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Sozialplan: Bloße Ressourcenverschiebung in einer Abteilung stellt keine Betriebsänderung iSd § 109 Abs 1 Z 1 bis 6 ArbVG dar

MartinaChlestil
§ 97 Abs 1 Z 4,
§ 109 Abs 1 Z 1 bis 6 ArbVG

Die Kl war beim bekl Kreditinstitut von 1.10.1996 bis 31.3.2022 als Angestellte beschäftigt, ihr Arbeitsverhältnis endete durch Kündigung der Bekl.

Die Kl war bis 30.4.2021 in den Bereichen Sondergestion, Kreditmanagement und Risikomanagement tätig. Der Bereich Risikomanagement wurde am 1.5.2021 aufgrund bankenaufsichtsrechtlicher Vorgaben in eine neue Abteilung unter der Leitung der bisherigen Vorgesetzten der Kl ausgegliedert. Diese Umstrukturierung hatte mit der späteren Kündigung der Kl nichts zu tun. Der Bereich Sondergestion umfasste zum einen die Betreibung ausständiger (Kredit-)Forderungen und damit in Zusammenhang stehende Tätigkeiten (Routineaufgaben) und zum anderen die Bearbeitung von Sanierungsfällen, dh von Fällen, in denen der Zahlungsausfall eines Kunden drohte oder bereits eingetreten war. Diese Tätigkeit erforderte eine eigenständige Bonitäts- und Risikobeurteilung der neuen Sicherheiten und war viel komplexer als die übrigen Aufgaben in der Sondergestion. Die Kl hatte ausschließlich Routineaufgaben wahrgenommen und (zunächst) keine komplexen Sanierungsfälle zu bearbeiten. Dazu war sie fachlich nicht geeignet, diese Fälle hatte daher ihre Arbeitskollegin P* übernommen.

Um die angespannte Ertragssituation der Bekl zu ­verbessern, kam es zur Schließung mehrerer Filialen und zum Aufbau einer zentralisierten Vertriebseinheit für Finanzprodukte. Da nicht alle nicht mehr benötigten Filialmitarbeiter aufgrund ihrer individuellen Qualifikation sinnvoll für die neue Vertriebseinheit umgeschult werden konnten, bedingte dies einen weitgehenden Personalabbau. Zur Abfederung sozialer Härten (konkret stand die Kündigung von acht namentlich genannten Filialmitarbeitern in Rede, wobei der BR die Besorgnis hatte, dass es zu weiteren Umstrukturierungs- und Reorganisationsmaßnahmen, insb auch in der Zentrale, kommen könnte) schlossen die Bekl und ihr Angestellten-BR am 17.6.2021 einen bis 31.3.2022 befristeten Sozialplan ab.

Die BV lautet auszugsweise wie folgt:

„§ 1 Grundsätzliches

Die M* eG plant zum nachhaltigen Erhalt der Selbständigkeit eine Restrukturierung ihres Geschäftsmodells. Zielsetzung dieser Vereinbarung ist es, soziale Härten und wirtschaftliche Nachteile, die den betroffenen Arbeitnehmern auf Grund der Restrukturierung erwachsen, so weit als möglich zu vermeiden bzw. abzufedern. Darunter werden einerseits verschlechternde Versetzungen und andererseits die Auflösung des Dienstverhältnisses auf Grund von Reorganisations- und Umstrukturierungsmaßnahmen verstanden. Für diese Varianten werden jeweils unterschiedliche Maßnahmen vereinbart.

[…]

§ 2 Geltungsbereich

1. Die folgenden Regelungen sind für alle Angestellten anzuwenden, die bei Abschluss der Betriebsvereinbarungen in einem aufrechten und ungekündigten Dienstverhältnis zur M* eG standen und im Zuge der Restrukturierung persönlich, verschlechternd von Umstrukturierungsmaßnahmen betroffen sind.

[…]

§ 6 Auflösung von Dienstverhältnissen

Die Bestimmungen des § 6 gelten für jene Mitarbeiter, die im Zuge der Restrukturierung persönlich von Umstrukturierungsmaßnahmen durch Auflösungen ihres Dienstverhältnisses betroffen sind.

[…]

§ 7 Leistungen bei Beendigung von Dienstverhältnissen nach § 6

[…]

Freiwillige Abfertigung

[…]

Freiwillige Zusatzzahlungen für Kinder

[…]“

Aus wirtschaftlichen Überlegungen war beabsichtigt, sowohl die faktisch bestehende Arbeitstrennung zwischen den Arbeitsbereichen Sondergestion und Kreditmanagement als auch jene innerhalb der Sondergestion zwischen der Kl und ihrer Arbeitskollegin P* aufzuheben. Die Ressourcen sollten weg von den von der Kl bearbeiteten Routineaufgaben der Sonder­gestion hin zu den ertragreicheren Sanierungsfällen verschoben werden. Da die Kl jedoch dazu fachlich nicht in der Lage war, ihre Arbeitskraft daher nicht (teilweise) sinnvoll dorthin verschoben werden konnte, aber kein ausreichender Bedarf (mehr) an einer ausschließlich zur Bearbeitung der Routinefälle eingesetzten Vollzeitkraft bestand, kündigte die Bekl das Arbeitsverhältnis mit der Kl auf. Deren Aufgaben wurden an andere Mitarbeiter:innen verteilt.

