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Keine Nichtigkeit einer Betriebsratswahl bei Nichtzulassung einer Arbeitnehmerin, sofern die formellen Voraussetzungen zur Einbeziehung aller Wahlberechtigten eingehalten wurden

MARTINACHLESTIL

Im Betrieb des Kl (ein Verein) wurde am 12.12.2014 eine Betriebsratswahl nach dem vereinfachten Wahlverfahren nach § 58 ArbVG durchgeführt. Mag. W* (Nebenintervenient auf Seiten des bekl BR im gegenständlichen Verfahren) war das einzige Mitglied des Wahlvorstands, welcher am 26.11.2014 bestellt wurde. Mag. W* war nach vorheriger rechtsunwirksamer Kündigung am 17.11.2014 entlassen worden, die Entlassung wurde mit Gerichtsurteil vom 26.4.2019 für rechtsunwirksam erklärt. Am 6.12.2014 wurde Mag. W* erneut entlassen, diese Entlassung ist noch strittig.

Bei der Betriebsratswahl wurden nur die AN der Vereinszentrale zugelassen. AN J* des dazugehörigen Gästehauses wurde weder von der Betriebsversammlung zur Wahl des Wahlvorstands noch von der Betriebsratswahl verständigt.

J* ist als einzige AN ganzjährig im Gästehaus des Kl beschäftigt. Dieses ist im Sommer und einige Wochen zu Weihnachten geöffnet und beschäftigt sonst nur Saisonarbeitskräfte. Sämtliche Dienstverträge wurden jedoch mit dem Kl abgeschlossen. Für das Gästehaus gab es zwar eine Hausleitung, Entscheidungen wurden jedoch immer von der Leitung des Kl getroffen. Die Hausleitung hatte keine eigenständigen Befugnisse. Post wurde vom Gästehaus an die Zentrale weitergeschickt, ebenso Bewerbungen für Arbeitsverhältnisse. Bewerbungsgespräche wurden im Gästehaus gemeinsam vom Obmann des Kl und der Hausleitung durchgeführt. Sämtliche Entscheidungen trafen jedoch allein die Mitarbeiter der Zentrale. Auch J* musste bei Anliegen die Zentrale kontaktieren, wo auch darüber entschieden wurde. Das Gästehaus war nie kostendeckend. Über dieses sollte kein Gewinn lukriert werden. Der jährliche Verlust des Gästehauses wurde vom Kl ausgeglichen.

Gegen die Betriebsratswahl brachte der Kl eine Anfechtungsklage (§ 59 ArbVG) ein, dieser wurde mit Urteil vom 11.4.2018 (mittlerweile rechtskräftig) stattgegeben.

Mit der nunmehr vorliegenden Klage ficht der Kl die Betriebsratswahl vom 12.12.2014 gem § 60 ArbVG an und begehrt die Feststellung 1. ihrer Nichtigkeit und 2. der Nichtigkeit der Wahl des Wahlvorstands, da gegen wesentliche Wahlgrundsätze verstoßen worden sei. Neben der Aufzählung vermeintlicher Verstöße gegen wesentliche Bestimmungen des Wahlverfahrens führt der Kl an, dass AN J* von der Wahl nicht verständig worden sei. Auch sei bei der Wahl nur eine Stimme, nämlich die des Nebenintervenienten Mag. W*, abgegeben worden, mit der er sich selbst gewählt habe; ein Ersatzmitglied sei nicht gewählt worden. Der Nebenintervenient sei außerdem am 17.11.2014 entlassen worden, sodass ihm keine AN-Eigenschaft mehr zugekommen sei; er sei daher weder aktiv noch passiv wahlberechtigt gewesen.

Der bekl BR bestritt und brachte zu J* vor, dass die AN deswegen nicht verständigt worden sei, weil ihr Name weder auf der Homepage noch auf der Anwesenheitstafel der Vereinszentrale aufgeschienen sei; auch bei früheren Wahlen sei sie nicht wahlberechtigt gewesen. Der Kl gehe selbst davon aus, dass das Gästehaus ein eigenständiger Betrieb sei, dieser würde in den Jahresabschlüssen und in den Finanzberichten getrennt ausgewiesen. Es habe keine Berührungspunkte zwischen den Mitarbeitern gegeben, die Organisation sei von der Hausleitung des Gästehauses wahrgenommen worden. J* sei daher nicht wahlberechtigt gewesen.

