Zur arbeitsrechtlichen Qualifikation von Standortgarantien – Hat ein Kündigungsverzicht nur (betriebs-)politische Bedeutung?

1..
Einleitung

Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, die arbeitsrechtliche Qualität sogenannter Standortgarantien näher zu beleuchten. Hierbei soll ein besonderes Augenmerk auf die zuweilen in entsprechenden Abmachungen enthaltenen Kündigungsverzichtsklauseln gelegt werden.

„Standortverträge“, „Standortsicherungen“, „Standortentwicklungsverträge“ oder „Zukunftspakete“ sind namentlich in Deutschland bei großen Konzernen gang und gäbe.* Sie werden üblicherweise auf Ebene von Konzernleitung und Konzernvertretung, aber auch auf jener des BI und der örtlichen Belegschaftsvertretung getroffen. Häufig sind sie Teil eines umfassenden Deals, der den gesamten Konzern betrifft und auf einzelne Betriebe „heruntergebrochen“ wird. Standortgarantien bezwecken die Aufrechterhaltung unternehmerischer Tätigkeiten in gewissen Bereichen für einen gewissen Zeitraum. Dies soll durch wechselseitige Zugeständnisse der AN- und der AG-Seite erreicht werden, einerseits auf Konzernebene, andererseits aber vor allem auch auf der Ebene einzelner Betriebsstandorte. Typische Zusagen des AG sind Kündigungsverzichte und/oder Investitionspläne für den Standort (zB in Bezug auf Maschinen oder Infrastruktur). Die Zusagen der AN beziehen sich dem gegenüber idR auf Arbeitszeitfragen und die Abstandnahme von per BV oder einzelvertraglich zugestandenen Besserstellungen, etwa von Überzahlungen des KollV oder Leistungs- und Sozialzulagen.

In der Folge erfüllen die AN kontinuierlich die geschlossene Abmachung, gehen sozusagen in Vorleistung im Vertrauen auf das Versprechen des AG, den Standort auch in Zukunft erhalten zu wollen. Es kommt also wie in einem typischen Vertragsverhältnis zum wechselseitigen Austausch von Leistungen. Fragwürdig wird die Sache naturgemäß dann, wenn die AG-Seite die Zusagen nicht einhält. Dies wird etwa mit dem Argument begründet, es sei keine rechtliche Bindung entstanden, eine andere Vorgangsweise ist die Kündigung der Abmachung und die Behauptung, diese sei mit Ablauf einer Kündigungsfrist obsolet.

Im Weiteren sollen zunächst typische Inhalte derartiger Standortgarantien aufgezeigt werden (vgl 2.). Darauf aufbauend soll dann eine Analyse dieser Phänomene aus der Sicht des österreichischen Arbeitsrechts erfolgen (vgl 3. ff).

2..
Typische Inhalte und Konzeptionen von Standortgarantien

Die AG-Seite sagt beispielsweise Folgendes zu:

  • Betriebsbedingte Kündigungen werden bis zu einem bestimmten Datum nicht ausgesprochen, Personalabbau findet also nur durch „natürlichen Abgang“ (Pensionierungen) oder durch Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf Wunsch des AN bzw aus Umständen auf seiner Seite statt.

  • Festlegung von Kompetenzen für den Standort.

  • Investitionen in den Standort.

Im Gegenzug macht die AN-Seite insb folgende Zugeständnisse:

  • Flexibilisierung der Arbeitszeit bzw der Produktion.

  • „Entgeltverzicht“, zB durch Aufsaugung von Überzahlungen bei künftigen Istlohnerhöhungen des KollV, Absenkung des Entgelts auf den kollektivvertraglichen Mindestlohn oder Abstandnahme von sonstigen Entgeltbestandteilen.

Wie gesagt kommen Standortgarantien oftmals „von oben“, werden also zunächst auf Ebene des Konzerns, häufig in einer ausländischen, zB deutschen, Konzernspitze, statuiert. Auf dieser Basis erfolgt dann zusätzlich der Abschluss einer regionalen Standortgarantie mit gleichlautendem Inhalt und/oder mit Verweis auf die Konzernabmachung.

Angesichts der vielschichtigen Möglichkeiten der Ausgestaltung und Implementierung von Standortgarantien ist eine arbeitsrechtliche Annäherung nur im konkreten Einzelfall vorstellbar. Im Folgenden wird daher ein fiktiver Sachverhalt gebildet (vgl 2.1.), von diesem ausgehend wird die arbeitsrechtliche Beurteilung vorgenommen (vgl 3. ff).

2.1..
Beispielhafter Sachverhalt

Die österreichische Tochter-GmbH eines multinationalen Konzerns mit Konzernspitze in Deutschland betreibt in der Steiermark eine345 Produktionsstätte im Metallindustriesektor. Im Zuge einer Neuaufstellung der Konzernaktivitäten wird auf Konzernebene eine „Gesamtbetriebsvereinbarung“ (nach deutschem Recht; im Folgenden auch: „GBV“) mit dem Titel „Zukunftsvertrag“ abgeschlossen. Die Leitung der österreichischen Tochtergesellschaft wird aufgefordert, die Konzern-BV „auf Grundlage des nationalen Betriebsverfassungsrechts“ in der steirischen Produktionsstätte umzusetzen. Die Geschäftsführung der GmbH macht dies und schließt mit den am Standort bestehenden Betriebsräten eine „BV über die Standortsicherung“ ab.

