LichtenbergArbeitskampfbedingte Leistungsstörungen

Duncker & Humblot Verlag, Berlin 2020, 163 Seiten, € 61,60

PETERJABORNEGG (LINZ)

Das vorliegende Buch, eine Münchener Dissertation, beschäftigt sich vor dem Hintergrund des deutschen Arbeitskampf- und Leistungsstörungsrechts eingehend und umfassend mit der Frage nach den Auswirkungen – oder auch Einwirkungen – eines Arbeitskampfes, vor allem eines Streiks, auf dadurch bedingte Leistungsstörungen im Verhältnis zu Dritten, namentlich den Vertragspartnern des streikbetroffenen oder selbst aussperrenden AG.

Zum österreichischen Arbeitskampfrecht wird meist darauf verwiesen, dass weder die aktive Beteiligung noch die Betroffenheit von einem Arbeitskampf vertragliche Pflichten gegenüber Dritten suspendiert oder beseitigt, vielmehr die allgemeinen Regeln über Schuldnerverzug, Gläubigerverzug oder Unmöglichkeit der Leistung zur Anwendung kommen (vgl mwN Strasser/Jabornegg, Arbeitsrecht II4 [2001] 211 ff; Rebhahn in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 1151 ABGB Rz 275). Demnach bildet der Arbeitskampf lediglich einen Sachverhalt, der bei dadurch bedingter Beeinträchtigung der Erfüllung von Vertragspflichten gegenüber Dritten wie auch sonst einen Vertragsrücktritt, die Auflösung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund, den Übergang von Preis- und/oder Leistungsgefahr und bei vom Schuldner zu vertretenden Leistungsstörungen auch Schadenersatzansprüche zur Folge haben kann. Praktisch wird der bestreikte AG unter Berücksichtigung der meist anzuwendenden Beweislastumkehr nach § 1298 ABGB sowie der Erfüllungsgehilfenhaftung gem § 1313a ABGB für die eigenen AN regelmäßig auch schadenersatzrechtlich einzustehen haben, es sei denn, der Arbeitskampf stellt sich für den AG – wie insb bei ganzen Branchenstreiks oder gar Generalstreiks – gleichsam als „höhere Gewalt“ dar (Strasser/Jabornegg, Arbeitsrecht II4 212 f).

Von diesem Befund ausgehend erscheinen die Ergebnisse Lucas Aaron Lichtenbergs zum deutschen Recht durchaus ähnlich, weisen aber letztlich doch wesentliche Unterschiede auf: Der bekämpfte AG habe im Rahmen der Leistungsstörungstatbestände des BGB (§§ 275 ff, 311a, 313 f, 320 ff, 339 ff) kein arbeitskampfbedingtes Suspendierungsrecht gegenüber Erfüllungsansprüchen Dritter (S 44 ff), und zwar auch dann nicht, wenn er im Arbeitskampf nachgeben müsste (S 47 ff). Auch sei der kampfbeteiligte AG umfassend schadenersatzpflichtig, wenn er seine Leistungspflichten arbeitskampfbedingt nicht erfülle, wobei er sich das Verschulden seiner AN ebenso zurechnen lassen müsse wie jenes des AG-Verbandes. Der Arbeitskampf begründe keinerlei Rechtfertigung. Auch habe der AG die arbeitskampfbedingte Leistungsstörung regelmäßig zu vertreten. Sie sei nicht unabwendbar, weil er je nach Art des Arbeitskampfes entweder nachgeben oder aus dem AG-Verband austreten bzw in eine Ohne-Tarifbindung-Mitgliedschaft wechseln könne. Außerdem könne er sich insoweit schon vorsorglich gegenüber seinen Vertragspartnern – und zwar auch in AGB – von der möglichen Haftung freizeichnen (vgl insb S 77 ff, 94 ff, 121 f).

Was solcherart den Anschein erweckt, das allgemeine Leistungsstörungs- und Schadenersatzrecht werde gleichsam unbeeinflusst vom Arbeitskampf und vom deutschen Arbeitskampfrecht angewendet, erweist sich bei näherer Betrachtung als unzutreffend. Dies zeigt sich bereits daran, dass Lichtenberg die speziellen zivilrechtlichen Befreiungstatbestände in den §§ 275 Abs 2 und 3 sowie in § 313 Abs 1 BGB auf den Arbeitskampf als möglichem Leistungshindernis überhaupt nicht anwenden will, weil dies angesichts der dort vorgesehenen Verhältnismäßigkeits- oder Zumutbarkeitsprüfung mit der „geltenden Kollektivrechtsordnung“ und insb mit der staatlichen Neutralitätspflicht nicht vereinbar sei (insb S 111 f). Warum aber gerade die schlichte Anwendung allgemein geltender Zivilrechtsvorschriften im Verhältnis des kampfbeteiligten AG zu Dritten nicht „neutral“ sein soll, ist schwer nachvollziehbar. Der Staat greift durch das Erfordernis der Zumutbarkeitsprüfung im Verhältnis zu Dritten – zB hinsichtlich eines möglichen Nachgebens gegenüber Streikforderungen – gerade nicht in den Arbeitskampf ein, vielmehr wird nur das Rechtsverhältnis zu Dritten nach allgemein geltenden Maßstäben beurteilt.

