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Niedrigerer Überstundenzuschlag für Teilzeit-Vertragsbedienstete ist bei Einspringdiensten diskriminierend

FLORIAN G.BURGER (INNSBRUCK)
  1. Es ist unionsrechtswidrig diskriminierend, wenn nach §§ 29, 53 und 55 Tiroler G-VBG 2012 Teilzeitbeschäftigte bei sogenannten Einspringdiensten an Sonn- und Feiertagen lediglich einen Zuschlag von einem Viertel des Zuschlags Vollzeitbeschäftigter und in der Nacht überhaupt keinen erhöhten Zuschlag erhalten, während Vollzeitbeschäftigte einen erhöhten Zuschlag von 100 % bekommen.

  2. Ein Gemeindeverband gehört zu den Rechtssubjekten, denen die unmittelbar anwendbaren Bestimmungen einer Richtlinie entgegengehalten werden können.

[1] 1. Hängt die Entscheidung von der Lösung einer Frage des Gemeinschaftsrechts ab, so ist die Anrufung des OGH zur Nachprüfung dessen Anwendung auf der Grundlage der Rsp des EuGH nur zulässig, wenn der zweiten Instanz bei Lösung dieser Frage eine gravierende Fehlbeurteilung unterlief (RIS-Justiz RS0117100). Das ist hier nicht der Fall.

[2] 2.1 Nach der Rsp des EuGH kann sich der Einzelne dem Staat gegenüber auf eine Richtlinie berufen, unabhängig davon, in welcher Eigenschaft – als AG oder als Hoheitsträger – der Staat handelt. In dem einen wie dem anderen Fall muss nämlich verhindert werden, dass der Staat aus der Nichtbeachtung des Unionsrechts Nutzen ziehen kann. Eine Einrichtung, die unabhängig von ihrer Rechtsform kraft staatlichen Rechtsakts unter staatlicher Aufsicht eine Dienstleistung im öffentlichen Interesse zu erbringen hat und die hierzu mit besonderen Rechten ausgestattet ist, die über die für die Beziehungen zwischen Privatpersonen geltenden Vorschriften hinausgehen, gehört zu den Rechtssubjekten, denen die unmittelbar anwendbaren Bestimmungen einer Richtlinie entgegengehalten werden können (C-282/10, ECLI:EU:C:2012:33, Rn 38 und 39, je mwN).

[3] 2.2 Die RL 97/81/EG kommt daher gegenüber dem bekl Gemeindeverband unmittelbar zur Anwendung. Nach § 4 Abs 1 der Teilzeit-Rahmenvereinbarung dürfen Teilzeitbeschäftigte in ihren Beschäftigungsbedingungen nur deswegen, weil sie teilzeitbeschäftigt sind, gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten nicht schlechter behandelt werden, es sei denn, die unterschiedliche Behandlung ist aus objektiven Gründen gerechtfertigt.

[4] 3. Eine mittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren einen wesentlich höheren Anteil der Angehörigen eines Geschlechts benachteiligen, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind zur Erreichung eines rechtmäßigen Ziels angemessen und notwendig (vgl Art 2 Abs 1 lit b der RL 2006/54/EG; 8 ObA 70/18d). Das Vorliegen eines besonderen Nachteils kann ua festgestellt werden, wenn nachgewiesen wird, dass sich die betreffende Regelung auf einen signifikant höheren Anteil von Personen eines Geschlechts im Vergleich zu Personen des anderen Geschlechts ungünstig auswirkt. Dies kann mit allen Mitteln, ua anhand statistischer Beweise, festgestellt werden (C-274/18, ECLI:EU:C:2019:828, Rn 45 und 46, je mwN).

[5] 4.1 Nach den Feststellungen beschäftigt der Bekl etwa gleich viele Vollzeit- wie Teilzeitbeschäftigte im Pflegedienst. Durchschnittlich 90 % der Teilzeitbeschäftigten sind weiblich, bei Vollzeitbeschäftigten sind es etwa 80 %. Für ungeplante Sonn- und Feiertagsdienste bei Krankheitsfällen werden in 55 %-66 % der Fälle Teilzeitmitarbeiter herangezogen, wobei der Großteil dieser Dienste von weiblichen Mitarbeitern verrichtet wird. Für ungeplante Nachtdienste bei Krankheitsfällen werden zumindest seit 2019 in 55 %-64 % der Fälle Teilzeitmitarbeiter herangezogen. Auch dabei wird ein Großteil der Dienste von weiblichen Mitarbeitern übernommen.

[6] 4.2 Davon ausgehend gelangten die Vorinstanzen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass eine unionsrechtswidrige Diskriminierung vorliegt, weil nach §§ 29, 53 und 55 Tiroler G-VBG 2012 Teilzeitbeschäftigte bei sogenannten Einspringdiensten an Sonn- und Feiertagen lediglich einen Zuschlag von einem Viertel des Zuschlags Vollzeitbeschäftigter und in der Nacht überhaupt keinen erhöhten Zuschlag erhalten, während Vollzeitbeschäftigte einen erhöhten Zuschlag von 100 % bekommen.

[7] 5.1 Dieser Beurteilung vermag der Revisionswerber nichts Stichhältiges entgegenzusetzen, zumal er die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass die Regelungen dem in § 4 Abs 2 der Teilzeit-Rahmenvereinbarung festgelegten Prorata-temporis-Grundsatz widerstreiten, wonach Ansprüche von Teilzeitbeschäftigten im Verhältnis zum Arbeitszeitausmaß zu bemessen sind, nicht bekämpft (vgl RS0118709). Schon deshalb ist von einer (unmittelbaren) Diskriminierung der Gruppe der Teilzeitbeschäftigten, die vom Bekl noch dazu überproportional oft zu Einspringdiensten herangezogen wird, gegenüber der Gruppe der Vollzeitbeschäftigten auszugehen.

[8] Der gegen die Annahme einer (mittelbaren) Diskriminierung aufgrund des Geschlechts gerichtete Einwand des Bekl, dass angesichts des Verhältnisses zwischen dem Frauenanteil bei den teil- und bei den vollzeitbeschäftigten AN (90 % Frauen zu 80 % Frauen) statistische Unschärfenrelationen nicht überschritten würden, kann daher auf sich beruhen. Nur der Vollständigkeit halber ist darauf zu verweisen, dass von den benachteiligenden Regelungen – und darauf ist nach der Rsp des EuGH abzustellen – vornehmlich Frauen (nämlich 90 % Frauen zu 10 % Männern) betroffen sind (vgl C-274/18, ECLI:EU:C:2019:828, Rn 57; C-527/13, ECLI:EU:C:2015:215, Rn 32).

[9] 5.2 Eine sachliche Rechtfertigung für die Benachteiligung der Teilzeitbeschäftigten lässt sich 329 aus den Feststellungen nicht ableiten. Die nicht weiter substantiierte Behauptung des Bekl, dass ein ungeplanter Dienst in der 41. Wochenstunde im Regelfall mehr Belastung als in der 21. Wochenstunde darstelle, findet darin jedenfalls insoweit keine Deckung, als der Zuschlag gar nicht unmittelbar darauf abstellt.

[10] 5.3 Bei klaren Regelungen oder einer eindeutigen Rsp des EuGH erübrigt sich schon iSd „acte clair“-Theorie eine Anrufung des EuGH (RS0082949 [T3]). In seiner diesbezüglichen Anregung formuliert der Bekl auch gar keine Fragen zum Unionsrecht. Vielmehr steht ihm offenbar die Lösung der konkreten Fallkonstellation durch den EuGH vor Augen.

[11] 6. Da der Bekl keine Rechtsfragen von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO anspricht, war die außerordentliche Revision zurückzuweisen.

ANMERKUNG

Die landesgesetzliche Vergütung für Mehrarbeit der Vertragsbediensteten in Tiroler Gemeinden und Gemeindeverbänden war – bis zu ihrer Novellierung mit 1.1.2022 als Folge der hier zu besprechenden E – jener des AZG für AN der Privatwirtschaft nachgebildet: So wie § 10 Abs 1 AZG einen Überstundenzuschlag von 50 % und § 19d Abs 3a AZG einen Zuschlag von 25 % für die Mehrarbeit der Teilzeitbeschäftigten kennt, so differenzierte § 53 Abs 4 Tir G-VBG 2012 bezüglich der Zuschlagshöhe für zusätzliche Dienstleistungen zwischen voll- und teilzeitbeschäftigten Vertragsbediensteten, indem Vollzeitbeschäftigte einen Zuschlag von 50 % erhielten, während nicht vollzeitbeschäftigten Vertragsbediensteten für Zeiten einer zusätzlichen Dienstleistung lediglich ein Zuschlag von 25 % zustand; und dies gem § 29 Abs 4 Tir G-VBG 2012 – ähnlich wie § 19d Abs 3b AZG – auch nur, „soweit sie nicht bis zum Ende des dritten Kalendermonats, der der zusätzlichen Dienstleistung folgt, im Verhältnis 1:1 in Freizeit ausgeglichen“ worden waren. Teilzeitbeschäftigte erhielten den gleich hohen Überstundenzuschlag wie Vollzeitbeschäftigte erst für jene Zeiten einer zusätzlichen Dienstleistung, die die regelmäßige Wochendienstzeit von 40 Stunden überschritten – vergleichbar wie im Regime des AZG Überstunden der Teilzeitbeschäftigten ebenso mit 50 % zuschlagspflichtig sind.

