Auftrag noch im Zusammenhang stehen und bei welchen das nicht der Fall ist, bereitet jedoch in der Praxis zahlreiche Schwierigkeiten. Art 67 Abs 3 RL 2014/24 hat aus diesem Grund eine Klarstellung geschaffen. Demnach müssen sich die Zuschlagskriterien „in irgendeiner Hinsicht und in irgendeinem Lebenszyklus-Stadium“ auf den Auftragsgegenstand beziehen. Weiters können auch Faktoren, die mit dem spezifischen Prozess der Herstellung oder der Bereitstellung der Leistung zusammenhängen, berücksichtigt werden. Sie müssen sich aber nicht auf die materiellen Eigenschaften des Auftragsgegenstands auswirken. Der Zusammenhang mit dem Auftrag ist daher auch dann gegeben, wenn sich die sozialen Kriterien auf die an der Auftragsausführung beteiligten AN beziehen (siehe auch die Beispiele in ErwGr 99 RL 2014/24).* Ausgeschlossen sind dagegen solche Kriterien, die sich auf die allgemeine Unternehmenspolitik beziehen, weil es dabei nicht um einen Faktor geht, der den konkreten Prozess der Herstellung oder Bereitstellung der beauftragten Leistungen betrifft. Eine bestimmte Politik der sozialen oder ökologischen Verantwortung kann daher von den Bietern nach ErwGr 97 RL 2014/24 nicht verlangt werden.

3.4.3.
Transparenz

Die Zuschlagskriterien müssen ferner hinreichend bestimmt und transparent formuliert werden, sodass „alle gebührend informierten und mit der üblichen Sorgfalt handelnden Bieter deren genaue Bedeutung verstehen und sie somit in gleicher Weise auslegen können“.* Unspezifizierte Angaben, wie etwa „gesellschaftlich verantwortliches Handeln“, sind nach Ansicht des EuGH nicht zulässig, zumal in diesem Fall nicht ex ante klar und transparent ist, welche konkreten Maßnahmen welche Rolle bei der Zuschlagserteilung spielen.*

3.4.4.
Zwischenfazit

Im Ergebnis obliegt es gem Art 67 RL 2014/24 den Mitgliedstaaten, ob sie das Bestbieterprinzip terminologisch zum einzig gültigen Vergabeprinzip erheben und das Billigstbieterprinzip gänzlich verbieten oder ob sie seine Verwendung auf bestimmte Kategorien von öffentlichen Aufträgen beschränken wollen. Im österreichischen Recht gilt das Bestbieterprinzip gem § 91 Abs 4 BVergG 2018 einerseits dann, wenn der Qualitätsstandard der Leistung in technischer, wirtschaftlicher und rechtlicher Hinsicht nicht klar definiert ist, andererseits dann, wenn einer der in Abs 5 leg cit taxativ aufgezählten Fälle vorliegt, selbst wenn der Qualitätsstandard klar bestimmt ist.* Ob das 120 Bestbieterprinzip im österreichischen Recht de lege ferenda ausgeweitet wird, bleibt abzuwarten.

3.5.
Ebene der Ausführungsbedingungen

Zuletzt erlaubt Art 70 RL 2014/24 die Verwendung von ökologischen und sozialen Kriterien auch in Form von Ausführungsbedingungen, also in der Phase der Leistungserbringung. Da Ausführungsbedingungen im Wesentlichen den gleichen Regeln wie Zuschlagskriterien unterliegen, behandelt der Unionsgesetzgeber Ausführungsbedingungen und Zuschlagskriterien gemeinsam in den ErwGr 97 ff der RL 2014/24; auch der erforderliche Bezug zum Auftragsgegenstand ist bei den Ausführungsbedingungen gleich zu definieren wie bei den Zuschlagskriterien.*

Die Überprüfbarkeit von Ausführungsbedingungen ist dagegen in Art 70 RL 2014/24 nicht ausdrücklich geregelt. Jedenfalls riskiert ein Auftragnehmer, der die Ausführungsbedingungen nicht einhält, seine Zuverlässigkeit bei künftigen Vergabeverfahren.* Die Förderung von ökologischen und sozialen Kriterien bei der öffentlichen Auftragsvergabe kann jedoch mE nur dann sichergestellt werden, wenn deren Einhaltung in der Ausführungsphase durch den Auftraggeber auch kontrolliert wird und die Mitgliedstaaten bei Verstoß dagegen entsprechende Sanktionen daran knüpfen.

