49

Weiter Ermessensspielraum bei Pensionsanpassungsgesetz 2018 nicht überschritten

FLORIAN J.BURGER (WIEN)
  1. Dem nationalen Gesetzgeber kommt ein relativ weiter Entscheidungsspielraum zur Erreichung seiner sozialpolitischen Ziele zu, weshalb die Nicht- Valorisierung der Höchstpensionen zulässig ist.

  2. Unionsrechtlich ist (langfristig) die Gleichstellung von Männern und Frauen in Bezug auf die Pensionshöhe geboten. Bei immer gleicher relativ prozentmäßiger Anpassung und damit absolut stärkerer Erhöhung der Höchstpensionen würde die Kluft vergrößert werden und damit das wesentliche Ziel der Gleichstellung nicht erreicht werden.

  3. Das Unterbleiben der Pensionsanpassung für Höchstpensionen dient einem legitimen Ziel der Sozialpolitik und stellt daher keine Diskriminierung dar, die vom Gesetzgeber gewählten Mittel sind geeignet und erforderlich.

Die – nach Freistellung der Revisionsbeantwortung – von der Bekl beantwortete Revision ist aber nicht berechtigt.

1. Nach § 50 Abs 1 GSVG sind alle Pensionen aus der PV, für die der Stichtag vor dem 1.1. dieses Jahres liegt, mit dem Anpassungsfaktor (§ 47) zu vervielfachen. Dieser beträgt für das Jahr 2018 unstrittig 1,6 %.

2. § 369 GSVG idF BGBl I 2017/151BGBl I 2017/151 („Pensionsanpassung 2018“) sieht vor, dass abweichend von § 50 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 GSVG die Pensionserhöhung für das Kalenderjahr 2018 nicht mit dem Anpassungsfaktor, sondern wie folgt vorzunehmen ist:

Das Gesamtpensionseinkommen ist zu erhöhen

  1. wenn es nicht mehr als 1.500 € monatlich beträgt, um 2,2 %;

  2. wenn es über 1.500 bis zu 2.000 € monatlich beträgt, um 33 €;

  3. wenn es über 2.000 bis zu 3.355 € monatlich beträgt, um 1,6 %;

  4. wenn es über 3.355 € bis zu monatlich 4.980 € monatlich beträgt, um einen Prozentsatz, der zwischen den genannten Werten von 1,6 % auf 0 % linear absinkt.

Beträgt das Gesamtpensionseinkommen mehr als 4.980 € monatlich, so findet keine Erhöhung statt. „(2) Das Gesamtpensionseinkommen einer Person ist die Summe aller ihrer Pensionen aus der gesetzlichen Pensionsversicherung ... Als Teil des Gesamtpensionseinkommens gelten auch alle Leistungen, die vom Sonderpensionenbegrenzungsgesetz, BGBl I Nr 46/2014, erfasst sind, wenn die pensionsbeziehende Person am 31. Dezember 2017 darauf Anspruch hat.“

§ 369 GSVG ist im Wesentlichen inhaltsgleich mit § 711 ASVG.

3. Der VfGH hat [...] E 106/2019 11 [...] die Behandlung einer zu § 41 Abs 4 PG 1965 iVm § 711 Abs 1 ASVG idF des PAG 2018 erhobenen Beschwerde mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg abgelehnt. Der VfGH verwies auf den weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers und hielt im Hinblick auf das Argument einer mittelbaren Diskriminierung von Männern mit hohem Pensionseinkommen fest, dass das Unionsrecht – mit Ausnahme der Grundrechte-Charta der Europäischen Union – keinen Maßstab für die Normenkontrolle durch den VfGH darstelle.

4. Auf den behaupteten Verstoß gegen das Unionsrecht ist im Rahmen des vorliegenden Verfahrens einzugehen:

4.1 Das System der jährlichen Pensionsanpassung nach österreichischem Recht fällt in den Geltungsbereich der RL 79/7/EWG des Rates vom 19.12.1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit („RL“). Diese RL ist nach Art 3 Abs 1 lit a auf gesetzliche Systeme anwendbar, die Schutz gegen das Risiko des Alters bieten, aber auch auf das in Österreich geltende System der jährlichen Pensionsanpassung, weshalb die diesbezüglichen Regelungen unter das Diskriminierungsverbot aufgrund des Geschlechts des Art 4 Abs 1 der RL fallen (EuGH 20.10.2011, C-123/10, Brachner, Rz 53).

4.2 Nicht in Frage steht, dass durch § 369 GSVG keine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts gegeben ist, weil der Gesetzgeber nicht danach unterscheidet, ob die Pension einem Mann oder einer Frau gebührt.

4.3 Die Parteien legen ihren Ausführungen übereinstimmend zugrunde, dass § 369 Abs 1 GSVG aber zu einer mittelbaren Diskriminierung des Kl (wegen seines Geschlechts als Mann) führen kann, weil diese Regelung zwar neutral formuliert ist, tatsächlich aber in einem wesentlich höheren Prozentsatz die Angehörigen eines Geschlechts – die Männer – benachteiligt. Die Frage, ob sich Männer als Angehörige der dominanten Mehrheit bzw der in besserer Position befindlichen Gruppe überhaupt auf mittelbare Benachteiligung berufen können, wenn sie durch Maßnahmen bzw Regelungen betroffen sind, die sich zu ihren Lasten auswirken (dies verneinend BVwGZ W 178 2205461-1/4E), wird hingegen von den Parteien nicht angesprochen, sodass darauf nicht einzugehen war.

5. Mögliche Rechtfertigung

5.1 Nach der Rsp des EuGH kann der Mitgliedstaat bei mittelbar diskriminierend wirkenden Vorschriften 551 darlegen, dass die von ihm geschaffene Vorschrift einem legitimen Ziel seiner Sozialpolitik dient, dass dieses Ziel nichts mit einer Diskriminierung zu tun hat und dass er vernünftigerweise annehmen durfte, dass die gewählten Mittel zur Verwirklichung dieses Ziels geeignet und erforderlich sind (EuGH 20.10.2011, C-123/10, Brachner, Rz 70 mwN).

5.2 Die Prüfung der Rechtfertigungsgründe ist von den nationalen Gerichten vorzunehmen, die für die Beurteilung des Sachverhalts und der Auslegung des innerstaatlichen Rechts allein zuständig sind.

5.3 Zu den von der Bekl im vorliegenden Fall geltend gemachten Rechtfertigungsgründen ist auszuführen:

5.4 Während vor dem PensionsharmonisierungsG BGBl I 2004/142BGBl I 2004/142die Anpassung der Pensionen zum Erhalt deren inneren Werts die (zu erwartende) Lohnentwicklung widerspiegelte, soll die Pensionsanpassung nunmehr lediglich die Kaufkraft der Pensionen im Hinblick auf die Entwicklung der Verbraucherpreise erhalten, um Kaufkraftverluste der Pensionisten zu verhindern. Der zuständige Bundesminister hat durch Verordnung den Anpassungsfaktor so festzusetzen, dass seine Auswirkungen die Pensionen in dem Ausmaß erhöhen, dass dadurch die durchschnittliche Veränderung der Verbraucherpreise in den letzten 12 Kalendermonaten vor dem Juli des der Anpassung vorangegangenen Jahres ausgeglichen wird. Dieses System wurde in den letzten Jahren durch jeweils befristete Regelungen durchbrochen und für höhere Pensionen nur mehr ein Teil des Kaufkraftverlusts ausgeglichen; für die Jahre 2012 und 2014 wurde der Anpassungsfaktor generell vermindert [...].

5.5 Auch nach der Absicht des Gesetzgebers der Pensionsanpassung 2018 sollte für dieses Jahr eine nach dem Gesamtpensionseinkommen abgestufte Pensionserhöhung vorgenommen werden, die eine soziale Komponente in sich trägt (ErläutRV 1767 BlgNR 25. GP 1). Es sollte das Ziel der Kaufkrafterhaltung und auch der Kaufkraftstärkung von Pensionist/ inn/en erreicht werden. In den Gesetzesmaterialien wird dazu ausgeführt, dass bei Menschen mit niedrigem Einkommen und Pensionen die alltäglichen Kosten (beispielsweise für Leben und Wohnen) im Vordergrund stehen und diese Kosten in den letzten Monaten stärker gestiegen seien. Gerade kleine und mittlere Pensionen seien von den überdurchschnittlich steigenden Lebensmitteloder Lebenshaltungskosten ieS betroffen; dies solle berücksichtigt und ausgeglichen werden (Vorblatt und Wirkungsorientierte Folgenabschätzung 1767 BlgNR 25. GP 1).