Anders als das AZG sah § 53 Abs 4 Tir G-VBG 2012 noch einen erhöhten Zuschlag von 100 % für Überstunden während der Nachtzeit zwischen 22 und 6 Uhr vor, jedoch nur für Vollzeitbeschäftigte, während jener für Teilzeitbeschäftigte auch in der Nachtzeit bei 25 % verblieb. Gleiches galt nach § 55 Abs 2 Tir G-VBG 2012 auch für Zeiten einer zusätzlichen Dienstleistung an Sonn- und Feiertagen, wobei sich ab der neunten Überstunde der Zuschlag für Vollzeitbeschäftigte auf 200 % erhöhte, während jener für Teilzeitbeschäftigte sich nur auf 50 % steigerte. Wenig verwunderlich, dass der bekl Gemeindeverband – Träger eines Bezirkskrankenhauses – bei Krankheitsausfällen im Pflegedienst eingeteilter Bediensteter überproportional auf Teilzeitbedienstete zurückgriff und diese ersatzweise zu zusätzlichen Diensten einteilte. Weil aber im Pflegedienst des Bekl die Frauenquote bei den Teilzeitbeschäftigten 90 %, bei den Vollzeitbeschäftigten 80 % beträgt, ortete der klagende BR neben der Teilzeitdiskriminierung auch eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und begehrte die Feststellung, dass den Teilzeitbeschäftigten für Zeiten einer zusätzlichen Dienstleistung während der Nachtzeit sowie an Sonn- und Feiertagen ein Zuschlag in derselben Höhe zusteht wie für Vollzeitbeschäftigte. Mit dem hier vorliegenden Beschluss bestätigte der OGH die Richtigkeit der Rechtsansicht seiner Vorinstanzen, dass durch diese unterschiedlichen Zuschlagshöhen für Einspringdienste Teilzeitbeschäftigte unzulässig diskriminiert wurden.

Der über dem Landesrecht stehende Diskriminierungsschutz ist unionsrechtlich begründet: Gem Art 157 AEUV stellt jeder EU-Mitgliedstaat die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit sicher. Und § 4 der Rahmenvereinbarung der europäischen Sozialpartner über Teilzeitarbeit, die mit RL 97/81/EG durchgeführt wird, schreibt verbindlich vor, dass Teilzeitbeschäftigte „in ihren Beschäftigungsbedingungen nur deswegen, weil sie teilzeitbeschäftigt sind, gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten nicht schlechter behandelt werden“ dürfen. Eine Teilzeitdiskriminierung ist dabei gleichzeitig auch eine mittelbare Geschlechtsdiskriminierung, wenn „der prozentuale Anteil der benachteiligten weiblichen Beschäftigten signifikant höher ist als der der benachteiligten männlichen Beschäftigten“ (EuGHC-274/18, Schuch-Ghannadan, ECLI:EU:C:2019:828, Rz 57). Insofern ist § 4 Teilzeit-Rahmenvereinbarung „in erster Linie auf die Beseitigung der mittelbaren Diskriminierung von Frauen gerichtet“ (Kucsko-Stadlmayer/Kuras in Mayer/Stöger [Hrsg], EUV/ AEUV [LoseBl] Art 157 AEUV Rz 134). Weil beide Formen der Diskriminierung in ihrer möglichen Rechtfertigung und Rechtsfolgen identisch sind (vgl Burger, Schutz von Teilzeitbeschäftigten, in Kietaibl/Resch [Hrsg], Besondere Beschäftigungsverhältnisse – besondere Arbeitsrechtsvorschriften [2020] 55 [60 f]), konnte der OGH sich mit der festgestellten unmittelbaren Diskriminierung der Gruppe der Teilzeitbeschäftigten begnügen (Rz 7) und brauchte auf die behauptete mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts nicht näher eingehen (Rz 8). Tatsächlich erscheint es für die Beweisführung einfacher zu sein, nur auf das Diskriminierungsmerkmal der Teilzeitbeschäftigung abzustellen und nicht (auch) auf das Geschlecht.

Doch warum waren hier Teilzeitbeschäftigte diskriminiert? Bei der Feststellung, ob eine schlechterstellende Ungleichbehandlung vorliegt, ist nicht die Summe der Vor- und Nachteile aus dem Arbeitsverhältnis der Teilzeitbeschäftigten zu jener der Vollzeitbeschäftigten zu setzen – es erfolgt also weder ein Gesamt- noch ein Gruppenvergleich –, sondern es „sind die Entgelte für die Regelarbeitszeit und die Mehrarbeitsvergütungen gesondert zu vergleichen“ (EuGHC-285/02, Elsner-Lakeberg, ECLI:EU:2004:320, Rz 15). Die Entgelte für die 330 Regelarbeitszeit sind hier nicht das Problem, weil § 49 Tir G-VBG 2012 das Monatsentgelt nach dem Pro-rata-temporis-Grundsatz des § 4 Abs 2 Teilzeit-Rahmenvereinbarung zulässigerweise im Verhältnis zur (vereinbarten) Wochendienstzeit aliquotiert, womit das Stundenentgelt für die einzelne Regelarbeitsstunde unabhängig vom Beschäftigungsausmaß gebührt; in der Folge ist auch die Grundvergütung für Zeiten einer zusätzlichen Dienstleistung identisch. Zweifelhaft waren hier nur die unterschiedlichen Zuschlagssätze. Nach der Rsp des EuGH werden aber nicht einfach die bloßen Zuschlagssätze für sich verglichen, sondern gefragt, ob Teilzeitbeschäftigte „für die gleiche Anzahl geleisteter Arbeitsstunden genau die gleiche Gesamtvergütung wie Vollzeitbeschäftigte“ (EuGH C-399/92 ua, Helmig, ECLI:EU:C:1994:415, Rz 27) erhalten. Es wird somit die Vergütung bis zur x. Arbeitsstunde des Teilzeitbeschäftigten mit der Vergütung bis zur x. Arbeitsstunde des Vollzeitbeschäftigten verglichen: Arbeitet zB ein Teilzeitbeschäftigter, dessen vertragliche Arbeitszeit 20 Stunden beträgt, eine 21. Stunde, so erhält er keine geringere Gesamtvergütung als der Vollzeitbeschäftigte für seine ersten 21 Arbeitsstunden, die für ihn nach § 6 Abs 1 AZG ja keine Überstunden sind. Indem der Teilzeitbeschäftigte für seine 21. Stunde einen Mehrarbeitszuschlag von 25 % erhält, wird er sogar bessergestellt als der Vollzeitbeschäftigte. Und weil dem Teilzeitbeschäftigten für seine 41. Stunde ebenso der Überstundenzuschlag von 50 % gebührt wie dem Vollzeitbeschäftigten für dessen 41. Stunde, wird er auch bei höherer Stundenleistung nicht schlechter gestellt. Daher ist § 19d Abs 3f AZG nicht diskriminierend (OGH8 ObA 89/11p Arb 13.058 = ZAS 2013/29, 185 [Wagner]; vgl Gleißner, Diskriminiert der Mehrarbeitszuschlag? RdW 2008/608, 657 [658]; zu Differenzstunden Risak, Aktuelle Rechtsprobleme des Mehrarbeitszuschlags, ZAS 2009/49, 309 [317 f]). In Anwendung dieser Methode sind auch unterschiedliche Zuschlagssätze für Zeiten einer zusätzlichen Dienstleistung während der Nachtzeit sowie an Sonn- und Feiertagen zulässig: Denn wenn zB ein Halbtagsbeschäftigter seine 21. Arbeitsstunde während der Nacht leistet, ist die ihm zustehende Vergütung mit jener des Vollzeitbeschäftigten zu vergleichen, der seine 21. Arbeitsstunde ebenso nächtens erbringt, für den aber der erhöhte Nachtzeitzuschlag nur für Überstunden, nicht aber für Normalarbeitsstunden zusteht. Während dem Halbtagsbeschäftigten ein Zuschlag von 25 % gebührt, ist für die 21. Arbeitsstunde des Vollzeitbeschäftigten keine erhöhte Vergütung vorgesehen, sodass der Halbtagsbeschäftigte gar nicht schlechter gestellt ist.