3.6.
Gütezeichen

Schließlich ist in der RL 2014/24 nunmehr auch klargestellt, dass die Verwendung von Gütezeichen zulässig ist, und zwar auf mehreren Ebenen, nämlich in den technischen Spezifikationen, den Zuschlagskriterien oder den Ausführungsbedingungen. Anlässlich der EuGH-E Max Havelaar* hat der Unionsgesetzgeber aber bei Gütezeichen in Art 43 RL 2014/24 – im österreichischen Recht siehe § 108 BVergG 2018 – unterschiedliche Voraussetzungen aufgestellt. So dürfen die Gütezeichen-Anforderungen nur Kriterien betreffen, die mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stehen und für die Beschreibung der Merkmale der Leistung geeignet sind. Überdies müssen sie auf objektiv nachprüfbaren und nichtdiskriminierenden Kriterien basieren. Die Gütezeichen müssen ferner im Rahmen eines offenen und transparenten Verfahrens eingeführt worden und für alle Betroffenen zugänglich sein. Zuletzt müssen die Anforderungen an das Gütezeichen von einem Dritten festgelegt werden, auf den der Wirtschaftsteilnehmer, der das Gütezeichen beantragt, keinen maßgeblichen Einfluss ausüben kann. Entscheidend ist auch, dass auch gleichwertige Gütezeichen zugelassen werden müssen und Bieter, die das verlangte oder ein gleichwertiges Gütezeichen nachweislich fristgerecht nicht erlangen können, durch andere geeignete Nachweise belegen können, dass sie die spezifischen Anforderungen an das Gütezeichen erfüllen.

3.7.
Zwischenergebnis

Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass ökologische und soziale Kriterien seit Inkrafttreten der RL 2014/24 auf allen Ebenen des Vergabeverfahrens verlangt werden dürfen. Voraussetzung ist stets ein Bezug zum Auftragsgegenstand sowie die Einhaltung aller Vergabegrundsätze. Dadurch wird auch gewährleistet, dass die Primärrechtskonformität gewahrt bleibt. Ein besonderes Problem auf primär- und sekundärrechtlicher Ebene stellt sich jedoch bei der Berücksichtigung von sozialen Kriterien aufgrund der Entsende-RL 96/71 idF 2018/957, auf die in weiterer Folge näher einzugehen ist.

4.
Entsende-RL als Hindernis bei der Berücksichtigung sozialer Kriterien?
4.1.
Schutzniveau der Entsende-RL
4.1.1.
„Harter Kern“ der Entsende-RL

Die Berücksichtigung von sozialen Kriterien bei der öffentlichen Auftragsvergabe bereitet auf europäischer Ebene im Hinblick auf Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, die über das in der Entsende-RL 96/71 idF 2018/957 normierte Niveau hinausgehen, besondere Schwierigkeiten. Grund dafür ist, dass der Unionsgesetzgeber in den ErwGr 37 und 98 der RL 2014/24 auf die Entsende-RL verweist und deren Einhaltung sowie der dazu ergangenen EuGH-Rsp betont.

Die Entsende-RL ist ein auf europäischer Ebene seit vielen Jahren und Jahrzehnten rechtlich und rechtspolitisch höchst umstrittener Unionsrechtsakt, mit dem im Jahr 1996 eine Lösung für die Problematik rund um den Wettbewerb um niedrige Arbeitskosten und Arbeitsrechtsstandards in Europa geschaffen werden sollte. Werden AN vorübergehend im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit in einen anderen Mitgliedstaat entsandt, um dort eine Dienstleistung zu erbringen, wurde in der Entsende-RL zum Schutz der entsandten AN in Art 3 Abs 1 lit a-i ein „harter Kern“ an Arbeitsund Beschäftigungsbedingungen festgelegt, die entsendende Unternehmen den entsandten AN zwingend nach dem Recht des Empfangsstaates garantieren müssen, wenn sie günstiger sind als im Herkunftsstaat. Dieser Katalog wurde durch die im Jahr 2018 novellierte Entsende-RL 2018/957 erweitert und enthält aktuell neben der Entlohnung etwa auch Bedingungen für die Unterkünfte von AN sowie Zulagen und Kostenerstattungen zur Deckung von Reise-, Unterbringungs- und Verpflegungskosten ua.*121 Da die Entsende-RL, die kompetenzrechtlich auf Art 53 Abs 1 und 62 AEUV gestützt ist, jedoch keine Mindest-, sondern eine Vollharmonisierungs-RL ist, dürfen nach Ansicht des EuGH* bei Entsendungen zusätzliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, die nicht in Art 3 Abs 1 lit a-i Entsende-RL aufgezählt sind, nicht nach dem Recht des Empfangsstaates auf entsandte AN erstreckt werden, weil das mit der Dienstleistungsfreiheit nicht vereinbar wäre. Diese Sperrwirkung*40) gilt auch für die Frage, in welchen Rechtsquellen diese Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen normiert sein müssen.

4.1.2.
Erfasste Rechtsquellen

Auf entsandte AN dürfen nur solche in Art 3 Abs 1 lit a-i Entsende-RL aufgezählten Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen erstreckt werden, die entweder in Rechts- oder Verwaltungsvorschriften festgelegt sind oder in bestimmten Kollektivverträgen. Vor der Novellierung der Entsende-RL im Jahr 2018 waren in der Baubranche allgemein verbindlich erklärte Kollektivverträge zwingend zu berücksichtigen. Außerhalb der Baubranche war es den Mitgliedstaaten freigestellt, allgemein verbindlich erklärte Kollektivverträge auch auf andere Branchen auszudehnen. Österreich hat davon Gebrauch gemacht.* Nach der Entsende-RL neu 2018/957 ist dies nunmehr zwingend; die Beschränkung auf die Baubranche ist entfallen.* Aus diesem Grund hat der EuGH im Jahr 2004 in der Rs Rüffert entschieden, dass es mit der Dienstleistungsfreiheit nicht in Einklang steht, wenn sich Bieter bei der Angebotsabgabe schriftlich verpflichten müssen, ihren AN bei der Ausführung der Leistungen mindestens das am Ort der Ausführung tarifvertraglich vorgesehene Entgelt zu bezahlen, wenn es sich nicht um einen allgemein verbindlich erklärten KollV handelt und die Vorschriften überdies nur für die Vergabe öffentlicher Aufträge gelten und nicht für die Vergabe privater Aufträge.* In der Rs RegioPost hat der Gerichtshof dagegen ausgesprochen, dass die Verpflichtung zur Einhaltung eines Mindestlohns, der im LandesvergabeG festgelegt war, der Dienstleistungsfreiheit nicht entgegensteht, zumal der EuGH in diesem Fall von einem staatlich festgelegten Mindestlohn ausging und es weder einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn noch einen allgemein verbindlich erklärten KollV gab.*

Gem Art 3 Abs 8 Entsende-RL neu 2018/957 können nunmehr alle Mitgliedstaaten neben allgemein verbindlich erklärten Kollektivverträgen auch solche Kollektivverträge auf ausländische AG erstrecken, die in dem jeweiligen Gebiet „allgemein wirksam“ sind oder solche, die von den „repräsentativsten“ Organisationen der Kollektivvertragsparteien auf AG- und AN-Seite mit Geltung im gesamten Staatsgebiet abgeschlossen werden.* Im österreichischen Recht wird einhellig vertreten, dass aufgrund der Pflichtmitgliedschaft und der Außenseiterwirkung jedenfalls die auf AG-Seite von der Wirtschaftskammer abgeschlossenen Kollektivverträge auf entsandte AN zu erstrecken sind. Von freiwilligen Interessenvertretungen abgeschlossene Kollektivverträge gehören jedoch nicht dazu, weil ausländische Unternehmen nicht dazu verpflichtet werden dürfen, Kollektivverträge einzuhalten, die nicht (fast) alle österreichischen Unternehmen einzuhalten verpflichtet sind – gefordert wird eine flächendeckende Abdeckung –, was aufgrund der freiwilligen Mitgliedschaft in der Regel nicht der Fall sein wird.*

4.2.
Verhältnis zwischen der Vergabe-RL 2014/24 und der Entsende-RL 96/71 idF 2018/957

Da die ErwGr 37 und 98 der Vergabe-RL 2014/24 auf die Entsende-RL und die dazu ergangene Rsp verweisen, wird in der Literatur zu Recht vertreten, dass zusätzliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, die nicht in Art 3 Abs 1 lit a-i Entsende-RL aufgezählt sind oder sich auf andere als in Art 3 Abs 8 Entsende-RL angeführte Rechtsquellen beziehen, bei der öffentlichen Auftragsvergabe nicht verlangt werden dürfen. Dies stünde mit der Dienstleistungsfreiheit nicht in Einklang und würde dem Primärrecht widersprechen. Arbeitsund Beschäftigungsbedingungen, die in der Entsende-RL genannt sind, insb die Entlohnung,* sollen vielmehr auf dem Niveau bleiben, das durch nationale Rechtsvorschriften oder Kollektivverträge festgelegt wurde, die mit dem Unionsrecht und der Entsende-RL vereinbar sind. Aus diesem Grund könnte sich die Entsende-RL als eines der größten Hindernisse bei den Bemühungen zu einer verstärkten Berücksichtigung sozialer Aspekte bei der öffentlichen Auftragsvergabe herausstellen.*