Die Kl begehrte, gestützt auf den Sozialplan, die Zahlung einer freiwilligen Abfertigung sowie eine freiwillige Zusatzzahlung für ihr Kind. Die Bekl wendete ein, dass die Kündigung der Kl nicht in den Anwendungsbereich des Sozialplans falle.355

Während das Erstgericht dem Klagebegehren stattgab, wies das Berufungsgericht das Klagebegehren ab: Die bloße Umschichtung von Ressourcen in einem bereits vorhandenen Aufgabenbereich, der weder mit einem Wechsel der betrieblichen Strukturen noch mit einem tiefgreifenden Wandel des Unternehmens verbunden sei, sei keine „Restrukturierung“ iSd Sozialplans. Diese Verlagerung der Ressourcen stelle insb auch keine Betriebsänderung iSd § 109 Abs 1 Z 1 bis 6 ArbVG dar, deren Vorliegen eine Voraussetzung für den Abschluss eines Sozialplans darstelle. Selbst wenn mit der Ressourcenverschiebung ein Personalabbau verbunden gewesen wäre, hätte es sich nicht um eine Rationalisierungsmaßnahme von erheblicher Bedeutung gehandelt, die mit wesentlichen Nachteilen für einen erheblichen Teil der Arbeitnehmerschaft verbunden gewesen wäre. Die Kündigung der Kl sei nicht aufgrund einer Betriebsänderung erfolgt, sondern ausschließlich deshalb, weil sie für die fachgerechte Bearbeitung der Sanierungsfälle fachlich nicht geeignet gewesen sei.

Das Berufungsgericht ließ die Revision zur Auslegung der Begriffe „Restrukturierungsmaßnahmen“ und „Reorganisationsmaßnahmen“ in Sozialplänen sowie zur Frage der Anwendbarkeit eines Sozialplans, wenn betriebliche und persönliche Gründe für die Kündigung kausal seien, zu. Der OGH wies die Revision mangels einer erheblichen Rechtsfrage zurück. Inhaltlich schließt er sich dem Berufungsgericht an und verweist auf dessen zutreffende Bedachtnahme auf die gesetzlichen Grundlagen.

In einer BV nach § 97 Abs 1 Z 4 ArbVG dürfen „Maßnahmen zur Verhinderung, Beseitigung oder Milderung der Folgen der Betriebsänderung iSd § 109 Abs 1 Z 1 bis 6 ArbVG“ geregelt werden, „sofern diese wesentliche Nachteile für alle oder erhebliche Teile der Arbeitnehmerschaft mit sich bringt“. Will man nun den Betriebsvereinbarungsparteien nicht unterstellen, dass sie ihre Regelungsbefugnis überschreiten wollten, so kann der Begriff „Umstrukturierungsmaßnahmen“ nur so verstanden werden, dass damit ausschließlich Betriebsänderungen iSd § 109 Abs 1 Z 1 bis 6 ArbVG gemeint sind.

Unter diesem Blickwinkel ist laut OGH die oben angeführte Rechtsauffassung des Berufungsgerichts nicht unvertretbar, wonach die Ressourcenverlagerung in der Abteilung der Kl keine Betriebsänderung iSd § 109 Abs 1 Z 1 bis 6 ArbVG darstelle, die wesentliche Nachteile für alle oder erhebliche Teile der Arbeitnehmerschaft mit sich brächte (vgl § 109 Abs 3 ArbVG), und die – aufgrund ihrer mangelnden fachlichen Qualifikation für einen nicht unwesentlichen Teil der ihr nach dem Arbeitsvertrag zukommenden Aufgaben – gekündigte Kl daher nicht unter die BV falle.

Die Rechtsansicht der Kl in ihrer Revision, der Abbau eines in unproduktiven Bereichen bestehenden Personalüberstandes und die Ersetzung durch höher qualifizierte Mitarbeiter in produktiveren Bereichen stelle eine klassische Rationalisierungsmaßnahme (§ 109 Abs 1 Z 6 ArbVG) dar, mag zwar durchaus richtig sein, doch beschränkte sich diese Maßnahme im vorliegenden Fall in ihrer personellen Auswirkung lediglich auf die Kündigung der Kl. Wenn das Berufungsgericht darin aufgrund der konkreten Gegebenheiten im Betrieb der Bekl keine Maßnahme von erheblicher Bedeutung sah, so ist dies nicht zu beanstanden. Die (bloße) Ressourcenverlagerung stellt aber auch keine Änderung in der Betriebsorganisation (§ 109 Abs 1 Z 4 ArbVG) dar, weil damit weder der Betriebsaufbau noch die hierarchischen Strukturen in der Zentrale der Bekl grundlegend verändert wurden.

Soweit die Kl meint, es dürfe zur Beurteilung der Frage, ob sie in den Geltungsbereich des Sozialplans falle, nicht auf eine einzelne Reorganisationsmaßnahme abgestellt werden, sondern entscheidend sei das Gesamtbild aller Maßnahmen, die zur Verbesserung der Ertragslage der Bekl beitragen sollten, lässt sie zudem § 6 Satz 1 der BV außer Betracht. Danach gilt § 6 nur für jene Mitarbeiter, die im Zuge der Restrukturierung „persönlich“ von Umstrukturierungsmaßnahmen durch Auflösungen ihres Dienstverhältnisses betroffen sind. Dies war hier aber nicht der Fall. Die Kl war weder von der Ausgliederung des Risikomanagements noch von Filialschließungen und den dadurch bedingten Kündigungen von Mitarbeitern (persönlich) betroffen. Die Ressourcenverschiebung in der Zentrale stellte aber, wie oben erläutert, keine Betriebsänderung iSd § 109 Abs 1 Z 1 bis 6 ArbVG dar.