Digitalisierung und Arbeitsschutz

ALEXANDRAMARX (WIEN)
Die Arbeitswelt befindet sich in einem stetigen Wandel.* Globalisierung, Digitalisierung sowie demografischer und gesellschaftlicher Wandel dominieren zunehmend die Arbeitswelt. Die Welle an technologischen Neuerungen und Automatisierungen führt eindeutig zu tiefgreifenden Veränderungen unserer Arbeitswelt. Oft wird jedoch in den Diskussionen über die sogenannte vierte industrielle Revolution der Fokus auf die quantitativen Auswirkungen der Arbeit gelegt – also auf die Frage werden wir künftig noch arbeiten – und nicht auf Auswirkungen auf die Arbeitsqualität. Diese Entwicklungen bieten neue Chancen und stellen gleichzeitig Betriebe und Beschäftigte vor neue Herausforderungen, auch im Arbeitsschutz.
  1. Chancen der Digitalisierung

  2. Gefährdungen

    1. Flexibles Arbeiten

    2. Online-Plattformen

    3. Datenbrille – Head-Mounted Displays (HMDs)

    4. Kollaborative und intelligente Roboter

    5. Exoskelette

    6. Intelligente Persönliche Schutzausrüstung

    7. Big Data, künstliche Intelligenz und virtuelle Realität

  3. Grundlagen im ArbeitnehmerInnenschutzgesetz

    1. Arbeitsplatzevaluierung

    2. Präventivdienste

  4. Handlungsfelder

    1. Weiterentwicklung des Arbeitsschutzrechts

    2. Verantwortlichkeit

    3. Arbeitsaufsicht

  5. Fazit

1.
Chancen der Digitalisierung

Wenn wir an Arbeitsschutz in einer modernen digitalisierten und vollautomatisierten Arbeitswelt denken, haben wir mitunter eine Zukunftsvision vor Augen, in der intelligente Roboter alle gefährlichen Aufgaben übernehmen und für Menschen nur sichere, gesunde und erfüllende Arbeit übrig bleibt. Sinkende Arbeitsunfallraten in den letzten Jahrzehnten indizieren, dass wir auf dem richtigen Weg sind, jedoch ist uns gleichzeitig bewusst, dass diese Entwicklung keine ist, die alleine von der Automatisierung getrieben ist. Vielmehr ist der Rückgang an Arbeitsunfällen ein Ergebnis der guten Zusammenarbeit aller Stakeholder. Diese Art der Zusammenarbeit wird auch in Zukunft notwendig sein, um künftigen Herausforderungen gewachsen zu sein und arbeitsbedingte Erkrankungen sowie Arbeitsunfälle zu verhindern.

Automatisierung, Vernetzung und Zusammenarbeit mit Maschinen werden weiterhin zunehmen. Eine große Chance ist, dass die Arbeitswelt insofern „humaner“ wird, da körperlich belastende und monotone Arbeiten automatisiert werden und somit immer öfter wegfallen. AN müssen nicht mehr in gefährlichen Arbeitssituationen beschäftigt werden bzw existieren innovative Möglichkeiten der Überwachung von Expositionen.

2.
Gefährdungen

Die Zahl der Arbeitsunfälle ist EU-weit in den letzten 10 Jahren um 25 % gesunken. Doch gehen schätzungsweise 2,4 Mio Todesfälle weltweit jedes Jahr noch immer auf das Konto von arbeitsbedingten Erkrankungen, davon entfallen 200.000 auf Europa.

