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Tatsächlicher Bezug der Familienbeihilfe in eigener Person

FELICIAKAIN (WIEN)
  1. Durch die Voraussetzung des tatsächlichen Bezugs der Familienbeihilfe in eigener Person soll klargestellt werden, dass die Gerichte an die Entscheidung der zuständigen Finanzbehörden gebunden sind. Zweck ist die Abwendung der Gefahr von widersprüchlichen Entscheidungen.

  2. Es wäre unionsrechtswidrig, wenn der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld daran scheitern würde, dass die ausländische Beihilfeleistung die österreichische Familienbeihilfe samt dem Kinderabsetzbetrag übersteigt.

  3. Die Voraussetzung des tatsächlichen Bezugs der Familienbeihilfe in eigener Person ist erfüllt, wenn im Bescheid des zuständigen Finanzamts ausgeführt wird, dass ein Anspruch auf eine Ausgleichszahlung iHv € 0,– besteht, insofern dieser Bescheid an die betreffende Person gerichtet ist und über den von ihr gestellten Antrag abspricht.

[1] Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Frage, ob die Kl im Zeitraum von 8.1.2020 bis 3.1.2021 die Anspruchsvoraussetzung des § 2 Abs 8 iVm § 2 Abs 1 Z 1 KBGG – Anspruch und Bezug der Familienbeihilfe in eigener Person – erfüllt.

[2] Die Kl und ihre am 6.9.2018 geborene Tochter E* sind österreichische Staatsbürger. Die Kl war bis 31.12.2019 in der Schweiz berufstätig, seither ist sie Hausfrau. Seit 8.1.2020 wohnt sie gemeinsam mit der Tochter in einem gemeinsamen Haushalt in Vorarlberg. Der Vater der Tochter lebt – von der Kl und der Tochter getrennt – in der Schweiz. Er ist in der Schweiz unselbständig erwerbstätig. Die Obsorgeberechtigung der Mutter ist nicht strittig.

[3] Der Vater bezieht seit Ende September 2020 die Schweizer Kinderzulage. Unstrittig ist, dass die Schweizer Kinderzulage und die österreichische Familienbeihilfe gleichartige, nach der VO (EG) 883/2004 zu koordinierende Familienleistungen sind und die Schweizer Kinderzulage die österreichische Familienbeihilfe übersteigt.

[4] Der Antrag der Kl auf Gewährung der Familienbeihilfe wurde mit Bescheid des Finanzamts * vom 24.6.2020 abgewiesen. Dies wurde für den Zeitraum ab Jänner 2020 damit begründet, dass wegen der Berufstätigkeit des Vaters in der Schweiz und dem Umstand, dass die Kl keine Bezüge in Österreich habe, lediglich Anspruch auf die Ausgleichszahlung zur Familienbeihilfe bestehe. Da die Kinderzulage in der Schweiz höher sei als die Familienbeihilfe in Österreich, betrage die Ausgleichszahlung null €.

[5] Entgegen der früheren Verwaltungspraxis wurde von den Finanzämtern in Österreich seit Jänner 2020 die Auszahlung des Kinderabsetzbetrags (§ 33 Abs 3 EStG) in jenen Fällen, in denen die im Ausland bezogene Familienleistung über jener in Österreich lag, eingestellt. So wird in der „Mitteilung über den Bezug der Ausgleichszahlung“ des Finanzamts * an die Kl vom 24.6.2020 ausgeführt, die Höhe der Ausgleichszahlung sei die Differenz der österreichischen Familienbeihilfe inklusive Kinderabsetzbetrag zur ausländischen Familienleistung. Der Kl wurden im Zeitraum von 8.1.2020 bis 3.1.2021 daher weder eine Ausgleichszahlung zur österreichischen Familienbeihilfe noch der österreichische Kinderabsetzbetrag ausgezahlt.

[6] Mit dem angefochtenen Bescheid vom 2.7.2020 wies die bekl Österreichische Gesundheitskasse den Antrag der Kl auf Zuerkennung von pauschalem Kinderbetreuungsgeld als Konto in der Variante 851 Tage für den Zeitraum ab 6.9.2018 ab. Dies wurde für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum (ab 8.1.2020) damit begründet, dass nicht die Kl, sondern der Vater des Kindes die Schweizer Kinderzulage bezog.

[7] Die Kl begehrt in ihrer Klage den Zuspruch von Kinderbetreuungsgeld von 14,53 € täglich für den Zeitraum von 8.1.2020 bis 3.1.2021.

[...]

[10] Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren statt.

[13] Dagegen richtet sich die Revision der Bekl, mit der sie die Abänderung und Klageabweisung anstrebt.

[14] Sie vertritt zusammengefasst, im vorliegenden Fall fehle der tatsächliche Bezug der Familienbeihilfe iSd § 2 Abs 8 iVm § 2 Abs 1 Z 1 KBGG. Der bloße Anspruch auf Familienbeihilfe (als Ausgleichszahlung) dem Grunde nach sei nicht ausreichend. Die Kl hätte nach Schweizer Recht und Unionsrecht einen eigenen Anspruch auf Auszahlung der Schweizer Kinderzulage gehabt, weil der Vater den Kindesunterhalt nicht vollständig geleistet habe. Sie habe aber keinen entsprechenden Antrag gestellt. Sie erfülle daher die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Kinderbetreuungsgeld nicht.

[...]

[16] Die Revision der Bekl ist zulässig, weil der OGH noch nicht dazu Stellung genommen hat, ob die Anspruchsvoraussetzung des tatsächlichen Bezugs von Familienbeihilfe in eigener Person iSd § 2 Abs 8 iVm § 2 Abs 1 Z 1 KBGG auch dann erfüllt ist, wenn sich aufgrund einer der Familienbeihilfe vergleichbaren, höheren ausländischen Familienleistung die Ausgleichszahlung zur Familienbeihilfe nach der Differenzrechnung des § 4 Abs 2 und 3 FLAG mit Null bemisst und aus diesem Grund oder infolge der Anwendung der Antikumulierungsregel des 511 Art 68 Abs 2 VO (EG) 883/2004 keine tatsächliche Auszahlung des Kinderabsetzbetrags (§ 33 Abs 3 EStG) stattfindet. Sie ist aber nicht berechtigt.

[17] 1.1. Nach § 2 Abs 1 Z 1 KBGG hat ein Elternteil Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld, sofern für dieses Kind Anspruch auf Familienbeihilfe nach dem Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG) besteht und Familienbeihilfe für dieses Kind tatsächlich bezogen wird.

[18] 1.2. Bei getrennt lebenden Eltern muss der antragstellende Elternteil, der mit dem Kind im gemeinsamen Haushalt lebt, die Anspruchsvoraussetzungen nach § 2 Abs 1 Z 1 KBGG in eigener Person erfüllen (§ 2 Abs 8 KBGG).

[19] 2. Nach § 4 Abs 1 FLAG haben Personen, die Anspruch auf eine gleichartige ausländische Beihilfe haben, keinen Anspruch auf Familienbeihilfe. Diese Personen erhalten jedoch – sofern sie österreichische Staatsbürger sind – eine Ausgleichszahlung zur Familienbeihilfe, wenn die Höhe der gleichartigen ausländischen Beihilfe, auf die sie oder eine andere Person Anspruch haben, geringer ist als die Familienbeihilfe, die ihnen nach dem FLAG ansonsten zu gewähren wäre (§ 4 Abs 2 FLAG). Die Ausgleichszahlung wird in Höhe des Unterschiedsbetrags der gleichartigen ausländischen Beihilfe und der Familienbeihilfe geleistet und gilt als Familienbeihilfe iSd FLAG (§ 4 Abs 3 und 6 FLAG).

[20] 3.1. Nach § 33 Abs 3 Satz 1 EStG steht Steuerpflichtigen, denen aufgrund des FLAG 1976 Familienbeihilfe gewährt wird, im Weg der gemeinsamen Auszahlung mit der Familienbeihilfe ein Kinderabsetzbetrag von monatlich 58,40 € für jedes Kind zu.

[...]