5.6 Dass die Ziele des Kaufkrafterhalts bzw der Kaufkraftstärkung von Beziehern kleiner Pensionen als sachlich und legitim zu qualifizieren sind, wird auch vom Revisionswerber nicht angezweifelt, ebenso wenig, dass die dieses Ziel umsetzenden Vorschriften den – dem nationalen Sozialgesetzgeber offen stehenden – weiten Spielraum nicht überschreiten und auf den ersten Blick nichts mit einer Diskriminierung nach dem Geschlecht zu tun haben. Der Revisionswerber erachtet es aber zur Erreichung dieses Ziels als nicht erforderlich, dass „im Gegenzug“ über der monatlichen ASVG-Höchstbeitragsgrundlage 2017 liegende Ruhe- und Versorgungsgenüsse nicht im Ausmaß der Inflationsrate erhöht werden, wodurch deren Kaufkraft sinkt.

5.7 Der damalige Sozialminister hat sich in einer parlamentarischen Anfragebeantwortung darauf berufen, dass es keinen verfassungsrechtlichen Grundsatz der gleichmäßigen Anpassung aller Pensionen gebe und in der SV auch bei Pensionsanpassungen immer die Beachtung sozialer Aspekte zu Tage trete. Diese Aspekte könnten sowohl zu überproportionalen Erhöhungen niedriger Pensionen wie zu keinen Anpassungen bei hohen Pensionen führen (13312/AB BlgNR 25. GP).

5.8 In diese Richtung geht auch das von der Bekl im vorliegenden Verfahren vorgetragene Rechtfertigungsargument, der Gesetzgeber habe bei seiner politischen Entscheidung ab einem Einkommen über der Höchstbeitragsgrundlage keinen Stützungsbedarf mehr gesehen, sodass eine Pensionsanpassung für 4.980 € monatlich übersteigende Pensionen unterbleiben habe können.

5.9. Bei der Beurteilung, ob diese aus sozialen Aspekten vorgenommene Differenzierung nach verschiedenen Gruppen von Pensionsbeziehern unsachlich ist, ist vor allem zu berücksichtigen, dass die Mitgliedstaaten bei der Wahl geeigneter Maßnahmen zur Verwirklichung ihrer sozial- und beschäftigungspolitischen Ziele über einen weiten Entscheidungsspielraum verfügen. Dieser Entscheidungsspielraum ist nur dadurch begrenzt, dass tragende Grundsätze des Unionsrechts nicht ausgehöhlt werden dürfen (EuGH 9.2.1999, C-167/97, Seymour-Smith und Perez, Slg 1999, I-666, Rz 74, 76; EuGH 20.10.2011, C-123/10, Brachner, Rz 74, 75).

5.10 Insb vor dem Hintergrund des relativ weiten Entscheidungsspielraums des Gesetzgebers zur Erreichung seiner sozialpolitischen Ziele ist die sachliche Rechtfertigung der gesetzgeberischen Maßnahme zu bejahen. Würde man der Rechtsansicht des Kl folgen, würde sich die Kluft des Pensionseinkommens zwischen Männern und Frauen langfristig nicht verringern, sondern vergrößern und damit die mittelbare Diskriminierung fortgeschrieben werden. Die Gleichstellung von Männern und Frauen in Bezug auf das Entgelt und auch die Pensionen als ein langfristiges und wesentliches Ziel des Unionsrechts wäre nicht erreicht.

5.11 Dient das Unterbleiben der Pensionsanpassung für 2018 für 4.980 € übersteigende Pensionen einem legitimen Ziel der Sozialpolitik des nationalen Gesetzgebers, hat dieses Ziel nichts mit einer Diskriminierung zu tun. Der Gesetzgeber durfte vernünftigerweise annehmen, dass die gewählten Mittel zur Verwirklichung dieses Ziels geeignet und erforderlich sind. Die behauptete Unionsrechtswidrigkeit ist daher nicht zu erkennen.