Dies entspricht auch dem Trend in Österreich:* Die Unfallquote (auf 10.000 Beschäftigte) ist von 165 2004 bis 2017 um etwa 27 % gesunken. Das bedeutet, dass sich etwa 114 Arbeitsunfälle pro 10.000 Beschäftigter weniger ereigneten. Demgegenüber ist bei den arbeitsbedingten Erkrankungen ein Anstieg zu vermerken.* Die häufigsten arbeitsbedingten Erkrankungen sind: Muskel-Skelett-Erkrankungen, Atemwegserkrankungen, Erkrankungen des Verdauungsapparates, psychische Erkrankungen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Dadurch wird nicht nur persönliches Leid verursacht, sondern auch betriebswirtschaftliche und volkswirtschaftliche Kosten.*

Eine große Herausforderung wird sein, ein sicheres und gesundes Arbeitsumfeld für alle arbeitenden Personen auch in der neuen Arbeitswelt zu garantieren.* Die neuen Formen der Arbeitsorganisation, welche durch technologische Entwicklungen ermöglicht werden, unterscheiden sich teilweise sehr von denen, die unsere nationalen und internationalen Arbeitsrechtssysteme kennen.

Im Rahmen eines Prognoseprojekts der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz werden deshalb die Auswirkungen rascher Entwicklungen bei digitalen Technologien, wie künstlicher Intelligenz und Robotertechnik, auf die Arbeit und die sich daraus ergebenden möglichen Folgen für die Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz beleuchtet.*

Anhand von Beispielen sollen im Folgenden mögliche Gefährdungen aufgezeigt und Handlungsbedarf erörtert werden.*,* Es handelt sich dabei um einen kleinen Auszug wesentlicher zukünftiger Themen für den Arbeitsschutz. Einhergehend mit den technologischen Änderungen muss man jedoch stets auch andere Entwicklungen, die den Arbeitsschutz beeinflussen, in der Arbeitswelt berücksichtigen, etwa die demographischen Veränderungen in Europa oder die zunehmende Globalisierung.

2.1.
Flexibles Arbeiten

Flexibles – im Sinn von zeit- und ortsunabhängigen – Arbeiten ermöglicht Kommunikation und Austausch jederzeit und überall.* Damit einhergehende Gefährdungen können beispielsweise sein: psychische Belastungen wie Entgrenzung, unsichtbare Arbeit,* Belastungen durch Bildschirmarbeit wie Augenermüdung, Muskel- und Skelett-Erkrankungen (mangelnde Ergonomie), ständige Unterbrechungen* sowie ein unzureichendes Umfeld (Lärm, Beleuchtung, Temperatur). Auch die Aufsicht und Umsetzung von Regeln wird bei dieser Arbeitsform schwieriger.

2.2.
Online-Plattformen

Fragen wie „Wer ist für die Einhaltung von Arbeitsschutzvorschriften verantwortlich?“ oder überhaupt „Wie erreichen wir Arbeitende in neuen Arbeitsformen?“ sind sehr grundlegend und müssen erst noch für viele dieser neuen Arbeitsformen, insb für die vielen verschiedenen Arten von Plattformarbeit, vollständig beantwortet werden.

Plattformarbeit ist natürlich bei weitem nicht der Standardbeschäftigungstypus. Dennoch ist Plattformarbeit ein wichtiges, zu beobachtendes Phänomen, da sie bereits gezeigt hat, dass sie in der Lage ist, gesamte Branchen zu „revolutionieren“.

Aus Arbeitsschutzsicht können bei Plattformarbeit* verschiedene Risiken kombiniert auftreten. ZB: Werden „Offline-Arbeit“ wie Kurierdienstleistungen über Onlineplattformen „organisiert“, könnten für die Beschäftigten allgemeine Sicherheitsrisiken, wie etwa Verkehrsrisiken oder erhöhte Fehleranfälligkeit durch die Arbeitsumgebung, auch durch psychische Risiken, die ihre Wurzeln in der Natur der Plattformarbeit haben (zB Ungewissheit), verstärkt werden. Psychische Belastungen entstehen ebenso durch den Druck ständiger Bewertung oder kurzfristig erteilte Arbeitsaufträge, durch den globalen Zugang kommt es zu einem verschärften Wettbewerb. Bei „Online-Arbeit“ entstehen Belastungen durch Bildschirmarbeit.

