Löwisch/Kaiser/Klumpp (Hrsg)BetrVG – Betriebsverfassungsgesetz

8. Auflage, dfv Verlag, Frankfurt am Main 2022, 1.547 Seiten, gebunden, € 249,–

HANNESSCHNELLER

Die 7. Auflage des vorliegenden Kommentars war noch in zwei Bände unterteilt erschienen: Band 1 über den organisationsrechtlichen BetrVG-Teil im Jahr 2017 und Band 2 über die materiellrechtlichen Mitwirkungsansprüche im Jahr 2020; letztgenannter Band war vor nicht allzu langer Zeit hier besprochen worden (DRdA-infas 2022, 202). Nun ist die gesamte Kommentierung des deutschen Betriebsverfassungsgesetzes vom 18.1.1972 (BetrVG) in einer die Zeit bis Anfang 2023 abdeckenden Überarbeitung wieder in einem Band zusammengeführt, was die Handhabung (im Wortsinn) wohl erleichtert und dank etwas gedrängterem Layouts zu keiner Verdoppelung des Seitenumfangs und damit Gewichts (nicht Gewichtigkeit!) des Werkes führte. Die geschätzten 2 kg des 1.500 Seiten-Buchs sollte die/der geneigte Leser:in bei zeitaufwändiger Lektüre dennoch besser auf einem Pult, Schreibtisch oder ähnlichem zur Auflage bringen.

Was war, neben zahlreichen Judikaten, in der Zwischenzeit von 2017-2022 bzw 2020-2022 einzuarbeiten? In erster Linie die mit dem „Betriebsrätemodernisierungsgesetz“ vom Juni 2021 punktuell geschaffenen Erleichterungen und zusätzlichen Mitwirkungsmöglichkeiten für Betriebsräte, Gesamtbetriebsräte und Konzernbetriebsratsgremien. Aber beispielsweise auch Datenschutzpflichten, die mit Geltungsbeginn der – zum Zeitpunkt der Letztauflage des Bandes 1 noch nicht im Rechtsbestand der BRD befindlichen – Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) im betriebsverfassungsrechtlichen Rahmen regelungsbedürftig wurden. Die Kommentierung des diesbezüglich eingefügten § 79a besorgt Univ.-Prof. Steffen Klumpp (Erlangen-Nürnberg) und er merkt einleitend an, dass es sich dabei um eine „Scharniernorm zwischen Betriebsverfassung und Datenschutzrecht“ handle. Der AG werde zwar eindeutig als Verantwortlicher iSd Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) und der DSGVO festgelegt, aber Satz 3 des Paragrafen normiere eben auch „gegenseitige Unterstützungspflichten“ von BR und AG. Weil die betriebsverfassungsrechtliche Rechtsbeziehung zwischen AG und BR verhindere, dass dem BR Weisungen hinsichtlich seines betriebsverfassungsrechtlichen Tuns erteilt werden können, sei der in Indikativform gesatzte Gesetzeswortlaut „Arbeitgeber und Betriebsrat unterstützen sich gegenseitig bei der Einhaltung der datenschutzrechtlichen Vorschriften“ nicht nur sE wenig geglückt (§ 79a Rz 9). Es würde mit dieser Gesetzesbestimmung ua die Betriebsratspflicht geschaffen, dem AG die erforderlichen Auskünfte über die Einhaltung datenschutzrechtlich relevanter Vorgänge (und Schutzmaßnahmen) zu geben, also eine eigene Kontrollmöglichkeit des AG gegenüber dem datenschutzrechtlich erheblichen Tun des BR in Teilen der Literatur daraus gefolgert, was jedoch mit dem Prinzip der unabhängigen Amtsführung des BR in Widerspruch stehe (Rz 13).

