127

Weisung an einen begünstigten Behinderten zur Ausfolgung von medizinischen Unterlagen rechtswidrig

MANFREDTINHOF

Der Kl ist seit 1.2.2018 bei der Bekl beschäftigt. Seit 18.9.2019 befindet er sich im Krankenstand. Mit Schreiben vom 2.10.2019 kündigte die Bekl das Arbeitsverhältnis zum 31.12.2019. Mit Bescheid vom 3.12.2019 stellte das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen fest, dass der Kl rückwirkend ab 20.9.2019 dem Kreis der begünstigten Behinderten angehört. Mit Schreiben vom 13.1.2020 legte der Kl der Bekl diesen Bescheid vor und teilte ihr mit, es liege nach dem eingeholten Gutachten eine „ausgeprägte depressive und Burnout-Symptomatik“ aufgrund einer Mobbingsituation vor.

Mit Schreiben vom 21.1.2020 erteilte die Bekl dem Kl die Weisung, das im Verfahren vor dem Sozialministeriumservice eingeholte Gutachten sowie sämtliche sonstigen relevanten medizini282schen Unterlagen zu übermitteln und sein Einverständnis zur Untersuchung durch einen von der Bekl beauftragten Sachverständigen nach Vorliegen dieses Gutachtens zu erklären, um gegebenenfalls einen Ersatzarbeitsplatz anbieten zu können. Dies lehnte der Kl ab.

Der Kl begehrt die Feststellung, er sei nicht verpflichtet, den beiden Weisungen der Bekl Folge zu leisten.

Das Erstgericht gab der Klage Folge, das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Der OGH wies die Revision der Bekl zurück.

Das Höchstgericht führte aus, dass die Unwirksamkeit bzw die Rechtswidrigkeit einer Rechtshandlung nicht feststellungsfähig ist, sondern nur ein daraus resultierendes Recht oder Rechtsverhältnis. ISd Rsp grundsätzlich zulässig ist, allerdings das Begehren zur Befolgung einer Weisung nicht verpflichtet zu sein.

Innerhalb des durch den Dienstvertrag vorgegebenen Rahmens wird die Arbeitspflicht durch das Direktions- oder Weisungsrecht des AG konkretisiert. Eine Anordnung ist dann als gerechtfertigt anzusehen, wenn sie sich innerhalb der durch den Dienstvertrag und den sich daraus ergebenden Rechten und Pflichten gezogenen Grenzen hält sowie die ideellen und materiellen Interessen des AN gewahrt bleiben. Gegebenenfalls hat bei Kollision eine Abwägung der gegenseitigen Interessen zur Prüfung der Rechtfertigung einer Weisung stattzufinden.

Aus dem Persönlichkeitsschutz (§§ 16 und 17 ABGB, Art 8 EMRK) wird ein Recht der einzelnen natürlichen Person auf eine Privatsphäre abgeleitet. Der geschützte höchstpersönliche Lebensbereich (die Privatsphäre) umfasst jedenfalls auch den Gesundheitszustand eines Menschen. Individuelle Weisungen des AG, die Persönlichkeitsrechte eines AN berühren, sind besonders heikel; hier ist bei der Interessenabwägung besondere Vorsicht geboten.

Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass es der Bekl im Verfahren nicht gelungen ist, ein relevantes Interesse an den von ihr vom Kl geforderten Informationen aufzuzeigen, hält sich im Rahmen des gesetzlich eingeräumten Beurteilungsspielraums. Weder eine besondere Treuepflicht des Kl als leitender Angestellter noch der Umstand, dass er der Bekl ohnehin von sich aus in gewissem Umfang seinen Gesundheitszustand offengelegt hat, können als Begründung für ein Informationsinteresse der Bekl herangezogen werden. Die Verpflichtung des AG, Mobbing zu verhindern und Vorwürfen in diese Richtung nachzugehen, besteht unabhängig davon, welche krankheitswerten Folgen ein solches Verhalten allenfalls bereits beim AN ausgelöst hat.

Auch das Bestehen der Entgeltfortzahlungspflicht im Krankheitsfall kann ein solches Interesse des AG nicht begründen. Das ergibt sich schon daraus, dass der AN nach § 4 Abs 1 EFZG zwar verpflichtet ist, auf Verlangen des AG eine Bestätigung über die voraussichtliche Dauer und die Ursache der Arbeitsunfähigkeit vorzulegen. Soweit es um die „Ursache der Arbeitsunfähigkeit“ geht, ist nach der Rsp aber nicht die Angabe einer genauen Diagnose erforderlich. Es genügt die Bekanntgabe, dass eine Erkrankung vorliegt.

Die Bekl begründet ihr Interesse weiters damit, dass sie in die Lage versetzt werden müsse, dem Kl einen seinen gesundheitlichen Bedürfnissen entsprechenden Ersatzarbeitsplatz zur Verfügung zu stellen. Allerdings zeigt sie keine Anhaltspunkte für die Annahme auf, warum der Kl nach dem Ende seines Krankenstands nicht in der Lage sein sollte, die von ihm bisher ausgeübte Tätigkeit wiederaufzunehmen und überhaupt einen Ersatzarbeitsplatz zu benötigen. Dass der Kl den Vorwurf erhebt, an seinem bisherigen Arbeitsplatz gemobbt worden zu sein, bedeutet nicht, dass er aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage ist, seine bisherige Tätigkeit auszuüben. Für die Herstellung eines mobbingfreien Arbeitsumfelds ist die medizinische Diagnose des Gesundheitszustands des Kl nicht erforderlich.