2.3.
Datenbrille – Head-Mounted Displays (HMDs)

Datenbrillen* sind kleine Anzeigegeräte, die, unmittelbar vor einem Auge getragen, Informationen bereitstellen. Diese ermöglichen mehr Bewegungsfreiheit, da die Hände frei bleiben. Sie werden insb bei mobilen Tätigkeiten eingesetzt (zB bei Instandhaltung von Anlagen oder im Bereich der Lagerlogistik). Positive Effekte auf die Arbeitsleistung sind vor allem dann zu erwarten, wenn Technologie und Aufgabe bestmöglich aufeinander abgestimmt sind.

Mögliche Gefährdungen stellen psychische Belastungen, wie ein Gefühl der Entindividualisierung, Taktung der Tätigkeit oder Unterbrechungen, dar. Ebenso gilt es, für eine ergonomische Gestaltung des Arbeitsprozesses zu sorgen, um Kopf-, Augen- und Nackenschmerzen vorzubeugen. 166

2.4.
Kollaborative und intelligente Roboter

Maschinen werden dank verbesserter Sensorik und Programmierung immer kollaborativer, arbeiten nicht mehr abgetrennt vom Menschen in Käfigen, sondern quasi Hand-in-Hand, die Mensch-Maschinen-Schnittstellen werden dadurch vermehrt. Die ergonomische sowie sichere Gestaltung dieser Arbeits- und Produktionsprozesse stellt eine wesentliche Herausforderung für den Arbeitsschutz dar.*

Durch eine geeignete Gestaltung können diese Systeme aber auch eine gewaltige Hilfestellung sein, um körperliche oder sensorische Einschränkungen von Menschen wettzumachen. Es ermöglicht sich dadurch auch eine größere Teilhabe am Arbeitsleben, etwa für Menschen mit Behinderungen.

Vernetzte und dank künstlicher Intelligenz auch selbstlernende Maschinen können in verschiedensten Bereichen nutzvoll eingesetzt werden. Andererseits sind Vernetzung, Fernsteuerung und Artificial Intelligence auch mit Risiken wie Cyberangriffe oder Sabotageakte verbunden, welche zu Gefahren für die Gesundheit und Sicherheit der AN führen können. Durch unvorhergesehene Verhaltensweisen eines selbst lernenden Roboters kann es zu erhöhten Unfallrisiken kommen.

Der technologische Fortschritt und die Arbeit in komplexen, fortgeschrittenen Systemen können jedoch zu einer starken Arbeitsverdichtung führen. Es gilt auch in diesem Zusammenhang, vermehrt auf psychische Belastungen (zB Leistungsdruck) zu fokussieren. Dass der Kontakt mit Menschen und die soziale Unterstützung abnimmt, kann ebenso belastend sein.

2.5.
Exoskelette

Exoskelette sind zB aus der Medizin bekannt. Sie unterstützen AN, die manuelle Handhabungsaufgaben ausführen und verringern die Belastung der Muskulatur. Langfristige Auswirkungen bei regelmäßigem Tragen sind allerdings noch weitgehend unbekannt. Derzeit gilt die Reihenfolge: kollektive technische und organisatorische Präventionsmaßnahmen vor persönlichen Präventionsmaßnahmen, da persönliche Maßnahmen im Regelfall nicht nur einen Schutz, sondern auch eine Belastung darstellen können.

2.6.
Intelligente Persönliche Schutzaus rüstung

Durch den Einbau mobiler miniaturisierter Überwachungsgeräte in Persönliche Schutzausrüstung werden eine Überwachung von Gefahren in Echtzeit und Frühwarnungen im Fall von schädlichen Expositionen, Stress, Gesundheitsproblemen und Erschöpfung möglich.

Auch hier resultieren Gefährdungen aus der großen Menge sensibler personenbezogener Daten, die gesammelt werden. Störungen oder die Erzeugung fehlerhafter Daten können zu Verletzungen oder Krankheit führen.

2.7.
Big Data, künstliche Intelligenz und virtuelle Realität

Aufsicht und Koordination bei der Arbeit werden zunehmend durch auf Big Data basierende Algorithmen und künstliche Intelligenz durchgeführt. Besteht Transparenz bei Erhebung und Nutzung der Daten, können digitale Überwachungstechnologien Vorteile mit sich bringen.

Die zunehmenden Möglichkeiten, Beschäftigte zu überwachen und eine Vielzahl an Daten auszuwerten, stellen den Arbeitsschutz vor große Herausforderungen, insb in Hinblick auf psychische Belastungen, da der Druck auf Beschäftigte erhöht wird (zB wenn gemessen werden kann, wie oft Beschäftigte die Tastatur bedienen).

Durch virtuelle oder erweiterte Realität ist es möglich, dass keine Arbeiten in gefährlichen Umgebungen durchgeführt werden müssen (zB Unterstützung bei Wartungstätigkeiten). Kontextinformationen über verborgene Gefahren, wie zB Asbest, Stromkabel oder Gasleitungen, werden geliefert. Mögliche Gefährdungen entstehen, wenn die Informationen nicht am neuesten Stand sind und somit das System unzuverlässig wird oder durch Risikofaktoren wie Ablenkung, Reizüberflutung, Orientierungsverlust, Kinetose und Augenbelastung.

3.

Im Folgenden werden insb ausgewählte Aspekte des ASchG* in Zusammenhang mit der Digitalisierung beleuchtet.

Derzeit werden Gefahren bei der Arbeit im Allgemeinen noch stärker mit immanenten Gefahren zB Unfallgefahr verbunden als mit weniger offensichtlichen Gefährdungen wie psychischen oder ergonomischen Belastungen.

Der sogenannte „technische und arbeitshygienische“ Arbeitsschutz ist zum Teil noch von einem traditionellen Verständnis geprägt iS von quantifizierbaren und messbaren Gefahren bzw Gefährdungen oder einer Betrachtung von technisch materieller Ausstattung wie Persönliche Schutzausrüstung, Feuerlöscher. Es wird darauf abgestellt, was vor Ort in der Arbeitsstätte oder auf der Baustelle oder auswärtigen Arbeitsstelle sichtbar ist.

Doch der Ansatz des Arbeitsschutzes ist inzwischen deutlich breiter geworden. Zusammenhänge zwischen Arbeitsbedingungen und moderner Technik werden ebenso betrachtet wie das soziale Zusammenleben der Menschen im Betrieb.

Der im englischen verwendete Ausdruck „occupational safety and health“ bringt in der Übersetzung „Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz“ 167 (anstelle der noch immer weitläufig verwendeten Formulierung „technischer und arbeitshygienischer AN-Schutz) diese Aspekte besser zum Ausdruck.

Eine wichtige Grundlage für neue Gefährdungen wurde mit einer ASchG-Novelle,* die am 1.1.2013 in Kraft getreten ist, geschaffen, mit der die Wichtigkeit der psychischen Gesundheit und der Prävention arbeitsbedingter psychischer Belastungen, die zu Fehlbeanspruchungen führen, stärker betont. Einerseits wurde klargestellt, dass unter Gesundheit iSd Gesetzes physische und psychische Gesundheit zu verstehen ist, andererseits, dass unter Gefahren auch arbeitsbedingte physische und psychische Belastungen zu verstehen sind, die zu Fehlbeanspruchungen führen.*

3.1.
Arbeitsplatzevaluierung

Eine zentrale Bedeutung im ASchG kommt den Regelungen zur Arbeitsplatzevaluierung* zu. Demnach haben AG die Gefahren zu ermitteln und zu beurteilen und Maßnahmen zu setzen. In diesem Rahmen sind selbstverständlich auch neue Gefahren zu berücksichtigen.

