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Pensionsantrittsalter richtet sich nach der Geschlechtsumwandlungsmitteilung im Personenstandsregister

MONIKA WEISSENSTEINER

Der Kl muss sich seit der von ihm veranlassten Geschlechtsänderungsmeldung rechtlich als Mann behandeln lassen, solange diese Eintragung im Zentralen Personenstandsregister (ZPR) besteht. Der Kl ist ausgehend davon zum Stichtag 1.1.2021 als (männlicher) Versicherter iSd § 253 Abs 1 iVm § 223 Abs 2 ASVG anzusehen.

SACHVERHALT

Der Kl wurde 1960 als Frau geboren, war verheiratet und gebar zwei Kinder. Im Jahr 2017 unterzog er sich einer Geschlechtsanpassungsoperation; Brüste und Eierstöcke wurden entfernt, eine genitalangleichende Operation wurde bisher nicht durchgeführt. Auf Grund der Geschlechtsumwandlungsmitteilung wird der Kl seit 24.3.2017 im ZPR als Mann geführt. Der Name wurde ebenfalls geändert.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Am 17.12.2020 beantragte der Kl die Zuerkennung der Alterspension ab 1.1.2021. Die Pensionsversicherungsanstalt (PVA) lehnte den Antrag ab, weil er das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet habe. Seine dagegen eingebrachte Klage wurde vom Erstgericht abgewiesen, weil der Kl seit 24.3.2017 als männlicher Versicherter zu behandeln sei. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Kl nicht Folge. Die Änderung des Geschlechts komme rechtlich im Weg der Eintragung ins Personenstandsregister zum Ausdruck, wo der Kl zum Zeitpunkt des Stichtags als „männlich“ eingetragen gewesen sei.

Der OGH hält die Revision für zulässig, aber nicht für berechtigt.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

[11] Der Kläger macht in der Revision geltend, dass auch die Entscheidung 10ObS29/09a&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True" target="_blank">10 ObS 29/09a […] nur Lösungsansätze für die Rechtsfrage biete, unter welchen Voraussetzungen eine Person als Mann oder als Frau zu gelten habe. Insbesondere bleibe die Frage unbeantwortet, ob die Eintragung ins Zentrale Personenstandsregister (ZPR) konstitutiv oder nur deklarativ sei. Tatsächlich bedeute die Eintragung nicht, dass der Kläger bezüglich sämtlicher daran anknüpfender Rechtsfragen so zu behandeln sei, als wäre er immer Mann gewesen. Den Kläger trotz seiner typisch weiblichen Erwerbsbiographie als männlichen Versicherten iSd § 253 Abs 1 ASVG anzusehen, sei diskriminierend. Der Kläger habe den Vorteil des früheren Pensionsantrittsalters nicht mit der Geschlechtsänderungsmitteilung vom 24.3.2017 aufgeben wollen. Bei der Einführung des Stichtagsprinzips iSd § 223 ASVG habe der Gesetzgeber keine diskriminierende Rechtslage schaffen wollen; eine Konstellation wie die vorliegende habe er auch nicht bedenken können. […]

1. Transsexualität:

[12] 1.1 Bei Transsexualität (gebräuchlich sind auch die Begriffe Transidentität, Gender-Dysphorie, Transgender, in jüngerer Zeit vielfach Gender-Inkongruenz) ist ein Mensch eindeutig genetisch und/oder anatomisch bzw hormonell einem Geschlecht (männlich/weiblich) zugewiesen, fühlt sich in diesem Geschlecht aber falsch oder unzureichend beschrieben bzw lehnt auch jede Form der Geschlechtszuordnung und Kategorisierung ab. […]

[13] 1.2 Auch das Personenstandsgesetz 2013, BGBl I 2013/16 (PStG 2013), sagt nichts darüber aus, wann davon auszugehen ist, dass sich das Geschlecht 309 einer Person geändert hat. Die österreichische Rechtsordnung und auch das soziale Leben gehen (nach wie vor) davon aus, dass jeder Mensch entweder weiblich oder männlich ist. Welchem Geschlecht operierte Transsexuelle zuzuordnen sind, hat bisher […] keine gesetzliche Regelung gefunden. […]

