Arbeitnehmerähnliche Selbständigkeit und Kollektivvertrag

SOPHIESCHWERTNER (WIEN)
Die Digitalisierung hat nicht nur neue Geschäftsmodelle hervorgebracht, sondern wirkt auch als Katalysator der seit Längerem wahrnehmbaren Tendenz, dem Normalarbeitsverhältnis strategisch auszuweichen. Im Bereich der Plattformwirtschaft etwa gibt es zunehmend Beschäftigte, welche zwar rechtlich und persönlich unabhängig, wohl aber wirtschaftlich von ihren Vertragspartnern abhängig sind. Diese verfügen über keine wesentlichen Betriebsmittel, erbringen die geschuldeten Dienste persönlich und agieren nicht typisch unternehmerisch am Markt. Für diese Personen erweist sich die formaljuristische Gleichheit beim Vertragsabschluss aufgrund der daraus resultierenden schwachen Verhandlungsposition häufig als bloße Fiktion. Ergebnis sind vom Vertragspartner einseitig diktierte Vertrags- und damit gar nicht so selten prekäre Beschäftigungsbedingungen. Der geltende Rechtsrahmen begegnet dieser faktischen Problemlage bisher unzureichend. Im vorliegenden Beitrag wird daher der Frage nachgegangen, ob und wie Instrumente der kollektiven Rechtsgestaltung auch für nicht persönlich abhängig Arbeitende nutzbar gemacht werden könnten.
  1. Kollektive Rechtsgestaltung „neu denken“

  2. EU-Wettbewerbsrecht

    1. Kartellverbot und Bereichsausnahme

    2. Aktuelle Entwicklungen

  3. Gestaltungsmöglichkeiten

    1. Vorbemerkung

    2. Die arbeitnehmerähnliche Person als Anknüpfungspunkt

    3. Organisationsrechtliche Fragen

  4. Conclusio

1.
Kollektive Rechtsgestaltung „neu denken“

De lege lata wird Beschäftigten, die persönlich unabhängig tätig, jedoch aufgrund ihrer wirtschaftlichen Situation schutzbedürftig sind, arbeitsrechtlicher Schutz nur in sehr beschränktem Maße zuteil.

So kennt die österreichische Arbeitsrechtsordnung mit der arbeitnehmerähnlichen Person eine Art „Zwischenkategorie“, welche Personen erfasst, die „Arbeit in wirtschaftlicher Unselbständigkeit leisten“ (vgl § 51 Abs 3 Z 2 ASGG).* Dieser Personenkreis wurde seit Mitte der 1960er-Jahre in den Geltungsbereich einiger weniger materiellarbeitsrechtlicher Gesetze einbezogen;* in Summe erscheint das Schutzregime aber dennoch überschaubar. Seit Ende der 1980er-Jahre wird daher regelmäßig vorgeschlagen, arbeitnehmerähnlichen Personen, in Reaktion auf die eingangs geschilderte Problemlage, Instrumente kollektiver Rechtsgestaltung zur Verfügung zu stellen.* Dies ist einleuchtend, erwies sich die Bildung kollektiver Gegenmacht doch schon zu Zeiten der industriellen Revolution für AN als Erfolgsrezept* und prägt das nunmehr auf den Regelungen des ArbVG beruhende System der mit Normwirkung ausgestatteten kollektiven Rechtsgestaltung seit über hundert Jahren die Arbeitsbeziehungen in Österreich maßgeblich.

Das geltende Kollektivvertragsrecht stellt nach hA allerdings auf das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses iSd Arbeitsvertragsrechts ab. Zu Gunsten arbeitnehmerähnlicher Personen können daher keine Kollektivverträge abgeschlossen werden.*

Einzig Cerny und Mosler sehen eine Teilgruppe 126 besonders schutzbedürftiger Arbeitnehmerähnlicher erfasst; eine argumentative Stütze finden sie dabei insb im Wortlaut der Bestimmung des § 1 Abs 1 ArbVG, der den persönlichen Anwendungsbereich des I. Teils des ArbVG über die kollektive Rechtsgestaltung umschreibt und sich dabei auf „Arbeitsverhältnisse aller Art“ bezieht.* Gewichtigere Argumente, etwa der historischen Auslegung oder der Umstand, dass für einzelne Gruppen Arbeitnehmerähnlicher, in concreto die Heimarbeiter und ständige freie Medienmitarbeiter iSd JournG, ein eigenes Gesamtvertragsrecht geschaffen wurde, sprechen aber gegen diese These.*