Beispielsweise sind in Zusammenhang mit der Evaluierung psychischer Belastungen insb die Gestaltung der Arbeitsaufgaben und die Art der Tätigkeiten, der Arbeitsumgebung, der Arbeitsabläufe sowie der Arbeitsorganisation zu berücksichtigen. Bei der Maßnahmensetzung ist insb die Planung der Gefahrenverhütung mit dem Ziel einer kohärenten Verknüpfung von Technik, Tätigkeiten und Aufgaben, Arbeitsorganisation, Arbeitsabläufen, Arbeitsbedingungen, Arbeitsumgebung, sozialen Beziehungen und Einfluss der Umwelt auf den Arbeitsplatz umzusetzen.*

Die Schnittstelle Mensch und Technik ist traditionell das Kernthema der Ergonomie. Arbeitsplätze müssen so eingerichtet werden, dass die Beschäftigten möglichst ohne Gefahr für ihre Sicherheit und Gesundheit ihre Arbeit verrichten können.*

Zu Bildschirmarbeitsplätzen enthält das ASchG besondere Regelungen.* Sofern hier keine konkreten Maßnahmen festgelegt sind, sind diese im Rahmen der Arbeitsplatzevaluierung umzusetzen.

Das Gleiche gilt für die Zusammenarbeit von Menschen mit Robotern. Wenn die bestehenden Regelungen zu Arbeitsmitteln* für die Prävention von Gefahren keine konkreten Maßnahmen vorsehen, sind solche im Rahmen der Arbeitsplatzevaluierung festzulegen.

Die Bedeutung der Evaluierung wird noch mehr ansteigen mit der Zunahme von Tätigkeiten, die für das derzeitige Arbeitsschutz-Regelwerk, das meist auf einen Arbeitsplatz in einer Arbeitsstätte oder auf einer Baustelle abstellt, nur schwer fassbar sind.

3.2.
Präventivdienste

Unter Präventivdienste werden Sicherheitsfachkräfte, Arbeitsmedizinerinnen und Arbeitsmediziner sowie sonstige Fachleute (zB Arbeitspsychologinnen und Arbeitspsychologen) verstanden.*

Die Präventivdienste haben insb die AG, aber auch die AN, die Sicherheitsvertrauenspersonen und die Betriebsräte in Fragen des Arbeitsschutzes zu beraten sowie bei der Erfüllung ihrer Arbeitsschutz-Verpflichtungen zu unterstützen. Mit der Arbeitsplatzevaluierung können auch Sicherheitsfachkräfte, Arbeitsmedizinerinnen/Arbeitsmediziner sowie „sonstige geeignete Fachleute, wie Chemiker, Toxikologen, Ergonomen, insb jedoch Arbeitspsychologen“ beauftragt werden.*

Für Arbeitsstätten mit über 50 Beschäftigten ist eine jährliche Mindest-Präventionszeit für Sicherheitsfachkräfte und Arbeitsmedizinerinnen/Arbeitsmediziner vorgesehen, abhängig von der Art der Tätigkeit. 25 % dieser Zeit können nach Gefährdungs- und Belastungssituation in der Arbeitsstätte auch auf sonstige geeignete Fachleute, insb auf Arbeitspsychologinnen/Arbeitspsychologen, verteilt werden.*

Für Arbeitsstätten bis 50 Beschäftigte gilt das Begehungsmodell. Demnach sind Begehungen durch Sicherheitsfachkraft bzw Arbeitsmediziner/Arbeitsmedizinerinnen in Arbeitsstätten je nach Größe und Gefährdungslage jährlich, alle zwei Jahre oder in Drei-Jahresabständen durchzuführen.* Sonstige geeignete Fachleute werden hier nicht berücksichtigt.

4.
Handlungsfelder

Grundlage für die österreichischen Vorschriften zu Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz* bilden die europäische Rahmenrichtlinie über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit* sowie eine Vielzahl an dazu bestehenden Einzelrichtlinien. Dh die zukünftige Entwicklung des Regelwerks wird auch von den Aktivitäten auf EU-Ebene geprägt sein.

So ist im strategischen Rahmen der EU für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz 2021-2027* eines der drei Hauptziele dem Arbeitsschutz in einer sich verändernden Arbeitswelt gewidmet:

„Antizipierung und Bewältigung des Wandels in der neuen Arbeitswelt: Um sichere und gesunde Arbeitsplätze während des digitalen, des ökologischen und des demografischen Wandels zu gewährleisten, wird die Kommission die Richtlinie über Arbeitsstätten und die Richtlinie über Bildschirmgeräte überarbeiten und die Grenzwerte für Asbest und Blei aktualisieren. Sie wird eine Initiative auf EU-Ebene zur psychischen Gesundheit am Arbeitsplatz vorbereiten, in deren Rahmen neu auftretende Fragen im Zusammenhang mit der 168 psychischen Gesundheit von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bewertet und Leitlinien für Maßnahmen vorgeschlagen werden.“
4.1.
Weiterentwicklung des Arbeitsschutzrechts

Natürlich ist ein Ende des regulären Arbeitsverhältnisses und des „klassischen Arbeitsschutzes“, in denen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an permanenten Arbeitsplätzen gewissen Gesundheits- und Sicherheitsrisiken ausgesetzt sind, freilich nicht in Sicht. Dennoch stellt sich an Hand der Entwicklungen die Frage, ob die bestehenden Regelungen im Arbeitsschutz für die Zukunft ausreichend sind, um neue Gefährdungen durch die Digitalisierung hintanzuhalten.*

In diesem Zusammenhang ist die Komplexität der digitalen Arbeitswelt zu berücksichtigen. Die Quantifizierung von Gefahren wird immer schwieriger. Oft ist erst das Zusammenspiel einzelner Belastungen problematisch. Hier hat eine ganzheitliche Betrachtung des gesamten Systems zu erfolgen.

Noch wesentlicher als bisher wird es sein, ein funktionierendes Arbeitsschutz-System sowie eine Präventionskultur im Betrieb zu etablieren. Bestehende Schutzkonzepte müssen an die neuen digitalen Gefahren angepasst werden. Vor allem Möglichkeiten der erweiterten Überwachung und der Datenauswertung durch die vermehrte Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologie in Arbeitsprozessen erhöhen den Druck auf Beschäftigte und müssen in diesem Rahmen berücksichtigt werden, ebenso der Umgang mit Daten von Mitarbeiterinnen/ Mitarbeitern allgemein.

Insgesamt gilt es langfristig zu beobachten, inwiefern eine Konkretisierung allgemeiner Regelungen im ASchG, zB zur Arbeitsplatzevaluierung, für die Rechtssicherheit hilfreich sein könnte.

Durch die auf Grund der digitalen Möglichkeiten gegebene Flexibilisierung von Arbeitszeiten und -orten ist eine vermehrte Qualifizierung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie Führungskräften erforderlich. Es bedarf einer entsprechenden Bewusstseinsbildung bei allen Beteiligten, insb aber bei den verantwortlichen AG. Auch das ist ein „altes“ Thema des Arbeitsschutzes, das durch die Digitalisierung aber offensichtlicher wird.

Entscheidend wird es sein, dass die Präventivdienste befähigt sind, mit den neuen Herausforderungen umzugehen und eine bestmögliche Unterstützung und Beratung im Unternehmen zu gewährleisten. Hier sind zwei Ansatzpunkte zu hinterfragen: einerseits, ob die Ausbildung der Präventivdienste zeitgemäß und an neue Gefährdungen angepasst ist, andererseits, ob das Spektrum an Präventivdiensten für alle Unternehmen eine bestmögliche Beratung ermöglicht. Außerdem wird sich in Zusammenhang mit der präventivdienstlichen Betreuung die Frage stellen, ob das Abstellen der Betreuungsintervalle bzw der Präventionszeit auf körperliche Gefährdungen und Belastungen langfristig zweckdienlich ist.

