Dimmel/Immervoll/Schandl (Hrsg)Sinnvoll tätig sein – Wirkungen eines Grundeinkommens

Verlag des ÖGB, Wien 2019 212 Seiten, kartoniert, € 29,90

MICHAELERTL (WIEN)

Die Beschäftigten von Heidenreichstein

„Kennen Sie eigentlich das Gefühl, nichts wert zu sein, wenn man keine Arbeit hat? Besonders bei uns am Land bekommt man schnell den Stempel ‚arbeitsscheu, Sozialschmarotzer‘ aufgedrückt.“ Diese (und mehr) Worte richtet eine Langzeitarbeitslose nach dem Ablauf eines spannenden Projekts in einem Brief an die damalige Bundesregierung.

Sie gehört zu den vielen AutorInnen des Buches, die deutlich machen, was im Zentrum der Bemühungen um (Langzeit-)Arbeitslose stehen sollte: nämlich der Mensch selbst, der sich entgegen aller oftmals geschürter Zuschreibungen in die Gesellschaft einbringen will und um Anerkennung ringt. Dieser offene Brief ist Teil des Sammelbandes, der aus sehr unterschiedlichen Textarten besteht, angefangen von berührenden Erfahrungsberichten der TeilnehmerInnen bis zu wissenschaftlichen Auseinandersetzungen rund um das bedingungslose Grundeinkommen. Diese Vielfalt vermittelt die Lebensrealität Betroffener und zeigt die großen Erfolge, die trotz geringer finanzieller Unterstützung und beeindruckendem persönlichen Engagement möglich sind.

Neben Zahlen und Fakten zu Armut, die man beim Lesen beiläufig erfährt, wird man unweigerlich mit dem Für und Wider des bedingungslosen Grundeinkommens konfrontiert: Im Zentrum steht hierbei das Phänomen der Langzeitarbeitslosigkeit. Das Buch zeigt, dass Anerkennung das wichtigste Element im Umgang mit Menschen ist, zusammen mit der Erkenntnis, dass Arbeitslosigkeit kein individuelles, sondern ein gesellschaftliches Problem ist.

Gleichzeitig gibt es jedoch auch Alternativen zu einem bedingungslosen Grundeinkommen, die auf den knapp 200 Seiten etwas zu kurz kommen. Diese können oftmals deutlich einfacher umgesetzt werden. So kann etwa ein gut ausgebauter Sozialstaat die angesprochenen existenziellen Sorgen durch hohe Ersatzraten und eine lange Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes nehmen. Langzeitarbeitslose könnten durch individuelle berufliche und psychologische Beratung verstärkt unterstützt werden, sodass diese wieder Mut für neue sinnstiftende Tätigkeiten fassen können.

Über das Projekt „Sinnvoll tätig sein“

Die Kleinstadt Heidenreichstein im nördlichen Waldviertel, die einst ein Mittelpunkt der Textilindustrie war, leidet seit den 1970er-Jahren stark unter den Folgen der Globalisierung. Seitdem steht die Stadt für hohe strukturelle Arbeitslosigkeit, Abwanderung und Überalterung.

Ein Verein zur Förderung der ArbeiterInnen (Betriebsseelsorge Oberes Waldviertel) war die treibende Kraft hinter dem Projekt „Sinnvoll tätig sein“, das im Frühjahr 2017 begann und insgesamt 20 Monate dauern sollte. Dank der Unterstützung des Arbeitsmarktservice (AMS) Niederösterreich gelang es, 44 Langzeitarbeitslosen (etwa 1 % der Bevölkerung und knapp ein Drittel aller Langzeitarbeitslosen) ein „Grundeinkommen“ in Form ihrer bisherigen AMS-Geldleistung zu finanzieren.

In den knapp zwei Jahren blieb den TeilnehmerInnen nicht nur der Gang zum AMS, damit verbundene Verunsicherungen und die Angst vor dem Ausfall der sozialen Absicherung erspart. Stattdessen konnten sie sich in aller Ruhe die Frage stellen „Was möchte ich von Herzen gerne tun?“. Dabei wurden sie aber nicht alleine gelassen, sondern durch Einzel- und Gruppenbetreuungen sowie durch kostenlose Gesundheits- und Bildungsseminare begleitet. Zudem hatten sie die Möglichkeit, sich gemeinnützig zu engagieren. Das wichtigste all dieser Bemühungen: sie stellten den Mensch mit seinen Bedürfnissen, Wünschen und Sorgen in den Mittelpunkt, ohne Drangsalieren, ohne Drohungen. Die Aussage einer Teilnehmerin fasst es zusammen: „Ich bekomme Lob für meine Arbeit, ich gehöre dazu“ (S 31).