In der Präambel werden die Abschlussparteien genannt, und zwar „… GmbH, vertreten durch Herrn Dipl.-Ing. … als zuständigen Geschäftsführer“ und „Betriebsausschuss der … GmbH, vertreten durch seinen Vorsitzenden, Herrn …“. Die genannten vertretungsbefugten Personen haben die BV auch am Ende unter Verweis auf die von ihnen Vertretenen unterzeichnet.

In einem ersten Abschnitt wird festgehalten, dass „die vorliegende BV der regionalen Umsetzung der GBV Zukunftsvertrag dient“ und dass sie „in ihrem Bestand unmittelbar an die zu Grunde liegende deutsche GBV gebunden“ ist. Eigene Regelungen über die Beendigung, etwa durch Kündigung, enthält die BV weder an dieser noch an einer anderen Stelle.

Unter dem Punkt „Beschäftigungssicherung“ findet sich sodann nachstehender Text: „Die GBV sieht folgende Bestimmung vor: Es wird zugesagt, dass betriebsbedingte Beendigungskündigungen bis zum 31.12.2030 für alle Beschäftigten des Konzerns ausgeschlossen werden.“

Im Weiteren enthält die BV die Zusagen, „bis 2030 den Betrag von … Millionen EUR in die Modernisierung des Standorts zu investieren“ sowie „am Standort Forschungskompetenzen im Bereich … anzusiedeln.

Im Gegenzug sichert der BR im Namen der AN weitere Flexibilisierungen der Arbeitszeit in Form besonderer Schichtmodelle sowie den „Verzicht auf über das UrlG hinausgehenden Urlaub sowie die Istlohnerhöhungen des KollV bis 2030 (Aufsaugung allenfalls bis zum Mindestlohn oder -gehalt)“ zu. Die urlaubs- und entgeltrechtlichen Regelungen werden separat auch in Anhänge zu den einzelnen Arbeitsverträgen aufgenommen und von jedem einzelnen AN unterschrieben.

Varianten: Die BV enthält explizit den Hinweis, dass sie „keine normative Wirkung entfaltet“. Weiters findet sich der Passus, dass „eine allfällige Nachwirkung ausgeschlossen“ sein soll.

Die BV wurde im (österreichischen) Betrieb wie folgt kundgemacht:* Für jede BV gibt es einen Betriebsratsbeschluss. Die Information über den Abschluss einer BV erfolgt über die Information der Abteilungsbetriebsratsmitglieder an die Belegschaft, über die Verteilung von Foldern des BR an die AN mit Wiedergabe der entsprechenden Inhalte sowie Aushang über die Anschlagtafeln im Unternehmen. Weiters wird regelmäßig über die Betriebsratszeitung über Betriebsvereinbarungen informiert sowie ebenso in der Betriebsversammlung. Dass jede BV zur Einsicht für jede/n einzelne/n MitarbeiterIn in der Personalabteilung und in den Betriebsratsbüros aufliegt, steht im Unternehmenshandbuch, welches jeder AN beim Eintritt in das Unternehmen erhält. Der Umstand, dass die Normtexte an den genannten Orten aufliegen und zu den üblichen Tageszeiten jederzeit einsehbar sind, ist im Betrieb auch allgemein bekannt. Die in der BV erwähnte deutsche GBV wurde weder mit der Standortsicherungsvereinbarung noch sonst im Betrieb kundgemacht.

Die BV über die Standortsicherung wurde – zeitgleich mit der GBV in Deutschland – am 30.4.2021 „unter Einhaltung der maßgeblichen Kündigungsfrist“ zum 31.7.2021 schriftlich gegenüber dem Betriebsausschuss gekündigt, da beabsichtigt werde, den Standort in Österreich zu schließen und die Produktion in andere EU-Länder zu verlegen.*

3..
Arbeitsrechtliche Qualifikation der gegenständlichen Standortsicherungsvereinbarung. Konsequenzen der Einordnung
3.1..
Geltungsdauer und Verweis auf deutsche GBV

Die Standortsicherungsvereinbarung im Beispiel enthält keine unmittelbaren Bestimmungen über ihre Geltungsdauer bzw über Beendigungsmöglichkeiten, woraus folgt, dass die Vereinbarung an sich als auf unbestimmte Zeit abgeschlossen anzusehen ist. Dass sie durch die Befristung der inhaltlichen Zusagen mit Ende 2030 mit Erreichen dieses Datums bedeutungs- oder gegenstandslos werden wird, tut nichts zur Sache. Letzteres ist keine Beendigungsregelung.

Fraglich ist, welche Bedeutung der Passage, dass die Vereinbarung „in ihrem Bestand unmittelbar an die zu Grunde liegende deutsche GBV gebunden“ ist, zukommt. Unbeschadet eines allfälligen normativen Geltens dieser (deutschen) GBV in Österreich – etwa weil sie von den zuständigen Organen346 iSd §§ 29, 30 ArbVG unterzeichnet und gemeinsam mit der Standortsicherungsvereinbarung, zB als Anhang, publiziert worden wäre (dazu aber gleich) – ist diese Regelung rechtlich irrelevant, würde sie doch (vereinbarungs-)fremde Personen – deutsche BI und Belegschaftsvertretungen – zur Beendigung der gegenständlichen Vereinbarung berechtigen, was jedenfalls arbeitsverfassungsrechtlich nicht möglich ist und gegen das geltende Territorialitätsprinzip verstößt.*

Ganz allgemein ist es so, dass die Betriebsverfassung, also das Recht der Organisation und der Mitbestimmung der Belegschaft, bei Fällen mit Auslandseinschlag nach dem Territorialitätsprinzip anknüpft. Das bedeutet, dass auch bei konzernmäßiger Verschachtelung für die in Österreich befindlichen Konzernteile österreichisches Recht und für zB in Deutschland befindliche Konzernteile deutsches Recht gilt.* Eine für einen deutschen Betrieb oder auch auf Konzernebene für die deutschen Gesellschaften abgeschlossene BV kann daher für einen österreichischen Standort nur dann (normative) Wirkung entfalten, wenn sie in Österreich noch einmal unter Einhaltung aller formalen Voraussetzungen (zB zuständige Vertragsparteien, Schriftform, Kundmachung) abgeschlossen wird und dabei inhaltlich auch ein Ermächtigungstatbestand nach österreichischem Recht getroffen wird.* Sollte dies nicht der Fall sein, können diese Rechtstexte auch allenfalls konstatierte echte Betriebsvereinbarungen am österreichischen Standort inhaltlich nicht tangieren.

Das Territorialitätsprinzip betrifft jedoch nur die Betriebsverfassung im eigentlichen Sinn bzw – im gegenständlichen Fall – allfällige echte Betriebsvereinbarungen. Anders ist dies bei (arbeits-)vertragsrechtlichen Fragen (vgl dazu 4.).

3.2..
Form und Kundmachung

Zunächst ist in Bezug auf die Frage, ob die Standortsicherungsvereinbarung bzw Teile derselben als echte BV aufzufassen sind, zu prüfen, ob sie iSd Anforderungen des § 29 ArbVG schriftlich (aufgesetzt und unterzeichnet) vorliegt und sie auch von den zuständigen Vertretern der Abschlussparteien (Geschäftsführer der GmbH, Vorsitzender des wohl iSd § 113 Abs 2 Z 4 ArbVG zuständigen Betriebsausschusses) unterschrieben wurde. All dies ist laut Beispielssachverhalt der Fall.

Als nächstes ist zu prüfen, ob die Standortsicherungsvereinbarung auch ordnungsgemäß iSd § 30 ArbVG im Betrieb kundgemacht wurde. Gem § 30 Abs 1 ArbVG sind Betriebsvereinbarungen vom BI oder vom BR – bzw vom abschließenden Belegschaftsorgan (zB Betriebsausschuss), welches dazu aber nicht verpflichtet ist – im Betrieb aufzulegen oder an sichtbarer, für alle AN zugänglicher Stelle anzuschlagen. Die BV ist vollständig inklusive der Anhänge oder sonstiger in Bezug genommener Texte (dazu auch unten) zu publizieren.* „Anschlag“ bedeutet wörtlich eine schriftliche Bekanntmachung durch Aushang (Plakatierung) eines Textes. Klassischerweise wird in diesem Zusammenhang der Aushang am „schwarzen Brett“ des Betriebs erwähnt. Unter „Auflage“ ist die Zurverfügungstellung eines Exemplars eines Textes zu verstehen. Typischerweise erfolgt die Auflage in der Form, dass eine Kopie bereitgestellt wird. Wird die BV im Betrieb aufgelegt, so ist – über den Wortlaut des § 30 Abs 1 ArbVG hinaus – zusätzlich durch Anschlag an sichtbarer, für alle AN zugänglicher Stelle auf den Ort der Auflegung (zB Betriebsratszimmer, Personalbüro) und auf die Zeiten, zu denen die Einsichtnahme möglich ist, hinzuweisen.* Es wäre ein Wertungswiderspruch, wollte man eine hinweislose Hinterlegung einer BV dem Anschlag an sichtbarer, für alle AN zugänglicher Stelle (siehe oben) ohne Weiteres gleichsetzen.* Die Formerfordernisse sind allerdings relativ, die konkret erforderliche Vorgangsweise ergibt sich aus den Umständen in der jeweiligen wirtschaftlichen Einheit,* wobei die Anforderungen nicht überspannt werden dürfen.* Wird beispielsweise auf der Homepage des Zentralbetriebsrats auf eine BV hingewiesen, so liegt eine wirksame Kundmachung auch dann vor, wenn der dazugehörige Link nicht zum Volltext der BV führt, wenn diese ohnehin beim BR zur Einsicht aufliegt.* Laut OGH* reicht unter Umständen auch der per E-Mail an die AN geschickte Hinweis betreffend die Auflage im Intranet.

Betrachtet man nun die Kundmachungspraxis im Beispiel unter 2.1., so kann gesagt werden, dass diese die rechtlichen Anforderungen des § 30 ArbVG und der dazugehörigen Judikatur erfüllt. Die Betriebspartner haben den vom Gesetz ermöglichten Weg der Auflage gewählt. Diesfalls347 muss gesondert darauf hingewiesen werden, wo die Auflage erfolgt ist. Derartige Hinweise gibt es zum einen in der betrieblichen Kommunikation (Folder des BR an jeden Beschäftigten mit Inhalten und Aushang derselben an den Anschlagtafeln), zum anderen im Unternehmenshandbuch, in welchem auf die Orte der Auflage der BV hingewiesen wird, was diese nicht zuletzt auch allgemein im Betrieb bekannt gemacht hat. Die skizzierten Anforderungen an die Kundmachung sind somit erfüllt, zumal auch dem Zweck des § 30 ArbVG – sichere Möglichkeit für alle AN, den Normtext einsehen zu können – entsprochen wird. Damit ist eine weitere entscheidende Voraussetzung für den Eintritt der normativen Wirkung und damit auch des Vorliegens einer echten BV gegeben.

Hinzugefügt sei noch, dass die angesprochene deutsche GBV nicht mit der Standortsicherungsvereinbarung kundgemacht wurde, sodass sie selbst dann, wenn sie von zuständigen Vertretern der Abschlussparteien österreichischer Betriebsvereinbarungen (mit-)paraphiert und damit unterzeichnet worden wäre – was in der Praxis vorkommt –, nicht Teil einer echten, normativ wirksamen BV sein kann und daher nicht weiter von Interesse ist.

3.3..
Einzelne Inhalte der Standortsicherungsvereinbarung als echte BV

Eine entscheidende Frage ist nun, ob die Standortsicherungsvereinbarung eine Angelegenheit regelt, die von Gesetz oder KollV der BV zur Regelung zugewiesen ist (vgl § 29 ArbVG letztgenannte Anforderung). Es muss also eine Ermächtigung zur Regelung der Materie im Gesetz gefunden werden; eine Ermächtigung im KollV ist laut Sachverhalt nicht vorhanden.

Eingangs ist klarzustellen, dass die Bezeichnung „BV“ in zwei Beziehungen verwendet werden kann. Es gibt den Begriff, der häufig den beteiligten Kreisen vorschwebt und der ein Schriftstück, in dem Regelungen für den Betriebsbereich getroffen werden, bezeichnet. Neben diesem „faktischen“ Verständnis ist aber auch – und dieses steht hier im Vordergrund – ein rechtliches Verständnis von Betriebsvereinbarungen vonnöten, welches die verschiedenen in der Realität getroffenen Regelungen gesetzlichen Ermächtigungstatbeständen und in weiterer Folge verschiedenen Arten von Betriebsvereinbarungen zuordnet. Es kann also sein – dies scheint auch hier der Fall –, dass nur bestimmte Aspekte oder Teile eines Schriftstücks, welches der Form nach eine BV ist (dazu 3.2.), unter einen Ermächtigungstatbestand subsumiert werden können. Bei dieser Subsumtion ist auch egal, ob die Parteien ihr Schriftstück beispielsweise in der Überschrift oder in der Präambel einer gesetzlichen Ermächtigungsbestimmung unterstellen oder dies – wie hier – nicht gemacht haben.

Die gesetzlichen Ermächtigungstatbestände für die BV sind in erster Linie in den §§ 96 ff ArbVG enthalten. Im Folgenden werden zwei dieser Ermächtigungstatbestände genauer betrachtet und geprüft, ob eine Subsumtion von Teilen des gegenständlichen Schriftstücks vorzunehmen ist (siehe 1., 2.). Nicht weiter vertieft wird eines der Zugeständnisse der AN-Seite in der Standortsicherungsvereinbarung, nämlich die Arbeitszeitregelung. Diese stellt offensichtlich eine echte BV dar, und zwar eine solche nach § 97 Abs 1 Z 2 ArbVG.

3.3.1..
(Präventiver) Sozialplan?

Analysiert man diese Ermächtigungstatbestände, so ist zum einen § 97 Abs 1 Z 4 ArbVG betreffend den Sozialplan ein denkbarer Ansatz. Für einen normativ wirksamen Sozialplan müsste zunächst eine Betriebsänderung iSd § 109 Abs 1 Z 1–6 ArbVG vorliegen, also zB eine Betriebseinstellung oder -einschränkung (Z 1 leg cit), ein Massenpersonalabbau iSd § 45a AMFG (Z 1a) oder die Einführung von Rationalisierungs- und Automatisierungsmaßnahmen von erheblicher Bedeutung (Z 6). Wäre eine derartige Situation gegeben, müsste weiter geschaut werden, ob durch solche Änderungen „wesentliche Nachteile für alle oder erhebliche Teile der Arbeitnehmerschaft eingetreten sind“ (§ 109 Abs 3 ArbVG). Eine Sozialplanzuständigkeit würde somit weitergehende Angaben zu den tatsächlichen Abläufen im gegebenen Sachverhalt erfordern.

In der Lehre* wird zuweilen schon von der Möglichkeit eines prophylaktischen oder präventiven Sozialplans (Verhinderung der Einschränkung oder Verlegung des Betriebes, der Änderungen der Arbeits- und Betriebsorganisation, der Einführung von Rationalisierungs- und Automatisierungsmaßnahmen etc) gesprochen. Wesentlich ist hier, dass die Betriebsänderung nicht nur als mögliche Variante vage angedacht wird, sondern dass bereits hinreichend konkret konzipierte Maßnahmen ins Auge gefasst werden.* Man könnte zB argumentieren, dass die in der Vereinbarung im Beispiel enthaltenen anderen Regelungsgegenstände eben derartige Einsparungs- und Rationalisierungsmaßnahmen darstellen, um (noch) Schlimmeres – wie eine ansonsten drohende Betriebsschließung – zu verhindern. Dies im Austausch gegen einen entsprechenden Kündigungsverzicht des AG. Denn oftmals wird im Rahmen von Sozialplänen ein Kündigungsverzicht seitens des AG abgegeben, sohin als Ausgleich für die zu erwartenden Nachteile für einen bestimmten Zeitraum der Bestand der348 Arbeitsverhältnisse garantiert.* Es könnte somit argumentiert werden, dass es sich bei den vorliegenden Vereinbarungen um einen präventiven Sozialplan (iSd „Verhinderung …“) handelt. Dies wäre aber nur dann erfolgversprechend, wenn bereits ausreichend konkretisierte Maßnahmen betreffend eine Betriebsänderung ins Auge gefasst wurden.* Notwendig wäre, dass dadurch wesentliche Nachteile für erhebliche Teile der Arbeitnehmerschaft eintreten.*

Sollte in diesem Sinne eine BV über einen Sozialplan vorliegen, so wäre eine Kündigung derselben gem § 32 Abs 2 ArbVG rechtsunwirksam.

3.3.2..
BV über Kündigungsgründe

Ein zweiter zu prüfender Tatbestand ist § 97 Abs 1 Z 22 ArbVG, wo eine fakultative BV zum Thema „Kündigungsfristen“ und „Gründe zur vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses“ vorgesehen ist. Dieser Tatbestand ist weit auszulegen.

So gibt § 97 Abs 1 Z 22 Fall 1 ArbVG der BV nach hA* nicht nur die Kompetenz zur Regelung von „Kündigungsfristen“ (zu den Begriffen vgl § 20 AngG), sondern – aus teleologischen Erwägungen – auch von Kündigungsterminen. Die BV hat sich dabei im Rahmen der gesetzlichen und allenfalls kollektivvertraglichen Vorgaben zu bewegen.

Zudem gibt § 97 Abs 1 Z 22 Fall 1 ArbVG eine Regelungsmacht in Bezug auf Kündigungsgründe,* womit die BV einen speziellen Kündigungsschutz (mit Unwirksamkeit entgegenstehender Kündigungen) erzeugen könnte. Obzwar dieses Verständnis auf den ersten Blick relativ weit über den Wortlaut hinausgeht, ist es uE insb auf Grund systematischer Interpretation zutreffend, und zwar wegen der in § 97 Abs 1 Z 22 ArbVG zweitgenannten Thematik der „Gründe“ für die vorzeitige Lösung. Auch ein totaler Ausschluss der Kündigung durch den AG ist uE möglich,* indem beispielsweise nur die Entlassung aus den gesetzlich vorgesehenen Gründen – allenfalls durch die BV konkretisiert – zugelassen wird. Falls im gegenständlichen Fall eine Bindung der Kündigung an Gründe zu ermitteln ist (dazu gleich), so handelt es sich um keinen gänzlichen Ausschluss der Kündigung, sondern nur um einen vorübergehenden Verzicht auf die betriebsbedingte Kündigung.

Es ist nun der Passus in der zu Grunde gelegten Standortsicherungsvereinbarung, wonach die „GBV … folgende Bestimmung“ vorsieht: „Es wird zugesagt, dass betriebsbedingte Beendigungskündigungen bis zum 31.12.2030 für alle Beschäftigten des Konzerns ausgeschlossen werden“, in den Mittelpunkt zu stellen. Es könnte unklar sein, ob diese Passage einen Ausschluss der betriebsbedingten Kündigung bis 31.12.2030 vorsieht oder nicht. Der Text ist demnach interpretationsbedürftig. Betriebsvereinbarungen sind in ihrem normativen Teil nach den §§ 6 f ABGB, also wie ein Gesetz, und in ihrem schuldrechtlichen Teil nach den §§ 914 f ABGB, also wie ein Vertrag, zu interpretieren.* Hier ist somit nach den §§ 6 f ABGB vorzugehen, zumal geprüft werden soll, ob ein normativ wirksamer Inhalt einer BV vorliegt.

Die Interpretation nach den §§ 6 f ABGB bedeutet, dass der allgemeine Auslegungskanon (Wortlaut, systematische Interpretation, subjektiv-historische Interpretation, objektiv-teleologische Interpretation) zur Anwendung zu bringen ist. Ausnahmsweise kann auch § 7 ABGB (insb Analogie, teleologische Reduktion) eine Rolle spielen. Im Verhältnis zur Situation bei der Auslegung des schuldrechtlichen Teils (siehe oben) spielt daher der Wortlaut der jeweiligen Bestimmung des normativen Teils der BV eine größere Rolle, die Auslegung muss an diesem orientiert viel starrer erfolgen. Auszugehen ist dabei davon, dass die Parteien eine zweckentsprechende, auf gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen zielende Regelung treffen wollten; bei mehreren in Betracht kommenden Auslegungsmöglichkeiten ist daher jener der Vorzug zu geben, die diesen Anforderungen am meisten entspricht.* Die subjektiv-historische Interpretation kommt nur unter besonderen Umständen in Betracht (zB bei mit der BV kundgemachten Sideletters oder Kommentierungen der Parteien); Zeugenvernehmungen im Bereich der Abschlussparteien zwecks Unterstützung einer derartigen Interpretation lehnt der OGH* ab.

In Bezug auf die oben zitierte Passage interessiert nun deren Kernregelung, also der Passus „dass betriebsbedingte Beendigungskündigungen bis zum 31.12.2030 für alle Beschäftigten des Konzerns ausgeschlossen sind“. Isoliert betrachtet ist der Wortlaut der Regelung klar: Es zeigt sich ein zeitlich begrenzter Ausschluss der betriebsbedingten Kündigung. Das Wort „Ausschluss“ ist auch insofern deutlich, als es als Rechtsfolge die Nichtigkeit entgegenstehender Kündigungen impliziert. Dass „Beendigungs349kündigungen“ ausgeschlossen sind, ist als Gegensatz zu „Änderungskündigungen“ zu verstehen, dh solche wären auch betriebsbedingt nach allgemeinen Grundsätzen vor dem Endtermin der Regelung, dem 31.12.2030, möglich und insofern gültig.

Die fragliche Passage ist allerdings eingeleitet durch einen Verweis auf die deutsche GBV, in welcher vorgesehen sei, dass ein Kündigungsausschluss zugesagt werde. Diese Formulierungen führen zwar zu einer gewissen „Vernebelung“ der hier interessierenden Kernbestimmung, deren Gehalt ist aber dennoch klar der vorübergehende Ausschluss der betriebsbedingten Kündigung auch am steirischen Standort. Diese Sichtweise wird auch bei Anwendung der Zweckinterpretation unterstrichen, ist diese Zusage doch die nachvollziehbare Gegengabe der AG-Seite für die diversen Einsparungszusagen der AN.

Es liegt somit eine Bindung der Beendigungskündigung an Gründe in einer negativen Ausprägung insofern vor, als die Kündigung wegen betriebsbedingter Anlässe bis 31.12.2030 ausgeschlossen wurde. Es ist diese Passage und ihr formaler Hintergrund jedenfalls eine fakultative BV iSd § 97 Abs 1 Z 22 ArbVG, also eine echte BV.

Dass diese BV normative Wirkung entfaltet, ergibt sich aus dem ArbVG, insb aus § 31 Abs 1 ArbVG.* In der Variante des Beispielssachverhalts wurde zusätzlich angegeben, dass die Parteien durch eine entsprechende Anordnung in der BV versuchen, ihre nach dem Gesetz gegebene Normwirkung auszuschließen. Ob dies zulässig wäre, ist fraglich, jedenfalls nicht durch Judikatur geklärt. UE müsste es möglich sein, dass die Normsetzer im kollektiven Arbeitsrecht über die Wirkung ihrer Rechtsakte KollV und BV verfügen können.

Die Kündigung eines AN unter Verstoß gegen den per BV eingeräumten besonderen Kündigungsschutz ist somit rechtsunwirksam.* Dies ergibt sich im Übrigen auch deutlich aus dem konkreten Wortlaut der analysierten Regelung (betriebsbedingte Kündigungen sind „ausgeschlossen“). Der von einer gegen die BV verstoßenden Kündigung betroffene AN steht daher im aufrechten Arbeitsverhältnis und kann dies durch entsprechende rechtliche Schritte (Feststellungsklage, bei fälligen unberichtigten Entgelten Leistungsklage) einfordern. AN können aber auch die an sich nichtigen Erklärungen gegen sich gelten lassen und Beendigungsansprüche geltend machen (sogenanntes Wahlrecht der besonders bestandgeschützten AN).*

Auch eine Feststellungsklage durch BR oder Betriebsausschuss gem § 54 Abs 1 ASGG kommt in Betracht, sofern mindestens drei AN des Betriebs betroffen sind.

3.4..
Kündigung der Standortsicherungsvereinbarung und daraus resultierende Rechtsfolgen

Die Standortsicherungsvereinbarung wurde laut Sachverhalt gekündigt. Vorausgeschickt sei, dass sämtliche diesbezügliche Hinweise auf die deutsche GBV irrelevant sind, zumal diese weder direkt noch indirekt durch gemeinsame Publikation Teil der normativ wirksamen BV über den Kündigungsschutz geworden ist.

Es gilt daher zu prüfen, ob die erfolgte Kündigung der Standortsicherungsvereinbarung zulässig ist, wann sie in Kraft tritt bzw welche Rechtsfolgen sich hieraus ergeben.

Nach hier vertretener Ansicht stellt die unter 3.3.2. analysierte Bestimmung eine fakultative BV nach § 97 Abs 1 Z 22 ArbVG dar. Fakultative Betriebsvereinbarungen können, sofern sie – wie hier – keine Bestimmungen über ihre Geltungsdauer enthalten, gem § 32 Abs 1 ArbVG von jedem der Vertragspartner unter Einhaltung einer Frist von drei Monaten zum Letzten eines Kalendermonats schriftlich gekündigt werden.

Als Erstes ist also die Schriftform zu beachten. Niederschrift und ordnungsgemäße Unterzeichnung sind zu konstatieren. Es wird darüber hinaus angenommen, dass dem zuständigen Vorsitzenden des Betriebsausschusses ein Schriftstück analog, also zB ausgedruckt und mit Originalunterschriften, zugegangen ist.

Der Zugang muss, sollte zB die Lösung der BV zum 31.7.2021 gewünscht sein, noch am 30.4.2021 erfolgt sein. Wäre dies nicht der Fall, so läge eine zeitwidrige Kündigung vor. Eine zeitwidrige Kündigung wird auf die Vorgaben des Gesetzes hin korrigiert.* Die Lösungswirkung würde sich im konkreten Fall somit auf 31.10.2021 verschieben.

3.4.1..
Rechtsfolgen der Kündigung der BV über Kündigungsgründe

Die BV über den Ausschluss der betriebsbedingten Kündigung bis 31.12.2030 wird also infolge der Kündigung von AG-Seite wohl am 31.7.2021 erlöschen.

Wie beim KollV gibt es aber auch im Recht der BV das Institut der Nachwirkung: Ist eine fakultative BV durch Kündigung erloschen, so bleiben ihre Rechtswirkungen für Arbeitsverhältnisse, die unmittelbar vor ihrem Erlöschen durch sie erfasst350 waren, so lange aufrecht, als für diese Arbeitsverhältnisse nicht eine neue BV wirksam oder mit den betroffenen AN nicht eine neue Einzelvereinbarung geschlossen wird (§ 32 Abs 3 Satz 2 ArbVG). Die Inhalte der BV, namentlich der Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen bis Ende 2030, bleiben also weiter erhalten, sofern nicht eine neue BV zum Thema geschlossen wird oder die AN in ihren Arbeitsverträgen davon abweichende Regelungen mit dem AG vereinbaren.*

Natürlich ist es den Betriebspartnern möglich, jederzeit in der laufenden Kündigungszeit oder auch danach während der Nachwirkung eine neue oder abgeänderte BV zum Thema abzuschließen und damit den bisherigen Rechtsstand aufzuheben oder zu modifizieren. Diese neue BV kann wiederum dort, wo Ermächtigungen bestehen, normative Wirkung entfalten und entgegenstehende Arbeitsverträge, sofern diese aus der Sicht der AN nicht günstiger sind, verdrängen.*

Die Nachwirkung iSd § 32 Abs 3 Satz 2 ArbVG könnte durch entsprechende Vereinbarung der Abschlussparteien der BV ausgeschlossen werden.* Eine derartige Aufhebung (bzw Modifikation) der Nachwirkung ist ebenso wie eine autonome Regelung über Beendigungsfragen in der Grundvariante der Standortsicherungsvereinbarung nicht enthalten. Die Variante zum Thema Nachwirkung im Beispielssachverhalt wäre aber nach hA zulässig.

3.4.2..
Durchsetzung der ermittelten Rechtslage gegenüber der AG-Seite

Kündigungen von AN entgegen der nachwirkenden BV über den Ausschluss der betriebsbedingten Kündigung sind rechtsunwirksam. Was die Rechtsbehelfe zur Durchsetzung dieser Rechtslage anlangt, kann auf das unter Pkt 3.3.2. Ausgeführte verwiesen werden.

4..
Können Standortsicherungsvereinbarungen ohne normative Wirkung nach allgemeinem Zivilrecht Rechtsfolgen auslösen?

Es wurde ausgeführt, dass die hier interessierende Kernbestimmung über den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen bis Ende 2030 normative Wirkung als BV aufweist. Insoweit ist damit eine einzelvertragliche Regelung als gleich günstig wegen Verstoß gegen die übergeordnete zwingende Rechtsquelle ausgeschlossen. Dies gilt auch bei Übertritt dieser Rechtsquelle in die Nachwirkung.

Es kann jedoch nicht gänzlich ausgeschlossen werden, dass die Standortsicherungsvereinbarung in einer anderen, uE unrichtigen Art und Weise interpretiert wird. Es könnte gesagt werden, dass dieser Punkt, welcher eingeleitet ist mit „Die GBV sieht folgende Bestimmung vor:“, nur eine Information über etwas darstellt, das in der GBV – und nur in dieser – steht, sodass die weiteren Inhalte dieses Punktes, insb der Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen bis Ende 2030, als wiederum nur programmatisch-informativ, aber nicht unmittelbar normativ geltend für die AN am österreichischen Standort zu qualifizieren wären. Gegen derartige Thesen sprechen ua auch systematisch die Formulierungen betreffend die „Umsetzung“ der GBV am österreichischen Standort und die Regelungen selbst, deren normativer Charakter recht deutlich zu erkennen ist.

Sollte also der Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen bis Ende 2030 nicht als BV normativ gelten, so stellt sich die Frage, ob dieser Inhalt auf andere Weise rechtsverbindlich geworden sein könnte. Dieselbe Frage ist bei anderen Inhalten der Standortsicherungsvereinbarung aufzuwerfen, bei denen das Vorliegen einer echten BV mangels gesetzlichem Ermächtigungstatbestand nicht in Betracht kommt. Dies betrifft insb auch die in der Standortsicherungsvereinbarung enthaltenen Investitionszusagen der AG-Seite.

4.1..
AN als Vertragspartner der AG-Seite

In diesem Zusammenhang gibt es die Lehren über die unechte BV, die „freie BV“, in denen es um die Überleitung in den Einzelarbeitsvertrag durch ausdrückliche oder konkludente Übertragung in diesen iSd § 863 Abs 1 ABGB geht. Konkludent erfolgt diese Überleitung häufig durch regelmäßig wiederholte Übung einer gewissen Vertragslage („betriebliche Übung“), welche dann, wenn die Vertragspartner „keinen vernünftigen Grund daran zu zweifeln haben“ (§ 863 Abs 1 ABGB), zu einer verbindlichen Rechte-Pflichten-Konstellation wird.*

Dass in der gegenständlichen Standortsicherungsvereinbarung ua auch Änderungen der einzelnen Arbeitsverträge angestrebt werden, zeigt sich deutlich an deren sonstigen Regelungsinhalten, werden doch dort spezielle Entgeltzusagen, welche mangels Zuständigkeit der BV für allgemeine Entgeltfragen nur einzelvertraglicher Natur sein können, eingestellt. Damit wird entweder eine ausdrückliche informelle (zB mündliche oder durch Zeichen erfolgende) Zustimmung zu einer Änderung der Arbeitsverträge oder eine sogenannte negative betriebliche Übung, dh eine konkludente Zustimmung der AN, die aufgeklärt über die Vorgangsweise eini351ge Fälligkeitszeitpunkte lang nichts gegen die Einstellung der Entgelte unternehmen,* angestrebt.

Diese und ähnliche Aspekte in der Standortsicherungsvereinbarung sind offensichtlich Teile eines „Deals“ zwischen AN- und AG-Seite unter dem offenkundigen Motto „Sicherung des Standorts“. Die Gegenleistung der AG-Seite ist eben die Standortsicherung oder – direkter gesprochen – der Ausschluss betriebsbedingter Beendigungskündigungen bis Ende 2030 und Investitionen in den Standort. Auch wenn eine derartige Zusage nur schwer „geübt“ werden kann, kann sie durchaus zum Inhalt der Einzelarbeitsverträge geworden sein, wenn nur die Lösung, der Kompromiss, der „Deal“, entsprechend klar und eindeutig im Betrieb kommuniziert worden ist. Diese Kommunikation kann von wem auch immer, also zB auch von Betriebsratsseite, initiiert sein.

Bei der Beurteilung, ob durch die Kommunikation „kein vernünftiger Grund“ für den einzelnen AN, am unbedingten Bindungswillen der AG-Seite in Richtung Kündigungsausschluss „zu zweifeln“, übriggeblieben ist, ist sicher auch zu würdigen, ob und inwieweit durch Bezugnahmen auf die deutsche GBV und sonstige Vorgänge im Bereich der Konzernspitze oder einzelner Standorte in Deutschland eine Relativierung eingetreten und daher als Vertragsinhalt anzunehmen ist. Wenn jedoch im Rahmen einer solchen „freien BV“ unzulässige Regelungsinhalte Bestandteil der Arbeitsverträge geworden sind, können die daraus resultierenden Ansprüche der AN vom AG nicht einseitig abgeändert werden.* Kündigungen der Standortsicherungsvereinbarung könnten sohin nicht durchschlagen und würden ins Leere gehen.

4.2..
Belegschaft bzw Belegschaftsvertretung als Vertragspartnerin der AG-Seite

In der neueren österreichischen Lehre gibt es Ansichten,* die der Belegschaft(svertretung) eine weitergehende Rechtsfähigkeit im Hinblick auf den Abschluss sogenannter Koalitionsverträge zugestehen wollen. Bei Zugrundelegung dieser Ansichten könnte ein voll wirksamer Vertrag zwischen AG und Belegschaftsvertretung namentlich im Hinblick auf die Investitionszusage argumentiert werden, kann doch diese kaum in die Ermächtigungstatbestände der §§ 96 ff ArbVG eingeordnet werden. Der Betriebsausschuss könnte gegebenenfalls auf die vorgesehene Investition klagen. Für den einzelnen AN ergeben sich daraus keine unmittelbaren Möglichkeiten; diesbezüglich muss über die „freie BV“ argumentiert werden (vgl 4.1.).

Einen gesetzlichen Anknüpfungspunkt für die Möglichkeit derartiger Verträge zwischen AG-Seite und Belegschaftsvertretung könnte § 38 ArbVG bieten, wonach die Organe der Arbeitnehmerschaft des Betriebs die Aufgabe haben, die wirtschaftlichen, sozialen, gesundheitlichen und kulturellen Interessen der AN im Betrieb wahrzunehmen und zu fördern. Dagegen gebe es laut Firlei* keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber mit der Schaffung des speziellen „privilegierten“ Systems von KollV, BV und betriebsverfassungsrechtlichen Mitwirkungsrechten die nach dem bürgerlichen Recht bestehenden Möglichkeiten, insb jene, schuldrechtlich wirkende Vereinbarungen einzugehen, ausschließen wollte.

In der deutschen Lehre vertritt zB Lasson* die Ansicht, dass sowohl Investitionsversprechen als auch Kündigungsverzichte Regelungsgegenstand von schuldrechtlichen Vereinbarungen auf betriebsverfassungsrechtlicher Ebene sein können. Das Investitionsverhalten des AG sei als Ausprägung der Unternehmerfreiheit verfassungsrechtlich geschützt. Damit müsse es jedenfalls möglich sein, dass Investitionsversprechen im Rahmen von Verträgen mit der AN-Seite getroffen werden. Freilich werde eine gerichtliche Durchsetzung von Investitions- und Standortzusagen oftmals an der Unbestimmtheit dieser Verpflichtungen scheitern. Nicht unrealistisch seien zB Unterlassungsansprüche gegenüber vereinbarungswidrigen Betriebsschließungen und abweichendem Investitionsverhalten.*

Gegebenenfalls wäre die schuldrechtliche Vereinbarung nach den §§ 914, 915 ABGB zu interpretieren. In diesem Zusammenhang müssten auch allfällige Verweise auf deutsche Vereinbarungen und darin enthaltene Kündigungsbestimmungen, Exit-Klauseln etc geprüft werden. Die Kernfrage wird sein, ob der Vereinbarung zwischen AG und Belegschaftsvertretung ein Kündigungsrecht innewohnt, wobei vor allem die Kündigung von Seiten des AG von Interesse ist. Nimmt man ein derartiges Kündigungsrecht an, so ist zu prüfen, ob ein solches frei ausgeübt werden kann oder Schranken unterliegt. Hier könnte an eine Bindung der Kündigung an (später eintretende) Gründe bzw den Ausschluss der Kündigung zur Unzeit gedacht werden. Immerhin ist Standortsicherungsvereinbarungen gemein, dass sie vielschichtige „Tauschgeschäfte“ darstellen, bei denen die betroffenen AN – wie gezeigt – sofort, laufend und auf längere Dauer angelegt (vor-)leisten, sodass es dieses Konzept der Vereinbarung naheliegend erscheinen lässt, die Gültigkeit einer Kündigung der Vereinbarung von derartigen Aspekten abhängig sein zu lassen. Es werden also gute Gründe für eine vorzeitige Abstandnahme von der Vereinbarung vorliegen müssen, wobei schlechte Prognosen, welche bereits im Zeitpunkt des Abschlusses bekannt waren, keine derartigen Gründe darstellen.

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