De lege ferenda erscheint eine dahingehende Reform des kollektiven Arbeitsrechts jedoch dringend geboten. Das Kriterium der persönlichen Abhängigkeit und damit die Art und Weise, wie die Erbringung der Arbeit organisiert ist, mag in der Vergangenheit ein praktikables Konzept zur Abgrenzung des Schutzbereichs der kollektiven Rechtsgestaltung gewesen sein und das Gros der Schutzbedürftigen erfasst haben, eigentlicher Schutzgrund vieler arbeitsrechtlicher Vorschriften, so auch des Kollektivvertragsrechts, ist aber oftmals die wirtschaftliche Abhängigkeit.* Insb vor dem Hintergrund, dass fairness und voice, dh aktive demokratische Beteiligung und kollektive Repräsentation, zentrale Regelungsanliegen des Arbeitsrechts sind, muss kollektive Rechtsgestaltung daher „neu“ gedacht werden. Arbeitsrechtliche Mitbestimmung ist mehr als ein Instrument zur Gewährleistung angemessener Lohn- und Beschäftigungsbedingungen; sie dient der Sicherung der Würde des Einzelnen und ist auch als Ausformung des demokratischen Prinzips zu verstehen.* Kollektives Verhandeln von Entgelt- und Beschäftigungsbedingungen kann damit auch für Ungleichgewichtslagen abseits persönlicher Abhängigkeit einen adäquaten Lösungsansatz darstellen, welcher im Gegensatz zu oftmals starrer staatlicher Regulierung branchenspezifische und flexible Lösungen erlaubt. Schon jetzt haben einige Staaten ihre Tarifvertragssysteme für einen Personenkreis, der über das traditionelle Verständnis des AN-Begriffs hinausgeht, geöffnet; in Europa, etwa Großbritannien,* Italien,* Spanien,* Schweden* oder Deutschland. 14) Auch für Österreich bietet sich sohin die Einbeziehung arbeitnehmerähnlicher Personen in den I. Teil des ArbVG oder die Schaffung eines eigenen „Gesamtvertragsrechts“ an.

2.
EU-Wettbewerbsrecht
2.1.
Kartellverbot und Bereichsausnahme

Gegen ein solches Reformvorhaben könnten allerdings unionsrechtliche Bedenken, vor allem wettbewerbsrechtlicher Natur, vorgebracht werden. Mit Kollektivverträgen, die etwa Mindestvergütungen festsetzen, sind nämlich, so der EuGH, „zwangsläufig wettbewerbsbeschränkende Wirkungen verbunden“.* Während der Gerichtshof Kollektivverträge für AN, da die Erreichung der mit diesen angestrebten sozialpolitischen Zielen andernfalls ernsthaft gefährdet wäre, für kartellrechtlich immun hält,* führt eine strikte Anwendung von Art 101 Abs 1 AEUV auf Kollektivverträge zum Schutz Selbständiger hingegen in aller Regel dazu, dass diese als „Kartelle für Werk- oder Dienstleis tungen“ mit der Nichtigkeitssanktion (Art 101 Abs 2 AEUV) bedroht sind.*

Im Jahr 2014 entschied der EuGH in der heftig kritisierten E zur Rs FNV Kunsten, dass eine tarifvertragliche Bestimmung dem Anwendungsbereich des Kartellverbots entzogen sein müsse, „wenn die Dienstleistungserbringer [im konkreten Fall selbständige Aushilfsmusiker] in Wirklichkeit „Scheinselbständige“ sind, d. h. Leistungserbringer, die sich in einer vergleichbaren Situation wie die Arbeitnehmer befinden.“* Ob sich der Gerichtshof hier auf „verdeckte“ Arbeitsverhältnisse iSd Auseinanderfallens von nationalem und europäischem AN-Begriff oder auf rechtlich selbständige, aber wirtschaftlich abhängige Leistungserbringer bezieht, ist im Schrifttum strittig.* Die umfassenden Ausführungen zum AN-Begriff sowie der Hinweis darauf, dass „die Einstufung als „selbständiger Leistungserbringer“ nach innerstaatlichem Recht es nicht ausschließt, dass eine Person als „Arbeitnehmer“ im Sinne des Unionsrechts einzustufen ist, wenn ihre Selbständigkeit nur fiktiv ist und damit ein tatsächliches Arbeitsverhältnis verschleiert“, sprechen aber dafür, dass der EuGH im genannten Urteil wohl Ersteres im Sinn hatte.* Kartellrechtliche Immunität besteht nach dieser Lesart des Urteils sohin nur, soweit es sich um AN iSd Unionsrechts handelt.*

