KnitterDigitale Weisungen – Arbeitgeberentscheidungen auf Grundlage algorithmischer Berechnungen

Duncker & Humblot Verlag, Berlin 2022, 284 Seiten, kartoniert, € 89,90

SASCHAOBRECHT (WIEN)

„In der heutigen digitalisierten Welt durchdringen Technologie und künstliche Intelligenz (KI) immer mehr Aspekte unseres täglichen Lebens. In diesem Zusammenhang ist das Werk ‚Digitale Weisungen‘ von Knitter ein bedeutender Beitrag, der den Leser in die faszinierende und zugleich herausfordernde Welt der Digitalisierung entführt.“ Diese Einleitung stammt nicht vom Rezensenten, sondern wurde durch den KI-basierten Chatbot ChatGPT verfasst.

Das Beispiel soll veranschaulichen, welches Potential in der Technologie zu verorten ist und macht begreiflich, warum der Einsatz und die potenziellen Anwendungsfelder von KI zunehmend im Mittelpunkt der Debatten über Arbeitsorganisation rücken.

Knitter hat sich mit seiner mehrfach prämierten Dissertation dem Aspekt der digitalen Weisung umfassend angenommen (Wissenschaftspreis der Wolfgang-Hromadka-Stiftung 2022 sowie Hugo Sinzheimer Preis 2022). Er meint damit Weisungen, die auf algorithmischen Entscheidungen von statischen oder lernenden Systemen beruhen. Dabei unterscheidet er zwischen Weisungen, die ausschließlich auf algorithmischen Entscheidungen beruhen (unmittelbare digitale Weisungen) und jenen Weisungen, denen algorithmische Entscheidungen nur als Vorbereitung einer menschlichen Entscheidung dienen (mittelbare digitale Weisungen).

Im ersten von sechs Kapiteln beginnt er mit dem Aufriss der praktischen Relevanz des Themas, in dem er neun konkrete Software-Programme und ihr Einsatzfeld in unterschiedlichsten Gebieten beschreibt. Dabei wird auch deutlich, wo die Technologie im Moment noch vor allem eingesetzt wird: in der Personaleinsatzplanung und automatisierten Anweisung von einzelnen Arbeitsschritten an AN. Dies ist auch in Anbetracht der Funktionsweise von KI wenig verwunderlich. Über das Sammeln einer möglichst umfangreichen Datenbasis werden Korrelationen berechnet und daraus Muster abgeleitet. Diese Muster werden dann herangezogen, um zB die Schichtplanung im Betrieb zu automatisieren oder bspw einer Automechanikerin durch generierte Lichtsignale und Visualisierungen den nächsten Reparaturschritt vollautomatisiert anzuzeigen. Insb die sekundenschnelle Verarbeitung immenser Datenmengen machen die Technologie dabei für die Praxis so interessant. Außerdem schildert er noch angrenzende Themenbereiche, bei denen bereits vermehrt mit Algorithmen für die Entscheidungsfindung gearbeitet und teilweise bereits regulatorisch durch den Gesetzgeber eingegriffen wurde, insb dem algorithmischen Aktienhandel oder ersten Einsatzgebieten in der öffentlichen Verwaltung in Deutschland.

Im zweiten Kapitel widmet er sich der Implementierung digitaler Weisungen im Betrieb. Dabei nimmt er ganz bewusst immer wieder die AG-Sichtweise ein, da diese eine etwaige Implementierung verantworten müsse. Er weist daher vor allem auf die unterschiedlichen Tatbestände im deutschen Betriebsverfassungsrecht hin, die eine Mitbestimmung des BR verlangen. So hat der BR bei Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen mitzubestimmen, wenn sie dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der AN zu überwachen (§ 87 Abs 1 Nr 6 BetrVG). Auch nach österreichischer Rechtslage ist bei der Einführung eines derartigen Systems die zwingende Zustimmung des BR einzuholen, die abhängig von der Ausgestaltung des jeweiligen Systems auch durch die Schlichtungsstelle ersetzt werden kann (§ 96 Abs 1 Z 3, § 96a Abs 1 Z 1 ArbVG).

