MittelbachDie versicherungsrechtliche Absicherung des Blut- und Organspenders

Duncker & Humblot Verlag, Berlin 2019, 239 Seiten, € 74,90

RUDOLFMÜLLER (WIEN/SALZBURG)

Viktoria Mittelbach dissertierte mit dieser interessanten und gut lesbaren Arbeit an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Nicht selten sind es in Deutschland die obersten Gerichte, die in Ermangelung normativer Rechtsgrundlagen neuen Entwicklungen mit einer kreativen, das Recht fortentwickelnden Rsp begegnen: so auch im Falle der Blut- und Organspenden. Während der Schutz für Blutspender (vom Zeitpunkt her keineswegs zufällig) bereits 1942 in der gesetzlichen UV verankert wurde, hat das Bundessozialgericht 1972 entschieden, dass Aufwendungen für die ambulante oder stationäre Behandlung eines Organspenders von der Krankenkasse des Empfängers der Spende als Teil von dessen Krankenbehandlung zu tragen sind.

In Österreich hatte ab 1.1.1973 § 120 Abs 2 ASVG idF der 29. Novelle zum ASVG vorgesehen, dass es einer Krankheit iSd § 120 Abs 1 Z 1 ASVG gleichzuhalten ist, wenn ein Versicherter (Angehöriger) in nicht auf Gewinn gerichteter Absicht einen Teil seines Körpers zur Übertragung in den Körper eines anderen Menschen spendet. Der Versicherungsfall der Krankheit galt mit dem Zeitpunkt als eingetreten, in dem die erste ärztliche Maßnahme gesetzt wurde, die der späteren Entnahme des Körperteiles voranzugehen hatte. Das Gesetz räumte somit dem Organspender einen Leistungsanspruch gegenüber seiner eigenen KV ein. Das führte zu Begründungsproblemen in einem Fall, in dem es in Vorbereitung einer Knochenmarktransplantation für einen in Österreich lebenden Versicherten um eine Untersuchung seiner in Ägypten lebenden Geschwister auf Tauglichkeit zur Knochenmarkspende ging. Hier folgte der OGH (im Gegensatz zu den klagsabweisenden Vorinstanzen) ausdrücklich dem Begründungsweg des dt. BSG, nämlich dass die Übertragung von körpereigenem Gewebe auf einen Dritten im allgemeinen ein Teil der Krankenhilfe für den Organempfänger sei, in dessen Interesse die Organspende ausschließlich vorgenommen werde; diese stelle daher einen Teil der Maßnahmen zur Wiederherstellung seiner Gesundheit oder zur Besserung seines Zustandes dar (OGH10 ObS 70/97k SZ 70/233 = SSV-NF 11/132 =

[Mosler]). Mit dem 3. SRÄG 2009 wurde in § 120a ASVG (und in den Parallelbestimmungen im GSVG, BSVG und B-KUVG) schließlich eine – dem Judikat des OGH in der Sache folgende – Neuregelung getroffen, um grenzüberschreitende Transplantationen zu erleichtern (ErläutRV 197 BlgNR 24. GP 5 f): Diesfalls hat subsidiär der Träger der KV des Empfängers die beim Spender entstehenden Kosten zu übernehmen. Mit der Novelle BGBl I 2012/107BGBl I 2012/107 wurde schließlich auch der Versicherungsschutz in der UV auf Organspenden nach dem OrgantransplantationsG (OTPG), BGBl I 2012/108BGBl I 2012/108, erweitert.

Über die Entgeltfortzahlung bei Organspende wurde hierzulande keine ausdrückliche Regelung getroffen; die Meinungen darüber sind dementsprechend geteilt (vgl einen Anspruch bejahend Dusak, Hat der Organspender einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung? RdW 1988, 48; nicht grundsätzlich ablehnend, aber differenzierend Risak, Dienstverhinderung aufgrund psychischer und physischer Krankheiten, ZAS 2012, 118 [124 f]).

Deutschland war legistisch später dran: Erst 40 Jahre nach dem Erkenntnis des BSG aus 1972 traten im Zusammenhang mit dem dt. Transplantationsgesetz 2012 (in Umsetzung der RL 2010/53/EU – vgl in Österreich das OTPG, BGBl I 2012/108BGBl I 2012/108) Gesetzesänderungen im SGB in Kraft, die einen eigenen Anspruch des Spenders auf Krankenbehandlung gegen die Krankenkasse des (versicherten) Spendenempfängers sowie Regelungen über den Ausgleich des Verdienstausfalls des Spenders von Organen, Geweben oder Blut zur Separation von Blutstammzellen oder anderen Blutbestandteilen vorsehen. Zugleich wurde in der UV ein eigener Versicherungsfall für die versicherten Blut- und Organspender eingeführt (§ 12a SGB VII); in der UV versichert sind – ganz wie nach österreichischem 605 Recht – der Sache nach Komplikationen, die über die regelmäßig bei derartigen Vorgängen entstehenden Beeinträchtigungen hinausgehen.

