RiesenhuberEuropean Employment Law

2. Auflage, Intersentia Verlag, Mortsel 2021, LXIV, 1016 Seiten, gebunden, € 212,–

ELIASFELTEN (SALZBURG)

Das in zweiter Auflage erschienene Buch „European Employment Law“ von Karl Riesenhuber, Professor für Bürgerliches Recht und Deutsches und Europäisches Handels- und Wirtschaftsrecht an der Ruhr-Universität Bochum, stellt eine englischsprachige Kommentierung aller wesentlichen Rechtsquellen der Europäischen Union zum Arbeitsrecht dar. Die innere Gliederung des Werks orientiert sich allerdings nicht an den Rechtsquellen selbst, sondern an Themengebieten, wie zB AN-Schutz, atypische Beschäftigungsformen oder kollektives Arbeitsrecht, wobei hier „Arbeitnehmer:innen-Mitbestimmung“ als Titel den Kern vielleicht (noch) besser getroffen hätte.

Den Schwerpunkt des Werkes bilden zweifellos die diversen Sekundärrechtsakte, vor allem die über 20 kommentierten Richtlinien von der Arbeitszeit-Richtlinie (§ 17) bis zur Whistleblower-Richtlinie (§ 15). Im Rahmen der sogenannten „Grundlagen“ (Foundations) in Teil 1 widmet es sich aber auch den Auswirkungen der primärrechtlichen Grundfreiheiten und Grundrechte auf das Arbeitsrecht. Auch die Europäische Säule Sozialer Rechte wird in diesem Zusammenhang vorgestellt, obgleich deren Rechtsqualität unklar ist (Brameshuber in FS Pfeil [2022] 308; Deinert, DRdA 2022, 287). Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass eine Vielzahl der darin enthaltenen Grundsätze bereits im europäischen acquis sind. Man fragt sich daher, worin der „Mehrwert“ der Säule besteht. Sie auf ein politisches Instrument zu reduzieren, wie es Riesenhuber andeutet (§ 2 V Rz 82 f), wird ihrem Stellenwert allerdings nicht gerecht. Nicht zu unterschätzen ist das Potential ihrer indirekten Wirkkraft, insb als Auslegungshilfe für den EuGH (Deinert, DRdA 2022, 290). Die bereits bestehenden Erfahrungen mit der Grundrechtecharta (GRC), insb im Urlaubsrecht (vgl § 17 V Rz 54 ff), bezeugen eindringlich, welches Eigenleben vermeintlich bloß „politische“ Programmnormen entwickeln können.

Mit der zweiten Auflage neu hinzugekommen ist ein eigenes Kapitel zur Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) (§ 13) und den neuen Möglichkeiten eines eigenen Beschäftigtendatenschutzrechtes. Damit wurde eine zentrale Lücke an der Schnittstelle zum Arbeitsrecht mit großer praktischer Bedeutung geschlossen.

Der Fokus des Werks liegt durchwegs auf der Kommentierung des Unionsrechts selbst. Schlaglichtartig wird – unter dem eigenen Punkt „Implementation“ – auch auf nationale Gesetzgebungen, die der Umsetzung europäischer Vorgaben dienen, eingegangen. Hier beschränkt sich Riesenhuber allerdings auf Grund seiner Herkunft und der strategischen Entscheidung, das Buch auf Englisch zu verfassen, auf Umsetzungsbeispiele aus Deutschland und – trotz des Brexits weiterhin – aus dem Vereinigten Königreich. Nur vereinzelt wird auch auf andere Mitgliedstaaten eingegangen.

Neben der innerstaatlichen Umsetzung geht Riesenhuber auf die Rezeption unionaler Rechtsquellen durch den EuGH ein, ua indem exemplarisch Leitentscheidungen vorgestellt und kommentiert werden. Die Auseinandersetzung mit der Judikatur ist umfang- und materialreich, wie das der Kommentierung vorangestellte Rechtsprechungsverzeichnis eindrucksvoll bezeugt. Zu jedem Themenblock wird im Übrigen auch eine Auswahl einschlägiger Literatur angegeben. Diese konzentriert sich in erster Linie auf deutsch- und englischsprachige Werke. Mehr kann ein Einzelner seriöserweise auch nicht verarbeiten. Es ist ohnehin beeindruckend, dass sich Riesenhuber dieser Herausforderung einer Gesamtdarstellung des europäischen Arbeitsrechts alleine, ganz ohne Co-Autor:innen, gestellt hat. Umso mehr Respekt ist der Qualität der Kommentierung zu zollen, wie im Folgenden eine – zugegeben sehr subjektive – Auswahl inhaltlicher Diskussionen veranschaulichen soll.

