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Existenzmittel aus familiärer Unterstützung – kein Anspruch auf Ausgleichszulage; Daueraufenthalt nach Aufgabe der Tätigkeit – zwei Jahre Erwerbstätigkeit in Österreich erforderlich

ALEXANDERDE BRITO
§ 292 Abs 1 ASVG; Art 7 Abs 1 lit b, Art 17 Abs 1 lit b Unionsbürger-RL

§ 292 Abs 1 ASVG ist dahin auszulegen, dass auch der nach § 51 Abs 1 Z 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) (Art 7 Abs 1 lit b Unionsbürger-RL) rechtmäßige Aufenthalt dann nicht zu einem Anspruch auf Ausgleichszulage führt, wenn die ausreichenden Existenzmittel – wie im vorliegenden Fall – aus familieninternen Zuwendungen stammen.

Der Zufluss von Pflegegeld aus der deutschen Pflegeversicherung ist nicht geeignet, auf unionsrechtlicher Grundlage den Anspruch auf Ausgleichszulage zu tragen.

Auch der Tatbestand des Art 17 Abs 1 lit b Unionsbürger-RL erfordert die Aufgabe einer im Aufnahmemitgliedstaat – und nicht in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union – ausgeübten Erwerbstätigkeit.

Sachverhalt

Der Kl ist 1939 geboren, er ist deutscher Staatsbürger. Seit dem Jahr 1999 verbrachte er die Wochenenden bei seiner Lebensgefährtin in Innsbruck; seit 2013 hatte er an der Adresse der Lebensgefährtin einen Nebenwohnsitz gemeldet. Unter der Woche hielt er sich in Deutschland oder auf Geschäftsreisen in anderen Staaten Europas auf. Er war stets und ist nach wie vor bei einem deutschen Versicherer krankenversichert.

Im Jahr 2015 wollte der Kl seine Tätigkeit in Deutschland beenden und das weitere Geschäft von Österreich aus abwickeln, es gab jedoch keine konkreten Verhandlungen zum Verkauf seiner Firma. Am 3.2.2015 änderte er die Meldung seines Nebenwohnsitzes in Innsbruck in einen Hauptwohnsitz. Am selben Tag wurde ihm vom Stadtmagistrat Innsbruck eine „Anmeldebescheinigung für EWR Bürger/-innen und Schweizer Bürger/-innen“ ausgestellt, in der der Grund des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts mit „sonstige Angelegenheit (§ 51 Abs 1 Z 2 NAG)“ angegeben ist. Im März 2017 erlitt die Lebensgefährtin des Kl einen Schlaganfall und zog in ein Pflegeheim. Der Kl erlitt wenige Wochen später einen Nervenzusammenbruch und gab aus gesundheitlichen Gründen das Autofahren auf. Damit war er nicht mehr in der Lage, sein Unternehmen zu betreiben. Am 24.8.2017 meldete er in Deutschland sein Gewerbe ab; als Datum der Betriebsaufgabe führte er den 31.12.2016 an.

Der Kl lebt nach wie vor in der Eigentumswohnung seiner Lebensgefährtin. Diese hat ihm gegen eine Einmalzahlung ein lebenslanges Wohnrecht eingeräumt. Der Kl trägt die laufenden Betriebs- und Heizkosten von € 195,- monatlich sowie die Stromkosten von rund € 63,- monatlich. Seit Juli 2018 werden diese Ausgaben – sowie weitere im Einzelnen festgestellte Kosten – von seiner Tochter getragen. Der Kl bezahlt für das auswärts eingenommene Mittagessen täglich € 8,-. Seit 1.1.2017 lebt er ausschließlich von seiner Rente der Deutschen Rentenversicherung. Die Höhe der Rente betrug (im Jahr 2018) € 641,13 monatlich. Weiters bezieht er deutsches Pflegegeld von rund € 300,- monatlich. Seit dem Jahr 2019 unterstützt ihn sein Sohn monatlich mit € 300,-. Der Kl verfügt weder über Ersparnisse noch über sonstige Vermögenswerte.

