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Überstundenpauschale und Gleitzeit: Kein Pauschalabzug von Gleitzeitguthaben mangels Grundlage in Betriebsvereinbarung

TIMONPFLEGER

Der klagende AN ist Leiter der Finanzabteilung der bekl AG (ÖGK) mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden und bezieht gem § 44 der Dienstordnung A für Verwaltungsangestellte, Pflegepersonal und zahntechnische Angestellte bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs (DO.A) eine Funktionszulage iHv 30 %. Mit der Funktionszulage des Kl sollten zu 50 % die quantitativen Mehrleistungen abgegolten werden. Dies entspricht 15 Stunden pro Monat bzw pauschal 43,8 Minuten pro Arbeitstag.

Ab 2004 galt im Betrieb der AG eine Gleitzeitregelung, wonach auch AN mit Funktionszulagen-Bezug Zeitausgleichstage konsumieren können, und zwar dann, wenn „[…] die in der Funktionszulage enthaltenen Überstunden zumindest zur Hälfte auch tatsächlich geleistet wurden. Dabei ist die Hälfte des Prozentsatzes der Funktionszulage als Stundenanzahl für den Erfassungszeitraum von vier Wochen heranzuziehen. Bsp.: Funktionszulage 30 % – für Zeitausgleichstage können im Erfassungszeitraum von vier Wochen Plusstunden von mehr als 15 herangezogen werden“. Dem kl AN wurden aufgrund dessen alle vier Wochen 45 Minuten pro Arbeitstag, insgesamt also 15 Stunden, von seinem Gleitzeitguthaben abgezogen.

Im Jahr 2019 wurde eine Gleitzeit-BV abgeschlossen, welche ab Dezember 2019 für den AN anwendbar wurde. Weiterhin konnten auch AN mit Funktionszulagen-Bezug Zeitausgleichstage konsumieren, wobei laut § 3 Abs 5 der Gleitzeit-BV ein maximales Zeitguthaben von 40 Stunden am Ende des Kalendermonats übertragen werden kann und sämtliche darüber hinaus bestehende Zeitguthaben abgegolten seien. Laut § 3 Abs 7 der Gleitzeit-BV kann ein Übertrag nur erfolgen, sofern „ein positiver Überstunden-, Zeitsaldo entsprechend der bisherigen betrieblichen Übung besteht“.

Die Gleitzeit-BV wurde dem AN mittels Informationsschreiben zur Kenntnis gebracht. In diesem wurde festgehalten: „So wie bisher erfolgt am Monatsende eine Anrechnung der Plusstunden auf die Funktionszulage, gestaffelt nach der jeweiligen Höhe dieser Zulage. Danach besteht weiterhin Anspruch auch auf ganztägigen Zeitausgleich.“

In weiterer Folge wurde die „Vereinbarung zu § 3 Abs 7 der Betriebsvereinbarung über die gleitende Arbeitszeit vom 21.3.2019“ (idF Zusatz-V) abgeschlossen. Die Zusatz-V beinhaltet einen Passus, wonach bei AN mit Funktionszulage am Ende des jeweiligen Monats pauschal ein Anteil des zu diesem Zeitpunkt bestehenden Gleitzeitguthabens abgezogen wird. Die Zusatz-V wurde von der Direktorin, dem Obmann und dem Vorsitzenden des Angestellten-BR der AG unterzeichnet. Eine Genehmigung bzw Unterzeichnung durch den Vorstand der AG erfolgte hingegen nicht.

Der Kl begehrte die Feststellung, „dass die beklagte Partei nicht berechtigt ist, vom Gleitzeitguthaben des Klägers am Ende eines Kalendermonats Zeitabzüge unter Anrechnung der gewährten Funktionszulage vorzunehmen, sofern das Gleitzeitguthaben des Klägers 40 Plusstunden nicht übersteigt“.

