SilbernaglKorruption im Staatsdienst

Jan Sramek Verlag, Wien 2022, XVIII, 354 Seiten, gebunden, € 85,–

RUDOLFMÜLLER (WIEN/SALZBURG)

Die durch den Titel geweckte Neugierde erfährt eine gewisse Abflachung, wenn man in der Titelei im Untertitel erfährt, womit sich das Buch beschäftigt, nämlich mit gesetzlichen Regelungssystemen aus dem Straf-, Zivil-, Dienst- und Besoldungsrecht zur Vermeidung korrupten Verhaltens im Verantwortungsbereich der Beamten der Habsburgermonarchie neben einem kurzen Vergleich mit den deutschen Staaten (ca 1750-1918). Wir haben es also in dieser an der Universität Innsbruck eingereichten (von Univ.-Prof. Dr.mult Johannes Michael Rainer, Salzburg, betreuten) Dissertation mit einer rechtshistorischen Untersuchung für die Zeit von der Aufklärung bis zum frühen Verfassungsstaat zu tun. Dennoch lohnt auch angesichts aktueller Fragen die Lektüre.

Nach Klärung des Begriffs der Korruption, ua vor der Folie der Moral („Was der Staat mit Zwang aufgrund des Gesetzes erzwingen kann, befiehlt eigentlich bereits das Pflichtbewusstsein“ lautet ein Zitat, das mir auch aktuell sehr beherzigenswert erscheint, wenn immer nur die Grenzen des Strafrechts als die maßgebenden genannt werden) und jener des Rechts („Das Recht an sich kann ... keine korruptionslose Gesellschaft erzeugen“). Dieser Teil des Buches unternimmt einen Parforceritt durch die Geschichte einschließlich der Frage, inwieweit „Auslagerung staatlicher Aufgaben“ zu Korruption führt, wie wir das soeben im Zuge der Aufarbeitung der Pandemie und ihrer wirtschaftlichen 430 Begleiterscheinungen wahrnehmen können, und der „Prinzipal-Agent-Klient-Theorie“, die versucht, die Struktur von Korruption zu erleuchten. Die Geschichte von Korruptionsphänomenen führt uns von der Antike bis zur Entstehung des Beamtenstaates der Moderne und stellt uns anschließend historische (zum Teil noch geltende) Regelungssysteme vor, derer man sich zur Hintanhaltung von Beamten-Korruption jeweils bedient hat. Die Skala reicht vom Zusammenspiel von Disziplinarverfahren und Dienstvorschriften über Fragen der Abstimmung der Besoldung mit dem Aufwand zur Lebensführung, strafrechtlicher Maßnahmen bis zu zivilrechtlichen Haftungsmöglichkeiten. Die wechselvolle Geschichte des sogenannten „Sportelwesens“ (also Zuwendungen an Beamte für die Verrichtung bestimmter Amtsgeschäfte) als eine Aufeinanderfolge von Verboten und deren Lockerungen wird auch als Geschichte der Bekämpfung der Korruption erzählt.

Interessant ist auch der Abschnitt über das Praktikantenphänomen (jahrelange, oft unbezahlte Arbeit in der Hoffnung auf Aufnahme in ein Beamtendienstverhältnis), das wir seit einiger Zeit in etwas anderem Gewand in der Privatwirtschaft (dort häufig unter prekären wirtschaftlichen Verhältnissen) aber auch im öffentlichen Dienst (zu stark verminderten Bezügen) wieder finden. Erforderlicher Aufwand für die Lebensführung und Beamtenbesoldung harmonierten selten, wie wir ferner wenig überraschend erfahren.

Der Abschnitt über die strafrechtliche Kontrolle ist so etwas wie eine kurze Geschichte (der von Anselm von Feuerbach geprägten Systematik) des Deliktes des Amtsmissbrauchs. Es wird die Entwicklung vom Josephinischen Strafgesetzbuch 1787, über das Strafgesetz 1803 und dessen – im Wesentlichen – erfolgte Fortschreibung im Strafgesetz 1852 gezeigt, die auch für die derzeit geltende Rechtslage nach dem StGB 1974 prägend gewesen ist. Vergleichende Entwicklungen in Preußen, dem deutschen Bund und dem Königreich Bayern runden die Darstellung ab. Ein Rufzeichen setzt Rainer Silbernagl am Ende durch zweieinhalb Seiten über den sogenannten „Habsburgereffekt“: darunter versteht man ein Forschungsergebnis, wonach noch nach Generationen das Vertrauen der Bevölkerung in Institutionen innerhalb der einstigen Grenzen des Habsburgerreichs höher war als außerhalb dieser Grenzen.

Im Anhang des Buches finden sich auf rund 70 Seiten 63 Dokumente abgedruckt, vom Hofdekret aus 1789 betreffend die Überleitung öffentlich Bediensteter aus dem Militärdienst in den zivilen Staatsdienst bis zum Hofdekret aus 1806, wonach es ausgeschlossen ist, Staatsbeamte wegen ihrer Amtshandlungen bei den Zivilgerichten zu belangen, darunter auch Besoldungslisten und Gehaltsschemata, maW Schriften, die der Veranschaulichung dessen dienen, was uns der Autor auf 250 Seiten Fließtext vorgeführt hat. Ein umfangreiches Literaturverzeichnis und ein Stichwortverzeichnis runden den sehr gut geschriebenen und insgesamt als sehr gelungen zu bezeichnenden Band ab.

Wer sollte zu diesem – mit € 85,– nicht gerade kostengünstigen – Buch greifen? Jedenfalls historisch im Allgemeinen und an der Geschichte des Beamtentums im Besonderen Interessierte; dann Legist:innen, Personalvertreter:innen, Betriebsräte und Personen, die in ihrer Berufstätigkeit mit Unvereinbarkeiten („Compliance-Regeln“) zu tun haben, und schließlich alle jene anderen, die angesichts der uns fast alltäglich in den Medien vorgeführten Korruption Trost in der Vergangenheit suchen. Ich hoffe auch, dass es der in diesem Rahmen nur mögliche kurze Überblick über den Inhalt des Werks ausreichend rechtfertigt, dass diese Rezension in einer arbeits- und sozialrechtlichen Fachzeitschrift erscheint.