[22] 4.1. Die Beurteilung einer Fallgestaltung, in der der Kinderabsetzbetrag nicht bezogen wurde, musste vom OGH bisher nicht entschieden werden (vgl 10 ObS 43/21b). Die für die Beurteilung einer solchen Fallgestaltung maßgeblichen Erwägungen wurden jedoch bereits zu 10 ObS 115/20i dargelegt. Diese betreffen zum einen das Ziel, das der Gesetzgeber anstrebte, als er den tatsächlichen Bezug der Familienbeihilfe zusätzlich zum Bestehen eines Rechtsanspruchs darauf als Anspruchsvoraussetzung für die Gewährung von Kinderbetreuungsgeld in § 2 Abs 1 Z 1 KBGG aufnahm (BGBl I 2007/76). Zum anderen geht es darum, in Fällen, in denen die der Familienbeihilfe vergleichbare ausländische Familienleistung die Höhe der österreichischen Familienbeihilfe übersteigt, unionsrechtswidrige Auslegungsergebnisse zu vermeiden.

[23] 4.2.1. Im Hinblick auf die Zielrichtung der Anspruchsvoraussetzung des tatsächlichen Bezugs der Familienbeihilfe – neben dem Bestehen eines Anspruchs darauf – wurde zu 10 ObS 115/20i hervorgehoben, dass der Gesetzgeber mit dieser Anforderung auf die Praxis der Gerichte reagierte, die Anspruchsvoraussetzungen für Familienbeihilfen selbständig zu prüfen. Durch die Klarstellung, dass die Gerichte an die Entscheidung der zuständigen Finanzbehörden gebunden seien, sollte die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen abgewendet werden (ErläutRV 229 BlgNR 23. GP 4; vgl 10 ObS 115/20i).

[24] 4.2.2. Den ersatzlosen Entfall der auf gleichartige ausländische Familienleistungen bezugnehmenden Regelung in § 2 Abs 1 Z 1 KBGG mit der Novelle BGBl I 2007/76 erklärte der Gesetzgeber damit, dass nach der in grenzüberschreitenden Sachverhalten anzuwendenden VO (EWG) 1408/71 sowohl Familienbeihilfe als auch Kinderbetreuungsgeld Familienleistungen seien. Bei einer aufgrund der VO nachrangigen Zuständigkeit Österreichs sei die Voraussetzung für einen Anspruch auf eine Ausgleichszahlung auch dann erfüllt, wenn im vorrangig zuständigen Staat Anspruch auf eine gleichartige ausländische Familienbeihilfe bestehe (dem Grunde nach also Anspruch auf österreichische Familienbeihilfe als Ausgleichszahlung iSd VO bestehe) und diese tatsächlich bezogen werde (ErläutRV 229 BlgNR 23. GP 4).

[25] Daraus ergibt sich die Absicht des Gesetzgebers, dass Österreich auch dann zur Leistung von Kinderbetreuungsgeld (bei nachrangiger Zuständigkeit als Ausgleichszahlung in Höhe des Differenzbetrags zwischen österreichischem Kinderbetreuungsgeld und ausländischer gleichartiger Familienleistung) verpflichtet sein soll, wenn nur deshalb kein Anspruch auf österreichische Familienbeihilfe besteht, weil für das Kind eine der österreichischen Transferzahlung vergleichbare ausländische Beihilfeleistung bezogen wird (10 ObS 115/20i).

[26] 4.2.3. Im vorliegenden Fall ist unstrittig, dass die vom Vater bezogene Schweizer Kinderzulage iSd VO (EG) 883/2004 der österreichischen Familienbeihilfe vergleichbar ist und deren Höhe übersteigt. Nach § 4 Abs 2 und 3 FLAG bemisst sich die Ausgleichszahlung somit mit Null. In diesem Sinn wurde vom zuständigen Finanzamt mit Bescheid vom 24.6.2020 ausgeführt, dass ab Jänner 2020 ein Anspruch auf die Ausgleichszahlung bestehe, dessen Höhe „aktuell“ null € betrage.

[27] 4.2.4. Die Vorinstanzen legten diesen Bescheid ihrer Beurteilung zugrunde. Soweit das Erfordernis des tatsächlichen Bezugs der Familienbeihilfe gem § 2 Abs 1 Z 1 KBGG idF BGBl I 2007/76 eine eigenständige Beurteilung des Anspruchs auf (Ausgleichszahlung zur) Familienbeihilfe durch die Gerichte verhindern soll, ist dieser Zweck im vorliegenden Fall daher gewahrt.

