Hensel/Schönefeld/Kocher/Schwarz/Koch (Hrsg)Selbstständige Unselbstständigkeit – Crowdworking zwischen Autonomie und Kontrolle

Nomos Verlag, Baden-Baden 2019, 256 Seiten, broschiert, € 49,–

JOHANNESWARTER (SALZBURG)

Während man sich in Österreich – allen voran natürlich Martin Risak – bereits vor einigen Jahren intensiver mit Rechtsfragen plattformbasierter Arbeit beschäftigt hat, verlief die rechtswissenschaftliche Diskussion in Deutschland bislang vergleichsweise dürftig. Erst vor Kurzem haben auch vermehrt deutsche KollegInnen Interesse an diesem spannenden Thema gefunden.

In diese „frühe Phase“ fällt auch das zu rezensierende Werk. Der Band enthält die Erkenntnisse eines von 2015 bis 2018 durch die Fritz Thyssen Stiftung geförderten Forschungsprojekts mit dem Titel „Koordination selbstständiger Unselbstständigkeit: Erwerbsarbeit jenseits der Organisation im Internetzeitalter“. Er beschäftigt sich ausschließlich mit Fragestellungen in Zusammenhang mit der digitalen Form plattformbasierter Arbeit, dem sogenannten Crowdwork. Neben rechtlichen Beiträgen von Eva Kocher und Isabell Hensel, auf die noch zurückzukommen sein wird, besteht der besondere Mehrwert – auch für den österreichischen Leser – in der interdisziplinären Ausrichtung des Projekts. Stand des Buches ist Oktober 2018.

Entsprechend der interdisziplinären Ausrichtung ist der Sammelband thematisch in drei Teile gegliedert. Im ersten Teil behandeln Daniel Schönefeld (Soziologe), Sebastian Strube ( Journalist) und Anna Schwarz (Soziologin) empirische Untersuchungen, Praxisbeschreibungen der Beziehungen der involvierten Parteien und soziologischen 601 Erklärungen für neue Formen selbstständiger Erwerbstätigkeit und deren Motivforschung, ergänzt um aktuelle sozialstatische Daten zur Entwicklung von Solo- Selbstständigkeit sowie von Mehrfacherwerbseinbindungen in der Bundesrepublik Deutschland.

Im zweiten Teil werden Gestaltungsansätze für Crowdworking erörtert. Neben dem ehemaligen Staatssekretär Thorben Albrecht, der die politische Perspektive rahmt, dokumentieren Sarah Borhmann und Gunter Haake (Ver.di) sowie Christiane Benner (zweite Vorsitzende der IG Metall) gewerkschaftliche Überlegungen.

Während der erste Teil – insb für arbeitsrechtliche Beurteilungen – besonders gewinnbringend ist, da bislang nur wenige empirische Informationen und Daten zum Thema Crowdwork vorliegen, findet sich im zweiten Teil beinahe ausschließlich Altbekanntes. Bis auf generelle Aussagen zu den Schwierigkeiten und den möglichen Handlungsoptionen (Organisation, Regulierung) fehlt es diesem Teil einerseits an Tiefgang und andererseits an konkreten Vorschlägen, wie sie etwa von Risak bereits diskutiert wurden (siehe etwa Risak, Mehr Fairness für Plattformarbeitende: Ein Plattformarbeitsgesetz als Strategie für faire Arbeitsbedingungen in der Plattformökonomie, in FS Klebe [2018] 320 ff oder aktuell etwa Policy Paper der AK siehe Gruber-Risak/Warter/Berger, Plattformarbeit – was tun? (2020), abrufbar unter https://www.arbeiterkammer.at/interessenvertretung/arbeit_digital/crowdwork/Grundlagenpapier_Plattformarbeit.htmlhttps://www.arbeiterkammer.at/interessenvertretung/arbeit_digital/crowdwork/Grundlagenpapier_Plattformarbeit.html).

Herzstück des Bandes ist aber zweifellos der dritte Teil, in dem zunächst Jochen Koch (Organisationsforscher) eine neue steuerungstheoretische Perspektive auf Crowdworking darlegt. Vor dem Hintergrund dieser Theorie versucht Eva Kocher (Rechtswissenschaftlerin) eine Rekonstruktion der Grenzen des Arbeitsrechts am Beispiel des Crowdworking. Von der entgegengesetzten Perspektive – von den Begriffen der Selbstständigkeit und des Marktes – fragt Isabell Hensel (ebenfalls Rechtswissenschaftlerin) nach den Regulierungsoptionen und geht dabei vor allem auf vertrags- und wettbewerbsrechtliche Möglichkeiten ein.

Koch versucht in seinem organisationstheoretischen Beitrag die Logiken des Markts und der Organisation anhand von Idealtypen darzustellen. Dabei zeigt er, dass sich Organisationen von Märkten vor allem darin unterscheiden, dass Organisationen typischerweise über Koordinationsformen verfügen, die es ihnen ermöglichen, aus vergangenen Erfahrungen zu lernen und das neue Wissen zu speichern. Märkte hingegen sind, so Koch, im Prinzip nachwirkungsfreie Veranstaltungen, die selbst aus der Vergangenheit nichts lernen. Es lernen nur die MarktteilnehmerInnen jeweils für sich (S 167). Sein Beitrag mündet in der These, dass die Positionierung einer Plattform zwischen Markt und Organisation davon abhängt, inwiefern sich in der jeweiligen Konstellation Koordinationselemente finden lassen, die wissensintensive Diskurse ermöglichen und damit den Aufbau einer crowdinternen Wissensbasis und Kompetenzstruktur ermöglichen. Je mehr entsprechende Elemente erkennbar sind, desto weniger entspräche die Crowd dem Koordinationsmechanismus „Markt“.

