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Familienzeitbonus: Dauerhafte Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft ist anzunehmen, wenn diese auf längere Zeit ausgelegt ist

KRISZTINAJUHASZ

Für die Annahme einer „dauerhaften Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft“ reicht aus, wenn sie auf eine längere Zeit angelegt ist. Das ist bei einem Vater, der seine Erwerbstätigkeit unterbricht und für rund fünfeinhalb Monate zu Mutter und Kind zieht, zweifellos der Fall.

Die während des beantragten Bezugszeitraums (eingeschränkt) ausgeübte Tätigkeit als Stadtrat ist nicht anspruchsschädlich.

SACHVERHALT

Der Kl und seine Lebensgefährtin sind die Eltern des am 4.5.2021 geborenen Kindes. Die Lebensgefährtin lebt und arbeitet in der Steiermark und ist dort hauptwohnsitzlich gemeldet. Der Kl ist in Niederösterreich beschäftigt und Stadtrat für Kultur in W*. Seit Beginn der Lebensgemeinschaft Mitte 2019 verbringen der Kl und seine Lebensgefährtin immer wieder Tage zusammen in W* und in der Steiermark. Bis 31.3.2021 war der Kl in W* hauptwohnsitzlich gemeldet. In der Zeit von 1.4. bis 15.9.2021 wohnte er bei seiner Lebensgefährtin und seinem Sohn und war dort hauptwohnsitzlich gemeldet. Dass der Kl die Absicht hatte, ab 1.4.2021 dauerhaft in einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft mit der Mutter und dem Kind zu leben, konnte nicht festgestellt werden. Am 16.9.2021 meldete er seinen Hauptwohnsitz wieder in W* an.

Der Kl unterbrach seine vor dem beantragten Bezugsbeginn ausgeübte Erwerbstätigkeit. Sein Gemeinderatsmandat und seine Funktion als Stadtrat legte er für den Anspruchszeitraum aber nicht zurück, weil dies mit einem endgültigen Mandatsverlust 393verbunden gewesen wäre. Er nahm in dieser Zeit an einer Sitzung des Kulturausschusses und einer Stadtratssitzung teil. Die für seine politische Tätigkeit zustehende Aufwandsentschädigung bezog er weiter. Er wurde auch nicht von der SV (KV und UV) abgemeldet.

Der Kl beantragte bei der bekl Österreichischen Gesundheitskasse die Gewährung von Familienzeitbonus für die Dauer von 31 Tagen mit einem Bezugsbeginn ab 11.5.2021.

Gegenstand des Verfahrens war die Frage, ob eine dauerhafte Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft auch dann vorliegt, wenn diese nur für eine beschränkte Dauer besteht, sowie ob eine politische Funktion auf Gemeindeebene als anspruchsschädliche Erwerbstätigkeit zu qualifizieren ist.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Mit Bescheid wies die Bekl den Antrag mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 2 Abs 1 Z 3 iVm Abs 4 FamZeitbG ab.

Mit seiner Klage begehrt der Kl, ihm den Familienzeitbonus zu gewähren. Sämtliche Anspruchsvoraussetzungen seien erfüllt, weil er seine Erwerbstätigkeit unterbrochen habe und von seinem DG auch von der SV ab- und wieder angemeldet worden sei. Sein Gemeinderats- und Stadtratsmandat habe er zwar nicht zurückgelegt; bei dieser Tätigkeit handle es sich aber um keine Erwerbstätigkeit, weil sie nicht der Pensionsversicherungspflicht unterliege und die dafür erhaltene Aufwandsentschädigung den relevanten Grenzbetrag des § 91 Abs 1a Z 4 ASVG nicht überschritten habe.

Die Bekl hielt dem entgegen, dass für den Bezug des Familienzeitbonus jegliche und nicht bloß kranken- und pensionsversicherungspflichtige Tätigkeiten unterlassen werden müssten. Zudem habe auch kein gemeinsamer Haushalt bestanden.

Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab. Zwar schade die politische Tätigkeit des Kl nicht, weil es sich bei der Funktion als Gemeinde- und Stadtrat um ein Ehrenamt und keine Erwerbstätigkeit handle. Allerdings mangle es an einem gemeinsamen Haushalt iSd § 2 Abs 3 FamZeitbG, weil dieser nicht auf Dauer ausgerichtet gewesen sei.

Die außerordentliche Revision des Kl ist zulässig und auch berechtigt.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„2. Zur Erwerbstätigkeit im Bezugszeitraum

2.1. […] Die Beklagte vertritt […] die Ansicht, dass der Kläger auch seine Tätigkeit als Mitglied des Gemeinderats bzw als Stadtrat (vgl § 24 Abs 1 Satz 2 NÖ-GemO) unterbrechen hätte müssen.

2.2. Das Erstgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass mit dem Begriff „andere Erwerbstätigkeit“ in § 2 Abs 4 FamZeitbG keine Erwerbstätigkeit iSd § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG, sondern eine andere als eine kranken- und pensionsversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit, wie etwa eine geringfügige Beschäftigung oder eine Beschäftigung unter der Versicherungsgrenze, gemeint ist (jüngst 10 ObS 88/23y mwN). Aus dem Umstand, dass der Kläger als Stadtrat (nur) in der Kranken- und Unfallversicherung teilversichert war, lässt sich daher weder für den Standpunkt des Klägers noch der Beklagten Entscheidendes ableiten.

2.3. Wie schon die Vorinstanzen ausgeführt haben, kommt es vielmehr darauf an, ob die Tätigkeit als Mitglied des Gemeinderats bzw als Stadtrat eine ­Erwerbstätigkeit darstellt. Das hat der Oberste Gerichtshof – wenn auch in einem anderen Zusammenhang – schon wiederholt verneint und betont, dass (niederösterreichische) Gemeinderatsmandatare ein Ehrenamt ausüben und die dafür bezogene Aufwandsentschädigung kein Einkommen aus einer Erwerbstätigkeit darstellt (vgl RIS-Justiz RS0086758; RS0050693). […]

2.4. Als Zwischenergebnis folgt daher, dass die während des beantragten Bezugszeitraums (eingeschränkt) ausgeübte Tätigkeit als Stadtrat nicht anspruchsschädlich ist.

3. Zum gemeinsamen Haushalt

3.1. […] Der Oberste Gerichtshof hat dazu auch klargestellt, dass kein gemeinsamer Haushalt besteht, wenn der Anspruchswerber von vornherein nicht ­beabsichtigt, eine solcherart dauerhafte Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft zu begründen, sondern nur vorübergehend, etwa allein zum Zweck der Erlangung des Familienzeitbonus, mit dem anderen Elternteil und dem Kind „zusammenzieht“ (10 ObS 50/19d SSV-NF 33/68 [ErwGr 3.4.]).

3.2. In der Rechtsprechung ist jedoch bislang noch nicht geklärt, auf welchen Zeitraum eine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft angelegt sein muss, damit sie als dauerhaft gilt: […]

3.3. In der Lehre wird nur auf die notwendige Absicht verwiesen, die Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft auf Dauer zu führen (Sonntag in Sonntag/Schober/­Konezny, KBGG4 § 2 FamZeitbG Rz 21;Holzmann-Windhofer/Kuranda in Holzmann-Windhofer/Weißen­böck, KBGG2 [2022] § 2 FamZeitbG 343; Schrattbauer, Drei Jahre Familienzeitbonus – kritische Revision einer noch jungen Familienleistung, JAS 2020, 244 [258]), ohne auf die hier interessierende Frage einzugehen.

3.4. Geklärt ist in der Judikatur des Obersten Gerichtshofs nur, dass das Fehlen einer Eingrenzung des Begriffs „dauerhaft“ in § 2 Abs 3 FamZeitbG nicht auf ein Versehen des Gesetzgebers zurückzuführen ist, sondern ein unbestimmter Gesetzesbegriff vorliegt, dessen Inhalt im Wege der Auslegung zu ermitteln ist (10 ObS 50/19d SSV-NF 33/68 [ErwGr 2.6.]). Tragfähige Ergebnisse ergibt dabei nur eine teleologische Interpretation.

Vor dem Hintergrund des § 2 Abs 1 Z 4 iVm Abs 3 FamZeitbG scheidet der Bezug des Familienzeitbo394nus für getrennt lebende Eltern de lege lata aus (vgl I. Faber, DRdA 2022, 18 [20]). […] Ebenso wenig lässt sich aus dem Leistungszweck des Familienzeitbonus ableiten, dass nur Väter Familienzeit mit Mutter und Kind verbringen sollen, die bereits in einem gemeinsamen Haushalt mit ihnen leben oder einen solchen „auf Dauer“ aufnehmen wollen. Dafür bieten weder die Gesetzesmaterialien noch das Gesetz Hinweise. […] Im Gegenteil, […] das erklärte Ziel des Gesetzgebers [spricht], […] dafür, dass auch von der Mutter ansonsten getrennt lebende Väter zur Inanspruchnahme von Familienzeit motiviert werden sollen. Diesem Ziel würde eine extensive Auslegung des Begriffs „dauerhaft“ zuwiderlaufen. Eine solche wäre auch gerade in den nicht seltenen Fällen wie dem vorliegenden, in denen eine Lebensgemeinschaft zwischen den Eltern besteht und unterschiedliche private und berufliche Mittelpunkte ihrem Lebensmodell entsprechen, sogar kontraproduktiv, weil sie die Inanspruchnahme von Familienzeit durch Väter, die sich um ihre Familie kümmern wollen, nicht attraktiver macht, sondern erschwert.

