Institut für die Geschichte der Kärntner Arbeiterbewegung (Hrsg)Arbeit & Demokratie. Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft

Verlag des ÖGB, Wien 2020, 232 Seiten, gebunden, € 29,90

PAULDVOŘAK (WIEN)

Das Institut für die Geschichte der Kärntner Arbeiterbewegung hat 2020 anlässlich des 100. Jahrestages der Kärntner Volksabstimmung einen Sammelband herausgegeben. Grundlage bilden die Beiträge zu einem Symposium gleichen Titels im September 2020 in Klagenfurt. In acht jeweils ungefähr 20 Seiten umfassenden Beiträgen werden unterschiedliche Aspekte der Geschichte der Volksabstimmung und ihrer Folgen, der Minderheitenrechte, der Arbeiterbewegung in Kärnten, Österreich, Europa und der Welt sowie der Rolle Kärntens im modernen Europa und der Kärntner Erinnerungskultur beleuchtet.

Im ersten Abschnitt zum „10. Oktober in internationaler Perspektive“ bettet Jürgen Pirker die Kärntner Volksabstimmung in einen internationalen Rahmen ein und legt Schwierigkeiten und Widerstände dar, auf die der in den Pariser Vororteverträgen verankerte und angestrebte Minderheitenschutz in der Praxis stieß. Andrej Rahten bietet Einblick in die Grenzstreitigkeiten und Konflikte im Gefolge der Volksabstimmung und ihre Auswirkungen auf die slowenische Gesellschaft.

Im zweiten Abschnitt, betitelt „1920/2020 und die Arbeiterinnenschaft“, der den inhaltlichen Schwerpunkt der Veranstaltung bildete, begeben sich Helmut Konrad, Veronika Helfert und Marcel van der Linden auf die Suche nach der Rolle der Arbeiter:innenbewegung in Kärnten, Österreich und der Welt. Helmut Konrad arbeitet die Schwierigkeiten der jungen Arbeiterbewegung mit dem im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts erstarkenden Nationalismus in und außerhalb Kärntens heraus und hebt die Rolle der Soldatenräte und der sozialdemokratisch dominierten Volkswehr im sogenannten Abwehrkampf besonders hervor. Marcel van der Linden bietet einen tour d‘horizon durch die Geschichte der Arbeiterbewegung in Europa und der Welt im 20. Jahrhundert, gespickt mit Detailinformationen, Tabellen und Statistiken zu Wahlergebnissen von Arbeiterparteien, Organisationsgrad von Gewerkschaften, Streikzahlen oder dem Anteil unselbstständig Beschäftigter an der Welterwerbsbevölkerung. Besonders hervorzuheben ist an van der Lindens Aufsatz auch der Versuch, Vergangenheit und Gegenwart zu verbinden. So thematisiert er vor der historischen Folie aktuelle Herausforderungen, Krisen und schlussendlich auch Perspektiven einer modernen, neuen, internationalistischen Arbeiterbewegung. Die häufig nicht bloß unterschätzte, sondern schlichtweg ignorierte Rolle von Frauen in der Arbeiter:innenbewegung rückt Veronika Helfert in den Mittelpunkt ihres Beitrages, dem vielleicht originellsten dieses Bandes. Als gleichsam „roter Faden“ dient ihr dabei die Biografie der als Krankenpflegerin arbeitenden Sozialdemokratin und Gewerkschafterin Lucie Loch (1881-1943).

Im dritten Abschnitt („Demokratie gestalten: Europa und Kärnten 2020“) versuchen höchst unterschiedliche Beiträge eine Bestandsaufnahme des status quo des europäischen Projekts (Ulrike Guérot), der Rolle Kärntens innerhalb der Europäischen Union (Martina Rattinger/Julia Nieuwmeyer-Bernhart/Melanie Fessler) sowie der Bedeutung der Erinnerungs- und Versöhnungskultur in Kärnten (Marjan Sturm).

Fast alle Beiträge stützen sich auf Archivmaterial und/oder gedruckte Quellen. Jedem Beitrag ist ein in fast allen Fällen ausführliches Quellen- und Literaturverzeichnis angefügt. Den Abschluss des Bandes bildet ein Gedichtzyklus der Kärntner Schriftstellerin Maja Haderlap.

Es ist es dem Institut für die Geschichte der Kärntner Arbeiterbewegung gelungen, eine Reihe ausgezeichneter Wissenschafter:innen in einem Sammelband zu vereinen. Dass der 10.10. dabei ein Ausgangs- und kein Endpunkt war, ist dem Herausgeber Daniel Weidlitsch hoch anzurechnen. Die Auswahl der Referent:innen und ihre Themenschwerpunkte stellten sicher, dass die Lektüre unerwartet kurzweilig ist, in Summe das gerade Gegenteil von dem, was man mit gewisser Sorge erwarten könnte, wenn man einen Sammelband aufschlägt, der anlässlich des 100. Jahrestages der Kärntner Volksabstimmung erscheint. Kleinere Irritationen (Ingeborg Bachmanns oft und gerne verwendeter Aphorismus über die Geschichte und ihre Schüler wird, einem Beitrag als Motto voranstehend, falsch zitiert) fallen kaum ins Gewicht. Einzig der Beitrag von Ulrike Guérot wirkt etwas deplatziert und aus dem Rahmen gefallen, aber auch er bietet interessante Reflexionen über die Struktur der EU und das, was die Autorin die „europäische Demokratie“ nennt, denen man nicht beipflichten muss, um sie zumindest interessant zu finden.

Hinter dem sehr allgemein gehaltenen Titel verstecken sich eine Reihe sehr lesenswerter, auf Archivrecherche und Quellenstudium basierender Ergebnisse langjähriger Forschung. Man hat es also mit einem Buch zu tun, das mehr hält als es verspricht und empfehlenswert für alle ist, die sich mit Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Arbeiter:innenbewegung, Nationalismus und Minderheitenschutz nicht nur, aber auch in Kärnten befassen.