DullingerArbeitsrechtliche Relevanz religiöser Bedürfnisse

Manz Verlag, Wien 2020, XVIII, 320 Seiten, broschiert, € 74,–

GÜNTHERLÖSCHNIGG (GRAZ)

Thomas Dullinger hat sich schon vor der hier zu besprechenden Dissertation mehrfach mit der Thematik des Antidiskriminierungsrechts im Allgemeinen (siehe Dullinger, Die unmittelbare Benachteiligung im GlBG, in GS Rebhahn [2019] 33) sowie mit Fragen der Benachteiligung aufgrund der Religion im Besonderen (siehe Dullinger, Diskriminierung wegen Religion und Bekleidung, in Kietaibl/Resch [Hrsg], Diskriminierung – Schutz und Folgen im Arbeitsrecht [2018] 17) auseinandergesetzt. Einen mit dem Rezensenten gemeinsamen Ansatzpunkt gab es bei der Besprechung der E des EuGH von 2019 zur Karfreitagsregelung (Dullinger in ZAS 2019, 183 und Löschnigg in DRdA 2019, 502).

In der vorliegenden Arbeit wird das Verhältnis von Religion und Arbeitsverhältnis umfassend aufbereitet. Der erste Teil der Monographie (62 Seiten) geht auf verfassungsrechtliche, unions- und völkerrechtliche Grundlagen ein. Weitere Hauptteile setzen sich mit der Religionsausübung am Arbeitsplatz, mit religiösen Gewissenskonflikten und mit der Kollision zwischen Arbeitszeit und religiösen Bedürfnissen auseinander.

Nach den rechtlichen Grundlagen des ersten Teiles wird ein wenig zaghaft ein Kapitel zum „religiösen Status“ eingefügt. Dort wird auf etwas mehr als einer Seite die „Definition der Religion“ abgehandelt. Auch wenn man sich in einem Werk zu arbeitsrechtlichen Problemlagen keine umfassende religionsphilosophische Aufarbeitung erwartet, hätte sich schon aus norminterpretativen Gründen eine eingehendere Diskussion angeboten. Vereinzelt finden sich hiezu allerdings ergänzende Ausführungen an anderen Stellen, so etwa beim sachlichen Schutzbereich zu Art 9 EMRK (S 9).

Dass bei dieser Thematik mit einer Permanenz an Interessenabwägungen zu rechnen ist, um zu sachgerechten Lösungen zu kommen, dürfte jedem Leser von vornherein klar sein. Dem Autor ist die erforderliche Gegenüberstellung der diversen Interessenlagen auch sehr gut gelungen. Ausgezeichnet dargelegt wird dieses Ringen um Kompromisse etwa bei der Rechtfertigungsoption einer unmittelbaren Benachteiligung aufgrund der Religion iSd Art 4 Abs 1 der RL 2000/78/EG, dh bei der Ausnahme im Hinblick auf wesentliche und entscheidende berufliche Anforderungen.

Nicht leicht nachzuvollziehen ist mitunter die dogmatische Herleitung der Rechtfertigung für die angesprochenen Interessenabwägungen. Ausgangspunkt ist verständlicherweise eine mögliche mittelbare Drittwirkung der Grundrechte (S 34). Die in den Grundrechten enthaltenen Wertungen können mittels der angeborenen Rechte des § 16 ABGB, der Sittenwidrigkeit nach § 879 ABGB oder der Fürsorgepflicht iSd § 1157 ABGB bzw § 18 AngG einfließen (S 33/34). Im Zusammenhang mit einem „Schutz außerhalb des Gleichbehandlungsgesetzes“ werden nur mehr die §§ 16 und 879 ABGB genannt. Die Frage der Fürsorgepflicht wird in der Einleitung zum Persönlichkeitsschutz bei der allgemeinen Neutralitätspolitik zwar aufgeworfen (S 138), in der weiteren Diskussion zu diesem Kapitel aber nicht mehr erwähnt. Näheres zur Bedeutung der Fürsorgepflicht findet man allerdings wieder bei den Ausführungen zu den religiösen Gewissenskonflikten (S 208 ff und 214).

Im Ergebnis handelt es sich jedenfalls um eine ausgezeichnete Arbeit, die umfassend und tiefgreifend die ausgewählten Rechtsbereiche diskutiert. Die einbezogene Literatur und Judikatur ist beeindruckend, vereinzelt aber dann doch wieder ergänzungsbedürftig (siehe zB die Besprechung von Ruß in DRdA 2016, 246, zu der auf S 139 ausführlich behandelten E des OGH vom 24.9.2015, 9 ObA 82/15x, zum rosafarbenen Haarband).