2. Rechtslage nach dem ASVG:

[14] 2.1 Gemäß § 253 (1) ASVG hat Anspruch auf Alterspension der Versicherte nach Vollendung des 65. Lebensjahres (Regelpensionsalter), die Versicherte nach Vollendung des 60. Lebensjahres (Regelpensionsalter), wenn die Wartezeit (§ 236 ASVG) erfüllt ist. Diese gesetzliche Regelung eines unterschiedlichen Anfallsalters für den Anspruch auf Alterspension für Männer und Frauen ist gemäß § 1 des Bundesverfassungsgesetzes über unterschiedliche Altersgrenzen von männlichen und weiblichen Sozialversicherten, BGBl 1992/832, zulässig. […] Nach der österreichischen höchstgerichtlichen Rechtsprechung verstößt § 253 Abs 1 ASVG nicht gegen die in Art 20, Art 21 Abs 1 und Art 23 Abs 1 GRC verankerten Grundsätze der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung, die Österreich bei der Umsetzung der RL 79/7/EWG gemäß Art 51 Abs 1 GRC zu beachten hat. […]

[15]  2.2 Der Versicherungsfall gilt gemäß § 223 Abs 1 Z 1 ASVG bei Leistungen aus den Versicherungsfällen des Alters mit der Erreichung des Anfallsalters als eingetreten (RS0111060 [T1]). Der Stichtag für die Feststellung, ob der Versicherungsfall eingetreten ist und auch die anderen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, sowie in welchem Zweig der Pensionsversicherung und in welchem Ausmaß eine Leistung gebührt, ist gemäß § 223 Abs 2 ASVG bei Anträgen auf eine Leistung nach § 223 Abs 1 Z 1 ASVG der Tag der Antragstellung, wenn dieser auf einen Monatsersten fällt, sonst der dem Tag der Antragstellung folgende Monatserste.

3. Personenstandsrecht:

[16] 3.1 Mit dem – im Wesentlichen seit 1.11.2013 in Kraft stehenden (§ 72) – Personenstandsgesetz 2013 wurde das Zentrale Personenstandsregister (ZPR, § 44 PStG) geschaffen. […]

[17] 3.2 Gemäß § 1 Abs 1 PStG ist der Personenstand im Sinne des PStG die sich aus den Merkmalen des Familienrechts ergebende Stellung einer Person innerhalb der Rechtsordnung einschließlich ihres Namens. Das „Geschlecht“ zählt gemäß § 2 Abs 2 Z 3 PStG zu den allgemeinen Personenstandsdaten, es ist gemäß § 11 Abs 1 PStG aus Anlass der Geburt des Kindes in das ZPR einzutragen (zur Anzeige und Eintragung der Geburt s §§ 9 ff PStG). […]

[18] 3.3 Jede Änderung des Personenstands ist gemäß § 35 Abs 1 PStG einzutragen. […] Die Eintragung zu den allgemeinen und besonderen Personenstandsdaten begründet gemäß § 40 Abs 3 PStG vollen Beweis iSd § 292 Abs 1 ZPO, soweit es sich nicht um die Staatsangehörigkeit handelt. […]

[19] 3.4 Der Verwaltungsgerichtshof hat – noch zum Personenstandsgesetz 1983 – entschieden, dass für den Bereich des österreichischen Personenstandsrechts jedenfalls in Fällen, in denen eine Person unter der zwanghaften Vorstellung gelebt hat, dem anderen Geschlecht zuzugehören, und sich geschlechtskorrigierenden Maßnahmen unterzogen hat, die zu einer deutlichen Annäherung an das äußere Erscheinungsbild des anderen Geschlechts geführt haben, und bei der mit hoher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen ist, dass sich am Zugehörigkeitsempfinden zum anderen Geschlecht nichts mehr ändern wird, die betreffende Person als Angehörige des Geschlechts anzusehen ist, das ihrem äußeren Erscheinungsbild entspricht (VwGH 95/01/0061 […]). An dieser Ansicht hat er im Erkenntnis 2008/17/0054 (VwSlg 17640 A/2009) festgehalten und ausgeführt, dass ein schwerwiegender operativer Eingriff, wie etwa die Entfernung der primären Geschlechtsmerkmale, keine notwendige Voraussetzung für eine deutliche Annäherung an das äußere Erscheinungsbild des anderen Geschlechts ist. Maßgeblich ist vielmehr die psychische Komponente des Zugehörigkeitsempfindens zum anderen Geschlecht: Ist dieses Zugehörigkeitsempfinden aller Voraussicht nach weitgehend irreversibel und nach außen in der Form einer deutlichen Annäherung an das äußere Erscheinungsbild des anderen Geschlechts zum Ausdruck gekommen, ist der österreichischen Rechtsordnung kein Hindernis zu entnehmen, das eine personenstandsrechtliche Berücksichtigung des für die Allgemeinheit relevanten geschlechtsspezifischen Auftretens hindern würde. […]