Eine besondere Herausforderung wird die Betreuung von Arbeitsstätten ohne regelmäßig anwesende Beschäftigte darstellen. Dieses Phänomen besteht bereits derzeit (zB im Bereich der mobilen Dienste oder mitunter im handwerklichen Bereich), wird aber in Zukunft durch die Digitalisierung noch fortschreiten. Bereits jetzt ist in Zusammenhang mit Homeoffice erkennbar, dass viele Präventivdienste (vermeintlich) an die Grenze ihrer Handlungsmöglichkeiten gelangen, wenn Beschäftigte nicht vor Ort anwesend sind. Es muss vermieden werden, dass Arbeit außerhalb der Arbeitsstätte unsichtbar wird und damit auch die daraus resultierenden Gefährdungen.

In Ergänzung zum Arbeitsschutzrecht sind Schnittstellen zu anderen Themen zu beachten, zB IT- und Datensicherheit, Maschinen-Inverkehrbringerrecht (Roboter), Ethik.

4.2.
Verantwortlichkeit

„Wer ist verantwortlich für die Einhaltung der Schutzvorschriften“ ist derzeit nicht für alle Arbeitsformen beantwortbar. Doch selbst wenn klar ist, dass es sich um ein Beschäftigungs- oder Ausbildungsverhältnis handelt, auf das das ASchG anwendbar ist,* kann es insb beim sogenannten flexiblen Arbeiten bis zu einem gewissen Grad zu einer Verschiebung von Verantwortung kommen. Bei Tätigkeiten in den eigenen vier Wänden (Homeoffice) sind die Handlungs- und Aufsichtsmöglichkeiten durch AG begrenzt.

Bei neuen Beschäftigungsformen, aber auch bei der Zunahme von arbeitsplatzungebundener Arbeit, kann die Gefahr der Selbstausbeutung steigen, und dass die Verantwortlichkeit für die Arbeitsleistung zunehmend von AG auf AN verschoben wird. AN schulden dann zunehmend faktisch nicht ein Bemühen, sondern ein Werk (zB im Rahmen des Abarbeitens von Projekten).

Relevant ist hier, dass nicht nur die Verantwortlichkeit auf die einzelne Mitarbeiterin oder den einzelnen Mitarbeiter verschoben wird, sondern dass diesen auch ein Gestaltungsspielraum eingeräumt wird. Einer besonderen Bedeutung kommt bei solchen Arbeitsformen der Beteiligung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter etwa an der Gestaltung von Arbeitsprozessen und -abläufen zu. In Zusammenhang mit Flexibilität ist wichtig, dass diese für die Beschäftigten wählbar und nicht aufgedrängt ist.

4.3.
Arbeitsaufsicht

Fraglich ist, wie das zukünftige Tätigkeitsfeld der Arbeitsaufsichten in einer digitalen Arbeitswelt aussehen wird.

Wenn es Beschäftigungsformen gibt, die der Arbeitsaufsicht entzogen sind, dann kann sich das negativ auswirken, nicht nur auf einzelne Personen und auf volkswirtschaftliche Kosten, sondern auch auf einen fairen Wettbewerb. Aber es ist nicht nur von gesellschaftlichem Interesse, dass die Arbeitsschutzvorschriften für alle Beschäftigten gelten, sondern 169 diese müssen in letzter Konsequenz auch durchsetzbar sein. Hier wird es davon abhängen, wer als verantwortliche/r AG zu qualifizieren ist und inwiefern dieser/diesem gegenüber das österreichische Arbeitsschutzrecht auch verpflichtend durchgesetzt werden kann (zB Plattform in einem Drittstaat).