Der autonome europarechtliche AN-Begriff ist für die Frage der Reichweite der kartellrechtlichen Bereichsausnahme mE allerdings teleologisch zu interpretieren, dh aus funktionaler Schutzperspektive zu begreifen.* Dafür spricht zunächst schon, dass der Binnenmarkt nicht nur ein System, das den 127 Wettbewerb vor Verfälschungen schützen soll,* umfasst, sondern die Union vielmehr auch eine soziale Dimension aufweist (Art 3 Abs 3 EUV, Art 9 AEUV). Vor allem aber führt eine Auslegung von Art 101 Abs 1 AEUV im Lichte des in Art 28 GRC bzw Art 11 EMRK gewährleisteten Grundrechts auf Kollektivverhandlungen, insb vor dem Hintergrund völkerrechtlicher Verpflichtungen, zu dem Ergebnis, dass die Bereichsausnahme über den AN-Begriff iSd der Lawrie-Blum-Formel hinaus gilt.* So erfassen die einschlägigen Konventionen der ILO (Nr 87 und 98) nach der Auslegungs- und Spruchpraxis der zuständigen Kontrollorgane auch selbständige Leistungserbringer* und ist auch dem persönlichen Schutzbereich von Art 6 Abs 2 (revidierte) Europäische Sozialcharta ein weites Verständnis zu Grunde zu legen: Der Europäische Ausschuss für soziale Rechte hat zuletzt festgehalten, dass es nicht ausreichend sei, zwischen AN und Selbständigen zu differenzieren, entscheidend müsse sein, ob ein Verhandlungsungleichgewicht zwischen den „Anbietern von Arbeit“ und ihren „Auftraggebern“ besteht.* Der Rsp des EGMR zu Art 11 EMRK sind zwar keine eindeutigen Aussagen zum Recht Selbständiger auf Kollektivverhandlungen zu entnehmen bzw finden sich lediglich Entscheidungen mit beschränkter Aussagekraft;* ein Verständnis der Konvention als „living instrument“ und der Umstand, dass der EGMR zur Auslegung von Art 11 EMRK auf die Übereinkommen der ILO rekurriert,* legen aber ebenso ein weites Verständnis des persönlichen Anwendungsbereichs nahe.

2.2.
Aktuelle Entwicklungen

Die Frage der Anwendbarkeit des EU-Wettbewerbsrechts auf Kollektivverträge zum Schutz Selbständiger steht ob ihrer sozialpolitischen Dringlichkeit derzeit auch auf der Agenda der EU-Kommission. Zu Beginn des Jahres 2021 präsentierte die Generaldirektion Wettbewerb vier Optionen für den persönlichen Anwendungsbereich einer Initiative, die sicherstellen soll, dass „die EU-Wettbewerbsregeln nicht Tarifverhandlungen für diejenigen, die sie benötigen, entgegenstehen“.* Die vorgeschlagenen Optionen beziehen sich lediglich auf persönlich arbeitende Solo-Selbständige und sollen jedenfalls nicht „Weiterverkäufer von Waren“ („re-sellers of goods“) erfassen. Während das erste Regelungsszenario ausschließlich Plattformbeschäftigte erfasst, was schon in Hinblick auf Art 20 GRC, der die Gleichheit vor dem Gesetz garantieren soll, problematisch erscheint, inkludieren die übrigen auch andere Erscheinungsformen selbständiger Arbeit. Leistungserbringung gegenüber Konsumenten soll jedoch ausgespart sein; dies erklärt indes die Sonderstellung der Plattformbeschäftigten, welche häufig Leistungen an diese erbringen.