Im Rahmen seiner Kommentierung der Europäischen GRC (§ 2 III) gibt Riesenhuber in der gebotenen Kürze den bisherigen Meinungsstand sowie die einschlägige Judikatur des EuGH wieder. Dabei beschränken sich die Ausführungen keineswegs bloß auf eine Beschreibung des Ist-Zustandes, vielmehr wird auch der Versuch einer kritischen Analyse des Rechtsbestandes und seiner Rezeption durch Rsp und Lehre unternommen.

Das zeigt bspw die Auseinandersetzung mit dem Grundrecht auf unternehmerische Freiheit gem Art 16 GRC. Einleitend versucht Riesenhuber zunächst den Anwendungsbereich und materiellen Schutzgehalt des Grundrechts zu identifizieren, ordnet diesem die Privatautonomie als zentrales Rechtsinstitut des Privatrechts zu, um dann auf die Rsp des EuGH in der Rs Alemo Herron (18.7.2013, C-426/11) einzugehen, in der explizit das Recht, die eigenen (unternehmerischen) Interessen im Rahmen der Vertragsverhandlungen einzubringen, Art 16 unterstellt wurde. Diese Interpretation des Art 16 GRC hat zu vehementer Kritik in der Lehre geführt (vgl anstatt vieler Rebhahn, DRdA 2014, 409 f). Riesenhuber hält dieser allerdings entgegen, dass die Interessen der AG bei der Interpretation der europäischen Arbeitsrechtsgesetzgebung bisher unterrepräsentiert gewesen wären. Die zitierte Judikatur würde diese Schieflage lediglich wieder ausgleichen (§ 2 III Rz 38). Wie der EuGH zuletzt selbst mehrfach betont hat (6.11.2018, C-684/16, Max-Planck-Gesellschaft, Rz 41), ist die Arbeitsvertragsbeziehung aber von einem strukturellen Ungleichgewicht der Vertragsparteien gekennzeichnet. Dieses auszugleichen, ist die vorrangige Aufgabe des nationalen sowie des europäischen Arbeitsrechts. Hält man sich dies vor Augen, so relativiert das die These Riesenhubers, die AG-Interessen wären bisher zu wenig berücksichtigt worden. Im Gegenteil! Man kann sogar einen Schritt weitergehen und die Frage stellen, ob es wirklich einer grundrechtlichen Absicherung der überlegenen Verhandlungsposition des:der AG bedarf.

Ein anderes Beispiel für eine Aussage, die zu Widerspruch herausfordert, ist die Feststellung Riesenhubers, das von Art 28 GRC geschützte Recht auf 429 kollektives Verhandeln auf allen geeigneten Ebenen würde auch die BV nach deutschem oder österreichischem Recht (works agreement on the shop floor level) miteinschließen (§ 2 III Rz 53). Zwar ist es richtig, dass nach deutschem sowie österreichischem Recht dem BR auf der Betriebsebene eine Art Monopolstellung beim Führen kollektiver Verhandlungen zukommt. Wenn es also darum geht, die maßgeblichen Akteure auf allen geeigneten Ebenen zu identifizieren, so ist das auf der betrieblichen Ebene zweifelsfrei der BR. Das allein führt jedoch noch nicht zur Einbeziehung des BR bzw seines Verhandlungsproduktes, der BV, in den Anwendungsbereich des Art 28 GRC. Sowohl der Wortlaut des Grundrechts als auch die konzeptionellen Parallelen zu Art 11 EMRK, auf die Riesenhuber nicht näher eingeht, sprechen dafür, dass sich nur freiwillige Zusammenschlüsse auf das Grundrecht auf kollektives Verhandeln berufen können sollen. Der BR nach deutschem und österreichischem Recht ist aber, anders als die Gewerkschaft, kein freiwilliger Zusammenschluss, sondern zentraler Player eines „quasihoheitlich verwalteten Systems“, wie es Firlei einmal treffend formuliert hat (DRdA 2001, 223). Der BR ist demnach nicht Träger des Grundrechts gem Art 28 (Felten, Koalitionsfreiheit und Arbeitsverfassungsgesetz [2015] 248). Das ist im Übrigen auch ein zentrales Argument gegen eine Monopolisierung der Interessenvertretung auf betrieblicher Ebene (insb auch gegenüber den Gewerkschaften) durch den BR (ausführlich Felten, Koalitionsfreiheit 396 ff).