Mag. W* erklärte seinen Beitritt als Nebenintervenient auf Seiten des bekl BR. In der Verhandlung vom 7.12.2020 stellten der bekl BR und der Nebenintervenient den Zwischenantrag auf Feststellung,

  1. die Wahl des Wahlvorstands am 26.11.2014 als rechtswirksam festzustellen; in eventu, die Wahl des Wahlvorstands hinsichtlich der Wahl des einzigen Mitglieds Mag. W* als rechtswirksam festzustellen; sowie

  2. es möge festgestellt werden, dass Mag. W* vom 26.11.2014 bis zumindest 15.1.2015 Mitglied des am 26.11.2014 gewählten Wahlvorstands war.

Das rechtliche Interesse des bekl BR und des Nebenintervenienten an der Feststellung liege darin, dass die wirksame Wahl des Wahlvorstands Voraussetzung für eine wirksame Betriebsratswahl und damit eine Abweisung der Klage sei, woraus sich auch die Unwirksamkeit der Entlassung des Nebenintervenienten ergeben würde.

Der Kl begehrt die Zurückweisung bzw Abweisung des Feststellungsantrags. Die Klage auf Nichtigerklärung der Betriebsratswahl umfasse auch die Feststellung der Nichtigkeit der Wahl des Wahlvorstands. Eine gesonderte Klage sei nicht möglich.

Das Erstgericht gab dem Kl recht. Zum Zwischenantrag auf Feststellung führte es aus, dass im Verfahren zur Berufung des Wahlvorstands unterlaufene Mängel nicht selbständig, sondern nur gelegentlich der Anfechtung der Betriebsratswahl geltend gemacht werden könnten. Hinsichtlich Vereinszentrale und Gästehaus sei dagegen von einem einheitlichen Betrieb auszugehen. Damit sei aber J* als aktiv wahlberechtigt anzusehen. Die Unterlassung ihrer Verständigung von der Wahl begründe die 9Nichtigkeit der Betriebsratswahl. Sie sei auch nicht von der Betriebsversammlung verständigt worden, weshalb auch die Wahl des Wahlvorstands als nichtig anzusehen sei.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung, es ging ebenfalls von einem einheitlichen Betrieb zwischen dem Gästehaus und der Vereinszentrale aus und merkte an, bei einer nicht mehr vertretbaren absichtlichen Verkennung des Betriebsbegriffs sei Nichtigkeit anzunehmen. Darüber hinaus gehöre es zum Wesen jeder Wahl, dass den Wahlberechtigten die Möglichkeit geboten werde, von der Tatsache, dass die Wahl stattfinde und wann und wo sie durchgeführt werde, Kenntnis zu erhalten. Diese Möglichkeit habe J* nicht gehabt, weil sie weder von der Betriebsversammlung noch von der Wahl selbst Kenntnis erlangt habe. Diese Entscheidung sei bewusst gefallen, weil der Nebenintervenient davon ausgegangen sei, dass das Gästehaus ein eigenständiger Betrieb sei. Die Wahl sei daher nichtig. Die Revision wurde vom Berufungsgericht nicht zugelassen, weil die Entscheidung von den Umständen des Einzelfalls abhänge.

In ihren außerordentlichen Revision beantragen der bekl BR und der Nebenintervenient die Klage abzuweisen, in eventu stellen sie einen Aufhebungsantrag. Sie machen ua geltend, dass aufgrund der rechtskräftigen Entscheidung über die Anfechtung der Betriebsratswahl eine Klage auf Feststellung der Nichtigkeit nicht zulässig sei; Nichtigkeit und Anfechtbarkeit würden einander ausschließen. Der Ausschluss von J* begründe nur eine Anfechtbarkeit.