Das Erstgericht gab der Klage statt. Zwar sei der pauschalierte Zeitabzug prinzipiell zulässig, die Bestimmung, wonach sämtliche Stunden über dem erlaubten Übertragskontingent von 40 Stunden abgegolten seien, könne in Kombination mit den Abzügen für den Überstundenanteil der Funktionszulage aber dazu führen, dass tatsächlich geleistete Stunden gar nicht entlohnt würden. Es handle sich somit um eine unwirksame sogenannte „Kappungsklausel“ (vgl OGH 30.10.2019, 9 ObA 75/19y), weshalb der Klage stattzugeben sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der AG Folge. Es führte zusammengefasst aus, dass es sich bei der Regelung bezüglich des pauschalen Abzuges um eine zulässige individualisierte Regelung über das Höchstmaß der Übertragungsmöglichkeiten handle. Die Gleitzeit-BV sei betreffend die Entstehung des übertragbaren Gleitzeitsaldos durch die Zusatz-V konkretisiert worden und Normunterworfene hätten von der Fortführung der bisherigen Unternehmenspraxis (iSd Gleitzeitregelung 2004) ausgehen müssen. Die pauschalen Abzüge seien bei AN mit Funktionszulage daher zulässig.

Der OGH ließ die Revision in Ermangelung von Rsp zu den Regelungsmöglichkeiten bei Zusammentref20fen von Überstundenpauschalen und Gleitzeit zu und stellte das der Klage Folge gebende Urteil des Erstgerichts – allerdings mit anderer Begründung – wieder her. Er führte aus, dass der pauschale Abzug von 15 Stunden vom Berufungsgericht auf die zuletzt abgeschlossene Zusatz-V gestützt wurde. Deren gültiges Zustandekommen bestritt der Kl allerdings während des gesamten Verfahrens, da diese Zusatz-V nicht vom Vorstand der Rechtsvorgängerin der Bekl genehmigt worden war. Eine auf § 538w Abs 1 Z 2 lit a und § 538v Abs 4 ASVG in der 2019 gültigen Fassung gestützte Vertretungsbefugnis der Direktorin und/oder des Obmanns verneinte der OGH ebenso wie die Ableitbarkeit der pauschalierten Abzüge lediglich auf Grundlage der Gleitzeit-BV. Diese enthält keine Vorweg-Anrechnungsbestimmung, es ergibt sich daher auch keine Berechtigung zum Vorweg-Abzug der Stunden vom Gleitzeitsaldo des Kl aus der Gleitzeit-BV. Auch aus der Gleitzeitregelung aus dem Jahr 2004 lässt sich die Möglichkeit eines solchen Abzugs nicht ableiten.

Die Frage, inwieweit Bezieher von Überstundenpauschalen bei Gleitzeitmodellen ganztätigen Zeitausgleich konsumieren können, ist bereits seit geraumer Zeit Thema juristischer Auseinandersetzungen. Insb zur Frage, ob in der Pauschale inkludierte Stunden bei der Ermittlung des Zeitsaldos am Ende der jeweiligen Gleitzeitperiode vorweg abgezogen werden können, reichen die Positionen in Lehre und Literatur von der Bejahung des uneingeschränkten Abzugs über Vorschläge zur Prüfung anhand des Elements einer sachlichen Rechtfertigung bis zur generellen Ablehnung eines solchen Abzugs.

Die Entscheidung in der Frage kann laut OGH aber dahingestellt bleiben, da sie für den Sachverhalt nicht entscheidungsrelevant ist. Aufgrund der fehlenden Genehmigung durch den Vorstand der Bekl wurde die für die Fragestellung relevante Zusatz-V, welche die Regelung zu pauschalierten Abzügen enthält, nämlich nie gültig abgeschlossen. Aus den zuvor abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen lässt sich die Berechtigung zu diesen Abzügen aber nicht ableiten.

Anm des Bearbeiters:

Die spannendste Fragestellung – und ursprünglicher Grund der Zulassung der Revision in Ermangelung bestehender Rsp – bleibt somit auch nach gegenständlicher E ein Thema, zu dem zwar schon viel publiziert wurde, jedoch (leider) weiterhin keine gesicherte höchstgerichtliche Rsp vorliegt. Die Frage wird uns (und die Gerichte) somit wohl auch in Zukunft noch des Öfteren beschäftigen.