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Überstundenvergütung während der Kurzarbeit in privaten Autobusbetrieben

GREGORKALTSCHMID
Bundesrichtlinie Kurzarbeitsbeihilfe (KUA-COVID-19) vom 1.3.2020 Pkt 6.4.4, 6.6, 6.7; KollV für Dienstnehmer in den privaten Autobusbetrieben Abschnitt III., V.1 und 2

Der Kl ist seit 1993 als Berufskraftfahrer bei der Bekl beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis ist der KollV für DN in den privaten Autobusbetrieben anzuwenden. Für April 2020 bestand im Betrieb eine aufrechte (Corona-)Kurzarbeitszeitvereinbarung mit einer Reduktion der sonst zu erbringenden Normalarbeitszeit um 42 %. Dem Kl wurde eine Nettoersatzrate von 80 % ausbezahlt. Er arbeitete im April 2020 an acht Arbeitstagen jeweils 12 Stunden und 20 Minuten. Es wurden daher im April 2020 insgesamt 18,67 Stunden nach der zehnten Stunde des jeweiligen Arbeitstages geleistet.

Der Kl begehrte für diese 18,67 Überstunden Entgelt von € 373,03 brutto. Er brachte vor, auch wenn die Stundenzahl die zustehende Nettoersatzrate der Kurzarbeitsvereinbarung nicht erreiche, seien die Überstunden separat abzurechnen. Für jede Leistung über der täglichen Normalarbeitszeit von zehn Stunden seien diese Überstunden zuzüglich einem 50 %-igen Zuschlag abzugelten.

Die Bekl anerkannte das Klagebegehren im Umfang von € 274,84 brutto, die Forderung von weiteren € 98,19 brutto wurde bestritten. Die wöchentliche Arbeitszeit des Kl laut KollV betrage 40 Stunden im Rahmen einer 6-Tages-Woche. Die Normalarbeitszeit im April habe 173,33 Stunden betragen. Aufgrund der Kurzarbeitsregelung habe der Kl eine Nettoersatzrate von 80 % erhalten. Dies entspreche 138,67 Stunden. Der Kl habe im April 2020 149,97 Stunden gearbeitet, davon 18,67 Stunden nach der zehnten Stunde des Tages. Er habe daher über die mit der Nettoersatzrate abgegoltene Anzahl von Stunden hinaus 11,3 Überstunden geleistet. Diese seien daher zuzüglich Zuschlag zu bezahlen. Hinsichtlich der restlichen 7,37 Stunden habe der Kl den Grundlohn bereits durch die Zahlung der Nettoersatzrate erhalten. Diesbezüglich sei nur die Forderung nach dem 50 %-igen Zuschlag berechtigt. Der vom Kl geforderte Grundlohn für die 7,37 Stunden (€ 98,19) werde daher weiter bestritten.

Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren übereinstimmend statt.

Der OGH gab der Revision der Bekl nicht Folge.

Er begründete seine Entscheidung folgendermaßen:

1. Der auf das Arbeitsverhältnis anzuwendende Kollektivvertrag für Dienstnehmer in den privaten Autobusbetrieben (KV) sieht unter anderem folgendes vor:

„III. Arbeitszeit

...

2. Fahrpersonal:

a) Kollektivvertragliche Normalarbeitszeit

Wöchentliche Normalarbeitszeit

Die wöchentliche Normalarbeitszeit beträgt 40 Stunden.

Tägliche Normalarbeitszeit

Die tägliche Normalarbeitszeit beträgt 10 Stunden.

b) Durchrechenbare Normalarbeitszeit

Die wöchentliche Normalarbeitszeit kann in den einzelnen Wochen eines Durchrechnungszeitraums von bis zu fünf Wochen bis auf 50 Stunden verlängert werden, wenn die wöchentliche Normalarbeitszeit im Durchschnitt des Durchrechnungszeitraums 40 Stunden nicht überschreitet. Die tägliche Normalarbeitszeit beträgt 10 Stunden.

...

V. Überstundenregelung

1. Überstunden

Überschreitungen der im Abschnitt III, Punkt 1 und 2 festgelegten regelmäßigen Arbeitszeit sind, 298sofern sie über Anordnung des Arbeitgebers oder seines Bevollmächtigen geleistet werden, als Überstunden besonders zu entlohnen.

...

2. Überstundenentlohnung

Die Überstundenentlohnung besteht aus dem Grundstundenlohn und einem Zuschlag. Der Grundstundenlohn beträgt 1/40stel des Bruttowochenlohnes. Ab der 41. Wochenstunde beträgt der Zuschlag 50 %.“

2. Nach § 6 AZG liegt Überstundenarbeit vor, wenn entweder die Grenzen der gesetzlich zulässigen wöchentlichen Normalarbeitszeit überschritten werden oder die tägliche Normalarbeitszeit überschritten wird, die sich aufgrund der Verteilung dieser wöchentlichen Normalarbeitszeit entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen ergibt.

