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Verjährung von (unionsrechtlich gesicherten) Urlaubsansprüchen unter bestimmten Bedingungen doch nicht möglich

LEONIEOBERMEYER

Der Kl war bei der Erstbekl als Wildhüter bzw später als Gutsverwalter an sieben Tagen die Woche tätig. Sein Dienstverhältnis begann im Jahr 2003 und wurde mit 1.4.2020 auf den Zweitbekl ohne Zustimmung des Kl umgemeldet. Zum 31.12.2020 endete das Dienstverhältnis. Der Kl konsumierte während der gesamten Dauer des Dienstverhältnisses 121 Urlaubstage – während seiner Abwesenheit mussten Aushilfskräfte eingesetzt werden, die aber mangels Fachwissens und Erfahrung die Aufgaben nicht zur Gänze übernehmen konnten. Die Erstbekl leistete erst am 22.9.2021 eine Urlaubsersatzleistung iHv € 9.131,53.

Der Kl begehrte von den Bekl die Verzugszinsen der bereits ausbezahlten Urlaubsersatzleistung, eine ­darüberhinausgehende Urlaubsersatzleistung iHv € 34.469,57 und die Feststellung, dass das Dienstverhältnis nicht auf die Zweitbekl übergegangen sei. Sein offener Urlaubsanspruch von 322,75 Tagen sei nicht verjährt, weil er keine Möglichkeit hatte, diesen zu verbrauchen, da die Versorgung der Tiere bzw die Aufrechterhaltung des Gutsbetriebs ohne ihn nicht gewährleistet gewesen wäre. Die Bekl haben ihn nicht aufgefordert, den Urlaub zu verbrauchen oder auf die drohende Verjährung hinge­wiesen.

Die Bekl begehrten die Klagsabweisung und beriefen sich im Wesentlichen darauf, dass der Urlaubsanspruch gem § 4 Abs 5 UrlG nach Ablauf von zwei Jahren nach Ende des Urlaubsjahres, in dem er entstanden ist, verjähre.

Das Erstgericht bejahte das Feststellungsbegehren sowie das Zinsbegehren aus der bereits erhaltenen Urlaubsersatzleistung, wies aber das darüberhinaus366gehende Zahlungsbegehren ab, da der ausstehende Urlaubsanspruch bereits verjährt sei. Die Verjährung trete unabhängig von den Gründen des Nicht­verbrauchs des Urlaubs ein. Das Berufungsgericht ­änderte die E dahingehend ab, dass die Erstbekl auch zur Zahlung einer ergänzenden Urlaubsentschädigung iHv € 24.269,89 verpflichtet sei. Der unionsrechtlich abgesicherte Urlaubsanspruch (gem Art 31 Abs 2 GRC iVm Art 7 Abs 1 der Arbeitszeit-RL 2003/88/EG) könne nämlich nicht verjähren, wenn der AG den AN – entsprechend der bisherigen EuGH-Judikatur – auch bei dreijähriger Frist nicht zum Verbrauch des Urlaubs auffordere bzw ihn nicht auf die bevorstehende Verjährung hinweise.

Die gegen die E des Berufungsgerichts gerichtete Revision der Erstbekl war nach Ansicht des OGH zulässig, aber nicht berechtigt. Die Revision der Zweitbekl wurde zurückgewiesen.

Der OGH verneinte in seiner E daraufhin erstmals die Möglichkeit der Verjährung von Urlaubsansprüchen und bestätigte damit die Ausführungen des Berufungsgerichts. Bisher war der OGH der Ansicht, dass die dreijährige Verjährungsregelung des § 4 Abs 5 UrlG unionsrechtskonform wäre, zumal dies eine angemessene Frist zur Durchsetzung des Urlaubsanspruchs darstelle. Von dieser Ansicht wich er nun mit Verweis auf EuGHC-120/21, LB gegen TO (vgl Anm in DRdA 2023/27, 263 [Dvorak]) ab. Danach steht Art 7 Abs 1 der Arbeitszeit-RL auch nationalen Regelungen entgegen, nach denen der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nach Ablauf von drei Jahren verjährt, deren Lauf mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem dieser Anspruch entstanden ist, wenn der AN nicht tatsächlich in die Lage versetzt wurde, den Urlaub zu konsumieren. Demnach verjährt der unionsrechtlich gesicherte Urlaubsanspruch nicht, wenn der AG seiner Aufforderungs- bzw Hinweispflicht nicht nachkommt.

Der Argumentation der Erstbekl, dass dem Kl bei Beantragung stets Urlaub gewährt wurde, sei nach Ansicht des OGH entgegenzuhalten, dass auch ein Verhalten des AG, das den AN davon abhalten kann, Urlaub zu verbrauchen, gegen das mit dem Recht auf Jahresurlaub verfolgte Ziel verstoße. Der Umstand, dass bisher alle Urlaubsanträge genehmigt worden waren, allein führe noch nicht zur Verjährung des nicht verbrauchten Urlaubs. Die Erstbekl habe den Kl weder dazu aufgefordert, den Urlaub zu konsumieren, noch ihn auf die drohende Verjährung hingewiesen und habe damit gegen die vom EuGH festgelegte Verpflichtung verstoßen, dafür Sorge zu tragen, dem Kl tatsächlich die Möglichkeit einzuräumen, seinen Urlaub in Anspruch zu nehmen.

Der unionsrechtlich gesicherte Urlaubsanspruch iHv vier Wochen kann daher bei Nichteinhaltung der Aufforderungs- bzw Hinweisobliegenheit des AG nicht verjähren. Darüberhinausgehende nationale Erweiterungen des Urlaubsanspruchs bleiben diesbezüglich unberührt.