Nach so viel Unklarheit und – noch – mangelnder Judikatur in Deutschland ist es wohltuend zu wissen, dass der österreichische Gesetzgeber derartige, mehr Verwirrung als Nutzen stiftende Datenschutzpflichten- Zuordnungen im ArbVG unterlassen hat. Zudem traf der OGH am 28.6.2023 (9 ObA 51/22y; eingepflegt in RS0129697) eine Leitentscheidung zur Unberührtheit der betriebsverfassungsrechtlichen (Belegschafts-)Rechte von DSG und DSGVO und deren Ausübung durch BR.

Welche Neuerungen des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes vom 14.6.2021 waren nun in der vorliegenden Überarbeitung zur achten Auflage zu berücksichtigen?

In kurzen Worten:

  • Das vereinfachte Betriebsratswahlverfahren kann nun bei deutlich größeren Belegschaften, nämlich auf Betriebe mit bis zu 200 Beschäftigte, als „Wahlvorstand-Betriebsinhaber vereinbarte“ Alternative zum Regelwahlverfahren angewandt werden (§ 14a, § 17a);

  • Absenkung des aktiven Wahlalters von 18 auf 16 (§ 7);

  • verminderte – und damit erleichterte – Anzahl der Unterstützungsunterschriften für Wahlvorschläge (Wahlverfahren gem Wahlordnung/WO, diese wird auf den S 1347-1442 ausführlich kommentiert);

  • virtuelle Betriebsratssitzungen mit verstärktem Datenschutz unter Sicherung des Vorrangs der Präsenzsitzung dauerhaft ermöglicht, sofern nicht zumindest ein Viertel der Organmitglieder dieser Sitzungsform widerspricht (§ 30);

  • datenschutzrechtliche Verantwortlichkeit: Verarbeitungsverzeichnis (Art 30 DSGVO) und Auskunftspflichten (Art 15 DSGVO) bleiben ebenso wie die generelle Verantwortlichkeit in der Sphäre des AG, wenn der BR personenbezogene Beschäftigtendaten verarbeitet (siehe bereits oben);

  • Datensicherheit durch den BR: Bereitstellung von Sachmitteln und Beratung (betrieblicher Datenschutzbeauftragter) durch den AG (§ 79a);

  • Künstliche Intelligenz (KI): Beistellung von Sachverständigen für den BR durch den AG sowie Informationsrechte und Mitwirkung bei Auswahlrichtlinien „per Algorithmus“ betreffend Einstellungen, Versetzungen, Umgruppierungen und Kündigungen (§ 95 Abs 2a);

  • Homeoffice: Mitbestimmung bei der inhaltlichen Ausgestaltung mobiler Arbeit; durch „erzwingbare BV“ bzw Regelungsabrede kann zeitlicher Umfang, Anwesenheitspflichten, Sicherheitsaspekte uä geregelt werden (§ 87 Abs 1 Nr 14);

  • Weiterbildung in digitalen Zeiten: Mitbestimmungserweiterung bei der Qualifizierung der Beschäftigten speziell im Hinblick auf die Digitalisierung (§ 96 Abs 1a).

Den Kommentator:innen des BetrVG, der Wahlordnung und des EBR-Gesetzes – unter ihnen einige Richter:innen deutscher Arbeitsgerichte 1. Instanz – 505 ist es abermals gelungen, die komplexe Materie der Betriebsverfassung klar strukturiert aufzubereiten. Für die etablierte Rsp werden meist nur ein oder zwei Leitentscheidungen samt knapper Quellenangabe zitiert, die Literaturangaben sind ebenso knapp gehalten. Vertiefende Erläuterungen sind eher in den umfangreichen Literaturquellen zu finden, die jedem Paragrafen hintangestellt sind. Wie der Rezensent schon zur Vorauflage bemerkte: Für eine rasche Orientierung in den Bestimmungen dieses von massiven Interessengegensätzen geprägten Gesetzes ist der äußerst praxistaugliche Gesetzeskommentar uneingeschränkt zu empfehlen.