[20]  3.5 Weiters entspricht es der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, dass es sich bei den Verfahren nach dem Personenstandsgesetz weitgehend um Verfahren handelt, die aufgrund von Urkunden erfolgen, jedenfalls aber (nur) der Beurkundung dienen und nicht etwa über den Personenstand konstitutiv absprechen. […] Einem entgegen der Rechtslage erfolgten Eintrag im Personenstandsregister kommt daher nach dieser Rechtsprechung keine konstitutive Wirkung zu. […]

[21] 3.6 Der Verfassungsgerichtshof hat im bereits erwähnten Erkenntnis G77/2018&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True" target="_blank">G 77/2018 ausgeführt, dass der Gesetzgeber in der Gestaltung der staatlichen Personenstandsregister zwar grundsätzlich dahingehend frei ist und dass keine Verfassungsbestimmung die Aufnahme eines Hinweises auf das Geschlecht gebietet. Ordnet der Gesetzgeber aber an, dass Personenstandsregister das Geschlecht ausweisen, hat er dabei die Anforderungen aus Art 8 EMRK zur Wahrung der individuellen Geschlechtsidentität zu beachten und sicherzustellen. […] § 2 Abs 2 Z 3 PStG 2013 sei nicht verfassungswidrig: Diese Bestimmung verwehre es – bei entsprechend die Vorgaben aus Art 8 EMRK berücksichtigender Interpretation – Menschen mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung gegenüber männlich oder weiblich nämlich nicht, ihre individuelle Geschlechtsidentität bei der personenstandsrechtlichen Festlegung des Geschlechts zum Ausdruck zu bringen. Sie ist auch nicht dahingehend zu verstehen, 310 dass sie Menschen mit einer alternativen Geschlechtsidentität auf die Begriffe männlich oder weiblich zur Bezeichnung des Geschlechts bei der Angabe dieses allgemeinen Personenstandsdatums beschränkt. Mit Erlass des Bundesministers für Inneres vom 9.9.2020, GZ 2020-0.571.947, wurde die Durchführungsanleitung hinsichtlich des Eintrags des Geschlechts ergänzt. Seither ist es für Menschen, deren Zuordnung zum männlichen oder weiblichen Geschlecht aufgrund der individuellen Entwicklung ihres Geschlechts nicht eindeutig möglich ist, zulässig, ihr Geschlecht abweichend von den bisher definierten Geschlechtskategorien männlich oder weiblich zum Ausdruck zu bringen („inter“, „divers“, „offen“) oder auch keine Angabe über das Geschlecht zu machen.

[22] 3.7 Der EuGH hat in seiner Rechtsprechung mehrfach betont, dass es Sache der Mitgliedstaaten ist, die Voraussetzungen der rechtlichen Anerkennung der Geschlechtsumwandlung einer Person festzulegen. […]