[28] 4.3.1. Der Senat hat in der E 10 ObS 115/20i auch bereits ausgesprochen, dass ein unionsrechtswidriges Ergebnis vorläge, wenn in Fällen, in denen die ausländische Beihilfeleistung die österreichische Familienbeihilfe (im dortigen Fall: ohne Berücksichtigung des Kinderabsetzbetrags) übersteigt, sodass ein Differenzbetrag auf die Familienbeihilfe in Österreich gem § 4 Abs 2 und 3 FLAG nicht tatsächlich ausgezahlt wird, der Anspruch auf österreichisches Kinderbetreuungsgeld (als Ausgleichszahlung) an der Voraussetzung der tatsächlichen Auszahlung der Familienbeihilfe scheitern würde, obwohl die Summe der nach der VO (EG) 883/2004 zu koordinierenden ausländischen Familienleistungen jene der österreichischen Leistungen nicht erreicht. Dem Gesetzgeber könne nicht unterstellt werden, ein derartiges unionsrechtswidriges Ergebnis zu verfolgen. 512

[29] 4.3.2. Der Kinderabsetzbetrag gem § 33 Abs 3 EStG ist eine der Familienbeihilfe funktionsgleiche Transferleistung (10 ObS 115/20i). Daher ändert es nichts an den dargestellten Erwägungen, wenn die österreichischen Finanzämter seit Jänner 2020 die Schweizer Kinderzulage als eine nicht nur der österreichischen Familienbeihilfe, sondern auch dem Kinderabsetzbetrag gem § 33 Abs 3 EStG gleichartige Leistung (vgl RS0122907) beurteilen und auch in diesem Verhältnis die Antikumulierungsvorschrift des Art 68 Abs 2 VO (EG) 883/2004 anwenden oder bei Bestehen eines Anspruchs auf Ausgleichszahlung zur Familienbeihilfe in Höhe von (nur) Null schlechthin die Auszahlung des Kinderabsetzbetrags ablehnen.

[30] Auch in Fällen, in denen die ausländische Beihilfeleistung die österreichische Familienbeihilfe zuzüglich des Kinderabsetzbetrags übersteigt, sodass weder ein Differenzbetrag auf die Familienbeihilfe gem § 4 Abs 2 und 3 FLAG noch der Kinderabsetzbetrag nach § 33 Abs 3 EStG tatsächlich ausgezahlt werden, wäre es daher unionsrechtswidrig, wenn der Anspruch auf österreichisches Kinderbetreuungsgeld (als Ausgleichszahlung) an der Voraussetzung der tatsächlichen Auszahlung der Familienbeihilfe scheitern würde [...].

[31] Die Anspruchsvoraussetzung des tatsächlichen Bezugs von Familienbeihilfe gem § 2 Abs 1 Z 1 KBGG ist daher im vorliegenden Fall erfüllt.

[32] 5.1. Die Bekl steht auf dem Standpunkt, im vorliegenden Fall sei die Voraussetzung des § 2 Abs 8 iVm § 2 Abs 1 Z 1 KBGG – der Anspruch auf und der tatsächliche Bezug von Kinderbeihilfe durch den das Kinderbetreuungsgeld begehrenden Elternteil in eigener Person – nicht erfüllt, weil die Schweizer Kinderzulage dem Vater des Kindes ausgezahlt wurde und eine tatsächliche Auszahlung des Kinderabsetzbetrags an die Kl aufgrund der Höhe der Schweizer Kinderzulage nicht stattfand.

[33] 5.2. Dies trifft nicht zu. Bereits die Entscheidungen 10 ObS 115/21i und 10 ObS 43/21b betrafen getrennt lebende Elternpaare, bei denen jeweils die Väter eine der österreichischen Kinderbeihilfe vergleichbare ausländische Familienleistung (zu 10 ObS 43/21b wie im vorliegenden Fall die Schweizer Kinderzulage, zu 10 ObS 115/20i die liechtensteinische Kinderzulage) bezogen und der (zu Recht bestehende) Anspruch der Mütter auf Ausgleichszahlung zur österreichischen Familienbeihilfe aufgrund der Höhe der ausländischen Familienleistungen mit Null zu bemessen war.

[34] 5.3. Von dieser Fallgestaltung unterscheidet sich der vorliegende Fall nur dadurch, dass die Finanzämter ihre Verwaltungspraxis seit Jänner 2020 dahin umstellten, dass sie in den Fällen, in denen die im Ausland bezogene Familienleistung über der (vergleichbaren) österreichischen Leistung liegt, den Kinderabsetzbetrag (§ 33 Abs 3 EStG) nicht mehr auszahlen. Ungeachtet dieser Änderung der Verwaltungspraxis ist im vorliegenden Fall – wie bereits ausgeführt – die Voraussetzung des tatsächlichen Bezugs der Familienbeihilfe iSd § 2 Abs 1 Z 1 KBGG erfüllt.

[35] 5.4. Der Bescheid des zuständigen Finanzamts vom 24.6.2020, in dem ausgeführt wurde, dass lediglich ein Anspruch auf die Ausgleichszahlung zur österreichischen Familienbeihilfe bestehe, die aktuell null € betrage, war an die Kl gerichtet und sprach über den von ihr gestellten Antrag ab. Es besteht daher kein Zweifel, dass ein solcher mit Null bemessener Anspruch auf Ausgleichszahlung nicht nur als tatsächlicher Bezug von Familienbeihilfe iSd § 2 Abs 1 Z 1 KBGG, sondern auch als tatsächlicher Bezug von Familienbeihilfe durch die Kl in eigener Person iSd § 2 Abs 8 KBGG zu qualifizieren ist.

[36] 6. Die Vorinstanzen beurteilten den Anspruch der Kl auf pauschales Kinderbetreuungsgeld als Konto daher zutreffend als berechtigt. Die von der Bekl aufgeworfene Frage, ob die Kl einen eigenen Anspruch auf Schweizer Kinderzulage gehabt hätte, erweist sich daher im vorliegenden Fall nicht als entscheidend.

[...]

ANMERKUNG
1.
Einführung

Leben Eltern getrennt, muss der antragstellende Elternteil die Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug des pauschalen Kinderbetreuungsgeldes gem § 2 Abs 8 KBGG in eigener Person erfüllen. Eine der verlangten Voraussetzungen ist gem § 2 Abs 1 Z 1 KBGG der tatsächliche Bezug der Familienbeihilfe iSd FLAG. Im gegenständlichen Fall war strittig, ob ein solcher Bezug in eigener Person vorliegt, wenn die Familienbeihilfe sowie der Kinderabsetzbetrag als funktionsgleiche Transferleistungen zwar zustehen, jedoch € 0,– betragen, weil der andere Elternteil eine vergleichbare höhere Leistung im Ausland bezieht. Diese ist nach § 4 FLAG mit der Familienbeihilfe aufzurechnen.

Mit der gegenständlichen E führt der OGH seine bisherige Rechtsprechungslinie fort. Den Ausführungen zum nationalen Recht, insb zum Zweck der Anspruchsvoraussetzung des tatsächlichen Bezugs der Familienbeihilfe, ist nichts mehr hinzuzufügen. Daher wird von deren bloßer Zusammenfassung Abstand genommen. Aufgrund des Verweises auf seine frühere Rsp erscheint eine Darstellung der wichtigsten Elemente ebendieser zweckmäßig. Eine genauere Analyse der europäischen Vorgaben durch den OGH war zwar aufgrund der klaren bestehenden Rsp zum gegenständlichen Thema nicht notwendig, könnte aber für zukünftige Verfahren bedeutsam sein. Sachverhalte wie dieser müssen ua vor dem Hintergrund der Systematik und des Zwecks der Antikumulierungsregeln des Art 68 VO 883/2004 beurteilt werden.

2.
Bisherige Rsp des OGH

Der OGH entschied bereits wie zu verfahren ist, wenn zwar grundsätzlich ein Anspruch auf Familienbeihilfe besteht, dieser jedoch gem § 4 FLAG € 0,– beträgt, weil eine höhere ausländische Leistung gebührt. In diesen Fällen wurde Tatsächlicher 513 jeweils noch der Kinderabsetzbetrag iSd § 33 Abs 3 EStG bezogen. Die Gesundheitskasse legte § 2 Abs 1 Z 1 iVm Abs 8 KBGG in der OGH-E vom 13.10.2020, 10 ObS 115/20i, so aus, dass die Anspruchsvoraussetzung des tatsächlichen Bezugs der Familienbeihilfe in eigener Person nur dann vorliege, wenn die Familienbeihilfe in voller Höhe ausbezahlt werde. Der Bezug des Kinderabsetzbetrages reiche nicht aus. Dieser Lesart trat der OGH zutreffend entgegen. Beim Kinderabsetzbetrag handle es sich um eine mit der Familienbeihilfe vergleichbare Transferleistung. Zweck der Anforderung des tatsächlichen Bezugs sei es zu verhindern, dass die Gerichte die Voraussetzungen für das Vorliegen der Familienbeihilfe selbst prüfen, anstatt sich auf die Bescheide der Behörde zu stützen. Wird die Familienbeihilfe nur deswegen nicht ausbezahlt, weil eine ausländische vergleichbare Leistung gebührt und die Ausgleichszahlung nach § 4 FLAG € 0,– beträgt und der Kinderabsetzbetrag bezogen wurde, gelte die Familienbeihilfe daher jedenfalls als tatsächlich in eigener Person bezogen (OGH10 ObS 115/20iDRdA-infas 2021, 134 [Neundlinger]).

Diese Ausführungen bestätigte der OGH bei einem gleich gelagerten Sachverhalt in einem Beschluss im Jahr darauf, indem er die Zulässigkeit der Revision wegen bereits bestehender Rsp verneinte (OGH 30.3.2021, 10 ObS 43/21b). In diesem Verfahren wurde die Frage aufgeworfen, wie zu verfahren sei, wenn auch der Kinderabsetzbetrag nicht ausbezahlt wird, weil die ausländische Leistung dessen Höhe übersteigt. Dies war jedoch rein theoretischer Natur und daher nicht geeignet, die Zulässigkeit der Revision zu begründen.

Der gegenständlichen E liegt nun ein solcher Sachverhalt zugrunde. Das vom Vater bezogene schweizerische Kindergeld übersteigt nicht nur die der Mutter zustehende Familienbeihilfe, sondern auch den Kinderabsetzbetrag. Der iSd § 4 FLAG zustehende Differenzbetrag bemisst sich somit auf € 0,–. Dies ist dem Bescheid des Finanzamts zu entnehmen, welcher als Grundlage für die Entscheidung der Vorinstanzen herangezogen wurde. Die Gesundheitskasse versuchte nun wiederum zu argumentieren, dass die Voraussetzung des Bezugs in eigener Person iSd § 2 Abs 8 KBGG nicht gegeben sei, weil nicht die Mutter selbst, sondern der Vater in der Schweiz das mit der Familienbeihilfe sowie dem Kinderabsetzbetrag vergleichbare schweizerische Kindergeld beziehe. Der OGH stellte nun mit überzeugenden Argumenten klar, dass die Anspruchsvoraussetzung des tatsächlichen Bezugs der Familienbeihilfe in eigener Person auch gegeben ist, wenn die ausländische vergleichbare Leistung vom anderen Elternteil bezogen wird (OGH 22.2.2022, 10 ObS 128/21b).

3.
Antikumulierungsregeln

§ 4 FLAG stellt das nationale „Äquivalent“ des Art 68 VO 883/2004 dar und ist dementsprechend im Einklang mit den europäischen Vorgaben zu interpretieren. Dieser muss dann unangewendet bleiben, wenn Österreich nach Art 68 VO 883/2004

primär zuständig ist, weil Österreich in einem solchen Fall europarechtlich zur vollen Leistung verpflichtet wäre. Insoweit Österreich nachrangig zuständig ist, wie im gegenständlichen Fall, bleibt es bei der Anwendung des § 4 FLAG.