Warum gelangt aber der OGH in der hier zu besprechenden Entscheidung zu einem anderen Ergebnis, indem er eine Diskriminierung bejaht? Der ausschlaggebende Unterschied und damit der Schlüssel zum Verständnis liegt in der anderen Definition der Überstunde iSd Tir G-VBG 2012 gegenüber der Überstunde und Mehrarbeitsstunde iSd AZG: Gem § 6 Abs 1 AZG liegt Überstundenarbeit vor, wenn die gesetzliche wöchentliche oder tägliche Normalarbeitszeit überschritten wird; dementsprechend ist nach § 19d Abs 3 AZG Mehrarbeit die Arbeitsleistung über das vereinbarte Arbeitszeitausmaß hinaus. Im Regime des AZG muss somit bereits ein bestimmtes Kontingent an Stunden gearbeitet worden sein, bevor eine Arbeitsstunde als Überstunde bzw Mehrarbeitsstunde qualifiziert werden kann. Lässt zB ein KollV eine tägliche Normalarbeitszeit von zehn Stunden zu (§ 4 Abs 1 AZG) und ist die Normalarbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten AN mit jeweils 8 Stunden von Montag bis Freitag gleichmäßig verteilt, so ist eine zusätzliche Arbeitsstunde am Montag (= 9. Stunde der Woche) noch keine Überstunde, sondern erst die 8. Stunde des Freitags (= 41. Stunde der Woche). Ebenso gilt für einen halbbeschäftigten AN nicht seine 9. Arbeitsstunde des Montags als Mehrarbeit, sondern erst seine 21. Arbeitsstunde der Woche. Weil aber dieser für seine 21 Stunden nicht weniger erhält als der vollzeitbeschäftigte AN mit dessen ersten 21 Stunden, ist er mit seinem geringeren Mehrarbeitszuschlag von 25 % nicht diskriminiert.

Im Regime des Tir G-VBG 2012 ist hingegen der Dienstplan maßgebend: Gem § 22 Abs 2 Tir G-VBG 2012 wird im Normaldienstplan die Wochendienstzeit unter Berücksichtigung der dienstlichen Erfordernisse und der berechtigten Interessen des Vertragsbediensteten möglichst gleichmäßig und bleibend auf die Tage der Woche aufgeteilt. Überstunden sind sodann gem § 29 Abs 1 Tir G-VBG 2012 jene Dienststunden, die „über die im Dienstplan vorgeschriebenen Dienststunden hinaus“ geleistet werden. Es kommt also nicht auf die bisher tatsächlich gearbeiteten Stunden an, sondern auf die geplanten Stunden, die eventuell erst noch zu leisten sind. Wird zB im Normaldienstplan die Wochendienstzeit eines vollzeitbeschäftigten Vertragsbediensteten auf acht Stunden montags bis freitags gleichmäßig verteilt, so ist die 9. Dienststunde am Montag eine Dienststunde außerhalb des Normaldienstplanes und damit – anders eben als nach AZG mit kollektivvertraglicher Ausdehnung auf zehn Tagesstunden – bereits eine Überstunde. Ebenso gilt dies für einen teilzeitbeschäftigten Vertragsbediensteten, dessen Normaldienstplan jeweils acht Dienststunden von zB nur Montag bis Mittwoch vorsieht: Auch für ihn ist die 9. Dienststunde am Montag bereits eine Überstunde iSd Tir G-VBG 2012. Begrifflich fällt hier zweierlei auf: Erstens werden jene Stunden, die nach § 19d AZG als Mehrarbeitsstunden benannt werden, im Tir G-VBG 2012 ebenso als Überstunden bezeichnet. Und zweitens darf der Begriff des „Normaldienstplans“ nicht zur Annahme verleiten, dass es einen „außerordentlichen Dienstplan“ oä gäbe, der die ungeplante zusätzliche Dienststunde in den Dienstplan aufnehmen könnte – Gegenformen des Normaldienstplanes sind Schicht- oder Wechseldienstpläne sowie verlängerte Dienstpläne für Bereitschaftszeiten; all diesen Dienstplänen ist gemeinsam, dass sie im Vorhinein zu erstellen sind und unerwartet auftretende weitere Dienststunden nicht in sich aufnehmen können, um dadurch das Entstehen einer Überstunde zu verhindern.