[23] 3.8 In der schon zitierten Entscheidung 10ObS29/09a&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True" target="_blank">10 ObS 29/09a SSV-NF 23/27 beantragte die Klägerin, die männlichen Geschlechts geboren wurde, nach Durchführung einer Geschlechtsumwandlungsoperation die Zuerkennung einer Alterspension im Alter von 61 Jahren, die ihr auch gewährt wurde. Mit der Begründung, sie hätte als Frau bereits mit Vollendung des 60. Lebensjahres eine Alterspension beantragen können, begehrte die Klägerin allerdings auch die Bonifikation gemäß § 261c ASVG. Diesen Anspruch verneinte der Oberste Gerichtshof mit der wesentlichen Begründung, dass eine „Rückwirkung“ der Feststellung der weiblichen Identität nicht in Betracht komme. […] In dieser Entscheidung hielt der Oberste Gerichtshof ua fest, dass die RL 79/7/EWG nicht determiniert, dass die Anerkennung einer geschlechtsumgewandelten Person als Angehörige des neuen Geschlechts zur Folge haben muss, diese Person so zu behandeln, als ob sie immer schon dieses Geschlecht gehabt hätte. Auch der Zweck des § 261c ASVG rechtfertige nicht die rückwirkende Anerkennung des neuen Geschlechts der Klägerin, weil diese als Mann noch nicht berechtigt gewesen wäre, eine Alterspension in Anspruch zu nehmen. […] An die Tatsache, welches Geschlecht ein Mensch habe, knüpfe sich […] eine Vielzahl von rechtlichen Folgen, wie zB das Pensionsalter oder die Wehrpflicht. Die gebotene Rechtssicherheit könne nur durch die Anknüpfung an die – rechtlich leicht feststellbare – Änderung im Geburtenbuch wieder beseitigt werden. Zur Frage, welcher Zeitpunkt maßgeblich für die Änderung des Geschlechts sei – die operative Geschlechtskorrektur, die Eintragung der Änderung des Geschlechts im (damaligen) Geburtenbuch oder die Rechtskraft dieser Eintragung – musste der Oberste Gerichtshof nicht beantworten, weil die Voraussetzungen für die Bonifikation gemäß § 261c ASVG in keinem dieser Zeitpunkte gegeben waren.

4. Anwendung dieser Rechtsprechung im konkreten Fall:

[24]  4.1 […] Die oben dargestellte, noch zur älteren Rechtslage ergangene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs kann vor diesem Hintergrund auch im Anwendungsbereich des Personenstandsgesetzes 2013 aufrecht erhalten werden.

[25]  4.2 Der Umstand, dass beim Kläger bisher keine genitalangleichende Operation durchgeführt wurde, hinderte daher nicht die Eintragung der Änderung des Geschlechts als Mann am 24.3.2017. Auf den in der Revision hervorgehobenen Umstand, dass dem Kläger zum damaligen Zeitpunkt die erst infolge des Erkenntnisses des VfGH G77/2018&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True" target="_blank">G 77/2018 erweiterten Eintragungsmöglichkeiten betreffend das Geschlecht noch nicht offen standen, muss hier nicht weiter eingegangen werden: Da der Kläger eine Personenstandsänderung dahin vorgenommen hat, dass er seit 24.3.2017 als Mann im ZPR geführt wird und auch keine (weitere) Änderung dieser Eintragung veranlasste, muss die Frage des Anfallsalters für die Alterspension bei einer nicht auf „männliches Geschlecht“ lautenden Eintragung im ZPR hier nicht beurteilt werden.

[26]  4.3 Richtig ist, dass die Eintragung des Geschlechts des Klägers im ZPR nach der […] Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nicht konstitutiv, sondern lediglich deklarativ wirkt. […] Das Personenstandsgesetz 2013 enthält […] in § 40 Abs 3 die Regelung, dass die Eintragung zu den allgemeinen Personenstandsdaten, zu denen das Geschlecht gehört, vollen Beweis iSd § 292 Abs 1 ZPO begründet. § 40 Abs 3 PStG 2013 steht im Kontext zu der in § 47 Abs 1 PStG 2013 geregelten ZPR-Abfrage und ermöglicht den Einrichtungen des Bundes, der Länder und der Gemeinden sowie der Körperschaften des öffentlichen Rechts in ihren Verfahren die entsprechenden Daten des ZPR anstelle von Personenstandsurkunden zu verwenden ohne dabei eigene Verfahrensvorschriften (zB § 143 Abs 1 AußStrG, § 31 Abs 1 GBG etc) zu verletzen (Kutscher/Wildpert, Personenstandsrecht² [Stand 1.7.2015, rdb.at] § 40 PStG Anm 4). […] Auch die Sozialversicherungsträger wie die beklagte Pensionsversicherungsanstalt haben diese Daten zu verarbeiten.

