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Arbeitsunfall aufgrund Missachtung von Schutzvorschriften – Haftung des AG

MARTINACHLESTIL

Die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt und Österreichische Gesundheitskasse begehren von der bekl AG Ersatz für die der versicherten AN aufgrund eines Arbeitsunfalls gewährten Leistungen. Nach § 334 Abs 1 ASVG hat der AG, wenn er den Arbeitsunfall oder die Berufskrankheit vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit verursacht hat, den Trägern der SV alle nach diesem Bundesgesetz zu gewährenden Leistungen zu ersetzen. Im Allgemeinen ist grobe Fahrlässigkeit anzunehmen, wenn eine außergewöhnliche und auffallende Vernachlässigung einer Sorgfaltspflicht (Pflicht zur Unfallverhütung) vorliegt und der Eintritt des Schadens als wahrscheinlich und nicht bloß als möglich vorhersehbar ist. Das entscheidende Kriterium für die Beurteilung des Fahrlässigkeitsgrades ist demnach nicht die Zahl der übertretenen Vorschriften, sondern die Schwere der Sorgfaltsverstöße und die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts.

Die Vorinstanzen haben der Bekl als grobes Verschulden zur Last gelegt, dass die Maschine, bei der die Versicherte zu Schaden kam, weder über eine Schutzabdeckung noch einen Not-Aus-Schalter verfügte und die Bekl keine gerätebezogene Risikoanalyse durchführte, um entsprechende technische Anpassungen vorzunehmen, dies, obwohl sie erkannt hatte, dass eine entsprechende Gefahr bestand und ein sicherer Zustand mit vertretbarem Aufwand zu realisieren gewesen wäre. Es sei daher ein Verstoß gegen § 3 Abs 2, § 4 Abs 1 Z 2, Abs 3 und Abs 4 sowie § 7 Z 5 ASchG und §§ 45 f AM-VO vorgelegen. Weiters habe die Bekl gegen die Verpflichtung verstoßen, die AN über die Gefahren für Sicherheit und Gesundheit zu informieren. Ihre Leitlinien zur Sicherheit seien allgemein gehalten und nicht geeignet gewesen, ein Hineingreifen in die Maschine bei laufendem Betrieb zu verhindern. Der Leiter der entsprechenden Abteilung, der für die Einschulung und Einhaltung der Sicherungsvorschriften zuständig gewesen sei, habe diese nicht gekannt und habe daher seinen Unterweisungs- und Überwachungspflichten nicht entsprechen können. Eine Überprüfung der Einhaltung von Sicherheitsvorschriften sei nicht erfolgt und keine organisatorischen Maßnahmen zur Gefahrverhinderung gesetzt worden.

Nach Ansicht der Bekl hätte ein Eigenverschulden der Versicherten ebenfalls berücksichtigt werden müssen, was dazu geführt hätte, dass ihr Verschulden nur als leicht fahrlässig zu beurteilen gewesen wäre.

Der OGH schloss sich der Rechtsansicht der Vorinstanzen an. Ergänzend führte er aus: Richtig ist, dass, auch wenn § 334 Abs 3 ASVG bestimmt, dass durch ein Mitverschulden des Versicherten die Haftung des AG gem § 334 Abs 1 ASVG weder aufgehoben noch gemindert wird, ein allfälliges Mitverschulden des Versicherten bei der Beurteilung, ob der Arbeitsunfall durch eine grobe Fahrlässigkeit des AG verursacht wurde, mitzuberücksichtigen ist. Diese Judikatur wurde von den Vorinstanzen aber ohnehin beachtet. Die dazu vertretene Rechtsauffassung, dass ein Eigenverschulden der Versicherten aufgrund der mangelhaften Unterweisung und dem Umstand, dass das Hineingreifen in die laufende Maschine zur Probenentnahme vom unmittelbar Vorgesetzten nicht nur geduldet, sondern sogar selbst praktiziert wurde, als nur gering anzusehen und nicht geeignet ist, das Verschulden der Bekl zu mindern, ist nicht zu beanstanden.

Auch aus dem Umstand, dass die eigentliche Verletzung dadurch entstand, dass eine zu Hilfe kommende Kollegin der Versicherten in einer Fehlreaktion die schon zum Stillstand gekommene Maschine neuerlich einschaltete, ist für die Bekl nichts zu gewinnen. Ein adäquater Kausalzusammenhang liegt auch dann vor, wenn eine weitere Ursache für den entstandenen Schaden dazu 16 getreten ist und nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge dieses Hinzutreten als wahrscheinlich zu erwarten ist, jedenfalls aber nicht außerhalb der menschlichen Erwartung liegt. Es kommt nur darauf an, ob nach den allgemeinen Kenntnissen und Erfahrungen das Hinzutreten der weiteren Ursache, wenn auch nicht gerade normal, so doch wenigstens nicht gerade außergewöhnlich ist.

Die AN-Schutzbestimmungen sind Schutzvorschriften iSd § 1311 ABGB zum Schutze des Lebens und der Gesundheit der AN bei ihrer beruflichen Tätigkeit. Durch sie sollen auch Gefahren, die durch eine nicht ordnungsgemäße Verwendung der Maschine entstehen, verhindert werden. Gerade mechanische Schutzvorrichtungen dienen auch dazu, eine Risikoverwirklichung bei menschlichem Fehlverhalten zu verhindern. Eine Fehlreaktion von Helfern in einer Notsituation ist entgegen der Ansicht der Bekl nicht außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung, sondern etwas, womit mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit gerechnet werden muss.

Im konkreten Fall hat gerade das Fehlen des Not- Aus-Schalters das irrtümliche Wiedereinschalten der Maschine durch die Kollegin der Versicherten erst ermöglicht. Wenn die Vorinstanzen daher davon ausgegangen sind, dass auch unter Berücksichtigung des Handelns der Kollegin der Schaden der versicherten AN durch das Fehlverhalten der Bekl adäquat verursacht wurde, hält sich diese Beurteilung im Rahmen des gesetzlich eingeräumten Ermessensspielraums. Dass durch die Vorschriften des AN-Schutzes gerade auch solche Unfallverläufe vermieden werden sollen, kann nicht zweifelhaft sein.

Die außerordentliche Revision der Bekl wurde mangels erheblicher Rechtsfrage zurückgewiesen.