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Fiktiver Karriereverlauf eines freigestellten Betriebsratsmitglieds

MARTINACHLESTIL

Der Kl ist ein freigestelltes Betriebsratsmitglied. Er wurde als Zugbegleiter ausgebildet und bis zu seiner Freistellung (1.9.2017) gem § 117 ArbVG als solcher verwendet und ist in die Gehaltsgruppe VIa eingestuft. Von den österreichweit insgesamt 386 Mitarbeitern, die im Zeitraum 1990 bis inklusive 1992 die Dienstprüfung für Zugfahrer bei der bekl AG absolvierten, weisen 76,4 % die gleiche Einstufung wie der Kl auf. Der Durchschnitt der bei der bekl AG beschäftigten Zugbegleiter erlangt die Stelle eines Teamleiters (Gehaltsgruppe VIIb) oder Teamkoordinators (Gehaltsgruppe VIIa) nicht.

Es konnte ebenso wenig festgestellt werden, dass das kl Betriebsratsmitglied – wie von ihm vorgebracht – nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge bis zum 1.9.2017 die Position des Teamleiters bzw Teamkoordinators erreicht hätte. Die Vorinstanzen haben daher die von ihm begehrte Entlohnung nach Maßgabe einer Einstufung ab 1.9.2017 in die Gehaltsgruppe VIIb, in eventu in die Gehaltsgruppe VIIa verneint. In seiner außerordentlichen Revision bringt der Kl vor, die Negativfeststellung habe nur den Zeitraum vor dem 1.9.2017 betroffen, aufgrund weiterer Feststellungen wäre jedoch anzunehmen gewesen, dass er fiktiv die entsprechenden Positionen erreicht hätte. Dem kann laut OGH nicht gefolgt werden:

Gem § 117 Abs 1 ArbVG ist den freigestellten Betriebsratsmitgliedern das Entgelt fortzuzahlen. Die Höhe dieses Entgelts richtet sich danach, was das Betriebsratsmitglied verdient hätte, wenn es während dieser Zeit gearbeitet hätte. Es gilt demnach das Ausfallsprinzip. Zu ersetzen ist nur der mutmaßliche Verdienst. Dieser umfasst das, was der betreffende AN, hätte er nicht eine die Freistellung erfordernde Betriebsratsfunktion bekleidet, nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge – also mit überwiegender Wahrscheinlichkeit – weiterhin bezogen hätte.

Dies trifft auch auf die Ermittlung des mutmaßlichen Verdienstes eines länger freigestellten Betriebsratsmitglieds und dessen festzustellender mutmaßlicher betrieblicher Karriere bei länger andauernder Freistellung zu. Der Karriereverlauf ist anhand von AN, die mit dem Betriebsratsmitglied vor dessen Freistellung weitgehend vergleichbar waren, zu fingieren. Auch der fiktive Karriereverlauf muss überwiegend wahrscheinlich sein, also einer typischerweise verlaufenden betrieblichen „Durchschnittskarriere“ entsprechen. 289

Diese Grundsätze entsprechen dem Beschränkungs- und Benachteiligungs- bzw dem Privilegierungsverbot. Betriebsratsmitglieder dürfen insb hinsichtlich des Entgelts und der Aufstiegsmöglichkeiten nicht benachteiligt werden (§ 115 Abs 3 ArbVG). Andererseits ist aber auch eine höhere bzw günstigere Entgeltfortzahlung für die Betriebsratstätigkeit im Hinblick darauf unzulässig, dass die Zuwendung jeglicher materieller Vorteile aus dem Anlass der Betriebsratstätigkeit rechtswidrig ist.

Die Negativfeststellung wurde im Hinblick auf das Leistungsbegehren des kl BR, mit dem er Entgeltdifferenzen ab dem genannten Zeitpunkt geltend gemacht hat, getroffen. Damit wurde zum Ausdruck gebracht, dass nicht feststeht, dass die Einstufungsvoraussetzungen, die zu jenem Zeitpunkt gegeben sein mussten, auch fiktiv angenommen werden konnten. Da sich aus den in der Revision ins Treffen geführten Feststellungen auch kein späterer Zeitpunkt ableiten lässt, ab dem der kl BR die genannten Positionen fiktiv erreicht hätte, wobei gar nicht behauptet wird, dass neuerlich Planstellen zu besetzen gewesen wären, war die außerordentliche Revision des kl BR mangels einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen.