PützStrukturtarifverträge zur Organisation der betrieblichen Mitbestimmung

Nomos Verlag, Baden-Baden 2020, 320 Seiten, kartoniert, € 86,40

KLAUSFIRLEI (SALZBURG)

Die hier zu besprechende Monografie von Laura Pütz mit dem Untertitel „Anwendungsmöglichkeiten und Reformbedarf des § 3 BetrVG unter besonderer Beachtung moderner Unternehmensstrukturen“ wurde an der Universität Köln als Dissertation approbiert 534 und erschien als Nr 84 in der vom Nomos Verlag heraus gegebenen, renommierten Schriftenreihe „Studien zum deutschen und europäischen Arbeitsrecht“. Sie widmet sich einer Fragestellung, die hierzulande schon wegen der mangelnden gesetzlichen Grundlagen wenig Aufmerksamkeit gefunden hat. § 3 BetrVG regelt, in welchen Fällen ein Tarifvertrag (TV), zT auch eine BV, von den organisatorischen Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes abweichen kann. Dabei gehen die Möglichkeiten der tariflichen Rechtsgestaltung weit über die in Österreich statuierten einschlägigen Ermächtigungen (siehe §§ 2 Abs 1 Z 5 und 29 ArbVG) hinaus. Die Arbeit konzentriert sich darauf, Möglichkeiten zu beschreiben, auf die vielfältigen neuen Unternehmens- und Betriebsstrukturen durch alternative Ausgestaltungen der Organisation der Belegschaftsvertretungen zu reagieren, um letztlich die Effektivität und Effizienz der betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte zu stärken. Das ist zweifellos eine Frage, die sich auch in Österreich mit großer Dringlichkeit stellt.

§ 3 BetrVG ermöglicht vergleichsweise umfassende Durchbrechungsmöglichkeiten der, so wie in Österreich, auch für den deutschen Rechtsbereich grundsätzlich (zweiseitig) zwingenden Organisationsregeln der Betriebsverfassung. Gelockert wurde im Rahmen der Reform aus dem Jahr 2001 insb die strenge Bindung der Betriebsratserrichtung an den Betrieb. Weiters wurden für die BV in § 3 Abs 2 BetrVG Flexibilisierungsmöglichkeiten der betriebsverfassungsrechtlichen Organisationsstruktur geschaffen.

Pütz geht vor allem der Frage nach, ob die Ermächtigungen des § 3 BetrVG und insb die gesetzlichen Neuerungen aus dem Jahr 2001 geeignet sind, den heutigen Wandel der Unternehmens- und Betriebslandschaft aus mitbestimmungsrechtlicher Perspektive angemessen zu bewältigen oder ob zu diesem Zweck Änderungen des Gesetzes sinnvoll wären.

Ein Kernstück der Arbeit ist – und gerade dieser Teil verdient für Österreich uneingeschränkte Aufmerksamkeit – der Frage nach den maßgeblichen Entwicklungen und Trends und den sich daraus ergebenden Organisationsstrukturen gewidmet. Ausführlich wird danach § 3 BetrVG kommentiert und auf das Reaktionspotenzial hinsichtlich der neuen Trends hin untersucht. Teil 3 des Buches thematisiert potenzielle Lösungsmöglichkeiten auf der Grundlage des § 3 BetrVG und ordnet diese in das rechtliche Gesamtgefüge ein. Im vierten Teil der Monografie werden die Probleme und Gefahren herausgearbeitet, die die neuen wirtschaftlichen Organisationsformen jeweils mit sich bringen. In der Folge wird der Frage nachgegangen, ob bei Anwendung der Gestaltungsmöglichkeiten des § 3 BetrVG diesen Besonderheiten und Problemherden ausreichend Rechnung getragen werden kann. Parallel dazu geht es auch darum, ob andersartige Lösungskonzepte eine bessere Abdeckung bieten können, ob die in der Literatur diskutierte Kritik an § 3 BetrVG berechtigt ist bzw Gestaltungsmöglichkeiten bestehen, die keinen oder nur wenig Nutzen entfalten.

In der abschließenden Betrachtung wird dargestellt, wo § 3 BetrVG den heutigen Anforderungen nicht nachkommt. Die Autorin stellt in diesem Zusammenhang einen umfassenden und rechtspolitisch sehr gehaltvollen Anpassungskatalog vor.

Teil 2 ist eine außerordentlich informative, präzise und kompakte „Einführung“ in die heute gängigen Trends und Entwicklungen der Organisationsgestaltung in Unternehmen und Betrieb. Davon auszugehen ist, dass die klassischen Organisationsstrukturen immer häufiger und immer umfassender neuartigen Konzepten weichen. Dass dies die Interessenvertretungschancen der Belegschaften und ihrer Organe maßgeblich und idR nachteilig beeinflusst, ist evident. Die zweiseitig-zwingenden Organisationsregeln der Betriebsverfassung erweisen sich immer wieder als zunehmend inadäquat. Pütz stellt Grundbegriffe der Organisationsforschung vor und gibt nachfolgend einen Überblick über die Änderungen, die derzeit realisiert werden. Stichworte wären etwa Divisionsbildung, Holdingorganisation, Matrixorganisation, Tensororganisation, Netzwerkstruktur, Virtualisierung, Modularisierung, Projektorganisation, usw.

Basis für die weitergehenden Überlegungen der Autorin ist eine gründliche dogmatische Analyse der Abweichungsmöglichkeiten des § 3 BetrVG. Dieser ermöglicht vom gesetzlichen Schema abweichende AN-Vertretungsstrukturen. Dabei wird vor allem die grundsätzlich strenge Bindung an den Betrieb zur Disposition gestellt. Interessant ist, dass das Nichtausreichen der gesetzlichen Strukturen keine allgemeine Voraussetzung für die in § 3 vorgesehenen Abweichungen darstellt. Inhaltlich geht es zB um Unternehmen mit mehreren Betrieben, um Spartenbetriebsräte, um zusätzliche betriebsverfassungsrechtliche Gremien, um erleichterte Kommunikationsmöglichkeiten zwischen AN und BR uvam.

In Teil 4 ihrer Arbeit analysiert die Verfasserin die Leistungsfähigkeit der in § 3 BetrVG bereitgestellten Instrumente hinsichtlich der Bewältigung neuer Organisationsformen in Unternehmen und Betrieb. Diese ambitionierte Themenstellung ist der Verfasserin in geradezu brillanter Weise gelungen. Sie leistet hier eine herausragende Pionierarbeit, die auch die Schwächen gewisser Lösungsmöglichkeiten präzise aufdeckt und auf diese Weise einen Beitrag dazu liefern kann, wie man in Österreich die allzu starre und zT nicht mehr zeitgemäßen Organisationsstrukturen der Betriebsverfassung flexibilisieren könnte, um die Effektivität und Effizienz des Mitwirkungs- und Mitbestimmungssys tems zu steigern. Es ist hier nicht möglich, auf die einzelnen und ungemein ausdifferenzierten Argumente einzugehen.

Insgesamt zeigt sich für Pütz ein „durchwachsenes Gesamtbild“. Sie gesteht dennoch dem § 3 BetrVG eine nicht unerhebliche Lösungskompetenz in Bezug auf die neuen Organisationsformen zu. Allerdings hält sie den geltenden Rechtszustand im Ergebnis doch für nicht gelungen und nicht ausreichend. Es bestehe daher ein Anpassungsbedarf, der sich in concreto aus der Gegenüberstellung der neuen Organisationsformen im Unternehmen mit den Gestaltungspotenzialen des § 3 BetrVG ergibt.

Im Rahmen ihrer Abschlussbetrachtung liefert Pütz den Text einer Neuformulierung des § 3 BetrVG. Das ist besonders verdienstvoll, weil damit der Prozess einer legistisch ausgereiften gesetzlichen Anpassung, deren Sinnhaftigkeit die Autorin überzeugend nachweist, massiv unterstützt wird. Die vorgeschlagenen Änderungen werden im Stil von „Erläuternden Bemerkungen“ begründet. 535

Wer sich über die Ergebnisse dieser achtbaren Publikation kurz zusammengefasst informieren will, sei auf die Abschlussbewertung verwiesen. Auch hier anerkennt die Autorin das Potenzial der geltenden Regelung. Diese ermögliche eine sachnahe, sinnvolle und umfassende Einbeziehung der Betriebsräte, für Pütz „eine einzigartige Chance“, auch in Richtung zu mehr Selbstbestimmung der AN. Für Österreich kann man daraus lernen, dass eine Debatte über eine Flexibilisierung der betriebsverfassungsrechtlichen Organisation über das Instrument des KollV dringend angezeigt wäre.