Die Vorgehensweise der Arbeitsaufsicht stellt derzeit in erster Linie auf die Besichtigung und Beurteilung der Verhältnisse vor Ort ab. Auch hier wird es notwendig sein, einen Umgang mit Arbeitsstätten ohne regelmäßig anwesende AN zu finden, also für Arbeitsplätze, die nicht unmittelbar vor Ort sichtbar sind.

In manchen Bereichen wird die Tätigkeit der Arbeitsinspektion noch mehr in Richtung Anleitung und Beratung gehen müssen, dh dass seitens der Arbeitsaufsicht überprüft wird, wie die Prozesse zur Maßnahmenfestlegung und Wirksamkeitsmessung erfolgt sind. Dies gilt insb, wenn konkrete Maßnahmen gesetzlich nicht festgelegt sind, sondern iSd Arbeitsplatzevaluierung eine weitestgehende Wahlfreiheit (nach den Grundsätzen der Gefahrenverhütung)* für die Maßnahmensetzung besteht, zB in Zusammenhang mit psychischen Belastungen. Auch hier wird die Überprüfung von Einzelmaßnahmen mitunter zurücktreten müssen zugunsten einer Beurteilung des Arbeitsschutzsystems und der Präventionskultur insgesamt im Unternehmen.

Es kann sich weiters die Frage stellen, ob sich der Fokus von der Beratung und Kontrolle von Betrieben etwa auch vermehrt auf das Unterstützen Einzelner erstrecken wird (zB in Hinblick auf eine ergonomische Gestaltung von Arbeitsplätzen).

Arbeitswelt im Wandel bedeutet, dass sich die Arbeitsaufsicht ständig weiterentwickeln muss, um auf geänderte Anforderungen reagieren zu können, dh, dass ein besonderes Augenmerk auf das Thema Aus- und regelmäßige Weiterbildung der Aufsichtsorgane gelegt werden muss.

5.
Fazit

Neben dem „klassischen“ Arbeitsschutz gilt es auch, die digitale Arbeitswelt sicher und gesund zu gestalten. Neuerungen und Veränderungen können Vorteile für Produktivität und Gesundheitsschutz bringen, aber auch Nachteile. Bedingt durch den Einsatz neuer Technologien sind zunehmende Belas tungen, deren Auswirkungen erst zeitverzögert sichtbar werden, oder nachteilige Folgen zeitlicher und räumlicher Flexibilisierung in der Arbeitsgestaltung auch für den Arbeitsschutz und die Arbeitsaufsicht inzwischen wichtige Themen geworden.

Durch allgemeine Regelungen im ASchG, wie insb zur Arbeitsplatzevaluierung, ist grundsätzlich gewährleistet, dass neue Belastungen, wie etwa zunehmender Druck, Unterbrechungen, erweiterte Überwachungsmöglichkeiten, Umgang mit Beschäftigtendaten, oder ergonomische Anforderungen berücksichtigt werden müssen und Präventionsmaßnahmen zu setzen sind. Unterstützt wird dies durch die Verpflichtung, Präventivdienste zu bestellen und in Fragen des Arbeitsschutzes zu befassen. Das Arbeitsschutz-System eines Unternehmens als Ganzes wird in den Fokus rücken. Aber nur wenn der verpflichtende Schutz auch für neue Beschäftigungsformen in einer digitalen Arbeitswelt zur Anwendung kommt und durchsetzbar ist, können Wettbewerbsvorteile auf Kosten der Gesundheit von AN vermieden werden.

Gerade in sehr schnelllebigen Zeiten ist es essentiell, Entwicklungen genau zu verfolgen, um rechtzeitig auf Veränderungen reagieren zu können. In diesem Sinn sind die Arbeitsschutzregelungen in Hinblick auf bestmögliche Wirksamkeit auch in einer digitalen Arbeitswelt zu beobachten. 170