Verfahren und Entscheidung

Mit Bescheid vom 3.10.2018 lehnte die Bekl die Gewährung der Ausgleichszulage ab.

Mit seiner Klage begehrt der Kl die Zahlung der Ausgleichszulage ab dem 1.8.2018. Das Erstgericht wies die Klage ab. Das Berufungsgericht änderte das Urteil im klagestattgebenden Sinn ab309 und verpflichtete die Bekl, dem Kl eine monatliche Ausgleichszulage von € 265,29 ab 1.8.2018 bis zum 31.12.2018 und von € 291,93 ab 1.1.2019 zu zahlen. Es ließ die Revision nicht zu, weil es sich auf die einheitliche Rsp des OGH sowie des EuGH stützen habe können. Der Kl sei bis 31.12.2016 selbständig tätig gewesen, sodass Art 17 Abs 1 lit b iVm „Art 17 Abs 1 vorletzter Unterabsatz“ der Unionsbürger-RL anzuwenden sei. Daraus ergebe sich ein Recht auf Daueraufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat vor Ablauf eines ununterbrochenen Aufenthalts von fünf Jahren für – auch – Selbständige, die sich seit mindestens zwei Jahren ununterbrochen im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten und ihre Erwerbstätigkeit infolge einer dauernden Arbeitsunfähigkeit aufgegeben hätten. Dabei gälten die Zeiten einer in einem anderen Mitgliedstaat ausgeübten Erwerbstätigkeit als im Aufnahmemitgliedstaat geleistet. Der Kl habe ein Daueraufenthaltsrecht nach dieser Bestimmung erworben.

Dagegen richtete sich die außerordentliche Revision der Bekl. Die Revision war zulässig und auch berechtigt.

Originalzitate aus der Entscheidung

„1. Gemäß § 292 Abs 1 ASVG hat der Pensionsberechtigte Anspruch auf Ausgleichszulage, solange er seinen rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich hat.

[…]

3. Das Berufungsgericht bejahte die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts des Klägers einerseits unter der Annahme, er sei zum Zeitpunkt seines Zuzugs noch wirtschaftlich aktiv gewesen (gemäß Art 17 Abs 1 Unionsbürger-RL), andererseits auch unter der Annahme, er sei als wirtschaftlich inaktiver Unionsbürger zu betrachten (nach Art 7 Abs 1 lit b Unionsbürger-RL). […]

4. Zu Art 7 Abs 1 lit b Unionsbürger RL

4.1. Nach Art 7 Abs 1 lit b der Richtlinie 2004/38/EG Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 (Unionsbürger-RL oder Freizügigkeits-RL) steht das Recht auf Aufenthalt wirtschaftlich nicht aktiven Unionsbürgern zu, die sich länger als drei Monate (aber nicht mehr als fünf Jahre) im Aufenthaltsmitgliedstaat aufhalten, wenn sie für sich und ihre Angehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, sodass sie während ihres Aufenthalts für sich und ihre Angehörigen keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen […].

4.2. Beginnend mit der Entscheidung in der Rs Dano […] räumte der EuGH dem Aufnahmemitgliedstaat die Möglichkeit ein, im Rahmen der Prüfung des Sozialleistungsanspruchs die Erfüllung der Voraussetzungen der Unionsbürger-RL zu prüfen und auf ihrer Grundlage den Sozialleistungsanspruch zu versagen, ohne dass es einer vorherigen Beendigung des Aufenthalts bedürfte […]. Unter Bezugnahme auf Erwägungsgrund 10 der Unionsbürger-RL fordert der EuGH vom wandernden Unionsbürger, die Sozialsysteme des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen zu belasten, wobei die wirtschaftliche Situation des einzelnen Betroffenen konkret zu prüfen ist […].