Wie führt nun dieser andere Überstundenbegriff zu einer Teilzeitdiskriminierung? Auch hier wird 331 ganz iSd Rsp des EuGH zB die eine Dienststunde außerhalb des Dienstplanes eines Vollzeitbediensteten mit derselben Dienststunde außerhalb des Dienstplanes eines Teilzeitbediensteten verglichen: Für beide ist dies eine Überstunde, auch wenn es sich wie im vorherigen Beispiel nur um die 9. Stunde am Montag (= 9. Stunde der Woche) handelt. Als Überstunde steht dem Vollzeitbeschäftigten jedoch 50 % Zuschlag zu, während der Nachtzeit sogar 100 % – und falls der Montag ein Feiertag ist, sogar 200 %. Und dem Teilzeitbeschäftigten?

Obwohl es sich auch für ihn bei dieser 9. Stunde um eine Überstunde handelt, gebührt ihm nach § 53 Abs 4 lit b Tir G-VBG 2012 nur ein Zuschlag in Höhe von 25 %, auch während der Nachtzeit, und an Sonn- und Feiertagen gem § 55 Abs 2 Satz 3 Tir G-VBG 2012 nur von 50 %. Eine Ungleichbehandlung liegt aber immer dann vor, „wenn bei gleicher Arbeit und gleicher Anzahl Stunden, die aufgrund eines Arbeitsverhältnisses geleistet werden, die Vollzeitbeschäftigten gezahlte Vergütung höher ist als die Teilzeitbeschäftigten gezahlte“ (EuGHC-300/06, Voß, ECLI:EU:C:2007:757, Rz 29).

Für diese ersten neun Stunden der Woche stehen somit dem Vollzeitbediensteten eine höhere Vergütung zu als dem Teilzeitbediensteten. Das Entscheidende ist hierbei, dass auch für Vollzeitbeschäftigte die zusätzlichen Dienstleistungen stets auch dann Überstunden sind, noch bevor sie ihre regelmäßige Wochendienstzeit von 40 Stunden gearbeitet haben, denn auch für sie handelt es sich um ungeplante Einspringdienste, die zu zusätzlichen Dienstleistungen außerhalb ihres Dienstplanes führen. Andere zusätzliche Dienstleistungen der teilzeitbeschäftigten Vertragsbediensteten, die Vollzeitbeschäftigte innerhalb ihres Dienstplanes zu leisten haben und für sie daher keine Überstunden sind, waren hier nicht Streitgegenstand. Weil auch keine sachliche Rechtfertigung dieser Ungleichbehandlung zu erkennen war, kamen alle drei Instanzen zutreffend zum Ergebnis, dass eine unzulässige Diskriminierung vorlag mit der Rechtsfolge, „dass den Angehörigen der benachteiligten Gruppe dieselben Vorteile gewährt werden wie den Angehörigen der begünstigten Gruppe“ (EuGHC-193/17, Cresco Investigation, ECLI:EU:C:2019:43, Rz 79).

Wenngleich die landesgesetzliche Regelung, an der sich der bekl Gemeindeverband gebunden fühlte, die festgestellte Diskriminierung auslöste, kann die mangelhafte innerstaatliche Umsetzung der RL 97/81/EG dem Gemeindeverband als eine dem Staat zuzuordnende Einrichtung entgegengehalten werden; weil das Diskriminierungsverbot des § 4 Teilzeit-Rahmenvereinbarung ausreichend konkret ist, ist die RL 97/81/EG unmittelbar anwendbar und verlangt die Nichtanwendung der diskriminierenden nationalen Rechtsvorschrift. Wie eingangs erwähnt, hat der Tiroler Landesgesetzgeber mit der gänzlichen Aufhebung der unterschiedlichen Zuschlagshöhen reagiert (Art I Z 8 Tir LGBl 2022/11). Der Beschluss des OGH strahlt aber nicht nur in vergleichbare Regelungen anderer Bundesländer aus (zB § 76 Abs 4 Bgld GemBG 2014; § 166 Abs 4 Stmk L-DBR; § 41a Abs 6 Ktn GVBG), sondern auch in das öffentliche Dienstrecht des Bundes, kennt doch § 16 Abs 4 GehG 1956 iVm § 49 Abs 5 BDG 1979 die gleiche Systematik der Überstunden und ihre diskriminierende Vergütung. Für das (private) Arbeitszeitrecht besteht jedoch keine Änderungsnotwendigkeit.