Rekurrierend auf die Dichtomie zwischen Markt und Organisation und den Ausführungen von Koch, versucht Kocher, diese Überlegungen für die schwierige Frage nach der Qualifikation der Plattformbeschäftigten fruchtbar zu machen. Sie arbeitet in ihrem arbeitsrechtlichen Beitrag heraus, dass es sich bei Rating- und Feedbacksystemen (insb wenn sie mit Beobachtung/Überwachung der Arbeitstätigkeit einhergeht) um solche rekursiven Prozesse handeln könne, die kennzeichnend für organisatorische Koordinationsmechanismen sind. Auch die Ermöglichung des Zugriffs auf bestimmte „qualifizierte“ oder „geprüfte“ Plattformbeschäftigte stelle einen Unterschied zur reinen Koordination durch den Markt dar. Darüber hinaus seien auch Formen wie Einführungen bzw „Tutorings“, bei denen Crowdworker für ihre Tätigkeiten qualifiziert werden oder je nach Qualifikationsniveau bestimmten Stufen zugeordnet oder ihnen gar passende Arbeitspakete zugewiesen werden, nicht für Märkte, sondern für Organisationen typisch, weshalb dies schon strukturell für eine AN-Eigenschaft der Plattformbeschäftigten sprechen würde.

Inwieweit diese organisationstheoretische Einordnung tatsächlich für arbeitsrechtliche (Qualifikations-) Fragen nutzstiftend sein kann, ist fraglich, da für die Abgrenzung zwischen Selbstständigkeit und Unselbstständigkeit in der Literatur und Judikatur (zumindest bislang) andere Kriterien verwendet werden.

Treffend hingegen sind die Ausführungen Kochers zur Frage, wie adäquat der Fokus auf die Weisungsgebundenheit ist, um die Charakteristika dessen zu erfassen, was ursprünglich mit dem Konzept der „persönlichen Abhängigkeit“ gewollt war. Kocher setzt dabei eine persönliche Abhängigkeit nicht ausschließlich mit Weisungsbindung gleich, sondern verwendet als Kriterium die organisatorische Eingliederung. Dogmatisch nutzt sie dabei den Begriff der „fremdbestimmten Arbeit“ des neuformulierten AN-Begriffs (§ 611a BGB [Bürgerliches Gesetzbuch]) als „Einfallstor“ (S 183).

Letzten Endes offenbart sich aber auch anhand dieses Beitrags (selbst bei Fokus auf die Feststellung einer allenfalls vorliegenden organisatorischen Eingliederung) eine viel grundlegendere Problematik der arbeitsrechtlichen Qualifikation plattformbasierter Arbeit: Das Ergebnis der Qualifikation hängt in Wahrheit stark vom Zugang und der Auslegungsmethode ab. Wird ein (allzu) formaler Weg gewählt, so wird man vielfach zum Ergebnis kommen, dass es sich bei Crowdwork idR um selbstbestimmte Arbeitsleistungen handelt, weil Plattformbeschäftigte frei entscheiden können, wo und wann sie arbeiten wollten, wie lange sie arbeiten wollten und welche Tätigkeiten sie annehmen oder ablehnen möchten (so etwa eine rezente Entscheidung eines Gerichts in Brüssel zu den Fahrern von Uber X, siehe Europäische Kommission, Study to gather evidence on the working conditions of platform workers [2020] 113). Je stärker man aber informelle und indirekte Steuerungselemente sowie strukturell bedingte Einschränkungen der Selbstbestimmung in die Betrachtung miteinbezieht, desto eher sind auch Konstellationen denkbar, in denen von Selbstbestimmung keine Rede mehr sein kann (Stichwort „kontrollierte Autonomie“, S 76). Der Zugewinn an Autonomie wird durch granulare inhaltliche Determination und kleinteiligste und ubiquitäre Überwachung sowie durch strukturelle Beschränkungen (zB durch bewusst hergestellte Konkurrenzsituationen [S 60]) aufgehoben bzw neutralisiert, sodass Leistungen auch in der Plattformökonomie als fremdbestimmt qualifiziert werden können (so etwa kürzlich der Cour de Cassation, der eine 602 organisatorische Unterordnung feststellte und Uberfahrer als AN qualifizierte [N°374 – 4 march 2020, appeal n°19-13.316]). Die Erbringung der Arbeitsleistung in der Plattformökonomie erfolgt entgegen der Flexibilisierungsversprechen nämlich oft nach dem Motto: „Viel muss, wenig kann“ (S 74).

Zusammenfassend kann das Buch allen, die sich mit Plattformarbeit beschäftigen, ans Herz gelegt werden. Hierfür bringt das Werk neue empirische Erkenntnisse und verbreitert bestehende Argumentationsketten, bahnbrechend Neues sollte man aber nicht erwarten.