In der darauffolgenden Entscheidung in der Rs C 67/14, Alimanovic, ging der EuGH noch einen Schritt weiter und sah eine individuelle Prüfung gar nicht als erforderlich an, weil das in der Unionsbürger-RL vorgesehene abgestufte System selbst verschiedene Faktoren berücksichtigt, die ihrerseits die persönlichen Umstände der antragstellenden Person widerspiegeln […].

Diese Linie wird im Urteil in der Rs C-299/14, García-Nieto ua[…], explizit bestätigt. […].

4.3. Im Ergebnis bedeutet das, dass Unionsbürger, die nicht erwerbstätig sind und nur zum Zweck eines Sozialleistungsbezugs mobil sind, auf der Grundlage von Unionsrecht keine Ansprüche auf Sozialleistungen wie die Ausgleichszulage geltend machen können […].

[…]

4.5. Im vorliegenden Fall erweist sich die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Kläger habe einen Anspruch auf Ausgleichszulage, weil sein Aufenthaltsrecht als nicht aktiver Unionsbürger für mehr als drei Monate nach Art 7 Abs 1 lit b Unionsbürger RL (§ 51 Abs 1 Z 2 NAG) zu bejahen sei, weil er über ausreichende Existenzmittel verfüge, als nicht zutreffend.

Der Kläger verfügte ab 1.8.2018 über seine gesetzliche Rente von 641,13 €; dazu kommen die Unterstützungsleistungen seiner Tochter und – ab dem Jahr 2019 – auch seines Sohns, sowie ein Pflegegeld aus der deutschen Pflegeversicherung.

Der Oberste Gerichtshof hat bereits klargestellt, dass das Pflegegeld nach dem BPGG im Hinblick auf Art 7 Abs 1 lit b Unionsbürger-RL nicht zur Erhöhung des Einkommens dient, sondern ausschließlich dazu beitragen soll, Pflegeleistungen „einkaufen“ zu können. […] Für das vom Kläger aus der deutschen Pflegeversicherung bezogene Pflegegeld gilt aufgrund der gleichen Zweckrichtung nichts anderes. […]

Der Zufluss von Pflegegeld aus der deutschen Pflegeversicherung ist daher nicht geeignet, auf unionsrechtlicher Grundlage den Anspruch des Klägers auf Ausgleichszulage zu tragen […].

4.6. Das gleiche gilt für die von den Kindern des Klägers erbrachten Unterstützungsleistungen. Auch wenn von einem Dritten stammende Mittel zum Lebensunterhalt für die aufenthaltsrechtliche Beurteilung anzuerkennen sind […], sind sie hier nicht geeignet, einen Anspruch auf Ausgleichszulage zu begründen.

[…]

Würde eine von den Unterhaltszuwendungen abgeleitete Rechtmäßigkeit des Aufenthalts in Österreich zu einem Ausgleichszulagenanspruch führen, käme es zu einem „Unionsbürgerschaft als310 Münchhausen“-Effekt […]: Die innerfamiliären Zuwendungen, die staatliche Unterstützung entbehrlich machen, machen den Aufenthalt rechtmäßig, woraus sich dann der Anspruch auf eben diese staatlichen Unterstützungsleistungen ergäbe […].

Um ein solches Ergebnis zu vermeiden, gleichzeitig aber die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts nicht zu tangieren, ist § 292 Abs 1 ASVG im Lichte des § 52 Abs 1 Z 3 NAG dahin auszulegen, dass der durch § 52 Abs 1 Z 3 NAG rechtmäßige Aufenthalt nicht zu einem Anspruch auf Ausgleichszulage führt, weil die Kosten des Aufenthalts in Österreich in den ersten fünf Jahren nicht von staatlicher Seite, sondern über den familieninternen Unterhalt finanziert werden sollen […].

Die selben Wertungen kommen auch in einem Fall wie dem vorliegenden zum Tragen, in dem durch das Abstellen auf ausreichende Existenzmittel gemäß § 51 Abs 1 Z 2 NAG – sei es aus dem eigenen Einkommen oder Vermögen des Betroffenen, sei es aus Zuwendungen Dritter – ebenfalls die Unabhängigkeit des Betroffenen von staatlichen Zuwendungen während der ersten fünf Jahre seines Aufenthalts sichergestellt werden soll.

