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Kritik von Arbeitnehmern an Arbeitgebermaßnahmen begründet noch keine „gewerkschaftliche Tätigkeit“ und damit ein verpöntes Kündigungsmotiv iSd § 105 Abs 3 Z 1 lit b ArbVG

KLAUSBACHHOFER

Die Erst-, Zweit- und Drittkl waren bei der Bekl als Lkw-Fahrer beschäftigt. Deren Dienstverhältnisse wurden von der Bekl jeweils mit Schreiben vom 3.1.2020 gekündigt.

Die Kl begehrten unter der Behauptung, dass die Kündigungen jeweils wegen des verpönten Motivs der „Tätigkeit des Arbeitnehmers in Gewerkschaften“ iSd § 105 Abs 3 Z 1 lit b ArbVG ausgesprochen worden seien, die Rechtsunwirksamerklärung der jeweiligen Kündigung.

Das Erstgericht stellte fest, dass die Kl im Herbst 2019 Kontakt mit der Gewerkschaft aufnahmen, deren Mitglied wurden und mit den Vertretern der Gewerkschaft kooperierten, davon aber ihre Vorgesetzten nicht informierten. Es stellte weiter fest, dass der seit März 2019 bei der Bekl tätige 454Geschäftsführer mehrere Maßnahmen setzen wollte, um den Fuhrpark effizienter zu gestalten und ihm aufgefallen war, dass die Kl zu jenen Lkw-Fahrern gehörten, die im Regelfall die höchsten Überstunden aufwiesen, die nicht immer mit einem hohen Arbeitsaufkommen, sondern auch damit zu erklären waren, dass Arbeitsvorgänge in die Länge gezogen wurden. Es ging auch um eine Reduktion der Überstunden mit 100 %-Zuschlägen. Diese Maßnahmen bedeuten für die Lkw-Fahrer, so auch für die Kl, ein geringeres Einkommen von € 300,- bis € 400,- monatlich. Um sich dagegen zu wehren und weitere Kürzungen zu verhindern, sollte der BR gegründet werden. Auch die Zahlung der Waschprämie wurde von einer Vierteljahresprämie auf einen Zuschlag zum Stundenlohn verändert.

All diese Maßnahmen im Laufe des Jahres 2019 stießen gerade bei den Kl auf heftige Kritik. Für die Bekl war absehbar, dass es in Zukunft Probleme bei der Zusammenarbeit und bei der Umsetzung weiterer notwendiger Maßnahmen geben würde. Aus diesem Grund beabsichtigte jener Geschäftsführer schon im November/Dezember 2019 die Beendigung der Dienstverhältnisse zu den Kl. Von der geplanten Betriebsversammlung mit dem Tagesordnungspunkt „Wahl des Wahlvorstandes“ und der Kundgebung der Betriebsratswahl erfuhr er erst, nachdem die Kündigungsschreiben vorbereitet waren. Weiter hatten die Kl eigenmächtig die höchstzulässige Arbeitszeit überschritten und weisungswidrig die Karten aus den Tachografen genommen und der Erst- und der Zweitkl entgegen dem Alkoholverbot bei der Bekl regelmäßig Alkohol konsumiert.

Das Erstgericht wies die Klagen ab, weil die Kündigungen nicht aus dem behaupteten verpönten Motiv ausgesprochen worden wären.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kl keine Folge. Rechtlich komme es darauf an, dass dem Geschäftsführer bekannt gewesen wäre oder er vermutet hätte, dass das Auftreten der Kl als Sprachrohr der Belegschaft anlässlich einer Änderung der Entgeltbedingungen in irgendeinem Bezug zu einer (organisierten) gewerkschaftlichen Tätigkeit stehe.

Der OGH erachtete die vom Berufungsgericht zugelassene Revision mangels einer im konkreten Fall zu lösenden Rechtsfrage als unzulässig, wies sie zurück und führte aus:

Voraussetzung für das Vorliegen einer verwerflichen und mit Erfolg anfechtbaren Motivkündigung ist, dass das iSd § 105 Abs 3 Z 1 ArbVG verpönte Motiv für die Kündigung zumindest ein wesentlicher Beweggrund – wenn auch nicht der ausschließliche – war. Die Frage, welches Motiv für die Kündigung als bescheinigt angenommen werden kann, ist dabei eine Frage der vom OGH unüberprüfbaren Beweiswürdigung.