Die Umsetzung des Vorhabens wird entweder in Verordnungsform oder durch eine Mitteilung der Kommission erfolgen.* In Betracht käme uU eine Ergänzung der „Horizontalleitlinien 2011“, welche Grundsätze für die Prüfung von Vereinbarungen nach Art 101 AEUV enthalten, die nationalen Wettbewerbsbehörden zwar nicht binden, in der Praxis aber als Auslegungshilfe dienen.*

Rechtsvergleichende Betrachtungen zeigen ferner, dass in einigen Staaten sehr wohl schon Kollektivverträge zum Schutz wirtschaftlich abhängiger Selbständiger abgeschlossen wurden und diese bereits auch mit dem Kartellverbot in Konflikt geraten sind.* In Dänemark wurden zuletzt Kollektivverträge, die auch Mindestlöhne für Freelancer vorsahen, etwa jene der Reinigungsplattform „Hilfr“, von den Kartellbehörden für (teilweise) rechtswidrig erklärt* und in den USA etwa sind Versuche, den arbeitsrechtlichen Schutz, insb jenen durch kollektive Rechtssetzung, auf bundesstaatlicher Ebene auf bestimmte Selbständige auszuweiten, in den letzten Jahren ua an der Kartellgesetzgebung des Bundes gescheitert.* In Australien besteht hingegen seit Juni 2021 für Unternehmen, welche im Vorjahr eine Umsatzschwelle von umgerechnet 6,2 Mio € (10 Mio AUD) nicht überschritten haben, die Möglichkeit, von einer Gruppenfreistellung („collective bargaining class exemption“) Gebrauch zu machen.*

Der rechtsvergleichende Rundblick macht aber auch deutlich, dass Reformbestrebungen zur Ausweitung arbeitsrechtlichen Schutzes mitunter auf erbitterten Widerstand stoßen. Anschaulichstes Beispiel dafür ist die mit mehr als 200 Mio US-Dollar finanzierte PR-Kampagne amerikanischer Plattformunternehmen im Vorfeld des Referendums zu „Proposition 22“, womit – zumindest vorerst – auch die Aushöhlung des arbeitsrechtlichen Schutzes kalifornischer Plattformbeschäftigter gelang.*128

3.
Gestaltungsmöglichkeiten
3.1.
Vorbemerkung

Im Folgenden sollen konkrete Gestaltungsoptionen für ein Kollektiv- oder Gesamtvertragsrecht wirtschaftlich abhängiger Selbständiger ausgearbeitet werden, wobei im Detail lediglich auf den persönlichen Anwendungsbereich eines erweiterten Kollektivvertragsrechts und die Frage der abschlussberechtigten Parteien eingegangen werden kann. Im Wesentlichen bietet es sich jedenfalls an, konzeptuell wie schon im Rahmen der Novellierung des JournG 1999 dem historisch bewährten Modell des KollV des ArbVG zu folgen.* Was die Regelungskompetenz derartiger Kollektivverträge betrifft, müsste diese vor allem die Festlegung angemessener Mindestvergütungen umfassen. Nachdem Bedürfnisse darüber hinaus sicherlich teils branchenabhängig bestehen, die Beurteilung dieser damit am besten den Kollektivvertragsparteien zu überlassen wäre, erscheint eine generalklauselartige Regelung in Anlehnung an § 2 Abs 2 ArbVG naheliegend.*

3.2.
Die arbeitnehmerähnliche Person als Anknüpfungspunkt

Bei Überlegungen zu einer den persönlichen Anwendungsbereich erweiternden Reform des Kollektivvertragsrechts drängt sich in erster Linie die Frage nach der Abgrenzung des einzubeziehenden Personenkreises auf. Wenngleich sich Verhandlungsschwäche und Schutzbedürftigkeit aufgrund von Ungleichgewichtslagen jenseits persönlicher Abhängigkeit schwer operationalisieren lassen, bieten sich prima facie folgende Ansatzpunkte an: die wirtschaftlich-soziale Stellung, der Vertragstypus sowie einzelne Berufsbilder. Letzteres erscheint angesichts der sich im stetigen Wandel befindlichen Arbeitswelt nicht ausreichend; sondergesetzlichen Regelungen kann allenfalls in einzelnen Bereichen wie etwa der Plattformwirtschaft ergänzende Funktion zukommen.* Vielmehr müssen sich nationale Abgrenzungskriterien konsequent am Schutzzweck kollektiver Rechtsgestaltung orientieren, weshalb die Öffnung des Kollektivvertragsrechts nur hinsichtlich jener Selbständigen erfolgen sollte, deren wirtschaftlichsoziale Stellung nicht typisch unternehmerisch ist, sondern eher der von AN gleicht.

