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Schadenersatzanspruch gegen Krankenanstaltenträger wegen rechtswidriger Verweigerung einer stationären Behandlung – keine Legalzession zugunsten des Sozialversicherungsträgers

STEPHANIEPRINZINGER

Der Kl leidet an spinaler Muskelatrophie (SMA) Typ II, einer seltenen Erbkrankheit, die durch den fortschreitenden Untergang von die Muskeln steuernden Nervenzellen geprägt ist. Die Bekl ist Rechtsträgerin der über einen Landesgesundheitsfonds finanzierten Krankenanstalt. Der Vorstand der Bekl verweigerte dem minderjährigen Kl im Oktober 2017 die medizinisch indizierte Behandlung mit dem Wirkstoff Nusinersen (Medikament Spinraza); dieses kann nur im Rahmen einer stationären oder tagesklinischen Behandlung verabreicht werden.

In einem Vorprozess wurde die Bekl rechtskräftig verurteilt, den Kl zur Anstaltspflege aufzunehmen und mit dem Wirkstoff Nusinersen zu behandeln. Zudem obliegt der Bekl die Haftung für alle künftigen Schäden, die dem Kl aus der Ablehnung der Behandlung ab Oktober 2017 entstanden sind. Nachdem die Bekl die Behandlung des Kl abgelehnt hatte, versuchte dieser eine Behandlung mit Spinraza in zwei weiteren Kliniken, in beiden Fällen wurde die Behandlung mit dem Argument, dass der Patient seinen Lebensmittelpunkt in einem anderen Bundesland hat, verweigert. Letztlich wurde die Behandlung in einem Ordensklinikum durchgeführt, wobei der Patient als Selbstzahler aufgenommen wurde. Der Kl zahlte € 210.000,-, wobei die Zahlungen mit Spendengeldern finanziert wurden. Der Kl begehrt nunmehr die Zahlung von € 210.000,- sA, da sich die Bekl zu Unrecht geweigert hat, den Kl trotz medizinischer Indikation und aufrecht bestehendem Behandlungsvertrag mit Spinraza zu behandeln.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, da dem Kl infolge eingetretener Legalzession die Aktivlegitimation fehle. Die Erlassung eines Bescheids durch die SV habe der Kl trotz kongruenter Leistungsverpflichtung nicht beantragt. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Kl nicht Folge.

Die Revision ist zulässig und iSd Abänderungsantrags auch berechtigt. Der OGH führt dazu aus:

Die Haftung der Bekl für den geltend gemachten Schaden steht dem Grunde nach fest. Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen ist keine Legalzession nach § 332 ASVG erfolgt. Nach § 332 Abs 1 ASVG geht der Anspruch auf den Versicherungsträger insoweit über, als dieser Leistungen zu erbringen hat, wenn Personen, denen nach den Bestimmungen des ASVG Leistungen zustehen, den Ersatz des Schadens, der ihnen durch den Versicherungsfall erwachsen ist, aufgrund anderer gesetzlicher Vorschriften beanspruchen können. Der Anspruch umfasst auch die Aufwendungen des Landesgesundheitsfonds, die nach § 148 Z 2 ASVG von der Krankenanstalt in Rechnung gestellt werden. Die Legalzession zu Gunsten des Sozialversicherungsträgers verfolgt einerseits den Zweck, eine doppelte Befriedigung des Geschädigten (durch Kumulation der Leistungen), andererseits aber auch eine Entlastung des Schädigers (durch Anrechnung der Versicherungsleistung als Vorteil) zu verhindern. Voraussetzung für die Annahme einer Legalzession ist (ua) das Vorliegen sachlicher Kongruenz, die dann zu bejahen ist, wenn der Ausgleichszweck des Sozialversicherungsanspruchs und des Schadenersatzanspruchs identisch sind, wenn also beide Ansprüche darauf abzielen, denselben Schaden zu decken. Die Legalzession kann also nur solche Ansprüche erfassen, die der Deckung eines Schadens dienen, den auch die Sozialversicherungsleistung abdecken soll. Leistungen, die der Sozialversicherungsträger auch unabhängig vom schädigenden Ereignis zu erbringen hätte, mangelt es daher von vornherein an Kongruenz mit dem Schadenersatzanspruch des Geschädigten.