Das sind aber tatsächlich nur zwei Einzelbeispiele, bei denen eine differenzierte Betrachtungsweise ein anderes Ergebnis nahelegen könnte. In den allermeisten Fällen erweist sich die Argumentation Riesenhubers hingegen als gut begründet und überzeugend. So zB, wenn er im Zusammenhang mit der Transparenzrichtlinie treffend analysiert, dass der Zweck des Transparenzgebotes, anders als in den meisten anderen Rechtsgebieten, nicht darin besteht, eine hinreichende Basis für eine informierte Entscheidung zu liefern, sondern dass es sich vielmehr um ein Instrument des AN-Schutzes handelt, mit dem Ziel, vorhersehbare Arbeitsbedingungen sicherzustellen (§ 13 I Rz 3). Inwiefern ein arbeitsrechtliches Transparenzgebot dies zu leisten vermag, steht freilich auf einem anderen Blatt. Die Erfahrungen mit der Einkommenstransparenz zur Herstellung von Entgeltgleichheit zwischen den Geschlechtern sind ernüchternd. Die ohnehin zweifelhafte Effektivität wird im Übrigen durch eine mangelhafte Legistik weiter beeinträchtigt. Riesenhuber ist darin recht zu geben, dass das Zusammenspiel zwischen einem generalklauselartig formulierten Informationsgebot in Art 4 (1) und einer sehr detaillierten Enumeration von Inhalten, über die jedenfalls zu informieren ist, gem Art 4 (2) der Richtlinie die grundsätzliche Frage nach der schlussendlichen Reichweite dieser Verpflichtung aufwirft (§ 14 III Rz 14). Riesenhuber veranschaulicht das deutlich anhand des Beispiels, ob auch die Fristen zur Kündigungsanfechtung gegenüber dem:der AN offenzulegen sind. Er verneint dies schlussendlich mit überzeugenden Argumenten (§ 14 III Rz 20).

Auch die Kommentierung der DSGVO ist durchwegs gut gelungen und inhaltlich überzeugend, so zB wenn der persönliche Anwendungsbereich des besonderen Beschäftigtendatenschutzes weit interpretiert (§ 13 III Rz 20) oder auch die BV als taugliches Instrument zur Regelung eines solchen angesehen wird (§ 13 IV Rz 83), die sich freilich ihrerseits an die Grundsätze des Art 5 DSGVO halten muss (§ 13 IV Rz 91). Das ist eine wichtige Klarstellung, die uneingeschränkt auch auf Betriebsvereinbarungen gem § 96 Abs 1 Z 1 und 3 und § 96a Abs 1 ArbVG zu übertragen ist.

Zusammengefasst handelt es sich beim European Employment Law um einen „großen Wurf“. Zu Recht hat es sich daher auch den Ruf eines Standardwerks erarbeitet. Riesenhuber gelingt es, alles Wesentliche kurz und prägnant, gleichzeitig aber nicht bloß referierend, sondern kritisch analysierend darzustellen. Dem ist insofern großer Respekt zu zollen, werden doch Rechtsquellen kommentiert, die diese Vorzüge für sich gerade nicht in Anspruch nehmen können. Die Attribute „kurz und prägnant“ verbindet man typischerweise nicht mit dem europäischen Arbeits-, insb Sekundärrecht. Hinzu kommt noch, dass der Text auf Englisch verfasst ist. Vielleicht ist das aber sogar ein Vorteil, weil man auf diese Weise noch stärker gezwungen ist, auf ausschweifende Exkurse zu verzichten. Es handelt sich, auf den Punkt gebracht, um eine wirklich gut lesbare, inhaltlich überzeugende Gesamtdarstellung des europäischen Arbeitsrechts, die vorbehaltlos allen, die sich in Theorie oder Praxis mit diesem Rechtsbereich beschäftigen, zu empfehlen ist.