UznanskiDie Vorrangprüfung als Steuerungsinstrument des Arbeitsmigrationsrechts

Duncker & Humblot Verlag, Berlin 2022 163 Seiten, € 69,–

JOHANNESPEYRL (WIEN)

Vorrangprüfung (in Österreich: Arbeitsmarktprüfung oder Ersatzkraftverfahren) bezeichnet ein Verfahren zur Erteilung einer Berechtigung zur Arbeitsaufnahme für Drittstaatsangehörige, bei der geprüft wird, ob ein Arbeitsplatz mit bereits im jeweiligen Inland verfügbaren AN besetzt werden kann, bevor Nicht-Staatsbürger*innen eine Bewilligung zur Arbeitsaufnahme für den konkreten Job erteilt wird. Diese Vorrangprüfung ist auch in Deutschland ein wesentlicher Bestandteil des Aufenthalts- bzw Beschäftigungsrechts. Deutsches Migrationsrecht ist ähnlich komplex wie jenes in Österreich, das Buch kann daher klarerweise nicht alle Fragen bezüglich der dahinterstehenden Normen bzw Aufenthaltsberechtigungen klären. Das ist aber nicht Sinn und Zweck dieses Werkes, sondern beleuchtet wird – dafür detailreich und sehr genau – ein Teilaspekt des Rechts der Arbeitsmigration, eben die Vorrangprüfung.

Die Autorin konzentriert sich dabei auf das Wesentliche und arbeitet sehr stringent und präzise die Fragestellungen ab. Zunächst gibt die Autorin einen Überblick über die Systematik des Arbeitsmigrationsrechts, soweit es für ein Verständnis der Vorrangprüfung notwendig ist. Danach wird der Begriff der Vorrangprüfung erörtert und anschließend werden die materiellen und formellen Voraussetzungen dargestellt. Der nächste Abschnitt befasst sich mit dem Anwendungsbereich der Vorrangprüfung: Das deutsche Migrationsrecht (sei es unmittelbar das Recht der Arbeitsmigration oder der Arbeitsmarktzugang von Personen, die aus anderen Gründen zugewandert sind) ist selbst für österreichische Migrationsrechtsexpert:innen nicht einfach zu überblicken. Somit kommt auch nicht immer deutlich heraus, in welchen Anwendungsfällen die Vorrangprüfung nun (aktuell) noch Voraussetzung für eine Zulassung zu einer bestimmten Beschäftigung ist. Das ist aber nicht die Schuld der Autorin, sondern eben Ergebnis der verwirrenden bzw verworrenen Rechtssetzung.

Danach begibt sich Julia Uznanski in delikatere Gefilde und beleuchtet zunächst Sinn und Zweck der Vorrangprüfung, um in weiterer Folge die Vorrangprüfung einer – im Wesentlichen juristischen – Kritik zu unterziehen. Es ist ein schmaler Grat, Gründe für eine Kritik an der Vorrangprüfung, die wesensnotwendig politischen Inhalt haben, dennoch juristisch zu unterfüttern. Das gelingt der Autorin sehr gut. Das Ergebnis dieser Kritik ist überraschend eindeutig: Die Vorrangprüfung verfehlt in wirtschaftlicher und arbeitsmarktpolitischer Hinsicht ihre Ziele (S 141). Daher widmet sich das Buch abschließend möglichen Alternativen zur Vorrangprüfung und identifiziert als solche insb eine Prüfung der Vergleichbarkeit der Arbeitsbedingungen sowie „Punktesysteme“ für die Zulassung von drittstaatsangehörigen AN. Ein tatsächliches Substitut ist aber keines dieser untersuchten Alternativen. Nach Uznanski ist die Prüfung der Vergleichbarkeit der Arbeitsbedingungen jenes Instrument, das den Zielen der Vorrangprüfung am nächsten komme, aber weniger „invasiv“ sei (S 146). Als Argument führt sie an, dass Verdrängung bzw Lohndumping zumindest deutlich weniger wahrscheinlich wären, wenn sichergestellt wäre, dass Arbeitsmigrant*innen nicht zu schlechteren Bedingungen als bereits auf dem Arbeitsmarkt integrierte Personen (gleich welcher Staatsbürger*innenschaft) beschäftigt werden können. Allerdings wird nicht behandelt, wie dies auch sichergestellt werden soll – konkret, ob eine Ex-ante-Prüfung tatsächlich geeignet ist, Lohndumping auszuschließen. Das durchaus nicht zwingend erwartbare Ergebnis des Buches ist, dass es sich bei der Vorrangprüfung um ein „intransparentes und bürokratisches Relikt“ des Ausländerrechts handeln würde und nach mittlerweile ohnehin gravierenden Einschränkungen des Anwendungsbereichs nunmehr gänzlich abgeschafft werden sollte.

Auch wenn für österreichische Leser*innen bzw Rechtsanwender*innen das Buch in die Kategorie „special interest“ einzuordnen ist, ist es dennoch auch für die österreichische Diskussion ein Gewinn: Auch in Österreich wird stark über Arbeitskräftebedarf diskutiert. Ein Baustein, diesen zu decken, kann Arbeitsmigration aus Drittstaaten sein. Wesensnotwendig stellt sich daher die Frage, wie diese Normen aussehen sollen, um Lohnund Sozialdumping zu verhindern und gleichzeitig jene Arbeitsplätze besetzt werden, die sonst nicht oder kaum besetzt werden könnten. Damit ist aber auch die Sinnhaftigkeit einer Vorrangprüfung angesprochen.

Die individuelle Arbeitsmarktprüfung (S 27 ff) in Deutschland ist ähnlich wie im österreichischen Recht geregelt. Interessant für die österreichischen Rechtsanwender*innen ist der deutlich höhere Grad der Determinierung der Vorrangprüfung gegenüber der österreichischen Arbeitsmarktprüfung. So wird geprüft, ob „bevorrechtigte AN in personeller, fachlicher, zeitlicher und örtlicher Hinsicht“ zur Verfügung stehen. Dies deckt sich zwar im Wesentlichen mit der österreichischen Rechtslage, wird aber im Ausländerbeschäftigungsgesetz nicht explizit ausgeführt. Interessant erscheint eine Ausnahme von der Vorrangprüfung, wenn ein Arbeitsplatz nur für einen konkreten AN geschaffen wird und sonst gar nicht besetzt würde (etwa aus sozialen, manchmal wohl auch aus freundschaftlichen Erwägungen). In diesem Fall – so das zutreffende Argument – könne durch die Vorrangprüfung keine Entlastung des Arbeitsmarktes bewirkt werden, weil der Arbeitsplatz keinesfalls mit einem anderen AN besetzt werden würde. Zweifel an der praktischen Vollziehbarkeit einer solchen Regelung drängen sich auf, werden aber im Buch nicht behandelt.

Der Autorin ist zu danken, dass sie zum einen die Vorrangprüfung ganzheitlich beleuchtet und sehr präzise alle wesentlichen Regelungen in ihre Einzelteile zerlegt und alle Normbestandteile minutiös darstellt. Zum anderen ist aber besonders der letzte Teil, in dem die Vorrangprüfung einer schonungslosen Kritik unterzogen wird, für österreichische Leser*innen besonders spannend. 508

Das Buch ist daher auch für all jene, die sich dem Thema Arbeitsmigrationssteuerung rechtswissenschaftlich und rechtspolitisch annähern wollen, ein echter Gewinn.