Eine vergleichbare Unstimmigkeit ergibt sich auch dort, wo Lichtenberg einerseits eine uneingeschränkte Haftung für Leistungsstörungen annimmt, aber andererseits privatautonome Haftungsvermeidungsmöglichkeiten zulässt, die kaum gesetzentsprechend sein dürften, soweit sie auch in Vorsatzfällen sowie im Rahmen von AGB uneingeschränkt erlaubt sein sollen. Denn insoweit muss er § 276 Abs 3 BGB, wonach sich der Schuldner nicht im Vorhinein von der Haftung für Vorsatz (also zB für den Fall, dass der AG den Arbeitskampf führt, obwohl er nachgeben könnte und damit die Leistungsstörung gegenüber Dritten jedenfalls billigend in Kauf nimmt) freizeichnen kann, dahingehend „teleologisch reduzieren“, dass es vorliegend nicht um ein weitgehend anlass- und folgenloses willkürliches Handeln gehe (S 111 f). Demgegenüber ist festzuhalten, dass ein vertraglicher Vorbehalt rein willkürlicher Schädigung des Vertragspartners in jedem Fall als Verstoß gegen Treu und Glauben bzw überhaupt als sittenwidrig anzusehen wäre und wohl nicht angenommen werden kann, dass § 276 Abs 3 BGB dies überflüssigerweise bloß klarstellend festhalten wollte. Was im Übrigen das AGB-Klauselverbot (ua) des § 309 Nr 7b BGB betreffend Haftungsausschluss für grob fahrlässiges Verhalten betrifft, hält selbst Lichtenberg für den unternehmerischen Handelsverkehr fest, dass sich seine Ansicht „weder anhand zivilrechtlicher Normen noch aufgrund arbeitskampfrechtlicher Vorgaben überzeugend begründen“ lasse, doch sei es normativ widersprüchlich, „dem bekämpften Arbeitgeber vorzuwerfen, er würde seinen Vertragspartner unangemessen benachteiligen, wenn er sich privatautonom von der Haftung freizeichnen möchte“ (S 115). Angesichts 371 dieser schlichten Behauptung entbehrt aber die Nichtanwendung allgemeiner zivilrechtlicher Vorschriften einer nachvollziehbaren Begründung.

Aus Sicht des österreichischen Rechts ist auch noch anzumerken, dass die zum deutschen Recht bestehenden „Handlungsmöglichkeiten“ eines Austritts aus dem AG-Verband bzw der Wechsel in eine Ohne Tarifbindung-Mitgliedschaft jedenfalls im gesamten und praktisch bedeutsamsten Bereich der von gesetzlichen Interessenvertretungen auf AG-Seite abgeschlossenen Kollektivverträge angesichts der Pflichtmitgliedschaft von vornherein ausscheiden müssen.

Ungeachtet der vorstehenden Kritikpunkte ist festzuhalten, dass die vorliegende Abhandlung insgesamt ein die AG-Seite gegenüber außenstehende Vertragspartner streng in die Pflicht nehmendes Gesamtkonzept entwirft, das viele Unklarheiten und Widersprüche des richterrechtlich gebildeten deutschen Arbeitskampfrechts offenlegt und insofern auch im Kontrast zum (fast möchte man sagen: wohltuend unvollständigen) österreichischen Arbeitskampfrecht lesenswert ist. Das deutsche Modell stellt bekanntlich darauf ab, dass der kollektivrechtlich zulässige tarifvertragsbezogene Arbeitskampf zur Suspendierung der beiderseitigen Hauptpflichten aus dem Einzelarbeitsvertrag führt und gerade deshalb besonderer Rechtfertigungsgründe bedarf, die früher hauptsächlich in der Lehre von der „Sozialadäquanz“ konkretisiert wurden und nunmehr ganz zentral aus dem „Verhältnismäßigkeitsgrundsatz“ abgeleitet werden. Vor diesem Hintergrund hat die Konzeption Lichtenbergs letztlich zur Folge, dass – wie er selbst zusammenfassend festhält – „die Wirkungen von Arbeitskämpfen intensiviert werden“ und somit „die Grenze der Unverhältnismäßigkeit eines Arbeitskampfes schneller erreicht“ wird (S 152). Damit kommt es aber tendenziell zu einer Einschränkung der rechtmäßigen Arbeitskampfmöglichkeiten der Gewerkschaften verbunden mit erheblicher Rechtsunsicherheit, die daraus resultiert, dass die jeweiligen arbeitskampfbedingten nachteiligen Folgen für die AG deren Sphäre angehören und somit für die andere Seite nur schwer abschätzbar sind. So gesehen mag man auch für die zu Lichtenbergs Thesen in völligem Gegensatz stehende Ansicht Verständnis aufbringen, die aus Gründen der Arbeitskampfparität dem kampfbetroffenen AG im Hinblick auf arbeitskampfbedingte Leistungsstörungen zu Lasten der Dritten geradezu ein weitreichendes Suspendierungsrecht einräumen will und mit der Beschränkung nachteiliger Auswirkungen auf der AG-Seite zugleich den gewerkschaftlichen Handlungsspielraum erweitert. Wie gesagt liegt aber die eigentliche Problematik letztlich in der spezifischen deutschen Arbeitskampfdoktrin, die offenbar auch für die Rechtsbeziehungen des AG zu Dritten nicht auf Argumente wie staatliche Neutralität im Arbeitskampf oder Parität der Kampfparteien auszukommen glaubt, statt insoweit einfach die einschlägigen allgemeinen zivilrechtlichen Regelungen anzuwenden. Im eingangs geschilderten österreichischen Rechtsrahmen für Drittbeziehungen werden dadurch weder die Gewerkschaften in ihren Handlungsmöglichkeiten übermäßig eingeschränkt, noch wird die AG-Seite unzumutbar belastet.