Der OGH lässt die Revisionen zu und erachtet sie iSd Aufhebungsantrags auch als berechtigt. Das Verhältnis Anfechtungsklage und Nichtigkeitsklage bei Betriebsratswahlen sieht er allerdings anders: Im Fall der Stattgebung eines auf Anfechtung einer Betriebsratswahl gerichteten Klagebegehrens trifft das Gericht eine rechtsgestaltende Entscheidung. Bis zu dieser rechtsgestaltenden Entscheidung bleibt die Funktionsperiode des BR weiter aufrecht. Die Nichtigkeit der Wahl zieht dagegen auch die Rechtsunwirksamkeit aller Handlungen nach sich, die der als BR bezeichnete Personenkreis zwischen der „Wahl“ und der Feststellung der Nichtigkeit vorgenommen hat.

Zwischen dem auf Anfechtung und dem auf Feststellung der Nichtigkeit der Betriebsratswahl gerichteten Klagebegehren besteht daher keine Identität des Streitgegenstands. Die Anfechtbarkeit einer Wahl ist nicht präjudiziell für die Frage ihrer Nichtigkeit. Die Nichtigkeit der Wahl ist im Anfechtungsverfahren wiederum nur eine Vorfrage, die, wenn sie nicht zum Gegenstand eines Zwischenantrags gemacht wurde, Gegenstand einer selbständigen Feststellungsklage werden und dadurch anders entschieden werden kann als im Vorprozess. Dass die Betriebsratswahl, deren Nichtigerklärung der Kl begehrt, daher von ihm in einem anderen Verfahren bereits erfolgreich angefochten wurde, steht einer Entscheidung im vorliegenden Verfahren nicht entgegen.

Zur Nichtigkeit der Betriebsratswahl aufgrund des Ausschlusses der Wahlberechtigung der AN J* bestätigt der OGH, dass die Vorinstanzen zu Recht von einem einheitlichen Betrieb von Vereinszentrale und Gästehaus ausgegangen sind: Ob bei mehreren Arbeitsstätten ein einheitlicher Betrieb vorliegt, richtet sich nach § 34 Abs 1 ArbVG. Wesentliches Merkmal des Betriebsbegriffs ist die organisatorische Einheit, innerhalb der eine physische oder juristische Person oder eine Personengemeinschaft mit technischen oder immateriellen Mitteln die Erzielung bestimmter Arbeitsergebnisse fortgesetzt verfolgt.

In der „organisatorischen Einheit“ muss die Einheit des Betriebsinhabers, des Betriebszwecks und der Organisation zum Ausdruck kommen. Dieser Einheit muss also ein gewisses Mindestmaß an Selbständigkeit, insb in technischer Hinsicht, eingeräumt sein, und auch dem Ergebnis des Arbeitsvorgangs dieser Einheit muss eine wenn auch beschränkte Abgeschlossenheit oder Unabhängigkeit vor anderen Betriebsvorgängen eigen sein. Mehrere Arbeitsstätten zusammen können dann als Betrieb angesehen werden, wenn der Betriebsinhaber in diesen Arbeitsstätten einen einheitlichen Zweck verfolgt. Dass der Leiter eines Betriebs nicht berechtigt ist, AN aufzunehmen und zu kündigen, ist kein entscheidendes Argument gegen die Annahme einer organisatorischen Einheit. Werden hingegen alle wesentlichen Entscheidungen in der Zentrale getroffen, liegt kein selbständiger Betrieb vor. Die örtliche Lage einzelner Arbeitsstätten bzw ihre öffentliche Entfernung voneinander ist für die Frage des Vorliegens eines Betriebs an sich nicht entscheidend. Dennoch muss zwischen Betriebsteilen eine gewisse räumliche Nähe vorliegen, wenn sie zusammen einen einheitlichen Betrieb bilden sollen.

Sind die Kriterien für einen eigenständigen Betrieb nicht gegeben, liegt bloß eine unselbständige Arbeitsstätte vor, in der keine eigenen Vertretungsorgane zu wählen sind. Ein BR ist auf der Ebene des Betriebs, den die unselbständige Arbeitsstätte mit anderen bildet, zu wählen.