Das bedeutet im Ergebnis, dass § 292 Abs 1 ASVG dahin auszulegen ist, dass auch der nach § 51 Abs 1 Z 2 NAG (Art 7 Abs 1 lit b Unionsbürger-RL) rechtmäßige Aufenthalt dann nicht zu einem Anspruch auf Ausgleichszulage führt, wenn die ausreichenden Existenzmittel – wie im vorliegenden Fall – aus familieninternen Zuwendungen stammen.

4.7. Lässt man das vom Kläger bezogene Pflegegeld und die Zuwendungen seiner Kinder außer Betracht, liegen ausreichende Existenzmittel weder zum 1.8.2018 noch danach vor.

Auch wenn dafür kein fester Betrag angesetzt werden kann (vgl Art 8 Abs 4 Unionsbürger-RL), gibt es objektive Anhaltspunkte für das Vorliegen ausreichender Existenzmittel: So wird in der Literatur vertreten, solche Mittel seien jedenfalls dann ausreichend, wenn sie über der im Aufnahmemitgliedstaat geltenden Sozialhilfegrenze – in Österreich: der Höhe der bedarfsorientierten Mindestsicherung – liegen […].

Der Mindestsatz zur Sicherung des Lebensunterhalts […] betrug für das Jahr 2018 für alleinstehende Personen 647,28 € […]. Dieser Mindestsatz beinhaltet allerdings noch nicht den Wohnbedarf.

Die Nettopension des Klägers liegt zwar nur wenig unter der Höhe des Mindestsatzes zur Sicherung des Lebensbedarfs (ohne Wohnbedarf), der Kläger muss davon aber auch seine Wohnkosten bestreiten.

Der Kläger verfügt über ein Wohnrecht im Haus seiner Lebensgefährtin; er hat nach den Feststellungen lediglich die Betriebskosten und die Kosten für die Reparatur-Rücklage von insgesamt 195,10 € monatlich sowie die Stromkosten von 63 € monatlich zu tragen (insgesamt 258,10 €). Dazu kommen die Kosten für das Rasenmähen und den Baumschnitt.

Auch unter Berücksichtigung dieser (sehr günstigen) Wohnversorgung des Klägers erwachsen ihm daraus monatliche Kosten von rund 260 €. Von seiner Rente von 641,13 € im Jahr 2018 verbleiben ihm daher zur Deckung seines sonstigen Lebensunterhalts nur rund 380 €, somit deutlich weniger als der […] anzusetzende Mindestsatz für Lebensunterhalt. […]

Das Pensionseinkommen des Klägers liegt auch unter dem Ausgleichszulagenrichtsatz für Einzelpersonen von 909,42 € für das Jahr 2018.

4.8. Schließlich ergibt sich auch bei konkreter Betrachtung des Einzelfalls aus den Feststellungen, dass dem Kläger neben den Kosten seiner Wohnversorgung von rund 260 € im Monat rund 240 € monatlich für das – gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin im Pflegeheim eingenommene – Mittagessen erwachsen. […] Auch die Betrachtung des konkreten Einzelfalls ergibt daher, dass das Pensionseinkommen des Klägers ohne staatliche Sozialhilfeleistungen zur Deckung seiner Lebenshaltungskosten nicht ausreicht. […]

5. Zu Art 17 Abs 1 Unionsbürger-RL

5.1. Art 17 Abs 1 der Unionsbürger-RL gewährt wirtschaftlich aktiven Unionsbürgern abweichend von Art 16 der Richtlinie vor Ablauf eines ununterbrochenen Aufenthalts von fünf Jahren das Recht auf Daueraufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat. Die erfassten Personengruppen sind wie folgt definiert:

„a) Arbeitnehmer oder Selbstständige, die zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben das in dem betreffenden Mitgliedstaat für die Geltendmachung einer Altersrente gesetzlich vorgesehene Alter erreicht haben, oder Arbeitnehmer, die ihre abhängige Erwerbstätigkeit im Rahmen einer Vorruhestandsregelung beenden, sofern sie diese Erwerbstätigkeit in dem betreffenden Mitgliedstaat mindestens während der letzten 12 Monate ausgeübt und sich dort seit mindestens drei Jahren ununterbrochen aufgehalten haben. […]

b) Arbeitnehmer oder Selbstständige, die sich seit mindestens zwei Jahren ununterbrochen im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten haben und ihre Erwerbstätigkeit infolge einer dauernden Arbeitsunfähigkeit aufgeben. [...]

c) Arbeitnehmer oder Selbstständige, die nach drei Jahren ununterbrochener Erwerbstätigkeit und ununterbrochenen Aufenthalts im Aufnahmemitgliedstaat eine abhängige oder selbstständige Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat ausüben, ihren Wohnsitz jedoch im Aufnahmemitgliedstaat beibehalten und in der Regel jeden Tag oder mindestens einmal in der Woche dorthin zurückkehren.

Für den Erwerb der in den Buchstaben a und b genannten Rechte gelten die Zeiten der Erwerbstätigkeit in dem Mitgliedstaat, in dem der Betroffene seine Erwerbstätigkeit ausübt, als im Aufnahmemitgliedstaat abgeleistet.“

5.2. Den folgenden Ausführungen zu Art 17 Abs 1 Unionsbürger-RL ist voranzustellen, dass der vom311 Berufungsgericht als „Art 17 Abs 1 vorletzter Unterabsatz“ bezeichnete Absatz – nach dem für den Erwerb der in lit a und b genannten Rechte die Ausübung der Erwerbstätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat fingiert wird – in Wahrheit dem Art 17 Abs 1 lit c Unionsbürger-RL zuzuordnen ist. Dies ist schon aus der Formatierung der Absätze dieses Artikels im Amtsblatt der Europäischen Union […] eindeutig ersichtlich […].

5.3. Das Berufungsgericht stützte seine Beurteilung, der Kläger habe ein Recht auf Daueraufenthalt nach Art 17 Abs 1 lit b Unionsbürger-RL erworben, auf die zentrale Erwägung, seine in Deutschland ausgeübte Erwerbstätigkeit gelte nach „Art 17 Abs 1 vorletzter Unterabsatz“ als im Aufnahmemitgliedstaat – also in Österreich – ausgeübt.

Diese Rechtsansicht trifft – wie im Folgenden aufgezeigt wird – nicht zu.

5.4. Art 17 Abs 1 Unionsbürger-RL dient der Durchführung des nicht direkt anwendbaren Art 45 Abs 3 lit d AEUV, der das Verbleiberecht der Arbeitnehmer nach Beendigung einer Beschäftigung primärrechtlich verankert […].

Die Fallgruppen des Art 17 Abs 1 Unionsbürger-RL privilegieren wirtschaftlich aktive Unionsbürger, die aus bestimmten Gründen aus dem Erwerbsleben ausscheiden (lit a und b) oder ihre Erwerbstätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat beenden (lit c), im Hinblick auf den Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat.

5.5. Die Bestimmungen des Art 17 Abs 1 lit a bis c Unionsbürger-RL verlangen jeweils eine bestimmte Dauer des Aufenthalts im Aufnahmemitgliedstaat sowie die Ausübung einer (selbständigen oder unselbständigen) Erwerbstätigkeit. Im vorliegenden Fall ist entscheidend, ob diese Erwerbstätigkeit auch im Fall des Art 17 Abs 1 lit b Unionsbürger-RL im Aufnahmemitgliedstaat ausgeübt werden muss.

Die Ausübung im Aufnahmemitgliedstaat ist für den Tatbestand der lit a bereits nach dessen Wortlaut eindeutig zu verlangen: Erforderlich ist eine Ausübung der Erwerbstätigkeit „in dem betreffenden Mitgliedstaat“, also im Aufnahmemitgliedstaat.

Auch der Tatbestand der lit c verlangt für Grenzgänger zunächst eine drei Jahre andauernde Erwerbstätigkeit „im Aufnahmemitgliedstaat“, auf die eine Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat – unter Beibehaltung des Wohnsitzes im Aufnahmemitgliedstaat – folgt. Nur für jene erwerbstätigen Unionsbürger, die die Voraussetzung des dreijährigen Aufenthalts und der dreijährigen Erwerbstätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat erfüllten, bevor sie als Grenzgänger eine Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat aufnahmen, kommt die Regelung des Art 17 Abs 1 lit c zweiter Unterabsatz Unionsbürger-RL zur Anwendung: Ihre in einem anderen Mitgliedstaat ausgeübte Tätigkeit wird für den Erwerb der Rechte gemäß lit a und b – also im Hinblick auf die bevorzugt behandelten Beendigungsarten – wie eine Tätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat behandelt.

[…]

Hinsichtlich des Tatbestands des Art 17 Abs 1 lit b Unionsbürger-RL ergibt sich das Erfordernis, dass der Unionsbürger auch seine Erwerbstätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat ausgeübt haben muss, nicht aus dem Wortlaut allein, sondern erst aus der systematischen Auslegung. Der Wortlaut der deutschsprachigen Fassung der Bestimmung enthält nämlich keine ausdrückliche Einschränkung der Ausübung der Erwerbstätigkeit des Unionsbürgers auf den Aufnahmemitgliedstaat. Dies gilt etwa auch für die italienische Sprachfassung […].

Hingegen ergibt sich etwa aus der englischen […] und der französischen […] des Art 17 Abs 1 lit b Unionsbürger-RL das Erfordernis der Aufgabe einer im Aufnahmemitgliedstaat ausgeübten Erwerbstätigkeit […].

Aus der Systematik des Art 17 Abs 1 Unionsbürger-RL folgt allerdings eindeutig, dass der Tatbestand der lit b unabhängig von seiner Formulierung in den unterschiedlichen Sprachfassungen jedenfalls voraussetzt, dass die Erwerbstätigkeit, die auf die gesetzlich bevorzugte Weise beendet wird, im Aufnahmemitgliedstaat ausgeübt wurde.

Nach Art 17 Abs 1 lit c iVm lit b Unionsbürger-RL erwirbt ein Unionsbürger, der in einem anderen Mitgliedstaat als dem Aufnahmemitgliedstaat erwerbstätig ist und seine Tätigkeit aufgrund dauernder Arbeitsunfähigkeit aufgibt, nur dann ein Recht auf Daueraufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat vor Ablauf eines fünfjährigen rechtmäßigen Aufenthalts, wenn er zuvor drei Jahre lang im Aufnahmemitgliedstaat aufhältig und erwerbstätig war. Diese Regelung des Art 17 Abs 1 lit c Unionsbürger-RL stünde in einem unauflöslichen Wertungswiderspruch zum Tatbestand der lit b dieser Bestimmung, wenn letzterer […] nur einen zweijährigen Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat und die Beendigung einer irgendwo in der Union ausgeübten Erwerbstätigkeit aus dem Grund der dauernden Arbeitsunfähigkeit erforderte.

[…]

Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten, dass auch der Tatbestand des Art 17 Abs 1 lit b Unionsbürger-RL […] die Aufgabe einer im Aufnahmemitgliedstaat – und nicht in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union – ausgeübten Erwerbstätigkeit erfordert. […]

Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, der Erwerb eines Rechts auf Daueraufenthalt nach Art 17 Abs 1 lit b Unionsbürger-RL bedürfe keiner Ausübung der selbständigen Erwerbstätigkeit in Österreich, trifft daher nicht zu.

