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Unzulässigkeit einer Klage bei Anspruchsübergang auf den Bund bei vorläufiger Anhaltung

MONIKAWEISSENSTEINER

Auch wenn die Differenzierung zwischen Anspruchshöhe (Anmerkung: hier des Rehabilitationsgeldes) und Art der Auszahlung nicht ganz klar vorgenommen wurde, wird deshalb ein „Auszahlungsstreit“ nicht zum „Anspruchsstreit“, für den der Rechtsweg zulässig wäre.

Sachverhalt

Der Kl wird seit 23.4.2019 gem § 429 Abs 4 Strafprozessordnung (StPO) vorläufig angehalten und ist in eine Krankenanstalt für Geisteskrankheiten eingewiesen. Dies ist möglich, wenn ua hinreichende Gründe für die Annahme der Voraussetzungen des § 21 Strafgesetzbuch (StGB) (Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher) vorliegen und bestimmte Haftgründe vorliegen sowie eine ärztliche Beobachtung erforderlich ist.

Ab dem 1.10.2019 wurde dem Kl von der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) Rehabilitationsgeld zuerkannt.

Die bekl Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) sprach mit Bescheid aus, dass für die Dauer der Anhaltung nur Anspruch auf Auszahlung von Rehabilitationsgeld in Höhe von € 6,16 täglich be305stehe – was einem Anteil von 20 % entspricht; 80 % des Rehabilitationsgeldes gehen gem § 324 Abs 4 ASVG auf den Bund über.

Verfahren und Entscheidung

Der Kl begehrte mit seiner Klage die Auszahlung des Rehabilitationsgeldes in voller Höhe. Die Bekl beantragte die Klagsabweisung; § 429 Abs 4 StPO sei zwar nicht ausdrücklich in § 324 Abs 4 ASVG genannt, die Bestimmung sei analog anzuwenden.

Das Erstgericht wies die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurück. Das Berufungsgericht gab dem Rekurs des Kl keine Folge. Es sei ausschließlich die Frage der Auszahlung strittig. Auch bei einer vorläufigen Anhaltung komme die Legalzession gem § 324 Abs 4 ASVG zum Tragen. Es liege keine Sozialrechtssache gem § 65 Abs 1 Z 1 ASGG vor.

Der OGH hält den Revisionsrekurs entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts für nicht zulässig, weil zum Zusammenwirken von PVA und ÖGK bei der Durchführung von Maßnahmen in Fällen vorübergehender Invalidität eindeutige gesetzliche Regeln bestehen und zu § 65 Abs 1 Z 1 ASVG einschlägige Rsp vorliege.

Originalzitate aus der Entscheidung

„1. Gemäß § 255b ASVG hat die versicherte Person Anspruch auf Rehabilitationsgeld, wenn vorübergehende Invalidität voraussichtlich im Ausmaß von zumindest sechs Monaten gegeben ist und die Voraussetzungen nach § 254 Abs 1 Z 2 bis 4 ASVG vorliegen. Über das Vorliegen der Voraussetzungen für den Anspruch auf Rehabilitationsgeld hat der Pensionsversicherungsträger aufgrund eines Antrags nach § 361 Abs 1 letzter Satz ASVG mit gesondertem Feststellungsbescheid zu entscheiden.

2. Die Höhe des Rehabilitationsgeldes ist in § 143a Abs 2 ASVG geregelt. Über die Höhe des Rehabilitationsgeldes entscheidet der Krankenversicherungsträger. […]

3.1 Kommt der Pensionsversicherungsträger zu dem Ergebnis, dass der Versicherte vorübergehend im erforderlichen Ausmaß gemindert arbeitsfähig ist und ihm keine beruflichen Rehabilitationsmaßnahmen zumutbar bzw diese nicht zweckmäßig sind, hat er den Bescheid unverzüglich dem zuständigen Krankenversicherungsträger zu übermitteln. Der Bescheid hat die Feststellung zu enthalten, dass der Krankenversicherungsträger das Rehabilitationsgeld zu berechnen und auszuzahlen hat (§ 459i Abs 1 Z 1 ASVG).

3.2 Die Entscheidung über die Höhe des Rehabilitationsgeldes schließt sich somit an die Entscheidung des Pensionsversicherungsträgers an, mit der dieser ausgesprochen hat, dass die Leistung dem Grunde nach zusteht (Födermayr in SV-Komm [249. Lfg] § 143a ASVG Rz 11).

4.1 Entsprechend diesen gesetzlichen Vorgaben hat der beklagte Krankenversicherungsträger in dem angefochtenen Bescheid das Rehabilitationsgeld der Höhe nach mit 30,82 € bzw ab 1.1.2020 mit 31,66 € bestimmt, wobei diese Höhe nur aus dem ersten Teil der Bescheidbegründung hervorgeht und sich im Spruch nur durch Addition ermitteln lässt. Zugleich wurde die Anordnung getroffen, dass 80 % dieser Leistung (24,66 € bzw 25,33 € ab 1.1.2020) gemäß § 324 Abs 4 ASVG an den Bund und nur 6,16 € netto täglich (bzw ab 1.1.2020 6,33 € netto täglich) an den Kläger auszuzahlen sind. […]

5.1 Eine die Zulässigkeit des Rechtswegs eröffnende Sozialrechtssache nach § 65 Abs 1 Z 1 ASGG (der auf die in § 354 Z 1 ASVG taxativ aufgezählten Leistungssachen verweist) setzt voraus, dass zwischen dem Versicherten und dem Sozialversicherungsträger entweder der Grund oder die Höhe (der Umfang) des Anspruchs auf Versicherungsleistungen oder das Ruhen eines solchen Anspruchs strittig ist (10 ObS 44/20y; RS0085473). Kern ist die Frage der Gewährung oder Nichtgewährung von Versicherungsleistungen (RS0085473 [T1]). Die Überprüfung der Auszahlung ist nach ständiger Rechtsprechung keine Sozialrechtssache (RS0085474; zum Pflegegeld 10 ObS 180/01w = RS0115580).

5.2 Nach der bisherigen Rechtsprechung wird das Vorliegen einer Leistungsstreitigkeit iSd § 65 Abs 1 Z 1 ASGG verneint und eine der gerichtlichen Zuständigkeit entzogene Verwaltungssache angenommen, wenn eine mit Bescheid des Sozialversicherungsträgers dem Umfang und der Höhe nach unbestritten zuerkannte Leistung infolge einer Legalzession nicht zur Gänze an die versicherte Person ausgezahlt wurde (10 ObS 180/01w = RS0115580; 10 ObS 298/89 = SSV-NF 4/89 ua; RS0085474 [T2, T4]; VfGHB 454/10, KI-1/10). Eine Leistungsstreitigkeit wurde etwa auch dann verneint, wenn infolge einer Drittschuldnerexekution ein Teil der Leistung einbehalten wurde (10 ObS 5/92 = RS0085474 [T3]) oder – anstelle der als Regelfall vorgenommenen bargeldlosen Überweisung (vgl § 104 Abs 6 ASVG) – eine Zahlung mittels eines ins EU-Ausland zu übersendenden Schecks begehrt wurde (10 ObS 44/20y). Soweit ein Pensionsbezieher der Meinung ist, ihm sei ein rechtskräftig zuerkannter Pensionsanspruch nicht ordnungsgemäß ausgezahlt worden, ist daher weder ein Bescheid des Sozialversicherungsträgers zu erlassen noch das Arbeits- und Sozialgericht anrufbar. Es steht aber der Weg der Exekutionsführung offen, da Bescheide der Sozialversicherung Exekutionstitel nach § 1 Z 11 EO sind (RS0085474 [T5]). Zuzugestehen ist, dass im vorliegenden Fall aus dem Spruch des Bescheids die Höhe des Anspruchs des Klägers auf Rehabilitationsgeld nur durch Addition zu ermitteln ist und eindeutig nur aus dem Beginn der Bescheid306begründung hervorgeht. Auch wenn hier die Differenzierung zwischen Anspruchshöhe und Art der Auszahlung nicht ganz klar vorgenommen wurde, wird deshalb ein „Auszahlungsstreit“ nicht zum „Anspruchsstreit“, für den der Rechtsweg zulässig wäre.

6.1 Da sich die vorliegende Klage ausdrücklich auf die Überprüfung der Auszahlung des dem Grund und der Höhe nach unbestrittenen Rehabilitationsgeldes richtet, geht es nicht um die Gewährung oder Nichtgewährung der Versicherungsleistung, sodass kein Leistungsstreit vorliegt.

[…]“

Erläuterung

Dem Kl wurde von der PVA Rehabilitationsgeld zuerkannt, dieser Bescheid wurde der ÖGK übermittelt, die zur Berechnung und Auszahlung der Leistung zuständig ist. Soweit die eindeutige gesetzliche Regelung. Die Berechnung der Höhe des Rehabilitationsgeldes an sich wurde offenbar korrekt vorgenommen. Die Höhe der gesamten monatlichen Leistung ergibt sich aber nicht aus dem Spruch des Bescheides, sondern nur aus der Begründung; dort wird auch der Anspruchsübergang von 80 % der Leistung an den Bund gem § 324 Abs 4 ASVG angeordnet.

Der Kl begehrte die Auszahlung der vollen Leistung mittels Klage beim Sozialgericht. Alle drei Instanzen halten die Klage für nicht zulässig, weil nicht geltend gemacht wurde, dass die Leistung falsch berechnet wurde und daher nicht der Grund oder die Höhe der Leistung strittig war und somit keine Sozialrechtssache gem § 65 Abs 1 Z 1 ASGG vorliege, sondern nur ein Streit um die „Auszahlung“. Der Bescheid ist ein Exekutionstitel nach § 1 Z 11 EO.

Zum Thema, ob eine Leistungsstreitigkeit gem § 65 Abs 1 Z1 ASGG vorliegt, gibt es eine umfangreiche Rsp, die der OGH anführt. So wurde die Zulässigkeit des Rechtswegs beispielsweise im Fall verneint, in dem ein jugendlicher Pflegegeldbezieher im Internat des Bundes-Blindenerziehungsinstituts untergebracht ist und Teile des Pflegegeldes nach dem Wiener Behindertengesetz an die Stadt übergegangen sind (OGH 30.7.2001, 10 ObS 180/01w). Eine Klage war auch nicht zulässig zur Frage, ob eine zuerkannte Pension mit Banküberweisung oder per Scheck ins EU-Ausland zu überweisen ist (OGH 8.4.2020, 10 ObS 44/20y).

Die Besonderheit im vorliegenden Fall ist die Zuerkennung der Leistung durch die PVA und die Zuständigkeit für die Berechnung und Auszahlung durch die bekl ÖGK. Die Begründung zur Unterscheidung, warum kein „Anspruchsstreit“, sondern nur ein „Auszahlungsstreit“ vorliegt, durch den OGH ist sehr kurz geblieben. Unstrittig ist zwar die Berechnung der Höhe des Rehabilitationsgeldes. Allerdings wurde die Frage, ob bzw warum ein Anspruchsübergang an den Bund bei einer vorläufigen Anhaltung überhaupt stattzufinden hat, nicht nachvollziehbar beantwortet und die Frage, ob die Kostentragung des Rehabilitationsgeldes durch den Pensionsversicherungsträger gem § 143c Abs 1 ASVG von Bedeutung ist, gar nicht aufgeworfen.