Dagegen könnte zwar argumentiert werden, dass die Erwägungsgründe in der RL 2014/24 nicht verbindlich sind und der Unionsgesetzgeber davon Abstand genommen hat, den Einklang mit der Entsende-RL in den Gesetzestext der RL 2014/24 aufzunehmen. Aufgrund der mehrfachen Verweise in den Erwägungsgründen ist aber davon auszugehen, dass diese den EuGH bei der Auslegung der RL 2014/24 wohl beeinflussen würden.* Andern- 122 falls wäre auch die höchst umstrittene EuGHJudikatur zur Entsende-RL und die damit verbundene jahrzehntelange Diskussion auf europäischer Ebene obsolet und könnte durch die öffentliche Auftragsvergabe problemlos unterlaufen werden. Genau das wollte der Unionsgesetzgeber in der RL 2014/24 wohl vermeiden.

Dennoch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass in der Zwischenzeit das Schutzniveau durch die Entsende-RL neu 2018/957 gegenüber der ursprünglichen Entsende-RL 96/71 erheblich erweitert worden ist, und zwar sowohl im Hinblick auf die einzuhaltenden Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen als auch bezüglich der Rechtsquellen, in denen diese normiert sein müssen. Zwar ist kompetenzrechtlich auch die Entsende-RL neu weiterhin auf Art 53 Abs 1 und 62 AEUV gestützt, doch hat der EuGH die Erweiterung des Schutzniveaus in der Entsende-RL neu für primärrechtskonform erachtet.* Zudem ist zu beachten, dass sich die Beschränkung durch die Entsende-RL bei der öffentlichen Auftragsvergabe nur auf die dort genannten Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen bezieht. Andere soziale Ziele jedoch, wie etwa die Förderung der Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen oder anderen benachteiligten Gruppen oder etwa die Einbeziehung von „fairem Handel“, sind vom Regelungsgegenstand der Entsende-RL nicht erfasst. Wenn daher davor gewarnt wird, dass die Entsende-RL die in der Vergabe-RL 2014/24 vorgesehene Möglichkeit, soziale Kriterien festzulegen, in weiten Bereichen obsolet machen würde,* geht das mE zu weit. Richtig ist das für die Entlohnung, die in der Ausschreibung in der Tat nicht über das nationale gesetzliche oder kollektivvertragliche – gemeint sind Kollektivverträge iSd Art 3 Abs 8 Entsende-RL – Niveau eines Mitgliedstaats hinausgehen darf. Gleiches gilt für die anderen in der Entsende-RL aufgezählten Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, sofern der Anwendungsbereich der Entsende-RL eröffnet ist und eine Entsendung iSd Entsende-RL vorliegt. Auf zahlreiche andere soziale Ziele, die in der Praxis bei der öffentlichen Auftragsvergabe eine große Rolle spielen, hat das aber keine Auswirkungen.

5.
Berücksichtigung von ökologischen und sozialen Kriterien im BVergG 2018

Zuletzt ist auf die Umsetzung der RL 2014/24 im österreichischen Recht näher einzugehen. Im österreichischen Recht enthält die Grundsatzbestimmung § 20 BVergG 2018, die die Beachtung der schon genannten Vergabegrundsätze der Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung, Verhältnismäßigkeit, Transparenz und des freien Wettbewerbs vorschreibt, in Abs 5 auch die Beachtung von ökologischen und in Abs 6 von sozialen Kriterien.* Dabei zeigt sich jedoch ein wichtiger Unterschied zwischen ökologischen und sozialen Kriterien. Während gem § 20 Abs 5 BVergG 2018 im Vergaberecht auf die Umweltgerechtheit der Leistung Bedacht zu nehmen ist, kann gem § 20 Abs 6 BVergG 2018 auf die Beschäftigung von Frauen, von Personen im Ausbildungsverhältnis, von Langzeitarbeitslosen, von Menschen mit Behinderung und älteren AN sowie auf Maßnahmen zur Umsetzung sonstiger sozialpolitischer Belange Bedacht genommen werden.*