5.6. Hinweise auf die tatsächliche Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit durch den Kläger von Österreich aus ergaben sich nicht aus dem festgestellten Sachverhalt. Demnach gab der Kläger seinen Plan, „die Firma“ im Jahr 2014 nach Österreich zu verlegen, wegen der damit verbundenen Schwierigkeiten wieder auf. Für das Jahr312 2015 steht lediglich seine Absicht fest, sein Produkt zu verkaufen, das Unternehmen in Deutschland „einschlafen zu lassen“ und das Geschäft von Österreich aus abzuwickeln. Tatsächlich kam es aber nicht zum Verkauf. Der Kläger hatte bereits im Jahr 2015 mit massiven Gesundheitseinschränkungen zu kämpfen und generierte kein Einkommen mehr. […]

Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass der Kläger in seiner Gewerbeabmeldung vom 24.8.2017 eine Betriebsaufgabe (erst) mit 31.12.2016 angab. Auch in diesem – von beiden Parteien vorgelegten – Formular ist ausschließlich eine Betriebsstätte in Deutschland angeführt.

5.7. Im Ergebnis erfüllt der Kläger daher ab 1.8.2018 nicht die Voraussetzungen eines Rechts auf Daueraufenthalt nach Art 17 Abs 1 lit b Unionsbürger-RL.

[…]

Erläuterung

Der erste Teil der E ist eine Zusammenfassung der bisherigen Judikatur des EuGH zum Thema rechtmäßiger Aufenthalt in Österreich und Anspruch auf Ausgleichszulage. Dieser Anspruch richtete sich zunächst nur nach den Bestimmungen des NAG. War danach ein legaler Aufenthalt gegeben, bestand damit auch Anspruch auf Ausgleichszulage (EuGH 11.11.2014, C-333/13, Dano). In der Folge wurde diese Judikatur insofern geändert, als individuell die Belastung der sozialen Systeme zu prüfen war (EuGH 19.9.2013, C-140/12, Brey). Noch bevor allerdings geklärt werden konnte, ob diese Prüfung auf die jeweilige Person bezogen war oder auf die sozialen Systeme in ihrer Gesamtheit, erging die Entscheidung in der Rs Alimanovic (EuGH 15.9.2015, C-67/14). Die individuelle Prüfung entfiel und entscheidend war nicht mehr der Aufenthaltstitel nach dem NAG, sondern der legale Aufenthalt nach dem Ausgleichszulagenrecht. Wer die Mittel zum Aufenthalt nur durch familiären Beistand aufbringen kann, hat keinen Anspruch auf Sozialleistungen. Dadurch kann der sogenannte „Münchhausen-Effekt“ vermieden werden: Die familiären Zuwendungen machen den Aufenthalt nach dem NAG rechtmäßig, weil durch sie eben keine staatliche Unterstützung notwendig ist. Daher können sie keinen Anspruch auf eben diese Leistungen begründen. Auch das Pflegegeld ist kein Einkommen, weil es den Pflegeaufwand ersetzen soll. Der Zweck des Aufwandersatzes ergibt sich auch aus den deutschen Bestimmungen zum Pflegegeld.

Der zweite Teil der Entscheidung ist anspruchsvoller: Die Aufgabe einer Tätigkeit, die im Aufnahmestaat mindestens drei Jahre ausgeübt wurde, infolge dauernder Arbeitsunfähigkeit führt zu einem rechtmäßigen Aufenthalt im Aufnahmeland. Dazu gibt es eine Ausnahmebestimmung im selben Artikel der Richtlinie. Während das OLG noch von der Anwendbarkeit dieser Bestimmung ausging, kommt der OGH zum gegenteiligen Ergebnis. Dieses ergibt sich aus der systematischen Betrachtung der Bestimmung, der Formatierung des Textes, und dem Vergleich des Textes in der Deutschen mit der Englischen und Französischen Sprachfassung. Die vom OLG angewandte Gleichhaltungsbestimmung, dass in einem EU-Staat ausgeübte Tätigkeiten als im Aufnahmestaat ausgeübt gelten, ist auf diesen Sachverhalt nicht anwendbar. Dies ergibt sich aber erst aus der systematischen Betrachtung der Bestimmung, der Formatierung des Textes und dem Vergleich des Textes in der Deutschen mit der Englischen und Französischen Sprachfassung.