[27]  4.4 Soweit der Kläger daher die Auffassung vertritt, dass er trotz der Änderung des Personenstandsdatums „Geschlecht“ auf „männlich“ ab 24.3.2017 rechtlich im Hinblick auf das für ihn geltende Pensionsantrittsalter als Frau zu behandeln sei, ist ihm im konkreten Fall diese von § 40 Abs 3 PStG normierte Wirkung der Eintragung entgegenzuhalten: Auch im eigentlichen Anwendungsbereich des § 292 Abs 1 ZPO ist dem Entscheidungsorgan bei einer öffentlichen Urkunde die freie Würdigung dessen verwehrt, was darin von der Behörde verfügt oder von der Behörde oder Urkundsperson bezeugt wird. Erst dann, wenn der Prozessgegner den Beweis dafür erbringt, dass der bezeugte Vorgang oder die bezeugte Tatsache sich nicht oder nicht in der bezeugten 311 Form ereignet haben oder dass der Beurkundungsvorgang unrichtig war, kommt die freie richterliche Beweiswürdigung in diesem Umfang zum Zug […]. Der Kläger muss sich daher seit der von ihm veranlassten Geschlechtsänderungsmeldung rechtlich als Mann behandeln lassen, solange diese Eintragung im ZPR besteht. Der Kläger ist ausgehend davon zum Stichtag 1.1.2021 als (männlicher) Versicherter iSd § 253 Abs 1 iVm § 223 Abs 2 ASVG anzusehen.

[28] 4.5 Soweit der Kläger in der Revision die Auffassung vertritt, dass die Eintragung als Mann im ZPR nicht bedeute, dass er bezüglich sämtlicher daran anknüpfender Rechtsfragen so zu behandeln sei, als wäre er immer ein Mann gewesen, ist an dem in der Entscheidung 10ObS29/09a&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True" target="_blank">10 ObS 29/09a ausführlich begründeten und bereits dargelegten Grundsatz festzuhalten, dass eine „Rückwirkung“ der Eintragung insbesondere aus Gründen der Rechtssicherheit nicht in Betracht kommt. Wollte man dieses Argument des Klägers konsequent weiterdenken, müsste man etwa einem Mann, der vor Vollendung des 60. Lebensjahres sein Geschlecht in eine Frau ändert, die Zuerkennung einer Alterspension mit Vollendung des 60. Lebensjahres verweigern, weil bis zu diesem Zeitpunkt eine „typisch männliche“ Erwerbsbiographie vorliege. Dies würde allerdings nach der dargestellten Rechtsprechung des EuGH eine Diskriminierung der Frau wegen ihres Geschlechts darstellen.

[29] […] Dem Argument des Revisionswerbers, der Gesetzgeber habe bei Einführung des Stichtagsprinzips keine diskriminierende Rechtslage schaffen wollen, ist entgegenzuhalten: Art 4 Abs 1 RL 79/7/EWG untersagt jede Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ua betreffend die Bedingungen für den Zugang zu den gesetzlichen Systemen, die Schutz gegen die Risiken des Alters bieten. Eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts liegt im Sinn dieser Richtlinie in einer Situation vor, in der eine Person aufgrund ihres Geschlechts eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde (EuGH C-451/16, MB, Rn 34). Der Kläger erfährt jedoch infolge seiner Geschlechtsumwandlung keine weniger günstige Behandlung als ein anderer Mann, der sein bereits bei der Geburt eingetragenes Geschlecht behalten hat, weil auch jener eine Alterspension erst nach Vollendung des 65. Lebensjahres in Anspruch nehmen kann. Daran ändert die Stichtagsregelung des § 223 Abs 2 ASVG nichts, die überdies bei ihrer Anwendung weder auf ein bestimmtes Geschlecht noch auf das Erreichen einer bestimmten Altersgrenze abstellt.

ERLÄUTERUNG

In diesem Verfahren war zu klären, ob der Kl, der sich im Alter von 57 Jahren einer Geschlechtsumwandlung unterzogen hatte und seither im Personenstandsregister als Mann eingetragen war, mit Vollendung des 60. Lebensjahres Anspruch auf Alterspension hat. Derzeit gilt für Frauen des Geburtsjahrgangs des Kl (1960) gem dem Bundes-Verfassungsgesetz (BVG) über unterschiedliche Altersgrenzen von männlichen und weiblichen Sozialversicherten noch ein Pensionsalter von 60. Beginnend mit 1.1.2024 wird die Altersgrenze jährlich bis 2033 mit 1.1. um sechs Monate erhöht (§ 3 BVG Altersgrenzen). Der Kl argumentierte mit seiner „typisch weiblichen Erwerbsbiographie“ und hielt die Anwendung des für Männer geltenden um fünf Jahre höheren Pensionsalters deshalb für diskriminierend. Der OGH – und auch schon die Unterinstanzen – setzten sich nicht nur mit dem Sozialversicherungsrecht, sondern sehr ausführlich mit dem Personenstandsrecht und (zu) kurz mit Fragen des Unionsrechts auseinander.