3.5. Die teleologische Auslegung ergibt daher, dass es für die Annahme einer „dauerhaften Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft“ ausreicht, wenn sie auf eine längere Zeit angelegt ist. Das ist bei einem Vater, der seine Erwerbstätigkeit unterbricht und für rund fünfeinhalb Monate zu Mutter und Kind zieht, zweifellos der Fall. […]

4. Als Ergebnis folgt daher, dass der Kläger neben den sonstigen (unstrittigen) Anspruchsvoraussetzungen auch jene des § 2 Abs 1 Z 3 und 4 FamZeitbG erfüllt. Dem steht die getroffene (Negativ-)Feststellung zur fehlenden Absicht des Klägers, mit Mutter und Kind in einer dauerhaften Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft zu leben, nicht entgegen. […]“

ERLÄUTERUNG

Der Anspruch auf Familienzeitbonus ist an die Voraussetzung geknüpft, dass sich der Vater im gesamten von ihm gewählten Anspruchszeitraum in Familienzeit befindet (§ 2 Abs 1 Z 3 FamZeitbG) und mit dem Kind und dem anderen Elternteil im gemeinsamen Haushalt lebt (§ 2 Abs 1 Z 4 FamZeitbG). Als Familienzeit definiert § 2 Abs 4 FamZeitbG den Zeitraum zwischen 28 und 31 Tagen, in dem sich ein Vater ausschließlich seiner Familie widmet und dazu die Erwerbstätigkeit (§ 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG) unterbricht, keine andere Erwerbstätigkeit ausübt sowie weder Leistungen aus der AlV noch eine Entgeltfortzahlung erhält. Ein gemeinsamer Haushalt liegt nach § 2 Abs 3 FamZeitbG nur dann vor, wenn der Vater, das Kind und der andere Elternteil in einer dauerhaften Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft an derselben Wohnadresse leben und alle drei an dieser Adresse auch hauptwohnsitzlich gemeldet sind.

Der OGH hat in der vorliegenden E wiederholt ausgeführt, dass Gemeinderatsmandatare ein Ehrenamt ausüben und die dafür bezogene Aufwandsentschädigung kein Einkommen aus einer Erwerbstätigkeit darstellt. Auch § 29 NÖ-GemO bezeichnet das Amt eines Mitglieds des Gemeinderats ausdrücklich als Ehrenamt. Darunter fallen auch Stadträte. Somit war die ehrenamtliche Tätigkeit des Kl nicht anspruchsschädlich.

Die Frage der Dauerhaftigkeit – nämlich auf welchen Zeitraum die Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft angelegt sein muss, um sie als dauerhaft zu qualifizieren – war in den bisherigen OGH-Entscheidungen bislang nicht geklärt.

Nach stRsp des OGH besteht eine „dauerhafte Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft“ iSd § 2 Abs 3 FamZeitbG erst dann, wenn eine solche tatsächlich aufgenommen wird und dies in der Absicht geschieht, sie auch auf Dauer zu führen (RS0133073). Dies wird aus den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP 2) abgeleitet.

Der OGH führt nun aus, dass, um das Ziel und die Intention des Familienzeitbonus zu erreichen, nämlich den raschen Aufbau einer Beziehung zwischen Vater und Kind zu fördern und eine Unterstützung der Mutter kurz nach der Entbindung zu gewährleisten, der gemeinsame Haushalt nicht „auf ewige Zeiten“ angelegt sein muss, was auch nicht der Lebensrealität eines großen Teiles der Bevölkerung entspricht. Es ist auch kein aus dem Leistungszweck ableitbarer Grund erkennbar, den ohnehin nur für kurze Zeit gewährten Familienzeitbonus an eine bestimmte „dauerhafte“ Art des partnerschaftlichen Zusammenlebens der Eltern zu knüpfen.

Da das Ergebnis schon aus § 2 Abs 3 FamZeitbG gewonnen werden konnte, bedurfte es keines Rückgriffs auf die Vorgaben der (bis 22.8.2022 umzusetzenden) RL (EU) 2019/1158 (vgl insb deren ErwGr 11 und 19). Die Frage, ob sich das Erfordernis einer dauerhaften Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft nach dem FamZeitbG überhaupt mit der Richtlinie vereinbaren lässt, wurde daher diesmal nicht erörtert.

Der Revision war somit Folge zu geben und dem Begehren auf Zuerkennung des Familienzeitbonus stattzugeben.395