Die anzuzeigende Arbeit von Mittelbach gliedert sich in zwei große Teile: sie behandelt als erstes die Absicherung des Organspenders in der gesetzlichen KV des Empfängers, einschließlich der medizinischen Rehabilitationsleistungen und all dies selbstverständlich unabhängig vom Erfolg der Maßnahme (S 41). Interessant für den österreichischen Leser ist vielleicht der Hinweis darauf, dass im deutschen System dem Spender freiwillige Mehrleistungen aus der Satzung der Empfängerkasse nicht gebühren (S 33) und dass das Reichsversicherungsamt im Jahre 1942 die gesetzliche UV sogar zur Leistung von Schmerzengeld verpflichtete, eine Leistung, die sich freilich in der Neuregelung nicht mehr findet. Die im Verhältnis zum eher knappen österreichischen Gesetzeswortlaut etwas detailverliebtere deutsche Regelung verursacht – wie von der Autorin auf S 51 ff gezeigt wird – Auslegungsschwierigkeiten, weil nicht regelmäßig auftretende Komplikationen unter den Schutz der UV fallen, gleichzeitig aber die Krankenkasse für „Folgeerkrankungen“ zuständig sein soll, für die die Autorin aber mit Recht keinen Anwendungsbereich sieht.

Sowohl die deutsche als auch die österreichische Regelung knüpfen an Maßnahmen iSd jeweiligen Transplantationsgesetzes an; dies gibt der Autorin Gelegenheit, sich dogmatisch auch mit diesen Verweisungen zu beschäftigen. Das Urteil der Autorin über die Regelung in der KV (§ 27 SBG V) fällt insofern kritisch aus, als die Norm zahlreiche Auslegungsprobleme aufwirft und damit ihrer Meinung nach der Rechtssicherheit abträglich ist (S 67 f). Eine ausführliche Erörterung der Bestimmungen über den Ausgleich des Verdienstausfalls in § 3a EFZG und § 44a SBG runden dieses Kapitel ebenso ab, wie die abschließende Erörterung der Absicherung des Spenders auch in der privaten KV des Empfängers, die auf einer Selbstverpflichtung des Verbands der Privaten KV vom 9.2.2012 beruht (S 115).

Das zweite Kapitel behandelt die Absicherung des Blut- und Organspenders in der UV, wobei – nicht anders als nach § 176 ASVG – die Spende eine eigene Versicherung des Spenders auslöst, vorausgesetzt, dass die Transplantationsvorschriften eingehalten werden. Das ist für die Autorin mit Recht zweifelhaft bei Verstößen, die der Spender weder kannte noch kennen musste, weil sich die nicht eingehaltene Norm an Dritte richtet. Beim Organhandel hört sich der Schutz jedenfalls auf (S 155). Interessant (und begründet) sind die Überlegungen der Autorin zur Frage, inwieweit das Sozialversicherungsrecht überhaupt zum Zwecke der Sanktionierung von Verstößen gegen andere Gesetze instrumentalisiert werden sollte (S 158). Insgesamt dürfte die deutsche Unfallversicherungsregelung aber zufriedenstellende Ergebnisse zeitigen (S 220). Eine zusammenfassende Bewertung schließt das Werk ab, welches durch einen Literaturnachweis und ein Stichwortverzeichnis abgerundet wird. In Österreich dürfte das Problem der Sanktionierung nicht existieren, weil sich das Gesetz darauf beschränkt, eine „Organspende nach dem OTPG“ zu versichern.

Aufgrund einer sehr ähnlichen Rechtslage in Österreich und Deutschland wird der Teil über die UV mit größerem Gewinn gelesen werden als jener über die KV. Für Interessierte, deren Blick gerne nicht nur am eigenen Tellerrand verweilt, bringt aber auch der Teil über die KV interessante Einblicke in legistische Alternativen und ihre Vor- und Nachteile in der Praxis. Insgesamt für am Sozialversicherungsrecht oder Medizinrecht Interessierte eine anregende und empfehlenswerte Lektüre.