Bereits im Jahr 2009 hatte sich der OGH mit dem Thema Geschlechtsumwandlung und Pensionsalter zu befassen (OGH 21.4.2009, 10 ObS 29/09a). Im damaligen – umgekehrt gelagerten – Sachverhalt hatte die Geschlechtsumwandlung vom Mann zur Frau nach Vollendung des 60. Lebensjahres stattgefunden. Strittig war nicht der Anspruch auf die Alterspension, sondern ob zusätzlich der sogenannte Aufschub-Bonus für die spätere Geltendmachung gebührt. In der E hatte der OGH festgehalten, dass eine „Rückwirkung“ der Feststellung der weiblichen Identität der (damaligen) Kl nicht in Betracht komme. Ein Tatbestand, der eine solche Bonifikation rechtfertigen könnte, liegt erst ab demjenigen Zeitpunkt vor, zu dem die Kl auch rechtlich als Frau anzusehen ist.

Nach dem PStG 2013 gehört das „Geschlecht“ zu den allgemeinen Personenstandsdaten (§ 2 Abs 2 Z 3). Jede Änderung ist im Personenstandsregister einzutragen. Die Eintragung zu den allgemeinen und besonderen Personenstandsdaten begründet gem § 40 Abs 3 PStG vollen Beweis iSd § 292 Abs 1 ZPO. Nach der Judikatur des VwGH kommt einem entgegen der Rechtslage erfolgten Eintrag im Personenstandsregister keine konstitutive Wirkung zu. Der VfGH hat entschieden, dass der Gesetzgeber bei einer verpflichtenden Anführung des Geschlechts im Personenstandsregister die Anforderungen aus Art 8 EMRK zur Wahrung der individuellen Geschlechtsidentität zu beachten und sicherzustellen habe. Der EuGH hat in seiner Rsp mehrfach betont, dass es Sache der Mitgliedstaaten ist, die Voraussetzungen der rechtlichen Anerkennung der Geschlechtsumwandlung einer Person festzulegen (EuGH 27.4.2006, C-423/04, Richards). Die Mitgliedstaaten haben jedoch bei der Ausübung dieser Zuständigkeit das Unionsrecht zu beachten, insb die Bestimmungen in Bezug auf den Grundsatz der Nichtdiskriminierung.

Richtig ist, dass die Eintragung des Geschlechts des Kl im ZPR nach der – dafür maßgeblichen – Rsp des 312 VwGH nicht konstitutiv, sondern lediglich deklarativ wirkt. Der OGH hält dem Kl allerdings noch einmal die von § 40 Abs 3 PStG normierte Wirkung entgegen, wonach die Eintragung vollen Beweis liefert. Der Kl muss sich daher seit der von ihm veranlassten Geschlechtsänderungsmeldung rechtlich als Mann behandeln lassen, solange diese Eintragung im ZPR besteht. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass es für die Beurteilung der Anspruchsvoraussetzungen auf eine Alterspension auf die maßgeblichen Verhältnisse im Zeitpunkt des Stichtags (§ 223 Abs 2 ASVG) ankommt, stellte der Revisionswerber nicht (mehr) in Frage. Im letzten Absatz der Entscheidungsbegründung führt der OGH zur unionsrechtlichen Frage kurz aus, dass der Kl infolge seiner Geschlechtsumwandlung keine weniger günstige Behandlung als ein anderer Mann erfahre, der sein bereits bei der Geburt eingetragenes Geschlecht behalten hat, weil auch jener eine Alterspension erst nach Vollendung des 65. Lebensjahres in Anspruch nehmen kann. Es liege deshalb keine Diskriminierung auf Grund des Geschlechts vor.