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Anspruch auf Familienzeitbonus besteht auch, wenn die Erwerbstätigkeit bei einem anderen Dienstgeber fortgesetzt wird

KRISZTINAJUHASZ
§ 2 Abs 1 Z 3 und Z 5 FamZeitbG;
RL (EU) 2019/1158

Eine Fortsetzung der unselbständigen Erwerbstätigkeit mit einem neuen DG im Anschluss an die beabsichtigte Anspruchsdauer steht dem Anspruch auf Familienzeitbonus nicht entgegen.

SACHVERHALT

Der Kl war ab 1.10.2021 bei der T* GmbH beschäftigt. Dieses Dienstverhältnis kündigte er mit Schreiben vom 1.8. zum 30.9.2022. Am 11.8.2022 schloss er mit seiner damaligen DG eine „Vereinbarung über Familienzeit“, die 14 Tage nach dem tatsächlichen Geburtstermin in Anspruch genommen werden sollte. Ausgehend vom voraussichtlichen Geburtstermin des Kindes am 17.8.2022 daher voraussichtlich im Zeitraum von 1. bis 30.9.2022. Nach der Geburt seines Sohnes am 15.8.2022 nahm der Kl diese Familienzeit im vereinbarten Zeitraum in Anspruch. Seit 1.10.2022 ist der Kl bei der H* KG beschäftigt.

Revisionsgegenständlich war die Frage, ob der Umstand, dass das Dienstverhältnis des Kl nach Ende der Familienzeit nicht mit dem bisherigen DG fortgesetzt wurde, sondern ein neues Dienstverhältnis mit einem anderen DG eingegangen wurde, dem Anspruch auf Familienzeitbonus entgegensteht.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Mit Bescheid wies die bekl Österreichische Gesundheitskasse den Antrag des Kl auf Zuerkennung des Familienzeitbonus für den Zeitraum von 1.9. bis 30.9.2022 ab.

Das Erstgericht verpflichtete die Bekl zur Gewährung, es schade nicht, dass der Kl den DG gewechselt habe. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl Folge und ließ die Revision mangels Vorliegens höchstgerichtlicher Rsp zu.

In der Revision beantragt der Kl die Abänderung der Entscheidung des Berufungsgerichts iSd Gewährung des Familienzeitbonus im Zeitraum 1.9. bis 30.9.2022 in Höhe von € 23,91 täglich. Die Revision war zulässig und iS eines Zuspruchs des Familienzeitbonus in Höhe von € 22,60 täglich auch berechtigt.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„1.1. Voraussetzungen für einen Anspruch auf den Familienzeitbonus sind unter anderem, dass sich der Vater im gesamten Anspruchszeitraum in Familienzeit befindet (§ 2 Abs 1 Z 3 FamZeitbG) und er in den letzten 182 Tagen unmittelbar vor Bezugsbeginn durchgehend eine in Österreich kranken- und pensionsversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit tatsächlich ausgeübt [hat] (§ 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG).

1.2. Als Familienzeit definiert das Gesetz den Zeitraum zwischen 28 und 31 Tagen, in dem sich ein Vater aufgrund der kürzlich erfolgten Geburt seines Kindes ausschließlich seiner Familie widmet […] (§ 2 Abs 4 FamZeitbG).391

2. Nach dem Gesetz kommt im Zusammenhang mit einer Erwerbstätigkeit somit zwei Zeiträumen Bedeutung zu, und zwar einerseits der Zeit (von in der Regel 182 Tagen) unmittelbar vor (beabsichtigtem) Bezugsbeginn und andererseits der Zeit danach, nämlich dem Anspruchszeitraum, in dem sich der Vater in Familienzeit befinden muss.

2.1. Der Anspruch auf Familienzeitbonus hängt zunächst davon ab, dass im erstgenannten Zeitraum eine „Erwerbstätigkeit“ ausgeübt wurde, wobei nach § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG nur eine in Österreich kranken- und pensionsversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit ausreicht. Der Begriff der „Erwerbstätigkeit“ ist nach den Gesetzesmaterialien im Sinn des § 24 Abs 1 Z 2 iVm Abs 2 erster Satz KBGG zu verstehen (ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP 2). […]

2.2. Zusätzlich muss sich der Vater im Anspruchszeitraum in „Familienzeit“ befinden. […]

2.2.1. Bei der unterbrochenen „Erwerbstätigkeit“ muss es sich wegen des Verweises auf § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG um eine solche handeln, deren Ausübung den Anspruch auf den Familienzeitbonus begründete (oben ErwGr 2.1.). […]