Die Wertungen der ursprünglich dem (deutschen) Prozessrecht entstammenden arbeitnehmerähnlichen Person erscheinen dabei zumindest auf den ersten Blick zweckmäßig.* Für den Typusbegriff der AN-Ähnlichkeit maßgeblich ist – wie eingangs erwähnt – das Kriterium der wirtschaftlichen Unselbständigkeit, zu dessen Konkretisierung die Rsp in aller Regel eine Gesamtbetrachtung organisatorischer als auch sozioökonomischer Aspekte vornimmt.* Der näheren Auseinandersetzung bedürfen hierbei jedoch folgende Punkte:

  • Arbeitnehmerähnliche Schutzbedürfnisse bestehen insb, wenn sich die Arbeitsleistung nicht von der Person trennen lässt.* Das Kollektivvertragsrecht sollte daher prinzipiell nur für persönlich leistungspflichtige Selbständige ohne eigene AN geöffnet werden. Es handelt sich um ein praktikables, leicht überprüfbares Kriterium, wobei mMn jedoch kein allzu strenger Maßstab angelegt werden darf.* Nachdem aber nicht in sämtlichen Fällen der Soloselbständigkeit Schutzbedürftigkeit bzw ein Moment wirtschaftlicher Abhängigkeit gegeben ist, bedarf es indes weiterer Differenzierungen.

  • AN-Ähnlichkeit erfordert die Abhängigkeit von wenigen Vertragspartnern bzw Unternehmen. Selbständige, die am Markt auftreten und mit einer Vielzahl wechselnder Vertragspartner kontrahieren, weisen für gewöhnlich ein deutlich geringeres Schutzbedürfnis auf, insb können sie ihre Risiken streuen.* In Hinblick auf allfällige Schutzbedürfnisse und korrekturbedürftige Ungleichgewichtslagen abseits typisch bipolarer Arbeitsbeziehungen würden sich wohl eher versicherungsartige Konzepte oder solche ähnlich der Bauarbeiter-Urlaubsund Abfertigungskasse eignen.*

  • Regelmäßig wird auch auf die „massiven typologischen Unterschiede“ zwischen Dauer- und Zielschuldverhältnissen hingewiesen;* eine solche Differenzierung ist im gegebenen Kontext jedoch schon ob ihrer Missbrauchsanfälligkeit abzulehnen. Freilich vermag erst eine hinreichend verdichtete und kontinuierliche Geschäftsverbindung wirtschaftliche Abhängigkeit zu begründen, eine solche kann aber auch im Fall von „Werkvertragsketten“ gegeben sein.* Eine differenzierte Herangehensweise hinsichtlich bestimmter Ansprüche ist dadurch freilich nicht ausgeschlossen und mag im Einzelfall durchaus angezeigt sein.*

Nicht ausgespart werden darf indessen auch die zu guten Teilen berechtigte Kritik des Schrifttums 129 an dem von der Judikatur geprägten Begriff der AN-Ähnlichkeit: Dieser ist weit, schwammig und konturlos;* die Rsp in höchstem Maße kasuistisch; regelmäßig wird auf für die persönliche Abhängigkeit charakteristische Elemente zurückgegriffen. Zur Vermeidung vorprogrammierter praktischer Abgrenzungsschwierigkeiten müsste es den Kollektivvertragsparteien daher überlassen sein, AN-Ähnlichkeit innerhalb des gesetzlichen Rahmens zu konkretisieren.*

Auf die nicht typisch unternehmerische wirtschaftlich- soziale Stellung des Leistungserbringers stellt aber nicht nur das österreichische Konzept der AN-Ähnlichkeit ab, ähnliche Konzepte – auch zur Erweiterung des Schutzes durch kollektive Rechtsgestaltung – kennen etwa das schwedische Recht oder jenes einzelner Bundesstaaten Kanadas.* In Betracht kommen aber auch Ansätze, deren Fokus darauf liegt, dass der Betroffene ähnlich einem AN nur einen oder wenige Hauptauftraggeber hat. Beispiele dafür finden sich in der deutschen, spanischen oder irischen Rechtsordnung.* Beim Konzept der britischen „workers“ hingegen liegt der Fokus darauf, dass der „vertragsmäßige Status“ des Leistungsempfängers in Hinblick auf die ausgeübten gewerblichen oder kaufmännischen Tätigkeiten „nicht der eines Auftraggebers oder Kunden“ ist.* In eine ähnliche Kerbe schlagen Ansätze in Anlehnung an das Wank‘sche Modell, welches sich an unternehmerischen Chancen und Risiken orientiert.*