[...]

ANMERKUNG
1.
Legistisches Neuland

Mit dieser grundlegenden E ordnet der OGH die Wirkweise von EU-Richtlinien und Unionszielen im 552 Zusammenhang mit Pensionsanpassungen auf den gender pension gap ein.

Entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts, das eine ordentliche Revision für nicht zulässig erklärte, befasste sich der OGH mit der Rechtsfrage, ob die Nicht-Valorisierung von Höchstpensionen daher ab einem Gesamtpensionseinkommen ab der damaligen Höchstbeitragsgrundlage von € 4.980,– rechtmäßig ist. Das Verfahren führte ein Selbstständiger, weshalb die GSVG-Bestimmungen abgedruckt sind. Für den Beitrag soll jedoch das führende Gesetz, das ASVG, herangezogen werden.

Damit hat der Gesetzgeber erstmals über die Systemgrenzen hinweg Leistungen der Alterssicherung zusammengefasst und den Begriff „Gesamtpensionseinkommen“ in § 711 Abs 2 ASVG eingeführt. So konnten neben den Ruhe- und Versorgungsgenüssen des öffentlichen Dienstes auch die Leistungen aus Nationalbank, Alt-Sozialversicherung, Alt-Kammern ua vom Sonderpensionenbegrenzungsgesetz umfassten Institutionen einbezogen werden. Dies stellte wohl gerade in Bezug auf Pensionen aus dem GSVG, deren BezieherInnen mitunter beispielsweise aus dem PG 1965 „Beamtenpensionen“ erhielten, ein wichtiges Korrektiv dar, um Überversorgungen hintanzuhalten. Als (fiktives) Beispiel sei hier der Sektionschef in Ruhe mit einer Leistung von € 6.500,– genannt, der infolge Publikationstätigkeit eine geringe GSVG-Pension von € 500,– erhält. Damit läge dem Wortlaut des Gesetzes zufolge ein Gesamtpensionseinkommen von € 7.000,– vor.

Zudem scheint der Gesetzgeber – beachtet man die Abstufung in § 711 Abs 1 Z 1 bis 4 ASVG – die „ASVG-Höchstpension“ in Z 4 erfasst haben zu wollen. Denn erst bei einem Gesamtpensionseinkommen über € 3.335,– wurde die Anpassung schrittweise bis zu € 4.980,– vom Kaufkraftverlust von damals 1,6 % auf Null abgesenkt. Auch hier scheint wohl ein Filterkriterium eingezogen worden zu sein, das sich eng am Versicherungsprinzip orientiert. Denn wiewohl es nach der Pensionsberechnung nach dem APG keine Höchstpension mehr gibt (Wegfall des 80 %-Deckels der Rechtslage 2003), sind durch die bloße Existenz der Höchstbeitragsgrundlage auch im gegenwärtigen Dauerrecht der Pensionshöhe Grenzen gesetzt (besondere Höherversicherung wird in eigenem Rechenkreis bewertet). Dies gilt, ceteris paribus, auch für jüngere BeamtInnen.

Damit wurde also – wie auch vom Kl aufgeworfen – an mehreren Stellen legistisches Neuland betreten, das der OGH zu bewerten hatte.

2.
Daten aus der empirischen Sozialforschung

Auch beim Pensionsneuzugang 2019 innerhalb der gesetzlichen SV gibt es immer noch erhebliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Bei diesen Auswertungen ist jedoch das Einkommen aus sonstigen Versorgungssystem nicht einbezogen, weil (noch immer) kein publizierter Datensatz dazu vorliegt.

So haben die 35.469 Männer im Mittel eine Alterspension (ohne Ausgleichszulagenbezug) von € 1.924,–, die 48.291 Frauen eine von € 1.205,– (Pensionsstatistik der SV, eigene Auswertung sowie 2717/AB 27. GP). Die Leistung der Männer beträgt also rund 160 % jener der Frauen. Dies erstaunt vor dem Hintergrund der jedenfalls seit den 1990ern laufenden Bemühungen zur Schließung des gender pay gaps. Würden die höhere Beitragsgrundlage von Kindererziehungszeiten (§ 8 Abs 1 Z 2 lit g ASVG) und der Umstellungsalgorithmus auf das Pensionskonto (Kontoerstgutschrift § 15 APG) nicht wirken, wäre das Bild wohl noch deutlich nachteiliger für Frauen.

Natürlich wirkt auch das noch bis 2024 festgeschriebene unterschiedliche Antrittsalter von Männern und Frauen. Wo beim Neuzugang 2019 Männer im Mittel rund 496 Versicherungsmonate aufweisen, haben Frauen im Mittel 432 Monate – und damit rund 5,3 Jahre weniger als Männer (was der Differenz im Antrittsalter von Männern 65 Jahre, Frauen 60 Jahre bei der Regelalterspension entspricht). Unabhängig davon haben im Schnitt Männer in ihren Versicherungskarrieren rund 2,3 Jahre Nicht-Erwerbszeiten, bei den Frauen sind das 5,6 Jahre. Dies erhärtet, dass die Regelungen zu Beitragsgrundlagen bei Teilpflichtversicherungszeiten Frauen stärker betreffen.

Auch zum Gesichtspunkt der Altersarmut ist klar eine stärkere Betroffenheit von Frauen festzustellen. Von den 83.760 neuen AlterspensionistInnen bezogen 757 eine Ausgleichszulage. 63 % davon waren Frauen (wohingegen beim Neuzugang 57,6 % Frauen festzustellen sind).

Zieht man diese Daten aus der empirischen Sozialforschung für die Einordnung des Gesetzes heran, so versteht man, was der OGH mit sozialpolitischem Gestaltungsspielraum gemeint haben könnte. Wenn man den (ohnehin schon bezüglich der Leistungshöhe näher zusammenliegenden) Pensionsneuzugang der Frauen elf Jahre lang mit 5 % anpasste und die Leistung der Männer konstant hielte, würden die Frauen hinsichtlich der Leis tungshöhe aufgeholt haben (fiktives Beispiel). Selbst wenn also bei einer Höheranpassung der „kleinen“ Pensionen von 0,6 % über der Inflation (2,2 % statt 1,6 %) mehr Frauen als Männer profitieren, so würde es damit Jahrzehnte andauern, den Unterschied auszugleichen.

3.
Rechtliche Einordnung

Der OGH nahm bereits in seiner E vom 16.12.2014, 10 ObS 44/14i, eine Einordnung im Zusammenhang mit der Grundrechtecharta und dem BVG-(Bundesverfassungsgesetz-)Altersgrenzen vor. Das Höchstgericht erklärte zutreffend die Rsp des EuGH (ua Rs Kleist, C-356/09 vom 18.11.2010) für anwendbar, wonach zwar die RL 79/7/EWG zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit umzusetzen sei, jedoch eine Ausnahmebestimmung Ungleichbehandlung während einer Übergangszeit ermögliche, wenn diese legitimen Zielen der Sozialpolitik 553 diene. Damals wurde auch festgestellt, dass im Jahr 2020 „(erst) in 21 Mitgliedstaaten [das Pensionsantrittsalter] angeglichen sein wird“ (vgl dazu OGH10 ObS 44/14iDRdA 2015/52).

Freilich ist das Pensionssystem einerseits vom Vertrauensschutz geprägt (vgl Pfeil, Vertrauensschutz im Sozialrecht, DRdA 2015, 420; R. Müller in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm Vor §§ 108-108l ASVG Rz 1), andererseits als System aufgebaut, das sich grundsätzlich am Versicherungsprinzip orientiert (vgl Panhölzl in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm § 236 ASVG Rz 13) und damit eben grundsätzlich von den einbezahlten Beiträgen abhängig. Wenn also – wie oben nachgewiesen – die Pensionen weiblicher Versicherter trotz sozialpolitischer Ausgleichsmechanismen in Form von Teilpflichtversicherungszeiten, wie Kindererziehungszeiten, deutlich hinter jener der Männer zurückbleiben, so wurzelt dies unzweifelhaft im gender pay gap.