Wenn aber schon während des Beobachtungszeitraums unmittelbar vor Bezugsbeginn die Erwerbstätigkeit an sich – unabhängig davon, ob sie im Rahmen mehrerer, aufeinander folgender Dienstverhältnisse mit unterschiedlichen Dienstgebern ausgeübt wurde – zur Erfüllung der Anspruchsvoraussetzung der Ausübung einer „Erwerbstätigkeit“ § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG hinreicht, ist kein Grund dafür ersichtlich, eine Weiterführung der Erwerbstätigkeit bei einem anderen Dienstgeber als anspruchsschädlich zu beurteilen. Anhaltspunkte dafür, dass die Weiterführung der zuvor (wenn auch bei mehreren Dienstgebern hintereinander) ausgeübten Erwerbstätigkeit nach dem Anspruchszeitraum bei einem anderen Dienstgeber nicht als Familienzeit anzusehen ist, lassen sich dem Gesetz nicht entnehmen (Sonntag in Sonntag, KBGG § 2 FamZeitbG Rz 18b; Schrattbauer, Drei Jahre Familienzeitbonus – kritische Revision einer noch jungen Familienleistung, JAS 2020, 244 [257 f]; Burger-Ehrnhofer, Anmerkung zu OGH10 ObS 10/19x, EvBl 2019/90, 606 [608]; im Ergebnis ebenso Reissner, Der „Papamonat“ aus sozialrechtlicher Sicht, ASoK 2019, 402 [410]).

2.2.2. Solche Anhaltspunkte ergeben sich auch nicht aus dem weiteren Tatbestandsmerkmal, wonach – neben der Unterbrechung der kranken- und pensionsversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit – während der Familienzeit auch keine „andere Erwerbstätigkeit“ ausgeübt werden darf. Damit ist nicht die Ausübung einer Erwerbstätigkeit zu einem „anderen“ Dienstgeber gemeint, sondern es soll erreicht werden, dass sich während des Anspruchszeitraums auch die Ausübung einer „anderen“ als kranken- und pensionsversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit, also einer geringfügigen Beschäftigung oder einer solchen unter der Versicherungsgrenze, anspruchsschädlich auswirkt (Holzmann-Windhofer/Kuranda in Holzmann-Windhofer/Weißenböck, Kinderbetreuungsgeldgesetz [2022] § 2 FamZeitbG 350). […]

2.2.3. Außerdem spricht auch der Zweck der Regelung dafür, die Weiterführung der Erwerbstätigkeit bei einem anderen Dienstgeber nach dem Anspruchszeitraum nicht als anspruchsschädlich anzusehen.

Dieser Zweck liegt nach den Gesetzesmaterialien darin, erwerbstätige Väter, die sich direkt nach der Geburt ihres Kindes intensiv und ausschließlich der Familie widmen, finanziell zu unterstützen […] (ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP 1).

Dieser Zweck kann völlig unabhängig davon erreicht werden, zu welchem Dienstgeber ein Dienstverhältnis während des Beobachtungszeitraums vor Bezugsbeginn bestand und mit welchem Dienstgeber ein Dienstverhältnis nach Ende des Anspruchszeitraums weitergeführt wird.

2.2.4. Schließlich sind auch unionsrechtliche Vorgaben zu beachten:

Die Richtlinie (EU) 2019/1158 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige […] trat […] am 1. August 2019 in Kraft. Sie ist gemäß ihrem Art 20 Abs 1 bis 22. August 2022 von den Mitgliedstaaten umzusetzen. Der hier gegenständliche Anspruchszeitraum liegt daher zur Gänze nach Ablauf der Umsetzungsfrist (zur unionsrechtskonformen Auslegung bereits vor diesem Zeitpunkt vgl überdies 10 ObS 161/21f Rz 33).

Die vom Kläger mit seinem Dienstgeber vereinbarte Familienzeit entspricht zweifellos einem „Vaterschafts­urlaub“ im Sinn des Art 3 Abs 1 lit a RL 2019/1158 […]. Diese Bezahlung oder Vergütung ist bei Vaterschaftsurlaub in einer Höhe zu entrichten, die mindestens der Höhe der Bezahlung oder Vergütung entspricht, die der betreffende Arbeitnehmer vorbehaltlich der im nationalen Recht festgelegten Obergrenzen im Fall einer Unterbrechung seiner Tätigkeit aus Gründen im Zusammenhang mit seinem Gesundheitszustand erhalten würde (Art 8 Abs 2 erster Satz RL 2019/1158). Die Mitgliedstaaten können den Anspruch auf eine Bezahlung oder Vergütung von einer vorherigen Beschäftigungsdauer abhängig machen, die jedoch maximal sechs Monate unmittelbar vor dem errechneten Geburtstermin des Kindes betragen darf (Art 8 Abs 2 Satz 2 RL 2019/1158).