Die Notwendigkeit der Antikumulierungsregeln des Art 68 VO 883/2004 im Bereich der Familienleistungen resultiert aus dem mehrpersonalen Verhältnis zwischen den Eltern, den Kindern und den zuständigen Trägern. Diese werden schlagend, falls beiden Elternteilen gleichzeitig Ansprüche verschiedener Staaten zustehen. Zweck des Art 68 VO 883/2004 sind das Lösen von Anspruchskonflikten, die Vermeidung von Doppelleistungen und die Sicherung bestehender Leistungsansprüche (Marhold in Fuchs [Hrsg], Europäisches Sozialrecht8 [2022] Art 68 VO 883/2004 Rn 1; Felten in Spiegel [Hrsg], Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht6 [2017] Art 68 VO 883/2004 Rn 1). Unter den potentiell zuständigen Staaten wird eine Zuständigkeitsreihenfolge gebildet. Während der primär zuständige Staat seine Leistung voll erbringt, muss der nachrangig zuständige seine Leistung gegebenenfalls nur teilweise in Form des sogenannten Unterschiedsbetrags erbringen. Die Versicherten bekommen somit immer die höchstmögliche Leistung, während kein Staat mehr leistet als er selbst vorsieht. Bei der Anwendung des Art 68 VO 883/2004 ist stets das Konzept der Familienbetrachtungsweise zu beachten, welches in Art 60 Abs 1 VO 987/2009 determiniert wird. Demnach ist bei der Prüfung, ob eine bestimmte Person einen Leistungsanspruch erheben kann, immer die gesamtfamiliäre Situation zu berücksichtigen, indem so getan wird, als würden alle Familienangehörigen denselben Rechtsvorschriften unterliegen und in diesem Mitgliedstaat wohnen (Kovács, Gleichbehandlungskonzepte in der sozialen Koordinierung am Beispiel der Familienleistungen, ZESAR 2022, 51 [52]).

4.
Zum tatsächlichen Bezug in eigener Person

Die Voraussetzung des tatsächlichen Bezugs in eigener Person per se ist unproblematisch. Diese jedoch als nicht erfüllt anzusehen, insoweit mit einem ausländischen Anspruch aufgerechnet wird, wäre nicht mit dem Unionsrecht vereinbar. Nationale Ansprüche daran zu knüpfen, dass eine andere, davon getrennte Leistung nicht mit ausländischen Ansprüchen aufgerechnet wird, stellt einen Missbrauch der Antikumulierungssysteme des § 4 FLAG bzw Art 68 VO 883/2004 dar. Eine solche Vorgehensweise stünde nicht im Einklang mit dem Zweck ebendieser Normen sowie dem Konzept der Familienbetrachtungsweise. Sie würde auch überwiegend Familien mit Auslandsberührung benachteiligen. Die jeweiligen Mitgliedstaaten sind zwar bei der Ausgestaltung ihrer jeweiligen Sozialversicherungssysteme, also bei der Entscheidung, unter welchen Voraussetzungen Ansprüche gewährt werden, frei. Sie müssen jedoch das Primärrecht, insb die Grundfreiheiten und somit die darin enthaltenen Diskriminierungsverbote, 514 beachten (stRsp, siehe zB EuGHC-158/96, Kohll, ECLI:EU:C:1998:171, Rn 17 ff).

Man käme des Weiteren zu dem absurden Ergebnis, dass es von der Höhe der ausländischen Leistung abhängt, ob die Familienleistung tatsächlich in eigener Person bezogen wird. Wäre die ausländische Leistung nur € 1,– niedriger als die Familienbeihilfe, wäre die Voraussetzung gegeben, ist sie € 1,– höher, nicht. Demnach wäre der Bezug in eigener Person bei einer höheren ausländischen Leistung niemals möglich. Ob der Kinderabsetzbetrag als funktionsgleiche Transferleistung ebenfalls € 0,– oder mehr beträgt, ist irrelevant.

Im gegenständlichen Fall ist unstrittig, dass die Mutter dem Grunde nach einen eigenen Anspruch auf Familienbeihilfe hat. Dies wurde durch den Bescheid des Finanzamts, an den die Gerichte gebunden sind, bestätigt. Sie bezieht den Anspruch iHv € 0,– somit in eigener Person.

5.
Fazit

Entscheidend für die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen des § 2 Abs 1 Z 1 iVm Abs 8 KBGG ist, ob grundsätzlich ein Anspruch auf Familienbeihilfe bzw auf funktionsgleiche Transferleistungen besteht und ob diese auch tatsächlich bezogen werden. Die Voraussetzung des „tatsächlichen Bezugs in eigener Person“ liegt jedenfalls vor, wenn die das Kinderbetreuungsgeld beantragende Person ihren Anspruch auf Familienbeihilfe geltend gemacht hat und dieser mit Bescheid bestätigt wurde. Ob die Familienbeihilfe und der Kinderabsetzbetrag in voller Höhe ausbezahlt werden oder aufgrund der Aufrechnungsregeln des § 4 FLAG € 0,– betragen, darf für den Bezug des Kinderbetreuungsgeldes keine Rolle spielen.