3. Der Kl ist als Berufskraftfahrer in Vollzeit beschäftigt, seine wöchentliche Normalarbeitszeit beträgt daher 40 Stunden. Für den relevanten Zeitraum April 2020 bestand eine Corona-Kurzarbeit-Vereinbarung, nach der die zu erbringende Normalarbeitszeit um 42 % reduziert wurde, die ausbezahlte Nettoersatzrate betrug 80 %.

4. Dem liegt das Bundesgesetz BGBl I 2020/12BGBl I 2020/12 zugrunde, mit dem in § 37b Abs 7 AMSG die Möglichkeit zur Corona-Kurzarbeit geschaffen wurde. Zugleich wurde die Richtlinienkompetenz des Verwaltungsrats des Arbeitsmarktservice (AMS) nach § 37b Abs 4 AMSG dahingehend erweitert, dass von Abs 3 leg cit abweichende Beihilfehöhen vorgesehen werden können. Die dazu erlassene Bundesrichtlinie Kurzarbeitsbeihilfe (KUA-COVID-19) vom 1.3.2020 regelt in Pkt 6.4.4., dass der Arbeitszeitausfall im Kurzarbeitszeitraum durchschnittlich nicht unter 10 % und nicht über 90 % der gesetzlich oder kollektivvertraglich festgelegten oder, bei Teilzeitbeschäftigten, der vertraglich vereinbarten Normalarbeitszeit betragen darf. Der Durchrechnungszeitraum der zur Beurteilung der Zulässigkeit der im Kurzarbeitsbegehren angegebenen bzw der abgerechneten Anzahl an Gesamtausfallstunden maßgeblich ist, erstreckt sich auf den jeweils vereinbarten Kurzarbeitszeitraum.

Die Kurzarbeitsbeihilfe richtet sich gestaffelt nach der Höhe des Bruttoentgelts und liegt zwischen 80 und 90 % bzw bei Lehrlingen bei 100 % des bisherigen Nettoentgelts (Pkt 6.6.).

5. Diese Vorgabe einer pauschalen Mindestnettoersatzrate hat zur Folge, dass das Gesamtentgelt der AN für tatsächlich geleistete Arbeits- plus geförderte Ausfallstunden mit zunehmender Arbeitsleistung nicht steigt. Damit reduziert sich die von den AG zu leistende Kurzarbeitsunterstützung zunehmend je mehr Stunden gearbeitet werden und je näher daher das für die erbrachte Arbeitsleistung gebührende Entgelt an der vorgesehenen Mindestnettoersatzrate liegt.

6. Grundsätzlich ist daher richtig, dass allein der Umstand, dass der AN mehr Stunden als in der Kurzarbeitsvereinbarung vorgesehen leistet, nicht notwendigerweise ein höheres Entgelt nach sich zieht, wenn die abzugeltende Leistung noch im Rahmen der für ihn geltenden Mindestnettoersatzrate liegt.

Die Bekl übersieht jedoch, dass im vorliegenden Fall nicht die Entlohnung von in der Normalarbeitszeit erbrachten Leistungen begehrt wird, sondern von Überstunden. Unabhängig von der Höhe der reduzierten oder nicht reduzierten Normalarbeitszeitstunden wurden außerhalb der zulässigen Normalarbeitszeit Leistungen erbracht, nämlich durch Überschreitung der im KollV vorgesehenen täglichen Normalarbeitszeit von zehn Stunden. Solche Überstunden sind auch bei Vorliegen einer Kurzarbeitsvereinbarung zusätzlich zum Grundlohn und daher auch neben der pauschalen Mindestnettoersatzrate zu entlohnen. Die Entlohnung der Überstunden setzt sich – wie im KollV vorgesehen – aus dem Stundenlohn laut Grundlohn und einem Zuschlag zusammen. Es ist daher nicht richtig, dass die Abgeltung der unstrittig geleisteten Überstunden schon durch Zahlung des für die in der Normalarbeitszeit zu erbringenden Arbeitsleistung vereinbarten Entgelts abgedeckt ist.

7. Daran ändert auch nichts, dass die KUA-COVID-19 für die Bestimmung der berechenbaren Ausfallstunden vorsieht, dass von den kollektivvertraglichen Normalarbeitszeitstunden auch im Abrechnungszeitraum angefallene Überstunden abzuziehen sind (Pkt 6.7.). Dass der AG während der Zeit der Kurzarbeitsvereinbarung den AN zur Leistung von Überstunden heranzieht, mag Auswirkungen auf die zu gewährende Förderung haben, ändert aber nichts daran, dass diese Überstunden gesondert zu entlohnen sind.

8. Zusammengefasst sind Überstunden, die dadurch entstanden sind, dass die nach dem KollV täglich zulässige Normalarbeitszeit überschritten wird, auch während Zeiten, für die Corona-Kurzarbeit vereinbart wurde, gesondert zu entlohnen.299