Abgesehen davon, dass die unionsrechtlich vorgesehene Vergütung in Höhe des Krankengeldes mit dem Satz von täglich 22,60 EUR (bzw ab 1. Jänner 2023: 23,91 EUR) für den Familienzeitbonus nicht in jedem Fall erreicht (10 ObS 161/21f Rz 36; Burger-Ehrnhofer/Schrittwieser/Bauer, MSchG und VKG § 1a VKG Rz 3 und 31) und auch die vorherige Beschäftigungsdauer nach der Richtlinie anders als in § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG normiert berechnet (Reissner, ASoK 2019, 404) wird, lässt sich der Richtlinie ein Erfordernis einer dem Vaterschaftsurlaub nachfolgenden Beschäftigung – mit welchem Dienstgeber auch immer – jedenfalls nicht entnehmen. Ein solches Erfordernis wäre auch nur bedingt mit dem Zweck der Richtlinie vereinbar […].

Da innerstaatliche Gerichte und Behörden die inhaltlich von einer Richtlinie berührten innerstaatlichen Normen so weit wie möglich im Einklang mit 392der Richtlinie (richtlinienkonform) auszulegen haben (RS0075866; RS0111214 [T1]), spricht auch dies dagegen, die Fortsetzung der Erwerbstätigkeit nach dem beabsichtigten Anspruchszeitraum bei einem anderen Dienstgeber als anspruchsschädlich anzusehen.

3. Die Beklagte weist in der Revisionsbeantwortung an sich zutreffend auf die Gesetzesmaterialien hin […] (ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP 2). Die Materialien suggerieren […], dass der Wechsel des Dienstgebers nach dem Ende des Anspruchszeitraums anspruchsschädlich sein soll. [...] die in den Materialien genannte Einschränkung [ist] dem Gesetz nicht zu entnehmen (Sonntag in Sonntag, KBGG § 2 FamZeitbG Rz 18b; Schrattbauer, JAS 2020, 257 f; Burger-Ehrnhofer, ÖJZ 2019, 608). Da die Gesetzesmaterialien weder das Gesetz selbst sind noch dieses authentisch interpretieren, kann ein Rechtssatz, der ausschließlich in den Gesetzesmaterialien steht, auch nicht im Weg der Auslegung Geltung erlangen (RS0008799 [T3]).

4. Zusammenfassend ergibt sich:

Eine Fortsetzung der unselbständigen Erwerbstätigkeit mit einem neuen Dienstgeber im Anschluss an die beabsichtigte Anspruchsdauer steht dem Anspruch auf Familienzeitbonus nicht entgegen.

5.1. […] Die vom Kläger in der Revision begehrte Höhe des Familienzeitbonus von 23,91 EUR täglich gebührt allerdings für das Kalenderjahr 2023 (§ 3 Abs 2 FamZeitbG iVm § 3 FamValVO 2023). […].

5.2. Der Revision ist daher teilweise Folge zu geben und dem Kläger nur der Betrag von 22,60 EUR täglich zuzusprechen. […]“

ERLÄUTERUNG

Nach der Rsp zu § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG muss eine – selbständige oder unselbständige – Erwerbstätigkeit ausgeübt und durch diese Erwerbstätigkeit die Pflichtversicherung in der KV und PV begründet werden (RS0128183). Dass die Erwerbstätigkeit durchgehend bei demselben DG ausgeübt werden muss, lässt sich allerdings aus der Rsp des OGH nicht entnehmen.

Auch in der Literatur wird vielmehr die Ansicht vertreten, dass es irrelevant ist, ob es sich um ein und dieselbe Erwerbstätigkeit handelt oder ob man in mehreren „Jobs“ hintereinander erwerbstätig war. Der OGH führt dazu aus, dass der inHolzmann-Windhofer in Holzmann-Windhofer/Weißenböck, Kinderbetreuungsgeldgesetz (2022) § 24 KBGG 185 enthaltene Hinweis, wonach sich aus der OGH-E 10 ObS 76/13v vom 25.6.2013ergebe, dass es sich um eine einzige durchgehende Erwerbstätigkeit handeln müsse, missverständlich ist, da es in dieser E nicht um den Wechsel eines DG ging.

Weiters ist in der höchstgerichtlichen Rsp bereits geklärt, dass die zuvor ausgeübte Erwerbstätigkeit nicht unverzüglich oder zu einem bestimmten Zeitpunkt wieder aufgenommen werden muss (OGH 22.2.2022, 10 ObS 157/21t Rz 26, 33); wobei im vorliegenden Fall ohnehin eine Erwerbstätigkeit unmittelbar nach Ende des Anspruchszeitraums aufgenommen wurde.

Besonders praxisrelevant für künftige Fälle sind die Vorgaben der RL (EU) 2019/1158 zur unionsrechtlich vorgesehenen Vergütung in Höhe des Krankengeldes, welche mit dem Satz von täglich € 22,60 (bzw ab 1.1.2023: € 23,91) für den Familienzeitbonus nicht in jedem Fall erreicht wird. Das erstmals in der Revision erhobene Begehren nach einem ­höheren Betrag konnte in dieser E wegen des im Revisionsverfahren geltenden Neuerungsverbots (§ 482 Abs 1 iVm § 513 ZPO) nicht berücksichtigt werden.