Im gegenständlichen Fall lag die ausschließliche Entscheidungskompetenz auch hinsichtlich des Gästehauses, in dem J* tätig ist, bei der Vereinszentrale. Zugrunde liegt der Tätigkeit der gemeinsame ideelle Zweck zur Förderung sehbehinderter und blinder Menschen durch die Schaffung (auch) von Erholungsmöglichkeiten. Sämtliche Bestellvorgänge und arbeitsrechtlichen Entscheidungen wurden in der Zentrale getroffen, deren Mitarbeiter auch die alleinige wirtschaftliche Verantwortung tragen. 10Ein einheitlicher Betrieb von Vereinszentrale und Gästehaus lag somit vor.

Dass damit Personen, für die der konkrete BR gewählt wurde, von der Wahl ausgeschlossen wurden, führt nach Meinung des OGH aber entgegen der Rechtsansicht der Vorinstanzen noch nicht zur Nichtigkeit der Betriebsratswahl. Richtigerweise gehört es zum Wesen jeder Wahl, dass den Wahlberechtigten die Möglichkeit geboten wird, von der Tatsache, dass die Wahl stattfindet und wann und wo sie durchgeführt wird, Kenntnis zu erhalten. Wird dem zuwider gehandelt, dann liegt keine Wahl vor. Es fehlt nämlich in diesem Fall an der Erfüllung einer Grundvoraussetzung der Wahl, der Beteiligungsmöglichkeit aller Wahlberechtigten. Daraus lässt sich nach dem OGH jedoch nicht der Umkehrschluss ziehen, dass die Nichtkenntnis jedes einzelnen Wahlberechtigten von der Abhaltung einer Wahl die Nichtigkeit der Wahl zur Folge hat.

Tatsächlich sieht das Gesetz eine Vielzahl von Regelungen vor, die die Beteiligung aller Wahlberechtigten sicherstellen soll. Wenn im konkreten Fall jeweils die im ArbVG und in der BRWO vorgesehenen formellen Voraussetzungen zur Einbeziehung aller Wahlberechtigten eingehalten wurden (Kundmachung; Aufforderung an den AG zur Übermittlung eines Verzeichnisses der Wahlberechtigten, der nicht entsprochen wurde; Auflage einer Wählerliste; Möglichkeit zum Einspruch), jedoch aufgrund einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Wahlberechtigung einer AN diese nicht in das Wählerverzeichnis aufgenommen wurde, wogegen niemand Einspruch erhoben hat, dann stellt der Ausschluss dieser AN von der Wahl für sich allein genommen nur einen Anfechtungs-, aber keinen Nichtigkeitsgrund dar.

Zur Anfechtung der Wahl des Wahlvorstands führt der OGH aus, dass diese gem § 12 Abs 4 BRWO nicht gesondert, sondern nur gemeinsam mit der Wahl des BR angefochten werden kann. Im Verfahren zur Berufung des Wahlvorstands unterlaufene Mängel können nicht selbständig, sondern nur gelegentlich der Anfechtung der Betriebsratswahl geltend gemacht werden. Dies gilt nicht nur für die Geltendmachung von Anfechtungsgründen iSd § 59 ArbVG, sondern auch im Falle einer absoluten Nichtigkeit der Betriebsratswahl gem § 60 ArbVG. Auch die Nichtigkeit kann erst nach erfolgter Wahl – jederzeit – festgestellt werden; erfasst die Nichtigkeit auch die Bestellung des Wahlvorstands, wäre dies festzustellen. Daher sind zuerst die für eine Nichtigkeit der Betriebsratswahl vorgebrachten Gründe zu prüfen und erst dann auf die behaupteten Mängel der Berufung des Wahlvorstands einzugehen.

Zusammengefasst liegt alleine im Ausschluss der AN J* von der Betriebsratswahl kein Nichtigkeitsgrund. Es sind aber noch die vom Kl geltend gemachten übrigen Nichtigkeitsgründe zu prüfen, wozu noch ergänzende Feststellungen zum unmittelbaren Wahlvorgang, zu einem möglichen Eingriff in die Funktionsperiode des vorangegangenen BR ebenso wie eine nähere Auseinandersetzung mit den behaupteten unlauteren Motiven des Nebenintervenienten für die Abhaltung einer Betriebsratswahl erforderlich sind, um eine allfällige Nichtigkeit beurteilen zu können. Die Entscheidungen der Vorinstanzen waren daher aufzuheben und die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.