Der dritte Abschnitt bildet gefühlt den Schwerpunkt der Arbeit und hat das viel diskutierte Verbot automatisierter Entscheidungen im Einzelfall zum Inhalt (Art 22 DSGVO). Der Großteil digitaler Weisungen unterliegt laut Knitter nicht dem Verbotstatbestand des Art 22 DSGVO, da er nicht ausschließlich automatisiert erfolgt. In der Praxis seien bisweilen nämlich noch hauptsächlich mittelbar digitale Weisungen auffindbar, bei denen der Algorithmus lediglich als Beratungstool für einen Menschen fungiert, der die Letztentscheidung trifft.

Nur unmittelbar digitale Weisungen im Einzelfall sind gem Art 22 DSGVO prinzipiell verboten, da kein Mensch die Letztentscheidung trifft und sie aufgrund ihrer die Arbeitspflichten konkretisierenden Natur unzweifelhaft rechtliche Wirkung entfalten. Zu diesem Verbot gibt es jedoch Ausnahmen, insb greift es 510 nicht, wenn (i) unionsrechtliche oder nationale Bestimmungen automatisierte Entscheidungen im Arbeitsverhältnis erlauben (dies liegt weder für Deutschland noch Österreich vor), (ii) derartige Entscheidungen erforderlich für die Vertragserfüllung sind oder (iii) der Betroffene eingewilligt hat. Zum zweiten Ausnahmetatbestand führt der Autor aus, dass sich die Erforderlichkeit für die Vertragserfüllung vor allem bei Transformationsprozessen nur sehr schwer erklären lassen wird können, da in der Vergangenheit analoge Weisungen in solchen Betrieben für die Vertragserfüllung gleichermaßen funktioniert haben. Der EuGH hat in einer seiner jüngeren Entscheidungen übrigens eine ähnlich strenge Auslegung gewählt und judiziert, dass die Erforderlichkeit nur dann gegeben ist, wenn die Datenverarbeitung objektiv unerlässlich ist, ohne sie ein Vertrag also nicht erfüllt werden könnte (EuGHC-252/21, Meta, ECLI:EU:C:2023:537, Rn 98). Der dritte Ausnahmetatbestand birgt neben dem generellen Spannungsverhältnis im Arbeitsverhältnis hinsichtlich einer freiwilligen Zustimmung (siehe auch das Koppelungsverbot in Art 7 Abs 4 DSGVO) aus AG-Sicht das Risiko, dass einzelne AN jederzeit ihre Einwilligung zurückziehen können und damit die digitale Weisung gegenüber den betreffenden AN wiederum verboten ist. Im Detail sieht der Autor noch einige Fragen rund um Art 22 DSGVO offen und bringt auch die Öffnungsklausel des Art 88 DSGVO als mögliche Rechtfertigungsgrundlage für automatisierte Entscheidungen ins Spiel.

Die letzten drei Teile drehen sich um die notwendigen Transparenzanforderungen bei digitalen Weisungen, die Grenzen des Weisungsrechts und der notwendigen Responsivität der entscheidenden Systeme. Während beim Teil zum Weisungsrecht wohl der stärkste Unterschied zu Österreich bemerkbar wird (in Deutschland ist das Weisungsrecht gesetzlich geregelt und die Billigkeitsgrenze gesetzlich verankert; in Österreich stützen sich nicht ganz unähnliche Überlegungen vor allem auf Ausführungen der Lehre), sind die anderen beiden Teile wieder nahezu gänzlich übertragbar auf Österreich.

Abschließend kann gesagt werden, dass das Werk insb für AG von Interesse ist, die mit dem Einsatz digitaler Weisungen kokettieren (und damit auch für Belegschaftsvertreter:innen in diesen Betrieben). Beginnend mit den beispielhaften Anwendungsbereichen aus anderen Unternehmen, über die Implementierung und Fragen der betrieblichen Mitbestimmung bis zu Aspekten des Datenschutzrechts: Mit seinem wissenschaftlichen Beitrag hat der Autor auch gleichsam einen Ratgeber und Leitfaden für die Praxis geschaffen. Wenngleich die Ausführungen natürlich auf die deutsche Rechtslage referenzieren, ist auch für österreichische Leser:innen bei der Lektüre wertvolles Wissen zu gewinnen. Dies liegt an dem naheliegenden Umstand, dass sich länder übergreifend die Einsatzgebiete digitaler Weisungen gleichen und sich dieselben aus der DSGVO resultierenden datenschutzrechtlichen Fragen bei der Implementierung auftun. Die zentralen Schlussfolgerungen bergen daher auch über Deutschland hinaus einen Mehrwert für die rechtswissenschaftliche und praktische Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex.