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Verweisbarkeit eines Café- und Restaurantbetreibers auf Führung anderer gastronomischer Kleinbetriebe – wirtschaftliche Aspekte irrelevant

CAROLINEKRAMMER

Der zum Stichtag am 1.3.2019 55-jährige Kl führte gemeinsam mit seiner Ehegattin einen gastgewerblichen Kleinbetrieb. Phasenweise wurde auch eine Abwäscherin beschäftigt. Sein Antrag auf Gewährung der Erwerbsunfähigkeitspension wurde mit Bescheid vom 24.7.2019 von der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA) (jetzt Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen [SVS]) abgelehnt.

Das Erstgericht wies das dagegen gerichtete Klagebegehren ab. Es stellte fest, der Kl sei gesundheitlich weiter in der Lage, den Anforderungen einer selbständigen Erwerbstätigkeit als Gastwirt bei Führung eines anderen Betriebs im Branchensegment Gastronomie nachzukommen. Rechtlich führte das Erstgericht aus, der Kl sei auf die Führung anderer gastronomischer Kleinbetriebe, etwa einer kleinen Imbissstube, eines Sportbuffets oder eines Würstelstandes verweisbar.

Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung.

Den Beschluss, mit dem die außerordentliche Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen wurde, begründete der OGH wie folgt:

Nach § 133 Abs 2 GSVG gilt der Versicherte als erwerbsunfähig, der das 50. Lebensjahr vollendet hat und dessen persönliche Arbeitsleistung zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig war, wenn er infolge Krankheit oder anderer Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte außer Stande ist, einer selbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, die eine ähnliche Ausbildung sowie gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten wie die Erwerbstätigkeit erfordert, die der Versicherte zuletzt durch mindestens 60 Monate ausgeübt hat.

§ 133 Abs 2 GSVG gewährt einen (eingeschränkten) Berufsschutz, aber keinen Tätigkeitsschutz. Der Maßstab ist nicht die konkret ausgeübte selbständige Tätigkeit, sondern maßgeblich sind jene Kenntnisse und Fähigkeiten, die für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit erforderlich waren. Eine Verweisung auch auf eine Tätigkeit mit demselben Unternehmensgegenstand in modifizierter Betriebsform ist zulässig (OGH 10 ObS 57/08t SSV-NF 22/45), wie auch eine Verweisung auf eine selbständige Erwerbstätigkeit, die nur Teilbereiche der bisher ausgeübten umfasst (vgl für unselbständig Beschäftigte § 255 Abs 1 ASVG).

Eine Fehlbeurteilung der Rechtsfrage konnte dem OGH in der Revision nicht aufgezeigt werden. Nach stRsp hat die Verweisung abstrakt zu erfolgen, ohne Rücksichtnahme auf die wirtschaftliche Situation des vom Kl geführten Betriebes. Für den selbständigen Verweisungsberuf ist es ausreichend, dass dessen wirtschaftlich vertretbare Betriebsführung unter Berücksichtigung des Marktes möglich ist. Auch soll es nicht darauf ankommen, ob der Versicherte zum Stichtag noch oder bereits über einen geeigneten Betrieb verfügt, in dem er die objektiv zumutbare Verweisungstätigkeit ausübt (OGH 10 ObS 23/06i SSV-NF 20/17).

Es kommt weiters nicht darauf an, ob eine Verweisungstätigkeit im Einzelfall auch erlangt werden kann. Ebenso wenig ist ausschlaggebend, ob ein Versicherter bereit ist, das wirtschaftliche Wagnis eines Betriebes auf sich zu nehmen und ob er in der Lage oder gewillt ist, diese selbständige Erwerbstätigkeit zu finanzieren. Konjunkturelle, regionale oder sonstige arbeitsmarktbedingte Kriterien sind auszublenden (OGH 10 ObS 248/98p SSV-NF 12/124).

Das Revisionsvorbringen, es fehle oberstgerichtliche Rsp zu der Frage, ob in der aktuellen COVID-19-Zeit einem Versicherten wie dem Kl (objektiv) eine wirtschaftlich zukunftsreiche Umorganisation auf Verweisungstätigkeiten möglich und zumutbar sei, stellt nach Ansicht des OGH keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung dar. Dazu führt der OGH aus, dass der Stichtag für die Erwerbsunfähigkeitspension (1.3.2019) – der nach § 133 Abs 2 GSVG den relevanten Zeitpunkt für die Prüfung der Verhältnisse darstellt – weit vor Beginn der Pandemie liege. Das Revisionsvorbringen des Kl, wonach die Pandemie nach angepassten rechtlichen Maßstäben verlange, weshalb die zwischenzeitig eingetretenen massiv nachteiligen gesamtwirtschaftlichen Konsequenzen noch im Rechtsmittelstadium relevierbar sein müssten, scheitert nach den Ausführungen des OGH an der abstrakten Konzeption des § 113 Abs 2 GSVG.

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