HaslingerSozialrecht – Grundlagen und Fälle

Facultas-Verlag, Wien 2022, 226 Seiten, broschiert, € 28,-

RUDOLFMÜLLER

Im selben Jahr wie die zweite Auflage zu seinem Leitfaden „Einführung in das Sozialrecht“ beim Linde-Verlag hat der Autor in einem anderen Verlag im Wesentlichen dasselbe noch einmal herausgebracht (diesmal auf 141 Seiten), angereichert mit Fallbeispielen aus der Rsp der Höchstgerichte (76 Seiten). Der erste Teil umfasst das Sozialversicherungsrecht, die AlV, das Pflegegeld und ­Familienleistungen sowie das Europäische Sozialrecht, unter dem missverständlichen Generaltitel „Grundlagen“. Im Vorwort teilt Paul Haslinger mit, dass der Schwerpunkt auf dem Leistungsrecht und dem Verfahrensrecht liegt und auf die Bedürfnisse der Praxis im Bereich der Sozialgerichtsbarkeit sowie auf jene der Studierenden und der Berufsanwärter (welche?) zur Prüfungsvorbereitung ausgerichtet sei.

Die von mir schon bei der Rezension der ersten ­Auflage der „Einführung“ des Autors konstatierten Fehler wurden auch hier wiederholt: da wird das Beamtendienstrecht kompetenzrechtlich zum „Sozialentschädigungsrecht“ des Art 10 Abs 1 Z 11 B-VG gezählt, bei der Witwenpension bleibt der keineswegs seltene Fall des § 264 Abs 10 ASVG unerwähnt, der den Grundsatz, dass die Witwenpension Geschiedener den Unterhaltsanspruch nicht übersteigen darf, durchbricht. Es fehlt aber auch die Information, dass bei der Versicherungspflicht für neue Selbständige nach § 2 Abs 1 Z 4 GSVG durch Abgabe einer „Versicherungserklärung“ über das voraussichtliche Überschreiten der Geringfügigkeitsgrenze auch dann eine Pflichtversicherung eintritt, wenn diese Grenze nicht überschritten wird, also eine Art „opting in“ existiert. Der Abschnitt über das Europäische Sozialrecht beschränkt sich auf die Koordinierungsverordnung 883/­1002/­EG. Ein Hinweis auf das Diskriminierungsverbot des Art 7 der VO 492/2011/EU vom 5.4.2011 (Freizügigkeit der AN; davor schon in der VO [EWG] 1612/68), insb bei der Gewährung sozialer und steuerlicher Vergünstigungen, wäre angezeigt, fehlt aber auch hier.

Geht man davon aus, dass ein Leitfaden dieses Umfangs eher für Studierende geeignet sein sollte, dann nimmt das Verfahrensrecht mit rund zehn Seiten einen im Verhältnis zum materiellen Recht über Gebühr großen Umfang ein, wobei die Dogmatik der sukzessiven Kompetenz allein rund zwei Seiten umfasst.

Unausgewogen ist aber nicht nur die Darstellung, sondern auch die Judikaturauswahl im II. Teil: von 22 Judikaten stammen nicht weniger als 6 direkt aus der UV, ein weiterer über die gehörige Fortsetzung der Anspruchsverfolgung nach Privatbeteiligtenanschluss (ein Thema, das im Übrigen den mutmaßlichen Adressatenkreis des Buches kaum je berühren wird) betrifft offenbar ebenfalls einen Arbeitsunfall. Drei weitere Entscheidungen betreffen Fragen des Schadenersatzrechtes im Gefolge von Arbeitsunfällen. Dafür fehlt zur Gänze die Rsp des VwGH, die zumindest zur Versicherungspflicht nach § 4 Abs 1 Z 1 iVm 2 ASVG, zum Prinzip des Anspruchslohns und zur Vertreterhaftung auch dann lohnend gewesen wäre, wenn der Schwerpunkt auf dem Leistungsrecht liegt. Allerdings findet die Vertreterhaftung bei der Behandlung des § 67 (S 35) überhaupt keine Erwähnung.

Es wären wegen der Wahl des Schwerpunktes im Leistungsrecht jedenfalls Entscheidungen des OGH zum Kern des Berufsschutzes und zur Weite des Verweisungsfeldes bei Arbeitern in erlernten und angelernten Berufen einerseits und Angestellten andererseits zu erwarten gewesen. Die Entscheidung des EuGH zur Unzulässigkeit der Indexierung von Familienleistungen hingegen ist pro futuro im Einzelnen wenig ergiebig und daher unter didaktischen Gesichtspunkten entbehrlich.

Angesichts der Fehler sowie der Unausgewogenheit der Stoffauswahl und der Wahl der Entscheidungen scheint das Buch keine Lücke am Markt zu schließen. Zur Prüfungsvorbereitung würde ich es keineswegs empfehlen.