Unverändert an den Tatbestand des § 4 Abs 4 ASVG anzuknüpfen erscheint hingegen nur bedingt praktikabel, da sowohl Werkunternehmer als auch Personen mit Gewerbeberechtigung ausgespart würden. Zudem ist zwar die Leistungserbringung an private DG ausgenommen, aus der legistischen Formel ergibt sich aber nicht, dass die betreffende Person nicht marktgewandt agieren würde oder nur wenige Vertragspartner hat.*

Wirtschaftliche Abhängigkeit und Vulnerabilität korrelieren oftmals mit der Einkommenssituation. Tomandl hat daher vorgeschlagen, bei Einkommen unter der sozialversicherungsrechtlichen Höchstbeitragsgrundlage (oder eines Prozentsatzes derselben) wirtschaftliche Abhängigkeit anzunehmen.* Dieser Ansatz erlaubt eine klare Abgrenzung. Für Zielschuldverhältnisse oder bei schwankenden Einkommen würde sich eine Durchschnittsberechnung anbieten. Starre Verdienstgrenzen spiegeln zwar nicht immer die wahre wirtschaftliche Lage wider;* denkbar wäre es aber, den Typusbegriff der AN-Ähnlichkeit mit einer solchen tatbestandlich zu kombinieren.

Wie bereits unter Pkt 2.1 erläutert, müssen die nationalen Abgrenzungskriterien notwendigerweise mit den Vorgaben des EU-Wettbewerbsrechts kompatibel sein; bei einer Betrachtung aus funktionaler Schutzperspektive muss die kartellrechtliche Bereichsausnahme greifen, soweit Erwerbssituationen durch mit dem Arbeitsverhältnis vergleichbare Machtasymmetrie geprägt sind. Starke Indizien dafür sind mE höchstpersönliche Tätigkeit, fehlende Marktorientierung und ein geringes Einkommen.

3.3.
Organisationsrechtliche Fragen

Der Abschluss von Kollektivverträgen setzt voraus, dass sich die Betroffenen organisieren und zu Verhandlungen mit der „Gegenseite“ zusammentreten. Arbeitnehmerähnliche Personen würden sohin auch kollektivvertragsfähige Interessenvertretungen benötigen, die insb gegnerunabhängig sind. Nicht nur ein vergleichender Blick auf andere Rechtsordnungen zeigt, dass die Interessen wirtschaftlich abhängiger Selbständiger häufig von Organisationen der AN wahrgenommen werden;* auch für den Abschluss von Gesamtverträgen nach dem HeimarbeitsG und dem JournG ist die Kollektivvertragsfähigkeit nach dem ArbVG entscheidend, womit nur Körperschaften der AN und AG abschlussberechtigt sein können.* Das ist in Hinblick auf die demokratische Legitimation problematisch. Berufsverbände, die ausschließlich oder vor allem arbeitnehmerähnliche Personen organisieren, können prinzipiell nicht Parteien eines Gesamtvertrags sein.

De lege ferenda wäre – möchte man an den Grundzügen des geltenden Systems festhalten – hinsichtlich der Frage der abschließenden Parteien bzw der Interessenvertretung arbeitnehmerähnlicher Personen zwischen gesetzlichen Interessenvertretungen und freiwilligen Berufsvereinigungen zu differenzieren. Schon jetzt beraten und vertreten die Arbeiterkammern Heimarbeiter und freie DN iSd § 4 Abs 4 ASVG (§ 10 Abs 1 Z 6 und 7 AKG). Denkbar wäre eine Ausdehnung der AK-Mitgliedschaft auf andere Gruppen Arbeitnehmerähnlicher, wobei es gleichzeitig entsprechender Ausnahmetatbestände im WKG bzw der GewO bedürfte. Sieht man darin keine Anpassung des AN-Begriffs an geänderte Verhältnisse, könnte eine solche Vorgangsweise allerdings kompetenzrechtliche Zweifel aufwerfen.*130

Andererseits gibt es auch arbeitnehmerähnliche Personen, die aufgrund ihrer Gewerbeberechtigung Wirtschaftskammermitglieder sind. Nachdem der durch den KollV angestrebte Ausgleich konvergierender Interessen nicht zu erwarten ist, wenn eine der abschließenden Parteien von der „anderen Seite“ unterwandert ist, bedürfte es hier einer institutionellen Ausgestaltung, die dem Gebot der Gegnerfreiheit und -unabhängigkeit gerecht wird. Anzudenken wäre etwa nach dem Vorbild der Ärztekammern ein „Wirtschaftskammer-Kurienmodell“.*