Hinsichtlich der „Tätigkeit in Gewerkschaften“ ist es herrschende Ansicht, dass der Anfechtungstatbestand in einem weiten Sinn und funktionell zu verstehen ist. Er umfasst nicht nur Aktivitäten im Rahmen der Gewerkschaftsorganisation, sondern auch die Verfolgung allgemeiner gewerkschaftlicher Ziele in Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft, erfordert aber keine Mitgliedschaft bei einer Gewerkschaft. Es sind all jene Tätigkeiten als „gewerkschaftlich“ iS dieser Bestimmung anzusehen, die in einem bestimmten Fall ein Handeln in Verfolgung konkreter gewerkschaftlicher Ziele darstellen. Es muss sich jedoch um solche Tätigkeiten handeln, die nach außen hin als aktive gewerkschaftliche Tätigkeit erkennbar sind.

Nach einer weitergehenden Ansicht ist ein AN funktionell gewerkschaftlich tätig, der selbst nicht Gewerkschaftsmitglied ist und auch nicht die Unterstützung der Gewerkschaft ausdrücklich in Anspruch nimmt, jedoch (allein oder mit anderen) gewerkschaftliche Ziele verfolgt, wozu vor allem der Einsatz für die Durchsetzung strittiger AN-Ansprüche, das Eintreten für die Verbesserung der Lohn- und Arbeitsbedingungen im kollektiven Interesse sowie die Teilnahme an Arbeitskämpfen gehöre.

Selbst wenn man dieser Ansicht folgen wollte, wäre für die Kl hier aber nichts gewonnen, weil aus dem erstgerichtlich festgestellten Sachverhalt eine andere Motivlage der Bekl hervorgeht.

Aus diesen Feststellungen geht als Motiv für die Kündigung sohin hervor, dass der Geschäftsführer Probleme bei der Zusammenarbeit mit den Kl und der Umsetzung notwendiger Maßnahmen fürchtete, nicht aber eine aktive „gewerkschaftliche Tätigkeit“ der Kl im dargestellten Sinn einer Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft oder auch nur einer Verfolgung konkreter gewerkschaftlicher Ziele, wovon der Geschäftsführer auch keine Kenntnis hatte.

Die Kl sind der Ansicht, dass es nicht darauf ankommen könne, ob der AG von der „Tätigkeit in Gewerkschaften“ detailliert Kenntnis habe. Eine konkrete Kenntnis des AG von einer Kooperation mit der Gewerkschaft erübrige sich, wenn aus der Tätigkeit an sich schon die Gewerkschaftsidee, nämlich gemeinsam arbeitsrechtliche Forderungen durchzusetzen, zu erkennen sei, würde doch sonst der Schutz von AN, die sich aus ideellen Gründen für andere AN einsetzten, massiv eingeschränkt. Im vorliegenden Sachverhalt liege heftige Kritik der AN gegen die Maßnahmen des AG vor, sie wären Sprachrohr aller Lkw-Fahrer gewesen und hätten klar gegen die Pläne des Geschäftsführers gearbeitet, sodass sich bereits da455raus erkennbar die Tätigkeit in einer Gewerkschaft ergebe.

Erkennbar nach außen gerichtete und festgestellte Handlung der Kl war jedoch laut OGH nur, dass sie heftige Kritik an den geplanten Maßnahmen der Geschäftsführung geäußert hatten. Darin liegt nicht per se eine solche Tätigkeit, die als Verfolgung eines gewerkschaftlichen Zieles anzusehen wäre und eine „Zusammenarbeits-Vermutung“ mit einer Gewerkschaft nahelegen würde. Ein durchschnittlicher AG musste die Kritik der Kl daher entgegen ihrer Ansicht auch nicht „ohne Probleme einem gewerkschaftlichen Verhalten“ zuordnen. Dass sie konkret zu diesem Zweck die Unterstützung der Gewerkschaft in Anspruch genommen hätten, behaupten die Kl auch nicht.