Die unterschiedliche Entwicklung zwischen ökologischen und sozialen Kriterien im österreichischen BVergG ist jedoch nicht auf die Umsetzung der Vergabe-Richtlinien zurückzuführen, sondern hat rein nationale Hintergründe. Begonnen hat die Entwicklung in Österreich unabhängig von unionsrechtlichen Vorgaben bereits im Jahr 1993 zunächst mit Umweltaspekten. So enthielt § 10 BVergG 1993, der damals die Vergabegrundsätze regelte, in Abs 7 eine Bestimmung, nach der im Vergabeverfahren auf die Umweltgerechtheit der Leistung Bedacht zu nehmen war. Zurückzuführen war das auf die ÖNORM A 2050. Demnach sollten in der Leistungsbeschreibung auch Kriterien für die Lieferung von umweltgerechten Produkten oder für die Erbringung von Leistungen im Rahmen umweltgerechter Verfahren angegeben werden, soweit dies dem Stand der Technik entsprach. Soziale Kriterien waren damals noch in keiner Weise berücksichtigt.*

Bereits im Jahr 1997 hat jedoch der erste soziale Aspekt in § 16 Abs 7 BVergG 1997 aF, der damals die Vergabegrundsätze regelte, Eingang gefunden. So war neben der Umweltgerechtheit nunmehr auch auf die „Beschäftigung von Personen im Ausbildungsverhältnis“ Bedacht zu nehmen. Dies war jedoch auf den Mangel an Lehrstellen zurückzuführen und nicht auf unionsrechtliche Vorgaben. Im Jahr 2002 wurden dann weitere soziale Aspekte als „Kann-Bestimmung“ in die Vergabegrundsätze-Bestimmung – damals § 21 BVergG 2002 aF – aufgenommen, die bereits der heutigen Fassung entspricht.*

Damit können im österreichischen Recht auf allen Ebenen des Vergabeverfahrens soziale Kriterien berücksichtigt werden; auf Umweltkriterien muss zwingend auf einer der Ebenen Bedacht genommen werden, wobei der Auftraggeber selbst entscheiden kann, auf welcher Ebene das der Fall sein soll. Die weitere Entwicklung im österreichischen BVergG bleibt abzuwarten, wobei schon seit Jahren mit Spannung erwartet wird, ob insb das in § 91 BVergG 2018 normierte Bestbieterprinzip erweitert wird.

6.
Conclusio und Ausblick

Im Ergebnis konnte aufgezeigt werden, dass ökologische und soziale Kriterien bei der öffent- 123

lichen Auftragsvergabe auf europäischer Ebene seit Inkrafttreten der RL 2014/24 durchaus eine große Akzeptanz haben. Wie aus ErwGr 2 der RL 2014/24 hervorgeht, sollte mit dem neuen Vergabe-Richtlinien-Paket 2014 einerseits die klassische Zielsetzung einer sparsamen und kostengünstigen öffentlichen Haushaltspolitik aufrechterhalten werden, zugleich sollte es aber andererseits öffentlichen Auftraggebern ermöglicht werden, die Beschaffung von Gütern und Dienstleistungen zur Erreichung gemeinsamer gesellschaftspolitischer Zielsetzungen, wie des Umweltschutzes und der Stärkung sozialer Kriterien, zu nutzen. Soziale und ökologische Kriterien können aber nach wie vor nicht generell eingefordert werden, sondern müssen immer einen Bezug zum Auftragsgegenstand aufweisen und mit dem Primärrecht vereinbar sein. Zudem stellt bei sozialen Kriterien die Entsende-RL einen großen Unsicherheitsfaktor dar und könnte sich als Fallstrick bei den Bemühungen zu einer verstärkten Berücksichtigung sozialer Kriterien bei der öffentlichen Auftragsvergabe erweisen. Dies gilt aber nur für die in der Entsende-RL aufgezählten Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, nicht jedoch im Hinblick auf sonstige soziale Ziele, wie etwa die Förderung der Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen, die vom Regelungsgegenstand der Entsende-RL nicht erfasst sind.

Zu beachten ist ferner, dass im österreichischen Recht ökologische Kriterien derzeit einen höheren Stellenwert haben als soziale Kriterien. Die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten. Es braucht nun aber mutige und engagierte öffentliche Auftraggeber, die die derzeitigen Möglichkeiten sowohl im Hinblick auf ökologische als auch im Hinblick auf soziale Kriterien entsprechend nutzen, damit volkswirtschaftlich und gesellschaftlich sinnvolle und wertvolle Ziele verfolgt werden können und auf diese Weise der Spagat zwischen dem individuellen Nutzen im konkreten Vergabeprozess und der Verfolgung übergeordneter gesellschaftlich wünschenswerter Ziele im Vergaberecht gelingt. 124