Im vorliegenden Fall liegt das rechtswidrige und schuldhafte Verhalten der Bekl darin, dass sie eine medizinisch gebotene Behandlung des Kl unterlassen hat, was dessen aufgrund der Erkrankung an SMA Typ II ohnehin sehr fragilen Gesundheitszustand gefährdete. Der mit dem Beginn der Krankheit anzusetzende Versicherungsfall in der KV trat jedoch unabhängig von diesem rechtswidrig schuldhaften Verhalten der Bekl ein, weil der Kl bereits zum Zeitpunkt des Abschlusses des Behandlungsvertrags mit der Bekl an SMA Typ II erkrankt war. Das Vorliegen einer Legalzession nach § 332 Abs 1 ASVG ist damit insgesamt zu verneinen.

Dem Kl kann auch keine Verletzung der Schadensminderungsobliegenheit zum Vorwurf gemacht werden. Er hat nach den Feststellungen aufgrund der rechtswidrigen und schuldhaften Verweigerung der Behandlung durch die Bekl erfolglos versucht, in zwei anderen Bundesländern eine Behandlung mit Spinraza im Rahmen der Anstaltspflege in einer fondsfinanzierten Krankenanstalt zu erreichen. Eine Anfrage bei einem Sozialversicherungsträger blieb ebenfalls ohne (positives) Ergebnis. Bei dieser Sachlage kann dem Kl keine Verletzung seiner Schadensminderungsobliegenheit zum Vorwurf gemacht werden, weil er einen nach § 56 Abs 7 Oö KAG 1997 möglichen Einspruch gegen die an ihn übermittelten Vorschreibungen über die Kosten der medikamentösen Behandlung unterlassen hat. In der – dem Kl in erster Instanz ebenfalls zum Vorwurf gemachten – unterbliebenen Inanspruchnahme von Leistungen der SV liegt nach jüngerer Rsp ebenfalls keine Verletzung der Schadensminderungspflicht, weil die SV nicht den Schädiger, sondern nur den versicherten Geschädigten begünstigen soll.

Der Bekl kann auch nicht zugestimmt werden, dass dem Kl aufgrund der bei ihm eingelangten Spenden kein Schaden entstanden wäre. Der OGH vertritt die 375Auffassung, dass von dritter Seite zugewendete Spenden als Zuwendungen auf freiwilliger Basis im Rahmen einer Vorteilsausgleichung nicht zu berücksichtigen sind und daher den entstandenen Schaden nicht mindern, weil diese Zuwendungen bei teleologischer Betrachtungsweise nicht den Zweck verfolgen, den Schädiger zu entlasten. Die Berechnung eines Vermögensschadens erfolgt durch Vergleichung des Geldwertunterschieds zweier Zustände, nämlich des tatsächlichen Zustands vor und nach der Beschädigung. Es sind jene Vermögensbestandteile des Geschädigten in den Kreis der Betrachtung einzubeziehen, die durch die Beschädigung irgendwie beeinflusst wurden, aber auch Vermögensbestandteile (Aktiven oder Passiven), die erst durch das schädigende Ereignis gebildet wurden oder deren Bildung durch dasselbe verhindert wurde. Selbst wenn die Argumentation der Bekl zutreffen würde, wonach es dem Ordensklinikum bei rechtskonformer Vorgehensweise verwehrt gewesen wäre, dem Kl die Kosten der Behandlung mit Spinraza als Selbstzahler in Rechnung zu stellen, änderte dies auf Grundlage der dargestellten Rsp nichts daran, dass der Kl tatsächlich Aufwendungen in Höhe des eingeklagten Betrags zur Abwehr gesundheitlicher Schädigung zu tragen hatte und insoweit ein Schadenseintritt jedenfalls zu bejahen ist.

Insgesamt war damit der Revision Folge zu geben und dem Klagebegehren stattzugeben.

Anmerkung der Bearbeiterin:

Diese OGH-E betrifft einen zivilrechtlichen Schadenersatzanspruch, behandelt jedoch im Kern auch eine ganz wesentliche Frage des Krankenversicherungsrechts. Eine Entscheidungsbesprechung ist für das DRdA-Heft 3/2024vorgesehen.