Teilautonome Kurien wirtschaftlich abhängiger sowie „herkömmlicher“ Selbständiger würden dann über ausreichend organisatorische Selbständigkeit verfügen und die autonome Willensbildung garantieren. Dafür, dass sich hier rechtmäßige Konstruktionen finden lassen, sprechen schon die Erläuterungen zum ArbVG;* zuletzt hat zudem der OGH die Gegnerunabhängigkeit der Ärztekammern für nicht beeinträchtigt erachtet.* Jeder Kammerangehörige dürfte jedenfalls nur einer Kurie angehören; zur Sicherstellung der korrekten Zuordnung würde zunächst eine „Selbstverpflichtung“ mittels schriftlicher Erklärung genügen (zB „Mit meiner Unterschrift bestätige ich, in meiner Tätigkeit als xx die Kriterien yy zu erfüllen“). Für Zweifelsfälle könnte auch ein Verfahren zur Überprüfung der Kurienzugehörigkeit in Anlehnung an jenes nach den §§ 137 ff WKG vorgesehen werden. Wenig erfolgversprechend erscheint die Schaffung einer eigenen gesetzlichen Interessenvertretung für „sonstige“, gesetzlich „vertretungslose“ arbeitnehmerähnliche Personen ua, da sich deren mangelnde wirtschaftliche Durchschlagskraft wohl als problematisch erweisen würde.

Schließlich sollten auch freiwillige Berufsvereinigungen Kollektivverträge zu Gunsten arbeitnehmerähnlicher Personen abschließen können. Schon jetzt nimmt sich der ÖGB seinen Statuten nach der Vertretung eines Personenkreises an, der deutlich über das herrschende Verständnis der AN-Ähnlichkeit hinausgeht.* Insb sieht sich etwa die Gewerkschaft Younion als Interessenvertretung bestimmter Freiberufler und wurde unter dem Dach des ÖGB auch der Verein Vidaflex gegründet, welcher gewissermaßen eine Gewerkschaftsinitiative für Selbständige darstellt. Dies ist unter dem Gesichtspunkt der Gegnerunabhängigkeit nicht unkritisch, werden hier unter dem Schutzschirm des ÖGB teils sogar die Interessen von Personen mit Gewerbeberechtigung und eigenen AN vertreten.*

Für die Aufnahme arbeitnehmerähnlicher Personen in kollektivvertragsfähige Körperschaften der AN spricht neben der vergleichbaren Schutzbedürftigkeit sicherlich, dass gerade in der Anfangsphase auf bestehende institutionelle Strukturen zurückgegriffen werden könnte. Mittelfristig erscheint es vor dem Hintergrund, dass die Belange Arbeitnehmerähnlicher im Zweifelsfall hinter jene traditioneller AN zurücktreten könnten, dennoch sinnvoll auf eine zumindest partielle institutionelle Loslösung hinzuwirken.* Der Gesetzgeber könnte wohl auch nach dem Vorbild von § 6 ArbVG einen Vorrang der eigenen freiwilligen Interessenvertretungen arbeitnehmerähnlicher Personen normieren;* steht dies einer Kooperation schließlich nicht entgegen.

4.
Conclusio

Ein Verständnis des Arbeitsrechts als Sonderprivatrecht für Ungleichgewichtslagen,* das sich modernen Arbeitsformen und den damit verbundenen sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungen nicht verschließen darf, legt nahe, kollektive Rechtsgestaltung „neu zu denken“. Unter Berücksichtigung des zentralen Zwecks des Kollektivvertragsrechts, nämlich dem Ausgleich wirtschaftlicher Übermacht und individueller Verhandlungsschwäche, erscheint die Einbeziehung bestimmter arbeitnehmerähnlicher Selbständiger daher dringend geboten. Diskussionsbedarf besteht gewiss über die in diesem Beitrag behandelten Fragestellungen hinaus; etwa in Hinblick auf Fragen der „Erkämpfbarkeit“ kollektiver Vereinbarungen zum Schutz Arbeitnehmerähnlicher oder allfällige Substitutionsformen. 131