Soziale Absicherung muss gewährleistet werden

Mit dem Untertitel des Buches „Wirkungen eines Grundeinkommens“ wird zudem ein Thema angesprochen, das in den letzten Jahren wieder vermehrt diskutiert wird. Einige Kapitel setzen sich ausführlich damit auseinander und zeigen vor allem auf, dass es in der Diskussion unter anderem an einer gemeinsamen Definition mangelt. Dies erschwert inhaltliche Auseinandersetzungen, weil unterschiedliche Vorstellungen zum gleichen Begriff existieren. Nikolaus Dimmel etwa zeichnet in einem Beitrag die völlig konträren Weltanschauungen nach, die auf den ersten Blick das gleiche Ziel verfolgen. Bei genauerer Betrachtung könnten die Motivationen unterschiedlicher nicht sein. Das Spektrum reicht von der „Stilllegungsprämie“ bis zum „Teilhabeversprechen“. Ersteres entspringt einem Staatsverständnis, in der die Absicherung sozialer Risiken dem Individuum überlassen ist und die vorgesehene Grundsicherung zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel ist. Letzteres ermöglicht allen ein menschenwürdiges Dasein, befreit von „schlecht bezahlter, körperlich belastender entfremdeter Lohnarbeit“.

Das Buch zeigt ganz klar die Aspekte auf, die unbedingt verfolgt werden müssen, wenn die Menschenwürde gewahrt werden soll: die soziale Absicherung für alle und speziell jene Gruppen, die besonders vulnerabel sind. Das Projekt ermöglichte genau das. Es nahm einerseits die Angst vor dem Verlust sozialer Absicherung und bewirkte andererseits, dass die TeilnehmerInnen wieder Mut und Kraft schöpften, indem sie ihrer gewünschten sinnvollen Beschäftigung nachgehen konnten. 603

Diese verwundbare Gruppe sollte also – wie im Projekt vorgelebt – in ihrem intrinsischen Drang nach gesellschaftlicher Teilhabe unterstützt werden. Allerdings war das Vorhaben sehr eng gefasst, um weitreichende Schlussfolgerungen über die Wirkung eines bedingungslosen Grundeinkommens zuzulassen. Somit bleibt die Frage jedenfalls unbeantwortet, ob das Ziel nicht auch mit dem Ausbau von sozialstaatlichen Maßnahmen erreicht werden könnte. Diese müssten nicht mit der Gießkanne an alle ausgeschüttet werden, wie es in einer populären Konzeption des Grundeinkommens angedacht ist, sondern könnten explizit jenen zu Gute kommen, die es in ihrer aktuellen Situation benötigen. Beispielsweise könnte dies durch eine deutlich intensivere Betreuung durch das AMS bei gleichzeitig längeren Bezugszeiträumen und höheren Ersatzraten realisiert werden, die auch ohne Kontrolltermine auskommen könnten.

Beschäftigungsgarantie als Alternative

Als alternative Anknüpfung des Projekts zu aktuellen wirtschaftspolitischen Debatten bietet sich jene über die sogenannte Beschäftigungsgarantie („Employer of Last Resort“) an. Diese übernimmt der Sozialstaat und offeriert allen Arbeitsuchenden eine Beschäftigung, deren Bezahlung sich in den meisten Vorschlägen an Kollektivvertrags- oder Mindestlöhnen orientiert. Dieses Konzept basiert auf Freiwilligkeit und könnte, gepaart mit den genannten Vorschlägen zur Verbesserung der Leistungen für Arbeitslose, allen Interessierten wieder Anerkennung und Perspektive geben.

Letztlich gibt es viele Möglichkeiten, Menschen in schwierigen Situationen zu unterstützen. Wenn alle verantwortlichen Akteure mit dem Engagement und der Philanthropie der BegleiterInnen von „Sinnvoll tätig sein“ handeln würden, könnten Betroffene deutlich optimistischer ihrer Zukunft entgegenblicken.