Noch 2017 lag der gender pay gap bei 37,3 % und hat sich im Vergleich zu 1997 (also 20 Jahre!) um bloß 1 %-Punkt verbessert. Die Erklärungsansätze dafür sind vielfältig, auf S. Gahleitner wird verwiesen (Gahleitner, 40 Jahre Gleichbehandlungsgesetz – Europäische Impulse bei der Gleichstellung der Geschlechter [FN 1], DRdA 2019, 391).

Zu hinterfragen ist nun, ob die gravierende Verzerrung in der Erwerbskarriere, die auf die Pensionsberechnung qua Versicherungsprinzip trotz mildernder Elemente ausstrahlt, die Pensionsberechnung per se (auf Sicht) EU-rechtswidrig macht (denn irgendwann wird der Ausnahmetatbestand der RL 79/7/EWG nicht mehr anwendbar sein), oder ob die Rechtsordnung insgesamt darauf angelegt ist, diese Unterschiede auszugleichen (beispielsweise auch durch ein entsprechendes Unterhaltsrecht). Wiederum mit Verweis auf Gahleitner erscheint durch den einfachen Gesetzgeber eine Vielzahl von Lösungen denkbar, zuvorderst einen angemessenen Korrekturfaktor für die durch Teilzeit verminderten Beitragsgrundlagen von Frauen. Schwerer werden Faktoren, wie unterschiedliche Einkommen bei gleicher Leistung oder Übergehungen bei Beförderungen, abbildbar sein.

All diese Erwägungen zeigen aber: Die Maßnahmen wären zuvorderst im Recht der Aktiven zu setzen. Nichtsdestotrotz brauchen Maßnahmen, bis sie vollen Durchschlag auch in der Alterssicherung finden, bis zu 30 Jahre und länger. Daher ist es zwar umgehend geboten, den gender pay gap zu schließen (und soll nicht weiter Gegenstand dieses Beitrags sein). Bis im Recht der Aktiven jedoch die Lücke geschlossen ist, wären gegengleich Ausgleichsmaßnahmen für die Pensionsbemessung einzufordern. Das kann von einem Korrekturfaktor bei Teilzeit (insb in Branchen, wo kaum Vollzeitstellen bestehen, wie dem Lebensmitteleinzelhandel) bis zu einer kompletten Abkehr vom Versicherungsprinzip hin zu einem Umbau zu einer Grundpensionslösung nach nordischem Vorbild reichen. Dem Gesetzgeber kommt hier ein entsprechender Gestaltungsspielraum zu.

Landläufig herrscht die Meinung vor, dass das Ausmaß der geleisteten Wochenstunden für die Pensionshöhe ausschlaggebend sei. Richtig ist vielmehr, dass jedes Einkommen über der Geringfügigkeitsgrenze eine Vollversicherung begründet. Das ASVG ist demnach blind gegenüber der Frage, in wie vielen Stunden welches Entgelt erzielt wird. Dieser Ansatz ist im Rahmen der Sachleistungsversorgung in der KV (zB ärztliche Hilfe), aber auch PV (zB Rehabilitation für Aktive) zu begrüßen, weil die Beitragshöhe nicht am individuellen Risiko anknüpft. Dort, wo Geldleistungen (zB eine Pension) zustehen, ist dieser Ansatz gerade nicht gewählt (das wäre bei einer Grundpension der Fall). Elemente des sozialen Ausgleichs, wie die Ausgleichszulage, stellen eine elementare Existenzsicherung dar. Die nahezu ausschließliche Anknüpfung an den Faktor Arbeit führt jedoch regelmäßig dazu, dass informelle Arbeit am Pensionskonto gar nicht bewertet wird, im Falle einer Trennung zu Unterhaltsansprüchen führen kann. Im Rahmen dieses Beitrags können die Fragen nach einer (nötigen) Neuausrichtung des Alterssicherungsrechts nicht weiter vertieft werden, doch die Bruchstellen zu Lasten der Versicherten sind seit Jahren bekannt: Nun ist es alleine schon aus europarechtlichen Gesichtspunkten an der Politik, endlich Lösungen zu präsentieren. 554